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Otto III.

Von Nikolaus v. Preradovich

Römischer Kaiser, Deutscher König

Im Jänner kommenden Jahres jährt sich zum 1000. Mal der Todestag des hochbegabten, früh verstorbenen Enkels Ottos des Großen. Eine im christlichen Sinn verstandene Renovatio imperii Romanorum war das hochgesteckte Ziel des „Jünglings im Sternenmantel“. Sein Freund und Lehrer Gerbert von Aurillac wählte sich dementsprechend als Papst den Namen Silvester II., anknüpfend an den ersten Silvester, der zur Zeit des Großen Konstantin, des ersten christlichen römischen Kaisers, Papst gewesen war. Ein Lebensabriß.

Gegen Ende des ersten Jahrtausends war die Einrichtung des „Nachnamens“ noch nicht im Schwange. Bedeutende Geschlechter wurden einfach nach dem Vornamen eines besonders eindrucksvollen Mitgliedes der Familie bezeichnet. Die Arnulfinger eben nach einem Arnulf. Als dann ein Nachfahre desselben einen noch umfangreicheren Grad der Berühmtheit erlangte, wurden aus den Arnulfingern die Karolinger.
Ein Liudolf ist zwischen 806 und 874 nachweisbar. Er war Amtsträger in Sachsen und verband die markgräfliche Gewalt mit einer bedeutenden Familienautorität. Sein Vater Egbert war weniger von Bedeutung. Daher nannte man das Geschlecht die Liudolfinger. Des Liudolf Sohn, mit dem vielversprechenden Beinamen „der Erleuchtete“, brachte es 911 zum Herzog von Sachsen. Der nächste in der Stammreihe war Heinrich der Finkler, der erste König der Deutschen bzw. in Germanien. Anno 919 wurde er zum Rex erwählt. Er vermählte sich mit einer Tochter des Grafen Dietrich von Westfalen. Aus dieser Ehe ging jene über alle Maßen bedeutende Persönlichkeit hervor, dem die Familie ihre neue Bezeichnung verdankt: Otto I., der Große, 936 Deutscher König, 962 Römischer Kaiser. Er bannte – unter anderen Großtaten – auf dem Lechfeld die damals schrecklichste Gefahr für den Erdteil: Er besiegte das ungarische Heer vollständig. Ab dieser Zeit wurden die Liudolfinger Ottonen genannt. Otto der Große war dreimal verheiratet. Aus diesen Ehen, aber auch von anderen Frauen stammten zahlreiche Kinder. Die wichtigsten waren u.a. Heinrich, der es zum Herzog von Bayern brachte, Luitgard, die sich mit dem Herzog von Lothringen vermählte und als erste Äbtissin von Quedlinburg wirkte, und Wilhem, der den Stuhl des Erzbischofs von Mainz bestieg. Otto II. endlich wurde zum Deutschen König gewählt und zum Römischen Kaiser gekrönt. Er nahm Theophano, Prinzessin von Byzanz, zur Frau. Im Juli 980 wure dem Paar ein Sohn geboren, der wiederum den Namen Otto trug. Diesem letzten der Ottonen ist dieses Gedenken gewidmet.
Eine Chronik berichtet: „Es ist nicht leicht, über diesen unglücklichen Jüngling, der mit fünfzehn Jahren zu regieren anfing und noch nicht zweiundzwanzig Jahre alt war, als er starb, zu urteilen. Er war wohlgestaltet, vielseitig begabt und früh vielseitig angeregt. Kein nordischer Fürstensohn hatte bis dahin eine solche Bildung empfangen; aber er erhielt früh allzu hohe Vorstellungen von seiner königlichen Macht und Aufgabe, und es konnte nicht ausbleiben, daß sich dieser Knabe, dem in einem unreifen Alter die Zügel des Weltregiments zufielen, haltlos den Übertreibungen der Jugend hingab und zwischen einem ungemessenen Glauben an seine imperatorische Gewalt und mönchischer Zerknirschung hin und her taumelte. Seine Stellung natürlich aufzufassen, dazu fehlten ihm die Jahre, sie war von Anfang an eine in sich selbst unwahre, und diese Unwahrheit zu überwinden, wenn dies überhaupt möglich war, hätte ein langes Leben erfordert, das ihm nicht beschieden war.

Der Kindkönig

Die Minderjährigkeit des neuen Königs benützte sein nächster Stammvetter, Herzog Heinrich von Bayern, sogleich um, unter dem Vorwand der Berechtigung, eine Vormundschaft über den Knaben für sich in Anspruch zu nehmen. Er hatte sich der Person des Kindes versichert und war drauf und dran, sich der deutschen Königskrone selbst zu bemächtigen. Allerdings stießen die Schachzüge des Herzogs bei den meisten deutschen Fürsten auf strikte Ablehnung. Da sich Heinrich so in der Minderheit sah, war er damit zufrieden, sein Herzogtum Bayern, welches er unter dem vorangegangenen Deutschen König und Römischen Kaiser Otto II. verloren hatte, zurückzuerhalten. Er lieferte den Jungen aus und anerkannte ihn als seinen Oberherrn.
Der Knabe wurde auf die umfassendste Weise erzogen. Die tatsächlichen Staatsgeschäfte führten seine Mutter, Theophano, seine väterliche Großmutter, Adelheid von Burgund, und die Schwester seines Vaters, Mathilde, die Äbtissin von Quedlinburg.
Der junge König hatte genügend Gegner. Lothar von Frankreich machte einen neuerlichen Versuch, Lothringen dem Deutschen Reich zu entreißen. Die Wenden hatten schon unter Ottos III. Vater in mehreren Aufständen versucht, die deutsche Herrschaft abzuschütteln. Solches begannen sie von neuem. Es gelang – so wie in der Vergangenheit – die Rebellen in die Schranken zu verweisen.
Somit konnte Otto III. an weitere Ziele denken. Im Jahre 996 unternahm er seine erste Rom-Fahrt! Der regierende Papst, Johannes XV., war soeben verstorben. In der Stadt Ravenna empfing Otto III. die römischen Abgesandten. Er empfahl ihnen eindringlich, seinen nahen Verwandten, Brun, den Sohn des Herzogs von Kärnten, zum Stellvertreter Christi zu erwählen. Dieser damals sechsundzwanzigjährige Mann nahm als Oberhaupt der katholischen Kirche den Namen Gregor V. an. Eine seiner ersten Taten als Papst war die Krönung seines Vetters, des Deutschen Königs, zum Römischen Kaiser. Nachdem der Rex zum Imperator geworden war, hatte er – vermeintlich – fast alle seine Ziele erreicht.
Bald kehrt er nach Deutschland zurück. Der römische Adel fand rasch in einem gewissen Crescentius einen Anführer, der mancherlei Begabungen in sich zu vereinigen schien. Eine seiner ersten Taten war die Absetzung des deutschen Papstes. Er vertrieb Gregor V. und setzte Johannes XVI. die Tiara auf das Haupt. Otto III. war zu dieser Zeit damit beschäftigt, die von neuem aufständischen Wenden zu Paaren zu treiben. Die Ereignisse in der Ewigen Stadt ließen ihn sogleich zu seiner zweiten Rom-Fahrt aufbrechen. Der Gegenpapst war bestrebt, sich der Rache des jungen Kaiser-Königs durch Flucht zu entziehen. Er wurde jedoch gefaßt und wegen Verrates bestraft.
Währenddessen hatte sich Crescentius in die Engelsburg geworfen. Er verteidigte die Feste mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln. Mittlerweile war aber Papst Gregor V. in jungen Jahren verstorben. Der Kaiser setzte wieder einen ihm genehmen Papst ein. Es handelte sich um seinen alten Lehrer Gerbert, den Erzbischof von Ravenna. Dieser nahm den Namen Sylvester II. an. Trotz des heftigen Widerstandes seitens Crescentius’ gelang es dem Markgrafen von Meißen, die Engelsburg zu erobern. Crescentius wurde gefangengenommen und mit zwölf seiner engsten Anhänger enthauptet. Das Hauptziel des jungen Monarchen war die Renovatio imperii, die Erneuerung des Kaiserreiches, gewesen. Er wollte nicht allein König in Germanien und Römischer Kaiser, sondern tatsächlich, wie es der Titel verspricht, Herr der Christenheit sein. Zu diesem Zweck mußten die weltliche und die geistliche Herrschaft an Haupt und Gliedern erneuert werden. Dieser Aufgabe hatte sich bereits der junge Papst Gregor V. mit nicht geringem Erfolg unterzogen. Rom sollte zum Sitz eines Universalimperiums werden. Die drei großen Volksgruppen Europas – Germanen, Romanen und Slawen – würden sich, nach den Wünschen des Imperators, zu einer geistigen und politischen Einheit zusammenschließen.
Erstaunlicherweise trug Otto III. den Gedanken, daß Imperator und Pontifex gemeinsam das Weltreich beherrschen sollten. Zu dieser Politik gehörte, die erst jüngst hinzugetretenen Königreiche einzubinden, nämlich die Polen unter den Piasten mit ihrem neuen Erzbistum Gnesen, welches im Jahre 1000 durch den Kaiser ins Leben gerufen worden war, und die Ungarn mit ihrem Erzbistum Gran, Esztergom, dem späteren Sitz des Primas von Ungarn, das desgleichen vom Imperator anno 1001 begründet worden war. Gleichzeitig wurde Stephan I. – nachmals der Heilige – als König von Ungarn anerkannt.
Der Kaiser kehrte von der Ewigen Stadt wieder nach Deutschland zurück. Hier fand er eine äußerst gespannte Lage vor. Das Heraufziehen des Jahres 1000 brachte nicht allein frohes Gedenken an die Geburt des Herrn mit, sondern nährte auch die Furcht, die runde Zahl könnte zu einem Strafgericht, ja zum Weltuntergang führen. Daher unternahm Otto die Wallfahrt nach Gnesen, an das Grab des heiligen Albert, und darum wurde das neue Erzbistum ins Leben gerufen. Kurz nach dieser religiösen Handlung besuchte Otto III. das Grab Karls des Großen. Dort nahm er jenes goldene Kreuz an sich, welches Carolus Magnus um den Hals hängen hatte.
Der Imperator wandte seine Schritte von neuem nach Italien. Einerseits wünschte er seine imperialistischen Pläne zu befördern, andererseits hatten sich die Römer wieder einmal erhoben. Otto mußte danach trachten, der Rebellion – wie schon zu verschiedenen Malen – möglichst rasch Herr zu werden. Er zog jedoch nicht in die Aeterna ein, sondern wandte sich nach Benevent. Diese Stadt, die Jahrhunderte später den Fürstentitel für Charles Maurice de Talleyrand abgeben sollte, ergab sich kampflos. Hierauf eilte Otto III. nach Ravenna zurück. In der Nähe dieser Stadt hatte sich auf einer Insel eine Gruppe von frommen Büßern niedergelassen. Deren Oberhaupt, der heilige Romuald, versuchte den Imperator zu überreden, von sich aus die kaiserliche Macht abzulegen, um sich ganz der Buße hingeben zu können. Der Kaiser war heiligmäßigen Männern gegenüber äußerst entgegenkommend. Die Vorschläge Romualds wollte er allerdings nicht befolgen! Ganz im Gegenteil, Otto hatte einen Sondergesandten nach der Hauptstadt Ostroms, nach Konstantinopel geschickt, der um eine byzantinische Prinzessin werben sollte. Die Mutter des Kaisers entstammte ja einem der byzantinischen Herrschergeschlechter. Offensichtlich wünschte Otto, den Kontakt dorthin noch enger zu gestalten, um die beiden Rom einander nicht allein näherzubringen, sondern sie wieder zusammenzuführen.
Für seine italienischen Pläne, und deren hatte er mehrere, fand der Imperator in Deutschland nur geringe Unterstützung. Zwischen zwei besonders engen Vertrauten Ottos, dem Erzbischof Willigis von Mainz und dem Bischof Bernward von Hildesheim, war es zu einem langen Streit gekommen. Es ging um den Besitz des Klosters Gantersheim, welches an der Grenze zwischen den beiden Bistümern lag. Bernward unterstützte damals die Pläne seines ehemaligen Zöglings, während der staatspolitisch erfahrene Willigis den Gedanken des Imperators skeptisch gegenüberstand.
Um den Streit zwischen seinen beiden Ratgebern zu schlichten, berief Otto ein Konzil ein. Es sollte in Todi, nächst der Stadt Spoleto, tagen. Wie schwach die Stellung des Imperators bereits geworden war, ist unschwer dem Umstand zu entnehmen, daß es gar nicht zum Zusammentritt des Konzils kam. Die Stellung des Papstes Sylvester hatte offensichtlich auch schon gelitten. Der Gedanke einer kaiserlich-päpstlichen Herrschaft über die Christenheit fand bei der Geistlichkeit des deutschen Königreiches keine Unterstützung. Otto zog sich auf die Burg Paterno am Soracte zurück.
Eine Chronik berichtet: „Seine Lebenskraft war schon erschöpft. Er starb auf Paterno nach kurzer Krankheit am 25. Januar 1002. Die geistlichen und weltlichen Herren, welche um den Sterbenden waren, empfingen seine letzten Befehle. Sie hielten das Ereignis geheim, bis die nicht sehr zahlreichen Streitkräfte zusammen waren. Es galt, den kaiserlichen Leichnam durch die aufständische und unsichere Landschaft zu bringen, was nicht ohne Mühe gelang. 
Ottos III. Leiche wurde dann, seinem Wunsch entsprechend, in Aachen beigesetzt.“
In historischen Belangen sollte niemals das Wort „wenn …“ gebraucht werden. Im vorliegenden Falle aber ist der Betrachter doch angehalten, sich zu fragen: Wenn der Imperator länger gelebt hätte, würde die Weltgeschichte einen anderen Verlauf genommen haben?!

 
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