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Die Identitären

Von Martin Lichtmesz

Wiedereinmal geht ein Gespenst um in Europa – und diesmal angeblich nicht nur auf Facebook, wo Anfang Dezember folgende Erklärung veröffentlicht wurde: „Am vergangenen Samstag, dem 1. Dezember 2012 fand in Frankfurt das erste deutschlandweite Treffen der identitären Bewegung statt. Rund 50 Leute aus dem ganzen Land waren angereist. Auch Vertreter der österreichischen und italienischen Identitären waren gekommen. … Die IB trat am 1. Dezember 2012 aus ihrem Online-Dasein in die Realität. Ein deutschlandweites Netz wurde geknüpft, Arbeitsaufgaben wurden zusammengefaßt und vereinfacht. … Wir sind seit dem 1. Dezember eine organisierte, handlungs- und kampagnenfähige Gemeinschaft mit europaweiten Kontakten, klaren Ideen und scharfen Zielsetzungen. In diesem Moment laufen im ganzen Land fieberhafte Vorbereitungen und Vernetzungen für kommende Aktionen. Der identitäre Aufbruch in Deutschland hat gerade erst begonnen!“ Besonderes Gewicht kam dabei wohl vor allem diesem Dementi zu, das sich freilich noch durch Taten bestätigen muß: „Die IB ist keine Eintagsfliege, keine Modewelle und kein flüchtiges, virales Internetphänomen.“

Was war geschehen? Auf österreichischer Seite begann der „Spuk“ Ende September 2012 in Wien, als auf der Veranstaltung „Tanz die Toleranz“ der katholischen Hilfsorganisation „Caritas“ ein „Flashmob“ von etwa einem Dutzend Gestalten in Affen- und Halloweenmasken autauchte, russische „Hardbass“-Mucke abspielte und Schilder mit Slogans schwenkte wie: „Multikulti wegbassen“, „Patriotismus ist tanzbar“ und „Zertanz die Toleranz“. http://www.youtube.com/watch?v=Qr1giOez9Ng Daraus wurden dann in der Presse „rassistische Parolen“ und aus der Tanzeinlage ein „rassistischer Übergriff“, aus den Aktivisten wahlweise „neue Rechte“, „Rechtsextremisten“ oder „Neonazis“ . Kurz darauf bekannte sich die Gruppe „Die Identitären“ (www.dieidentitaeren.tumblr.com) zu der Aktion: „Wir nennen uns identitär, weil es uns um den Erhalt unserer eigenen Identität geht – das hat nichts mit Haß auf Andere zu tun. Wir glauben nicht, daß eine Kultur besser ist als die andere – wir glauben aber an das Überlebensrecht unserer Kultur. (…) Wir sind nicht gegen kulturelle Vielfalt, aber wir kritisieren die unbeschränkte Massenzuwanderung nach Europa. Gerade weil wir einen rein positiven Patriotismus vertreten, der nichts mit Verachtung oder Haß, sondern mit Bekenntnis zur eigenen und Achtung der anderen Identität zu tun hat, sind wir identitär und nennen uns auch so. Wir wollen damit vor allem der stillen Mehrheit der Patrioten in unserem Land klarmachen, daß es ihr gutes Recht und ihre Pflicht ist, für unser Land und unsere Identität einzutreten.“

W.I.R. – Wiens identitäre Richtung

Um die Verwirrung noch zu steigern, kam es zu Verwechslungen mit einer offenbar parallell agierenden Gruppe namens „W.I.R. – Wiens identitäre Richtung“ (www.wirfürwien.at), die bereits im Frühjahr 2012 gegründet wurde, und die abstritt, mit den „Hardbassern“ identisch zu sein. Das klingt nun verdächtig nach dem „Judäischen Volksfront“-Syndrom frei nach dem Satireklassiker „Das Leben des Brian“ der Monty Python‘s. Die Stoßrichtung ist nach einer Erklärung des „W.I.R.“-Obmanns Alexander Markovics allerdings dieselbe: „‚Wiens Identitäre Richtung‘ ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, welche sich dem Erhalt unserer ethnokulturellen Identität verschrieben hat. Wir wollen die echten Wiener aus Ihrer Tatenlosigkeit herausreißen und dazu bringen, endlich wieder ernsthaft über Ihre Zukunft nachzudenken. Denn angesichts der aktuellen Entwicklungen des allgemeinen Identitätsverlustes, der Überfremdung und Islamisierung unserer Stadt sieht diese sehr düster aus. Daher wollen wir endlich einen ehrlichen, demokratischen Diskurs über die Probleme der Masseneinwanderung, der Islamisierung und des Identitätsverlustes der Wiener starten – an dem natürlich auch die hier lebenden Ausländer teilnehmen sollen.“

Was auch immer sich da in der alten Wetterecke Wien zusammengebraut hat: der eigentliche frische Wind dieses Herbstes kam aus Frankreich, wo der Begriff „identitär“ auch herstammt, und insbesondere von der 2002 gegründeten Bewegung „Bloc identitaire“ benutzt wird. Deren Umkreis entstammt auch die Gruppe „Génération Identitaire“, die Anfang Oktober ein Protestvideo ins Netz stellte, das sich zum „viralen“ Renner entwickelte. Es zeigt Großaufnahmen von kämpferisch blickenden jungen Männern und Frauen in stilvollem Schwarzweiß, untermalt von epischer Hollywood-Musik, die mit „Arbeitslosigkeit, Sozialschuld, Kollaps von Multikulti, und der Explosion des gegen Weiße gerichteten Rassismus“ abrechnen: „Glaubt bloß nicht, dies wäre nur ein Manifest: dies ist eine Kriegserklärung.“ http://www.youtube.com/watch?v=DxalEUWZTG8

Nach offiziellen Hochrechnungen ist Frankreich demographisch am Kippen: Laut einer Studie des Statistikamtes INSEE haben bereits 43 % der 18–50jährigen im Ballungsraum Paris einen „Migrationshintergrund“. Während auf den Siegesfeiern für François Hollande auf dem Place de la Bastille offen algerische, marokkanische und kamerunische Flaggen geschwenkt wurden, werden Kritiker wie die Demographin Michèle Tribalat oder die Schriftsteller Renaud Camus und Richard Millet, die von einem „latenten Bürgerkrieg“ und „Bevölkerungsaustausch“ sprechen, diffamiert und ausgegrenzt. In einer solchen Lage hilft nur mehr die Provokation weiter: Am 20. Oktober besetzten etwa 80 Aktivisten der „Génération Identitaire“ für mehrere Stunden das Dach einer im Bau befindlichen Großmoschee in Poitiers, pünktlich zum Jahrestag der 732 von Karl Martell geschlagenen Schlacht gegen die Mauren. Ihre zentrale Forderung: endlich eine Volksabstimmung über die Politik der Masseneinwanderung! http://www.youtube.com/watch?v=cvIcrpnZUYI

Im selben Monat wurden die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht: 60 % der befragten 1700 Franzosen fanden, daß der Islam inzwischen allzu präsent in ihrem Lande sei, 43 % sahen in seiner Anwesenheit gar eine Gefahr für die nationale Identität. Trotz der Anschlußfähigkeit ihrer Themen sind die französischen „Identitären“ allerdings eher marginalisiert. Zu dem alljährlichen Treffen in der südfranzösischen Kleinstadt Orange am 3./4. November erschienen nur knapp 500 Personen; der Front National bleibt ebenso auf Distanz wie andere europäische Rechtsparteien. Nichtsdestotrotz erreichte die „Occupy Mosque“-Provokation ihr Ziel. Reaktionen kamen von höchster Stelle: Premierminister Jean-Marc Ayrault und Innenminister Manuel Valls (beide Parti socialiste) verurteilten die Aktion als „Bruch des Sozialvertrags und der republikanischen Ordnung“.

Auch international verfehlten die suggestiv inszenierten Videos der „Génération Identitaire“ ihre Wirkung nicht. Deutschsprachige islam- und multikulturalismuskritische Netzseiten zeigten sich begeistert von der Botschaft und der Aktion von Poitiers, während sich das Symbol der Bewegung in Windeseile in der rechten „Blogosphäre“ ausbreitete: ein großes griechisches Lamba, Schwarz auf Gold, das einst die Schilder der spartanischen Hopliten zierte, und in jüngerer Zeit durch den Film „300“ populär gemacht wurde. Bald entstanden auch erste Facebook-Seiten, die den Begriff für sich annektierten. Visuell orientierte Blogs wie „Wirkungsfeuer“ (wirkungsfeuer.tumblr.com) produzierten nun am laufenden Band knackige Agitprop-Grafiken, in denen von Helge Schneider über Herr der Ringe bis zu Fritz Lang und South Park mit „postmoderner“ Unbekümmertheit die bunten Gefilde der Popkultur geplündert, „vereinnahmt“ und mit dem gelben Lambda „gestempelt“ wurden.

Geistige Grundlagen

Damit entstand freilich die Gefahr einer inhaltlichen Diffusion. Die identitäre Intelligenzseite „Der Funke“ (www.der-funke.info) betonte: „Wenn sich die Identitäre Bewegung (IB) als eigenständige Strömung in Deutschland etablieren will ist, unserer Ansicht nach, der springende Punkt, weniger die tatsächliche Organisation, als eine klare weltanschauliche Positionierung, eine Profilierung ihrer Ideen, sodaß ein Bekenntnis zu ihnen einer klaren Positionierung gleichkommt. Identitär darf kein verwaschener Begriff wie ‚patriotisch‘ oder ‚freiheitlich‘ bleiben, sondern muß sich ein festes Lager im Ringen der Ideen schaffen.“ Als wichtige Bezugspunkte tauchen Vordenker wie „Nouvelle Droite“-Kopf Alain de Benoist und deren markantester Häretiker Guillaume Faye auf, Klassiker wie Nietzsche oder Moeller van den Bruck und Fabeltiere wie der russische „Eurasien“-Theoretiker Alexander Dugin, dessen in englischer Übersetzung erhältliches Buch „Die vierte politische Theorie“ von den Autoren des „Funkens“ enthusiastisch gepriesen wird. Wieder nach dem Vorbild der Franzosen wird großer Wert auf Abgrenzung zu NS-lastigen Gruppen wie dem sogenannten „nationalen Widerstand“ gelegt. In diesem Sinne unterstrich auch ein Abgesandter von „W.I.R.“ auf der Netzseite des deutschen Schüler- und Studentenmagazins Blaue Narzisse.de seine Eindrücke von dem identitären Kongreß in Orange: „Auch bei steigender Feierlaune und nach einigen geleerten Weinflaschen bleibt das Verhalten der jungen „militants“ tadellos. Die identitäre Strömung ist keine Biedermann-Maske für den Tag, hinter der nachts die Szenefratze zum Vorschein kommt. Das wird uns spätestens jetzt klar. Man habe in den letzten Jahren einen radikalen inneren „Reinigungsprozeß“ durchgezogen und unbelehrbare Personen ausgeschlossen, erzählt ein Mitglied der G. I. zufrieden. Seitdem klappe alles besser und die Bewegung sei erfolgreicher.“

Ideenlieferant Sezession

Als maßgebliche Ideenlieferanten gelten für die identitäre Szene auch die Bücher und Autoren aus dem Umkreis der „neurechten“ Zeitschrift „Sezession“ und ihres Hausverlags „Edition Antaios“. Dessen Kopf Götz Kubitschek hat bereits 2007 die programmatische Schrift „Provokation“ veröffentlicht und 2008/9 mehrere öffentliche Protestaktionen unter dem Namen „Konservativ-subversive Aktion“ (KSA) durchgeführt. Auf seinem Blog Sezession.de versuchte Kubitschek seinerseits aktiv auf die Struktur und Kontur der sich formenden Bewegung einzuwirken. Als langjähriger „Veteran“ der alternativen rechten Szene gab er unter anderem folgende Denk- und Handlungsanstöße:

  • „Kontakt aufnehmen zu allen Gruppen, Internetseiten, virtuellen Initiativen, die sich in irgendeiner Form als ‚identitär‘ verstehen; prüfen, wer sich dahinter verbirgt.
  • Eine Organisationsgruppe bilden, die den virtuellen Raum und den ‚Maskentanzball‘ verläßt.
  • Inhaltliche und formale Richtlinien festlegen, die für jeden Teilnehmer an einer Veranstaltung oder Aktion zwingend verpflichtend sind.
  • Formulierung eines Manifests
  • Kontakt zu den ‚Milieumedien‘ aufnehmen, mit Vorschlägen zur medialen Begleitung und mit Bitte um strukturelle Unterstützung.
  • Agieren, agieren, agieren: Aktion verbindet, Reden trennt.
  • Sich klar darüber sein, daß das – ernsthaft betrieben – zwei Semester Studium kostet und daß man mit dem Kopf durch die Wand muß, soll daraus eine Lebensperspektive entstehen.
  • Sich klar darüber sein, daß es schiefgehen kann, daß der eigene Name danach so oder so einen Stempel trägt und daß es kein Mitleid für gescheiterte ‚Nazis‘ gibt.“ http://www.sezession.de/34651/beim-bloc-identitaire-in-orange-masnahmen.html

Bisher hat sich immerhin ein Punkt Kubitscheks, eine „Gründungsveranstaltung einer deutschen Identitären Bewegung“ durchzuführen, erfüllt. Die „Tanzüberfälle“ allein werden allerdings auf die Dauer nicht reichen, und die eher kindischen Masken müssen eines Tages auch abgelegt werden.

Vor allem aber muß ein Weg gefunden werden, junge Menschen anzusprechen, die nicht aus traditionell „rechten“ Milieus kommen. Denn es geht hier um eine Sache, die buchstäblich alle angeht; um die letzte Chance der Einwirkung auf eine Zukunft, deren Weichen vermutlich schon unabwendbar gestellt sind; es muß vermittelt werden, daß die europäischen Völker in ihrer Gesamtheit in einem prekären Boot sitzen, dessen Untergang alle mit sich reißen wird: Junge und Alte, Männer und Frauen, Eltern und Kinderlose, Konservative und Liberale, Gebildete und Ungebildete, Mitläufer und Dissidenten, Politische und Apolitische, „Linke“ wie „Rechte“. Ob dieses Schicksal abgewendet werden kann, hängt davon ab, ob diese Völker noch imstande sind, ein verbindendes und verortendes „Wir“ zu formulieren und aktiv zu verteidigen.

 
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