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Adolf Hitler und kein Ende

Von Werner Bräuninger

Die ewige Wiederkehr des „Führers“

Bis heute ist Adolf Hitler zweifellos der heimliche Regent Deutschlands. Seine Machtfülle scheint ausgeprägter und umfassender zu sein als zu seinen Lebzeiten. Insofern hätte es Timur Vermes’ amüsanten Buches „Er ist wieder da“ gar nicht bedurft, denn auch der tote Hitler ist von unübersehbarer Präsenz in Großwestdeutschland und verhindert so die Rehabilitation des nationalen Arguments. Ganze Zweige der Literatur und der Unterhaltungsindustrie leben inzwischen von ihm, in- und außerhalb Europas. Aber auch das gesamte innere Gefüge des deutschen Staates, ja sogar jenes zahlreicher europäischer Nationen, richtet sich nach seinen Taten und Untaten aus, seit 1945 und bis heute fortwirkend. Insofern kann man sich mit einigem Fug durchaus zu der Behauptung versteigen, der Führer habe den Zweiten Weltkrieg schließlich doch noch gewonnen. Von den Pyrenäen bis zum Kaukasus, vom Nordkap bis an die ägyptische Grenze scheint wieder alleine sein Wort zu gelten.

Die Deutschen haben ihre säkularen Prüfungen im 20. Jahrhundert nicht bestanden, obwohl sie der Dekadenz am längsten Widerstand geleistet haben. Sie wären berufen gewesen, die Verfallserscheinungen der Moderne aufzuheben. Sie scheiterten daran, dem Nationalsozialismus ein menschliches Antlitz zu geben und dessen Entartungen aufzuhalten. Und sie scheiterten ein weiteres Mal, indem sie ihre Seele an die Alliierten verkauften und somit wahrhaft und verdientermaßen zu den „Besiegten von 1945“ wurden, als die sie Hans-Joachim Arndt apostrophierte. Es folgte ein Niedergang ohne Beispiel. Nicht nur das Reich wurde zerstückelt und Preußen aufgelöst, nein auch die Identität der Deutschen ausgelöscht. Als handelndes Subjekt gibt es das deutsche Volk heute nicht mehr. Es schien, als sei diese Tatsache, die wohl niemand mehr ernsthaft bestreiten wird, im Jahre 1930 von August Winnig vorausgesehen worden, als er in seiner Schrift „Vom Proletariat zum Arbeitertum“ niederlegte: „Versagt die innere Kraft … so hat Gottes deutsches Volk seine geschichtliche Bahn durchmessen. Dann sind wir gescheitert und verworfen.“

„Wir sind gescheitert und verworfen“

Mit der Niederlage 1945 und dem Zerbrechen aller Träume von Weltmacht und „Blutreinheit“ kam eine lange, sehr deutsche und pessimistische Tradition an ihr Ende. Das bei vielen Deutschen seit der wilhelminischen Ära vorherrschende Inferioritäts-Empfinden als „verspätete Nation“ manifestierte sich nun in der Agonie einer totalen Niederlage, von der ein Volk sich nicht mehr würde erholen können, wie Ernst Jünger prophezeite, als Abkehr von jeglicher Politik. Aber erst jetzt erwuchs Hitler im eigentlichen Sinne zum Zeitenwender. Er ruinierte die hegemoniale Vormachtstellung Europas, beendete das Kolonialzeitalter unwiderruflich und ermöglichte, ungewollt, die Gründung des Staates Israel. Durch sein Wirken standen die Sowjets in Europa, war das deutsche Volk moralisch angeschlagen, lagen die deutschen Kulturdenkmäler in Trümmern und was architektonisch in den großen Städten, allen voran Berlin, noch an intakter Bausubstanz übrig war und nicht dem 8. US-Bomberkommando oder den Armeen Marschall Schukows zum Opfer fiel, wurde dann in den Jahrzehnten danach in Ost und West mutwillig zerstört. Staunenswert war immerhin die Willfährigkeit der Selbstdemütigung, mit der eine von den Alliierten verordnete „Re-Education“ von den Besiegten demütig angenommen wurde und die bis auf den heutigen Tag nichts davon wissen will, wie sehr der Untergang des Dritten Reiches auch der des Landes selbst war. Es ist sicher kein Zufall, daß mit dem Verlust der Diskretion im Umgang der Deutschen mit sich selbst und der eigenen Geschichte auch die Häufigkeit seelischer Erkrankungen wuchs, mit denen nicht selten ein geistiger Plebejisierungsprozess einhergeht.
Über Jahrzehnte ruhte die „nationale Frage“ in Deutschland, untergegangen unter den Trümmern des Reiches und in all den modernen Funktionszusammenhängen von Schuld, historischen Irrwegen und der soeben erst überwundenen Überwältigungsprophetien und Erlösungsbotschaften, welche bei weiten Teilen der Frontgeneration eine merkwürdige innere Leere zurückgelassen hatten, wie man sie heute zuweilen ähnlich auch bei Sektenaussteigern antrifft.
Als Folge von Hitlers Handeln haben die Deutschen ihre ihnen einst gemäße Wesensart aufgegeben, desgleichen ihre Traditionen, ihr Rechtsempfinden, ihre musischen und philosophischen Dispositionen sowie ihre soldatischen Tugenden. Auch der Zerfall der russisch-amerikanischen Doppelhegemonie hat daran nur wenig geändert. Erst 44 Jahre „nach Hitler“ konnten sie sich wenigstens teilweise wiedervereinigen. Hitler hinterließ eine bleibende Wirkung und veränderte das gesamte Erscheinungsbild des Planeten.
Die Deutschen, mit dem eigenen Überleben und dem Wiederaufbau ihrer zerstörten Städte vollauf beschäftigt, vergaßen bald auch ihren einstigen Führer, den sie über Jahre verehrt und dessen Politik sie weitgehend bejaht hatten; er war „entzaubert“. Im Laufe der Jahrzehnte gelang es, daß der Name Hitlers für sie zu einem Synonym des „absolut Bösen“ wurde. Die vom Nationalsozialismus geformten und erzogenen Deutschen brachten nach 1945 ein vielbestauntes „Wirtschaftswunder“ zustande, in dem viele nicht zu Unrecht eine letzte große und ideelle Aufbauleistung der nationalsozialistischen Gemeinschaftsidee erblickten. Aus Hitlers „Volksgemeinschaft“ entstand de facto Ludwig Erhards „formierte Gesellschaft“. Ein großer Teil insbesondere der Führungseliten der Bundesrepublik Deutschland und auch der österreichischen Republik wurde in der Hitler-Jugend erzogen, oder sie kam von den Napolas, den Adolf-Hitler-Schulen und dem NS-Studentenbund. Die Namen Schleyer, Herrhausen, Theo Sommer, Steinkühler, Karasek, Kiessling, Hardy Krüger und Horst Janssen, aber auch derjenige von Werner Lamberz in der DDR, zeitweilig als Kronprinz Erich Honeckers gehandelt, mögen dies beispielhaft illustrieren.
Für die Deutschen war es schwer, sich „nach Hitler“ überhaupt zu orientieren. Den Begriff des „Reiches“ ließ der Führer und Reichskanzler weitgehend diskreditiert zurück. Der Bezug auf das Reich tauchte in den ersten Jahren nach 1945 lediglich noch bei Parteien nationaler Ausrichtung auf, wie in den Artikeln von Emil Maier-Dorn, Hans-Bernhard von Grünberg oder Wilhelm Meinberg oder der sich eindeutig am nationalsozialistischen Vorbild orientierenden Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Deutschen Reichspartei (DRP) mit ihrer Zeitung „Reichsruf“. Nennenswerte Erfolge waren beiden Formationen nicht beschieden; die SRP wurde 1952 verboten, die DRP sank zur Splitterpartei herab. Gescheitert ist letztlich auch der Versuch des sogenannten „Gauleiter-Kreises“ um den ehemaligen Staatssekretär im Reichspropagandaministerium Dr. Werner Naumann, der – zunächst erfolgreich – versuchte, den nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP mit alten Parteigenossen zu unterwandern. Lediglich noch in kleinen Zirkeln sprach man von Hitler als „USA“, was für „Unser seliger Adolf“ stand.
Die deutsche Nachkriegsjugend bot ein Bild innerer Zerrissenheit. Jene „vaterlose Gesellschaft“ unternahm oft vergebliche Identifikationsanstrengungen, welche sie am Ende aber zumeist noch konfuser zurückließen. Am sinnfälligsten für die Orientierungslosigkeit dieser jungen Generation mag die Person Bernward Vespers stehen. Der Sohn des bekannten „NS-Dichters“ Will Vesper engagierte sich zunächst innerhalb des nationalpolitischen Spektrums, klebte Wahlplakate für die DRP und schrieb für völkische Blätter. Seine immer weiter nach links tendierende politische Radikalisierung erfolgte nicht zuletzt unter dem Einfluß seiner damaligen Partnerin Gudrun Ensslin, die sich von ihm trennte, nachdem sie Andreas Baader kennengelernt hatte. Im Mai 1971 nahm sich Vesper in der Hamburger Psychiatrie mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. Er hinterließ den autobiographischen Roman „Die Reise“ und diente als Vorbild für den Spielfilm „Wer wenn nicht wir“, nach Motiven des Buches „Vesper, Ensslin, Baader“ von Gerd Koenen.

Zäsur 1968

Das Jahr 1968 brachte eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik, welche zugespitzt in zwei grundsätzlichen, konträren Strömungen und Denkschulen mündete. Mit dem bayerischen CSU-Politiker Franz-Josef Strauß kristallisierte sich ein politisches Naturtalent und ein Rhetoriker erster Güte heraus, wie es in Deutschland keinen zweiten nach 1945 gab. Der ehemalige Oberleutnant und NS-Führungsoffizier Strauß vertrat eine Zeitlang, assistiert von seinem persönlichen Sekretär und zeitweiligen Herausgeber des „Bayernkurier“ Marcel Hepp, dezidiert „rechte“ Positionen innerhalb der Union und erschwerte somit das Aufkommen einer selbstbewußten nationalen Partei rechts von CDU/CSU.
Auf der extremen Linken erschien mit dem Führer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), Rudi Dutschke, ein weiterer glänzender Redner und eine Ikone der späten 1960er Jahre. In seiner schwarzen Lederjacke, mit dem durchdringenden Blick, dem zur Seite gekämmten schwarzen Haar sowie dem monotonen, doch aufpeitschenden Singsang und der demagogischen Suada seiner Rede, erschien Dutschke wie einer jener deutschen Revolutionäre längst vergangen geglaubter Zeiten. In Dutschke erwuchs Deutschland in seiner „Rekonstruktionsperiode“ eine maßgebliche Identifikationsfigur der sich politisch links verortenden studentischen Jugend von 1968. Nicht zuletzt wegen solcher Einzelner hatte nationales Denken innerhalb der jungen Generation auf lange Zeit ausgespielt. Kaum auszudenken, wie die Geschichte der Bundesrepublik verlaufen wäre, wenn sich dieser junge „National-Sozialist“ und Postbeamtensohn aus Luckenwalde, der auch die „deutsche Frage“ stellte, auf seiten der politischen Rechten engagiert hätte.
Aus Berührungsangst, aber auch aus einer gewissen Arroganz heraus wurde auf vielen Sektoren kaum etwas aus dem Dritten Reich übernommen, was sich durchaus nicht nur in der Abschaffung des Stechschritts oder der „Knobelbecher“ bei der Bundeswehr äußerte, während die Nationale Volksarmee der DDR seltsamerweise gerade dieses Erbe für sich beanspruchte und das schon im Untergang begriffene Regime sich anschickte, eine geradezu preußische Renaissance in die Wege zu leiten. In der US-Militärakademie West Point hängen zur Motivation für die kommende junge Militärelite Nordamerikas bis heute Fotografien von Rommel und anderen hohen Wehrmachtsoffizieren an den Wänden, und in den Lehrgängen des israelischen Generalstabes doziert man über die Auswirkungen der Theorien von Clausewitz und Schlieffen auf die strategische Kriegsführung der deutschen Wehrmacht im Verlauf des Zweiten Weltkrieges.
Der von einem der Vorzugsarchitekten Hitlers, Hermann Giesler, 1938 vorgestellte Entwurf eines ultramodernen Hauptbahnhofs für München etwa, bei dem die Gleise tiefer gelegt waren und der technisch-funktional auch noch lange nach dem Krieg die beste Lösung für die bayerische Metropole dargestellt hätte, durfte in der „post-faschistischen“ Ära nicht gebaut werden, obwohl es sich bei diesem Bauwerk schon rein ästhetisch um eine grandiose Leistung handelte. Auch andere Künstler, die sich unter Hitler einen Namen gemacht hatten, erfuhren eine rigorose Ausgrenzung; neunzig Prozent des Werkes von Arno Breker wurde beim Einmarsch der US-Armee zerstört. Leni Riefenstahl erfuhr eine jahrzehntelange Stigmatisierung, und Winifred Wagner wurde von der Festspielleitung in Bayreuth ausgeschlossen.
In der Bunderepublik Deutschland trieb insbesondere nach 1968 eine weitgehend unreflektierte „Vergangenheitsbewältigung“ partiell groteske Blüten, und es etablierte sich zeitlich etwa mit Beginn der sozial-liberalen Koalition in Bonn eine geradezu neurotische Manie aus, in vorauseilendem Gehorsam alles inquisitorisch zu ächten, zu kriminalisieren oder zu stigmatisieren, was auch nur im Entferntesten als Sympathie für die Person Hitler oder den Nationalsozialismus interpretiert werden konnte. Eine Vielzahl von „Skandalen“ und Eklats sind darauf zurückzuführen, daß man sich vermeintlich in Hitlers geistiger Nähe bewegte oder sich leichtfertigerweise verbal zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Eine kleine Chronologie dieser Pawlow’schen Reflexe macht dies überdeutlich:

Eine kleine Chronik der Pawlow’schen Reflexe

Als die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) – damals noch eine überwiegend national-konservative Organisation – 1968 in Baden-Württemberg 9,8 % der Stimmen erhielt und in den dortigen Landtag einzog, wurde dies von vielen als ein Wiedererstarken „faschistischer“ Macht interpretiert, so absurd dies letztlich auch war. Man warnte davor, daß die Russen bei weiteren Wahlerfolgen dieser Partei in West-Berlin einmarschieren würden und diffamierte den damaligen NPD-Vorsitzenden Adolf von Thadden, aus altem pommerschen Adelsgeschlecht stammend und im Kriege als Oberleutnant der Sturmartillerie an den Fronten stehend, auf den Titelseiten der großen Zeitschriften als „nouvel Adolf“. Als er sich gemeinsam mit dem Stuka-Oberst Hans-Ulrich Rudel in der Pause von „Siegfried“ während der Bayreuther Festspiele 1966 fotografieren ließ, entwickelte sich dies zu einem handfesten Presseskandal. Nachdem Rudel später noch eine offizielle Einladung zu einem Traditionstreffen der Bundesluftwaffe erhielt, wurden die hierfür verantwortlichen Luftwaffengeneräle Franke und Krupinski unverzüglich in den Ruhestand versetzt. Während Rudels Begräbnis 1982 donnerten mehrere Phantom-Düsenjets der Luftwaffe zur Ehrenbezeugung für den verstorbenen Schlachtflieger über den kleinen Friedhof, was den verantwortlichen Piloten eine offizielle Rüge einbrachte.
Das Engagement des renommierten Historikers Golo Mann in der „Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Hess“, welche sich um Gerechtigkeit und Menschlichkeit im Falle des ehemaligen Hitler-Stellvertreters in der NSDAP einsetzte, gestaltete sich zu einem größeren Skandalon; die geplante Aufführung von Rainer Werner Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ in Frankfurt am Main wurde 1985 ein ausgesprochener Theaterskandal und hatte – unter tatkräftiger Mithilfe eines jungen Aufsteigers namens Michel Friedmann – wochenlange Debatten zur Folge; Helmut Diwalds Buch „Geschichte der Deutschen“ wurde sehr bald Gegenstand einer heftigen Kontroverse und brachte seinen Herausgeber Wolf Jobst Siedler in einige Bedrängnis; gegen die nonkonformen Publizisten Hans-Dietrich Sander, Hans-Joachim Arndt, Heinrich Jordis von Lohausen, Hartmut Lange und Bernard Willms wurden regelrechte Hexenjagden und Mobbingaktionen inszeniert. Die Reaktionen auf die freundschaftlichen Dispute zwischen Ernst Jünger und Gershom Scholem, die Dialoge zwischen Carl Schmitt und Jacob Taubes wie auch jene von Sander und Salcia Landman oder auch die literarischen Händel zwischen Maxim Biller und Helmut Krausser, der annahm, daß die deutsche Romantik auch in Auschwitz nicht geendet habe und dieses lediglich der „Spätauswuchs eines Seitenzweigs“ gewesen sei, wurden ambivalent diskutiert.
Unter Bundeskanzler Helmut Schmidt konstituierte sich 1977, auf dem Höhepunkt des Terrors der RAF, ein Krisenstab, der faktisch 45 Tage lang die Regierungsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausübte, ohne daß es dafür eine gesetzliche Grundlage gegeben hätte. Ihm gehörten neben dem ehemaligen Oberleutnant der Wehrmacht Schmidt auch der einstige Wehrmachtssoldat Bundesinnenminister Werner Maihofer, der Kriegsfreiwillige und Unteroffizier Justizminister Hans-Jochen Vogel, der Oberleutnant und Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski sowie der Leutnant und BKA-Präsident Horst Herold an, was besondere Kritik auf seiten der äußersten Linken hervorrief. Es war dies die „Verschwörung der Flakhelfer“, als die sie Günter Maschke apostrophiert hat. In den letzten Jahren konnte man verstärkt feststellen, daß sich auch einige prominente Exponenten der radikalen Linken von 1968, wie Horst Mahler, Reinhold Oberlercher und Bernd Rabehl, dezidiert nationalen oder gar national-sozialistischen Positionen zuwandten und öffneten. Insbesondere sie waren es, welche diese „Flakhelfer“ 1968 am heftigsten kritisiert und verächtlich gemacht hatten. In einer retrospektiven „Kanonischen Erklärung“ bezeichnete man das Phänomen der RAF dann gar als „Waffen-SDS“.
Der Lyriker Erich Fried und Michael Kühnen, damals die zentrale Führungspersönlichkeit des deutschen und europäischen Neo-Nationalsozialismus, wurden im März 1983 gemeinsam in die Fernseh-Talkshow „III nach 9“ des Senders Radio Bremen eingeladen, um dort über „Neonazismus“ zu diskutieren. Nur wenige Stunden zuvor lud man Kühnen wieder aus; man fürchtete mögliche Sympathien des bundesdeutschen Fernsehpublikums für den „Neonazi-Chef“. Als Fried von der Ausladung erfuhr, zeigte er sich äußerst erbost, denn er habe einen konstruktiven, öffentlichen Dialog mit Kühnen führen wollen; eine bemerkenswerte Äußerung eines Linken und Juden, dessen halbe Familie in den Schinderhütten des Dritten Reiches umgekommen ist. Kühnen und Fried haben sich anschließend einige Male persönlich getroffen und lange miteinander diskutiert, woraus sich eine recht enge Freundschaft und ein umfassender Briefwechsel zwischen dem jüdischen Schriftsteller und dem Chef der Neo-Nationalsozialisten entwickelte. Fried wurde daraufhin von Henryk M. Broder als „Trauerarbeiter vom lyrischen Fließband“ verhöhnt. Auch in der Haft besuchte Fried seinen neuen Freund des öfteren und bekundete im Anschluss, er habe in Kühnen einen absolut aufrichtigen Mann kennengelernt, dem er jederzeit sein Leben anvertrauen würde. Sein Gedicht „Um Klarheit“ widmete er dem inhaftierten Freund („Für M.K.“). Der Tod Frieds 1988 verhinderte dann eine weitere Intensivierung des Kontaktes. Kühnen selbst starb im Jahre 1991 an AIDS.
Der stellvertretende Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und bei den bayerischen Zuschauern überaus beliebte Moderator der sehr bürgernahen Sendung „Jetzt red’ i“, Franz Schönhuber, wurde 1981 fristlos entlassen, nachdem er seine Autobiographie „Ich war dabei“ veröffentlicht hatte, die auch Bezug auf seine Dienstzeit in der Waffen-SS nahm. Eigentümlicherweise waren die Waffen-SS-Mitgliedschaften des SPD-Kultusministers von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Giergensohn, oder auch diejenige von Günter Samtlebe, welcher über 25 Jahre lang Oberbürgermeister der Stadt Dortmund war, niemals Gegenstand größerer politischer Debatten. Bundestagspräsident Jenningers Rede zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms im Jahre 1988, ein Paradebeispiel für mißverständliche Rhetorik, war der Anlaß für seinen sofortigen Rücktritt. Der von dem Historiker Ernst Nolte 1986/87 ausgelöste „Historikerstreit“ um jene „Vergangenheit, die nicht vergehen will“, beschäftigte die Publizistik des In- und Auslandes für lange Zeit. Als sich der junge Dirigent Christian Thielemann für die Aufführung von Werken Hans Pfitzners einsetzte, war dies in den Augen selbsternannter „Kulturblockwarte“ eine Unbotmäßigkeit; Thielemann stand ohnehin schon im Kreuzfeuer wegen seiner angeblichen Äußerung „Jetzt hat die Juderei in Berlin ein Ende“; eine Anspielung über seinen die Stadt möglicherweise verlassenden jüdischen Dirigentenkollegen Daniel Barenboim; die künstlich angeheizte Polemik gegen Hans Jürgen Syberbergs Streitschrift „Vom Glück und Unglück der deutschen Kunst nach dem letzten Kriege“ wurde zum Anlaß einer langandauernden Kampagne gegen den Regisseur genommen.
Was es heißt, sich gegen den allgemeingültigen sprachlichen Konsens aufzulehnen, erfuhr auch jener unbedarfte CSU-Bundestagsabgeordnete, der 1986 geäußert hatte: „Juden melden sich schnell zu Wort, wenn irgendwo in deutschen Kassen Geld klingelt.“ Ähnlich gelagert war der Skandal um einen Kontrabassisten des Orchesters der Deutschen Oper Berlin, der Ende der 1990er Jahre während eines Gastspiels in Israel in einem Hotel in Tel Aviv seine Rechung mit „Adolf Hitler“ unterschrieb und glaubte, daß er sich diesen geschmacklosen „Scherz“ ungestraft erlauben könne; er wurde umgehend entlassen.
Als im Jahre 1993 Botho Strauß’ bahnbrechender Essay „Anschwellender Bocksgesang“ erschien, schrie das bundesdeutsche Establishment entsetzt nach Zensurmaßnahmen; ähnliche Erfahrungen mußte wenig später der Schriftsteller Martin Walser machen, weil er in seiner Paulskirchenrede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin eine „Kranzabwurfstelle“ und die Debatte um den Holocaust eine „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ genannt hatte. Daniel Kehlmann, aus jüdischer Familie stammend, wurde als „Reaktionär“ geziehen, nachdem er in seiner Ansprache zur Eröffnung der Salzburger Festspiele vorsichtige Kritik am modernen Regietheater geübt hatte.
Einige „umstrittene“ Äußerungen des CDU-Präsidentschaftskandidaten Steffen Heitmann über die jüngere deutsche Geschichte führten 1993 zur erzwungenen Zurücknahme seiner Kandidatur; Volker Gebhardts Buch über „Das Deutsche in der Deutschen Kunst“ erfuhr heftige Angriffe; desgleichen Fritjof Meyer wegen seines Aufsatzes „Die Opfer von Auschwitz“ in der Zeitschrift „Osteuropa“, in denen er äußerst sachlich die offiziell verkündeten Opferzahlen zur Disposition stellte. Norman Finkelsteins Thesen über eine grassierende „Holocaustindustrie“ im Dienste politischer, ökonomischer oder ideologischer Ziele sowie die unorthodoxen Positionen der Juden John Sack, Shlomo Sand und Juriy Slezkine füllten die Polemiken deutscher Feuilletons.
Ein von Karlheinz Weißmann verfaßter Band für die im renommierten Propyläen Verlag erscheinende Reihe „Geschichte Deutschlands“ über die Jahre 1933–45 wurde 1995 unter dem Titel „Der Weg in den Abgrund“ veröffentlicht und entfachte wegen der vermeintlichen „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ einen ausgesprochenen Wissenschaftsskandal. Bei Ullstein/Propyläen distanzierte man sich, das Buch mußte eingestampft werden, Cheflektor Zitelmann wurde entlassen; das Buch wurde daraufhin von Dr. Herbert Fleissner verlegt. Die Positionen des deutsch-jüdischen Patrioten Michael Wolffsohn, der sich dafür aussprach, die Verleihung des Eisernen Kreuzes in der Bundeswehr wieder einzuführen, wurden „mit großer Besorgnis“ aller „gesellschaftlich relevanten Kräfte“ zur Kenntnis genommen. Der international renommierte Modeschöpfer Wolfgang Joop, auch als „prussian Designer“ apostrophiert, äußerte nach den Terroranschlägen des 11. September 2001: „Ich bedaure nicht, dass das Symbol der Twin Towers nicht mehr steht, weil sie kapitalistische Arroganz symbolisierten.“ Er hatte es lange Zeit zu büßen.
Die auf dem Buch „Jüdischer Bolschewismus“ von Johannes Rogalla von Bieberstein fußenden Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann und dessen Rede über die Juden als „Tätervolk“ schlugen derart hohe Wellen, welche zunächst den Fraktions- und später den Parteiausschluß Hohmanns zur Folge hatten; in jüngster Zeit machte der ehemalige Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin wegen seiner unorthodoxen Thesen zur deutschen Sozial- und Bevölkerungspolitik und zur gängigen Integrationspraxis von sich reden, ein Vorgang, der sich an der Person des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky wiederholte. Die ehemalige Tagesschau-Sprecherin und Moderatorin Eva Herrmann wurde von ihrem Sender wegen vermeintlich positiver und „verharmlosender“ Äußerungen über die NS-Frauen- und Familienpolitik entlassen und im Gefolge dieser medialen Hinrichtung zur persona non grata erklärt.
Wegen Tätowierungen mit vermeintlichen NS-Symbolen, die er in seiner Jugend hatte anfertigen lassen, wurde der russische Opernsänger Evgeny Nikitin nach einem entsprechenden denunziatorischen Hinweis des ZDF dazu genötigt, seinen Auftritt bei den Bayreuther Festspielen abzusagen. Der Baßbariton sollte dort ursprünglich in der Rolle des „Fliegenden Holländers“ auf der Bühne stehen. Günter Grass, der sich jahrzehntelang als selbsternannte und ungefragte moralische Instanz der Deutschen verstand, bekannte 2006, also nach über sechzig Jahren, Angehöriger der Waffen-SS gewesen zu sein, die Leitmedien verziehen es ihm großmütig und schamhaft zugleich. Die ehemaligen NS-Parteigenossen Wapnewski und Walter Jens schwiegen in diesem Fall, während sie zuvor an der Denunziation ihrer „Kollegen“ Fernau, Reinecker, Venohr und Zoglmann wegen deren Zugehörigkeit zur Waffen-SS nicht ganz unbeteiligt waren. Die Jagd auf den Schriftsteller Grass begann erst im April 2012, nachdem dieser sein künstlerisch nicht eben wertvolles, jedoch israelkritisches Gedicht „Was gesagt werden muß“ veröffentlichte und damit eine breite mediale Diskussion über Antisemitismus in Deutschland auslöste.
Nadja Drygalla, Ruderin des deutschen Frauenachters, führte eine Liebesbeziehung zu einem ehemaligen Landtagskandidaten der NPD. Daraufhin mußte die Sportlerin ihre Polizeiausbildung abbrechen. Während der Olympischen Spiele 2012 wurde sie – bezeichnenderweise erst nach der erfolgreichen Absolvierung ihrer Wettkämpfe – von der Leitung der deutschen Olympia-Mannschaft vorgeladen, massiv unter Druck gesetzt, und verließ daraufhin „freiwillig“ das Olympische Dorf, wie es hieß. Sie selbst hatte mit der Partei und den politischen Positionen ihres Freundes nicht das geringste zu tun. Die junge Dreispringerin Voula Papachristou gehörte bei der Olympiade in London 2012 der griechischen Delegation an. Wegen eines kritischen Twitter-Kommentars über in Griechenland lebende afrikanische Immigranten, der von dem Recht auf freie Meinungsäußerung durchaus abgedeckt war, wurde sie jedoch zwei Tage vor der Eröffnungsfeier vom griechischen Nationalen Olympischen Komitee von den Spielen ausgeschlossen.

Bewältigungswellen in Österreich

Auch in Österreich setzten sich die Bewältigungswellen zumeist konvulsivisch und wie nach Plan in Bewegung: Nachdem der Jewish World Congress 1986 bekannt machte, daß der österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim der SA- und dem NS-Studentenbund angehört hatte, sowie bis heute nicht bewiesene Behauptungen aufgestellt wurden, Waldheim könne an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein, wurde er von den USA anhand ihrer „Watch List“ mit einem Einreiseverbot belegt und kaum noch zu auswärtigen Staatsbesuchen eingeladen. Waldheim aber lehnte einen Rücktritt stets ab und blieb bis zum Ende im Amt. Auch der charismatische Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs Jörg Haider geriet wegen zahlreicher Äußerungen, die – wenn man denn will – mißverständlich aufgefaßt werden konnten, immer wieder in die Schußlinie der Kritik. Beispielhaft mag seine Aussage stehen „… im Dritten Reich haben sie ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht, was nicht einmal Ihre Regierung in Wien zusammenbringt“. Ein anderes Mal bezeichnete er die österreichische Nation als eine „ideologische Mißgeburt“. Vielfach heftig kritisiert wurde auch seine verschiedentliche Teilnahme an den alljährlich stattfindenden Treffen von Kriegsveteranen und deren Angehörigen auf dem Ulrichsberg in Kärnten. Die medialen Wellen um Haider schlugen stets sehr hoch. Immer wieder wurden ihm „Populismus“ und das Vertreten rechtsradikalen Gedankenguts vorgeworfen, bis er im Oktober 2008 bei einem mysteriösen und bis heute nie ganz aufgeklärten Autounfall starb.
Der freiheitliche Politiker Andreas Mölzer sprach 1992 zum Thema „Nationale Identität und multikulturelle Gesellschaft“ und prägte dort den Satz von der Möglichkeit einer bevorstehenden ethnischen und kulturellen „Umvolkung“ des deutschen Volkes, was ebenfalls für starke mediale Aufregung sorgte. Diverse Äußerungen des Volksanwalts Ewald Stadler hatten weitere Konfusionen zur Folge, weil er sich für einen „enttabuisierten Umgang mit unserer Geschichte“ aussprach, homosexuelle Partnerschaften als pervers bezeichnete oder äußerte, daß die EU „das wichtigste Instrument freimaurerischer Politik“ sei. Der numehrige Bundesparteiobmann der FPÖ, Heinz-Christian Strache, hatte als junger Bursche offensichtlich an einigen Wehrsportübungen teilgenommen, bei denen auch einige „Neonazis“ beteiligt waren. Auch zur deutschen „Wiking-Jugend“ sollen Kontakte bestanden haben; die Leitmedien verziehen es Strache nicht, während sie auf dem linken Auge in ähnlichen Fällen stets wesentlich blinder und vor allem nachgiebiger waren.

Auf dem internationalen Parkett

Aber auch auf internationalem Parkett konnte man dergleichen Mechanismen immer wieder erneut beobachten. Die radikalsten Ausformungen der NS-Rassenlehre waren erstaunlicherweise nach 1945 vor allem in den USA anzutreffen; George Lincoln Rockwell, Führer der nord-amerikanischen Nationalsozialisten und Autor des Buches „This time the world“, wurde 1967 auf offener Straße in Arlington erschossen. David Bowie’s „Playboy“-Interview Mitte der 1970er Jahre wäre exemplarisch für eine Hitler-Vereinnahmung aus ästhetischer Motivation zu nennen. Bowie hatte darin geäußert: „Großer Gott! Hitler war kein Politiker. Er war ein Medienkünstler. Und der erste Rockstar.“ Der Schauspieler und Regisseur Mel Gibson machte Schlagzeilen, als er von einer Polizeistreife festgenommen wurde und dabei antisemitische Bemerkungen von sich gab. Auch seinem Film „Die Passion Christi“ wurde bereits zuvor Antisemitismus unterstellt. John Galliano, Chefdesigner von Dior, wurde in einem Pariser Bistro gefilmt, als er neben ihm sitzende Gäste als Juden identifizierte und ihnen gegenüber nonchalant erklärte „I love Hitler“; Dior trennte sich daraufhin von seiner Ikone. Der dänische Regisseur Lars von Trier wurde im Mai 2011 von den Internationalen Filmfestspielen in Cannes ausgeschlossen, weil er auf der Pressekonferenz zu seinem Film „Melancholia“ mit den Worten „Ok, ich bin ein Nazi“ und „Ich verstehe Hitler“ für einen handfesten Eklat gesorgt hatte.
Der Kapitän von Lazio Rom, Paolo Di Canio, wurde im März 2005 von der Disziplinarkommission des italienischen Fußballverbands zur Zahlung einer hohen Geldstrafe verurteilt, weil er seine Fans bei einem Fußballspiel mit dem römischen Gruß der Faschisten begrüßte. Di Canio, bekennender Faschist, akzeptierte das Urteil nicht, sondern wiederholte den Gruß wenig später. Dies führte zu einer erneuten Strafe sowie einer Sperre in der italienischen Liga. Auch der Weltverband FIFA nahm Untersuchungen auf. Obwohl in Italien die Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit völlig anders als in Deutschland verliefen, zeigte man sich auch dort in neuerer Zeit empfindlicher als noch in früherer Zeit, wohl vor allem im Hinblick auf die sogenannte „Weltmeinung“. Auch in Spanien hat man unterdessen damit begonnen, die Denkmäler und Reiterstandbilder General Francos weitgehend zu schleifen.
Die großen Marmorblöcke des ehemaligen „Foro Mussolini“ in Rom jedoch, heute Foro Italico, auf denen die stolzen Daten des faschistischen Imperiums verewigt wurden, stehen noch heute dort. Auf dem letzten Quader ließ die erste Nachkriegsregierung Italiens einmeißeln: „25. Juli 1943. Ende des faschistischen Imperiums.“ „Vergangenheitsbewältigung“ auf italienisch. Auch das für die Weltausstellung 1942 gebaute römische Stadtviertel EUR 42, heute „Quartiere XXXII. Europa“, mit seinen futuristischen Gebäuden, blieb erhalten und erfuhr kaum nennenswerte Umgestaltungen. In Deutschland ließ man lediglich das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg weitgehend unangetastet, heute befindet sich dort ein „Dokumentationszentrum“ zur Geschichte des Nationalsozialismus, welches allenfalls durch seine betonte architektonische Häßlichkeit besticht.
Die Grabstätte Benito Mussolinis in Predappio zieht jährlich Tausende von Besuchern in die Romagna. Die Anhänger des Duce salutieren dort mit der größten Selbstverständlichkeit mit dem alten Parteigruß der Faschisten. Gleiches wäre in Deutschland natürlich völlig undenkbar. Allerdings tragen die Italiener auch an keiner Hypothek, die „Auschwitz“ heißt. Als der langjährige Chef der italienischen Neo-Faschisten, Giorgio Almirante, starb, verneigte sich der Vorsitzende der italienischen KP vor dem Sarg des Rivalen. Eine Grazie und Leichtigkeit im Stile von „Don Camillo und Peppone“, welche uns Deutschen in politischen Dingen völlig abgeht.

Der deutsche Sonderweg

Während es in anderen europäischen Ländern wie in Frankreich mit dem Front National Jean Marie Le Pens und der „Nouvelle Droite“, in England mit der British National Party, den diversen post-faschistischen Parteien Italiens, dem belgischen Vlaams Belang, der FPÖ in Österreich sowie den falangistischen Gruppen im nach-franquistischen Spanien eine etablierte, demokratische nationale Rechte gibt, welche wie selbstverständlich in den jeweiligen „Verfassungsbogen“ integriert ist, tut man sich in Deutschland nach wie vor sehr schwer. Die NPD erlitt 1969 ihr großes Trauma, als sie bei der Bundestagswahl den Einzug in das Parlament knapp verfehlte. Die „Republikaner“ führen seit geraumer Zeit ein Schattendasein. Sich zumeist aufgrund regionaler Problemsituationen konstituierende Gruppierungen „nationaler“ Ausrichtung versanken oft über Nacht wieder in der politischen Bedeutungslosigkeit.
All das gehört mit zum Erbe Hitlers und wäre unvorstellbar ohne sein Wirken. Er besitzt bis auf den heutigen Tag unentwegte Präsenz, wenn auch die meisten seiner politischen Zielvorstellungen kompromittiert zurückblieben. „Death and Transfiguration“, wie Richard Strauss‘ Tondichtung im Englischen heisst; „Tod und Verklärung“. In zahllosen Debatten, Exorzismen und Grundsatzentscheidungen ist Hitler als „plastischer Dämon“ gegenwärtig und bestimmt somit bis auf den heutigen Tag die deutsche Nachkriegspolitik in gewisser Hinsicht entscheidend mit. Auf diese Art und Weise erwies er sich als ein nahezu unsterblicher Ahasver. Die von Armin Mohler en detail analysierte bundesdeutsche „Vergangenheitsbewältigung“ trug hierzu ebenso maßgeblich bei, wie der verordnete, ritualisierte und stets etwas hilflos erscheinende „Antifaschismus“ der untergegangenen DDR.
Deutschland zeigt sich nach wie vor wie paralysiert von seiner Geschichte und geht – wohl unbewußt – genau jenen „Sonderweg“, den die Nomenklatura der Bonner- und Berliner Republik immer scheuten, wie der Teufel das Gebetbuch. Hier gibt es keine Demonstration von über 1 ½ Millionen Menschen wie in Paris, bei der man gegen die Homo-Ehe und gegen die Zerstörung der Familie eintreten würde. Und keinen Sturm der Empörung sowie massenhafte Proteste wie in Brüssel, als man den Brüsseler Weihnachtsmarkt unter vermeintlicher Rücksichtnahme auf die Muslime in Belgien vor Jahren in „Plaisirs d’Hiver“ umbenannte, was soviel bedeutet wie „Winterfreuden“. In Deutschland hätte sich keine Hand gerührt, verschämt geht man zur Tagesordnung über.
Es scheint, als würde sich auch in dieser Frage August Winnigs pessimistische Prophezeiung über die Zukunft Deutschlands und des europäischen Menschentums erfüllen. Der letzte Sieger all der erbärmlichen Zustände in den europäischen Völkern, so schrieb Winnig 1938, wäre der entfesselte Untermensch, den jedes Volk als Möglichkeit in sich trage und der schon lange auf seine Stunde warte.

 
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