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Fälscher Benjamin ­Wilkomirski

Von Achim Lang

Bestseller-Buch über Holocaust war reine Erfindung

Das autobiographische Buch „Bruchstücke“ schildert die schreckliche Kindheit des Autors in deutschen Konzentrationslagern. Seit seinem Erscheinen 1995 wurde es in 15 Sprachen übersetzt und erfuhr rund um den Erdball hymnische Rezensionen und riesige Auflagen.

Bald nach seinem Erscheinen jedoch tauchten Zweifel auf, etwa wie sich der Autor so plastisch an Geschehnisse aus seinem zweiten und dritten Lebensjahr erinnern könne, oder wie es möglich wäre, daß er als Fünfjähriger Krematorien und Gaskammern mit eigenen Augen gesehen und begutachtet habe, dabei aber lebend davon gekommen sei. Und Zweifel riefen auch mehrere unglaubwürdige Horror-Details des Buches hervor. So der Bericht von zwei Babys, die erfrierend noch vor Hunger ihre eigenen Finger bis auf den Knochen abnagen. Die Einwände aber wurden mit den in solchen Fällen üblichen Argumenten beiseite gewischt. Dann jedoch konnte der in Zürich lebende jüdische Publizist Daniel Ganzfried nachweisen, daß die ganze Person „Benjamin Wilkomirski“ die Erfindung des Schweizers Bruno Doessekker war, der sich damit eine neue Identität verpaßt hatte. Mehr als ein Jahr dauerte es, bis die ersten Konsequenzen aus diesem nun aufgedeckten Betrugsfall gezogen wurden. Zuvor hatte Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld noch versucht, das Buch mit dem Argument zu halten, es handle sich immer noch um ein literarisches Meisterwerk voll innerer Wahrhaftigkeit, selbst wenn einige äußere Details mit der Identität des Autors nicht stimmen sollten.
Doessekker, der seine neue Identität mit Hilfe des jüdischen Psychotherapeuten Elitsur Bernstein konstruierte, hatte in den Jahren zuvor nicht nur an Tantiemen sondern auch als Redner bei Veranstaltungen diverser Art gutes Geld verdient und zahlreiche Preise jüdischer Organisationen eingeheimst.
Höhepunkt der widerlichen Schmierenkomödie war der landesweite Holocaust-Gedenktag in Los Angeles am 19. April 1998, wo „Wilkomirski“ einer Laura Grabowski in die Arme fällt, die beide als Kinder in Auschwitz-Birkenau Freundschaft geschlossen haben wollten, ein Wiedersehen, das dem Publikum Tränen der Rührung in die Augen treibt. Doch auch hinter Laura Grabowski verbarg sich eine Schwindlerin, nämlich die in Amerika geborene und mittlerweile untergetauchte Lauren Stratford, die mit ihrer falschen Opfer-Identität bei verschiedenen jüdischen Stellen mehrere tausend Dollar ergaunern konnte.

Shoa-Business

Diese Zusammenhänge sind es auch, die Daniel Ganzfried in der „Weltwoche“ (44/1999) geißelt: Ein renommierter Verlag, der an dem Schwindelbuch viel Geld verdient hat, ohne bereit zu sein, den Gewinn heute entsprechenden Institutionen als Spende zur Verfügung zu stellen; Institutionen vom Rang des Holocaust-Museum in Washington oder der Shoa-Gedenkstätte in Yad Vashem, die Buch und Autor trotz früh geäußerter Zweifel – etwa des bekannten Holocaust-Forschers Raul Hilberg – stützten, namhafte jüdische Organisationen, die sich bis heute nicht von den an „Wilkomirski“ vergebenen Preisen distanziert haben. Ein kalt geplanter Betrug, der für die Urheber Bernstein, Wilkomirski & Co. offenbar ohne rechtliche Folgen bleiben wird …
Die Affaire Wilkomirski stellt die abstoßende Spitze jenes von Geschäftemachern wimmelnden Eisberges dar, den kritische jüdische Journalisten wie Peter Sichrovski oder Henryk Broder „Shoa-Business“ genannt haben.
Das Gebot der historischen Wahrhaftigkeit, die Sorge um die zukünftige Gestaltung des Verhältnisses zwischen den Völkern, aber auch die Achtung vor den tatsächlichen Opfern sollten es zur vornehmsten Aufgabe nicht zuletzt für jüdische Organisationen machen, solchem Treiben Einhalt zu gebieten.

 
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