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Südosteuropa

Von Karl Mauder

Umstrittener Siedlungsraum vieler Völker

Vor allem die notwendigen Wiederbesiedlungen entvölkerter Gebiete und die macht- und wehrpolitisch bedingten Bevölkerungsverschiebungen nach dem Ende der Türkenherrschaft im 18. und frühen 19. Jhdt. haben die bis heute so brisante nationale Gemengelage auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien geschaffen. Doch während jahrhundertelang die großen Imperien der Habsburger, der Osmanen und der Reußen um Einfluß in Südosteuropa rangen, führte erst die Herausbildung kleiner Nationalstaaten zu Umsiedlungs- und Vertreibungsaktionen riesigen Ausmaßes. Zur Ruhe gekommen ist der Raum bis heute nicht. Ein historischer Überblick.

Zunächst gilt es, den Raum zu definieren und zu gliedern. Als Nordgrenze ist der Karpatenbogen anzusehen, der das Donaubecken umschließt, nach Westen bilden die Alpen und ihr Vorland die Grenze. Walachei, Moldau und Bessarabien zählen im Osten noch dazu. Die Ukraine ist bereits der südliche Grenzraum Osteuropas. Die leicht zu überquerenden Meerengen von Bosporus und Dardanellen bilden die Grenze und Brücke zu Kleinasien.
Naturräumlich gliedert sich Südosteuropa in die Gebirgsräume der Karpaten, der Dinarischen Gebirge und in das eigentliche Balkangebirge.
Historisch bedeutsam ist der Teil des asiatisch-europäischen Steppengürtels, der sich über 7.000 km, von der Mandschurei bis in die ursprüngliche Steppenzone der Walachei und Ungarns, erstreckt. Außerhalb unseres Raumes reicht er bis in das Wiener Becken. Dieser für Reitervölker und Panzerarmeen offenen Landschaft stehen die natürlichen Festungen und Rückzugsgebiete der Gebirge mit hohen Niederschlägen, mit Wäldern, Karst und Almen gegenüber.
Meeresbestimmt sind die Inseln und Halbinseln Griechenlands, ferner die Küstenzone Dalmatiens längs der Adria. Der Donaustrom zeichnete die römische Reichsgrenze vor. Aber er erweist sich auch als Verkehrsader erster Ordnung. Dem Überlandsverkehr dienten schon zu römischer Zeit Fernstraßen von Konstantinopel – Sofia – Nisch – Belgrad oder Via Egnatia von Durrës nach Saloniki. Das Amselfeld (Kosovo) als Beckenlandschaft öffnet sich dem Durchzug aus nördlicher oder südlicher Richtung.
Die Gegenwartsfragen lassen sich nur verstehen, wenn man sich um eine große geschichtliche Tiefe bemüht. Vor 24 Jahrhunderten wurde Griechisch durch Alexander den Großen und den Hellenismus Weltsprache. Die Teilung des Römischen Reiches in einen lateinischen Westen und einen griechischen Osten wirkt bis heute weiter. Unsere jüngste Währung gibt sich sprachlos: nur die Bezeichnung Euro ist im lateinischen oder griechischen Alphabet gedruckt.
Ostrom überlebte das Weströmische Reich um ein Jahrtausend. Sein Adler als Herrschaftszeichen ziert heute die Fahnen der Albaner und Serben, schmückt das alte und neue russische Wappen. Die Spaltung von 1054 in die römisch-katholische und die orthodoxe Kirche wirkt weiter.
So haben wir uns mit der Geschichte von Reichen und Völkern, schließlich von Staaten zu befassen. Die Ordnung des Römischen Reiches wurde seit 375 durch die große germanische Völkerwanderung erschüttert. Die erfahrene Diplomatie von Byzanz wußte die Gefahren nach Westen abzulenken. Doch im sechsten Jahrhundert folgte die Landnahme slawischer Völker.
Wichtig wurde der Ausbau der Reichshauptstadt Konstantinopel (ehemals Byzanz) zur stärksten Festung des Mittelalters durch Kaiser Theodosius II. Einem Dutzend Belagerungen widerstand sie erfolgreich. Erst die Artillerie Mehmed des Eroberers sollte 1453 eine Bresche schlagen. Das erste Bulgarenreich war die gefährlichste slawische Bedrohung. Nach beiden Seiten erschöpfendem Kampf gegen das iranische Reich der Sassaniden war der Angriff der auch die See beherrschenden Araber eine tödliche Gefahr. An den Mauern und an der Geheimwaffe des Griechischen Feuers brach sich der Ansturm.
Die Landnahme der Ungarn im Donaubecken nach 895 ging nach Abwehr ihrer Raubzüge in den Aufbau eines Staates über, der lange als Ordnungsmacht im Südosten wirkte. Die Turkvölker der Petschenegen und Kumanen bedrohten Byzanz wenig. Aber der erste türkische Ansturm auf Kleinasien konnte nur mit Mühe und Landverlusten gebändigt werden. Doch die Bezeichnung Rum-Seldschuken erweist den kultivierenden Einfluß von Ostrom.
Die slawischen Staaten der Balkanhalbinsel, das zweite Bulgarenreich, Serbien, Bosnien, später das kurzlebige Großserbische Reich unterhielten erträgliche Beziehungen zu Byzanz und unterlagen dem überwältigenden kulturellen Vorbild des Byzantinischen Reiches. Kroatien, Slawonien und andere Gebiete fielen an Ungarn.
Da drohte tödliche Gefahr aus dem christlichen, katholischen Westen. Die seebeherrschende Handelsrepublik Venedig lenkte den Vierten Kreuzzug gegen Konstantinopel. Die Stadt, durch inneren Zwist zerrissen, wurde eingenommen. Die „Barbaren aus dem Westen“ schändeten die Stadt und ihre  Kirchen durch erbarmungslose Plünderung. Für wenige Jahrzehnte entstand ein „lateinisches Kaiserreich“ (1204–1267). Venedig sicherte sich aus der Beute ein Überseereich, das viele griechische Inseln, Kreta und Zypern umfaßte.
Zwar entstand das byzantinische Kaiserreich aufs neue, aber nur als schwacher Mittelstaat. Es war nicht mehr das starke Reich der Mitte, das Schutz bot gegen den Ansturm aus dem Osten.

Das osmanische Reich prägt den Balkan

Der zweite türkische Angriff aus Kleinasien war nun nicht mehr abzuwehren. Das türkische Reich der Osmanen, Konstantinopel benachbart, sollte zwischen 1350 und 1450 den Balkan überrennen und eine neue, türkische und islamische Ordnung errichten. Als Stadtstaat vom osmanischen Reich umgeben, hoffte Byzanz auf rettende Hilfe aus dem Westen. Dieser forderte die Union mit der Römischen Kirche. Aber das orthodoxe Kirchenvolk empfand dies als Zumutung: „Lieber den Turban des Sultan als die Mitra des Bischofs von Rom“. Und in den Schlachten von Nikopol 1396 und von Warna 1444 erlitten christliche Ritterheere schmähliche Niederlagen gegen besser geführte und ausgerüstete türkische Truppen.
Am 28. Juni 1389, dem St. Veitstag, entschied die Schlacht auf dem Amselfelde (Kosovo polje) das Schicksal Serbiens. Das kurzlebige Großserbische Reich war bereits zerfallen. Nach weiteren 70 Jahren gab es keinen serbischen Staat mehr. Zuvor hatten die Serben den Türken Heeresfolge zu leisten. 1448 verloren die Ungarn die zweite Schlacht auf dem Amselfelde. Ihnen fiel nun die Aufgabe der Türkenabwehr zu.
Der junge, 23jährige Sultan Mehmed II., Fatih, der Eroberer, ließ am 29. Mai 1453 „Die Stadt“ stürmen. Ein ungarischer Geschützgießer namens Urban hatte ihm das Riesengeschütz gegossen, das die Bresche schoß. Der letzte byzantinische Kaiser Konstantin XI. fiel als Stadtkommandant tapfer fechtend im Straßenkampf.
Istanbul, aus dem Griechischen eis tin polin (in die Stadt) sehr wahrscheinlich abgeleitet, wurde Hauptstadt des osmanischen Reiches. Uneingeschränkter Herrscher war der Sultan. Er sorgte für den Aufbau seiner neuen Hauptstadt. Die Christen wurden nicht zwangsmissioniert, mußten aber (höhere) Steuern zahlen und durften keine Waffen tragen. Aber sie genossen im Millet-System Selbstverwaltung unter ihrem griechischen Patriarchen. Im Türkenreich haben die orthodoxen Kirchen also auch eine politische Funktion.
Im türkischen Heerwesen bewährte sich die „Neue Truppe“ der Janitscharen. Ihre Angehörigen, rechtlich Sklaven des Großherrn, wurden durch die Knabenlese (devçirme) unter den christlichen Balkanvölkern ausgehoben. Es waren besonders kräftige und begabte Jugendliche, die ihren christlichen Eltern genommen, islamisch umerzogen und kaserniert wurden. Sie bildeten die infanteristische Kerntruppe, die den Reiterheeren der Türken noch fehlte. Auch in der Verwaltung finden sich Janitscharen. Der große Baumeister Sinan entstammt den Janitscharen.
Mehmed II. hatte das Osmanische Reich auf den Ruinen von Byzanz errichtet, er hatte von Ostrom gelernt, auf dessen Fundamenten weitergebaut. In Albanien vermochte er den Widerstand des Georg Kastriotis, Skanderbergs, des „Athleten Christi“, nicht zu brechen. Sultan Selim Yavuz, der Gestrenge, eroberte Ägypten und schuf eine gewaltige Seemacht. Unter Suleiman II., im Westen der „Prächtige“ genannt, von den Osmanen besser als „Kanuni“, der Gesetzgeber, gepriesen, erreichte das Reich den Gipfel seiner Macht. Es war nun eine Weltmacht, die sich in drei Erdteilen, in Asien, Afrika und Europa über 2¼ Millionen Quadratkilometern erstreckte mit etwa 35 Millionen Einwohnern.
Aber mit der erfolglosen ersten Belagerung 1529 von Wien und der kleinen Festung Günz (Köszeg) war eine Wende eingetreten. Bot im Inneren eine „Pax turcica“ mit vorzüglicher Verwaltung Rechtssicherheit, so begann mit den folgenden Sultanen Niedergang und Verfall. Der Seesieg von Lepanto 1571, erfochten von den Flotten Spaniens, Venedig und des Papstes, setzte der türkischen Seemacht Grenzen.
Die Mittellage des Weltreiches brachte auch vielfache Belastungen mit sich: Wie schon Rom und Ostrom hatten die Osmanen gegen die Beherrscher des Irans zu kämpfen. In den Dreißigjährigen Krieg griffen die Türken nicht ein, nur ihr kalvinistischer Vasall Bethlen Gabor, Fürst von Siebenbürgen. Der 24jährige Kampf um Kreta, besonders Kandia (Iraklion) wurde gegen Venedig von 1645 bis 1669 ausgefochten.
Von den Völkern Südosteuropas profitierten die muslimischen Anteile der Albaner und der Bosnier. Der bosnische Adel rettete durch Übertritt seine Stellung. Die Albaner konnten ihre Siedlungen ausdehnen, z. B. in das Amselfeld hinein: Athen war zeitweise ein albanisches Dorf.
Noch einmal trat das Osmanische Reich an, den Goldenen Apfel, die Kaiserstadt Wien, zu erobern. Der Großwesir Kara Mustafa, albanischer Herkunft, zog mit einem gewaltigen Heere am 19. Oktober 1682 von Istanbul gegen Wien. Vor ihm schwärmten die „Renner und Brenner“ aus. Doch polnische Panzerreiter, Truppen des Kaisers und des Reiches retteten Wien in der Schlacht am Kahlenberg am 12. September 1683.

Die Serben wandern nordwärts, die Albaner in den Kosovo

Das Reich, Papst Innozenz IX. und Venedig vermochten dem Osmanischen Reiche binnen 16 Jahren weite Gebiete abzuringen. Ungarn wurde befreit und wiedervereinigt. Nordserbien und die kleine Walachei wurden fast 20 Jahre lang habsburgisch regiert. Der Vorstoß in das Amselfeld jedoch schlug fehl, Nordserbien ging wieder verloren, viele Serben und ihr Patriarch aus Pec zogen daraufhin mit den kaiserlichen Truppen ab; die Nordwanderung der Serben begann. Ihnen folgten albanische Siedler in das Amselfeld.
Weite Gebiete des südlichen Ungarns  lagen verödet. Die Baranya, die Batschka und das Banat waren wiederzubesiedeln. In der heutigen Wojwodina siedelten Serben, Kroaten, Slowaken, Rumänen, Ungarn und Deutsche, selbst Franzosen und Spanier in einer der buntesten Vielvölker-Landschaften bis 1945. Südwestdeutsche Bauern zogen in die „Schwäbische Türkei“.
Im 16. Jahrhundert hatten die Stände Innerösterreichs eine Militärgrenze gegen die türkischen Einfälle in Kroatien aufgebaut. Jetzt wurde sie bis nach Siebenbürgen ausgedehnt. Die „Grenzer“ waren südslawische Wehrbauern, katholische Kroaten oder orthodoxe Serben. Die Militärgrenze war lange eine Zone immerwährenden Kleinkriegs.
Auch die Republik Venedig regierte auf der terra ferma und im Überseereich von Dalmatien bis zum Peloponnes und Kreta über Friauler, Deutsche, Slowenen, Kroaten, Serben und Griechen.

Der russische Vorstoß beginnt

Mit der Eroberung von Asow 1697 schuf Peter der Große eine russische Flotte. Das Schwarze Meer blieb nun kein „türkischer Teich“ mehr. Mit der Eroberung vor allem der Krim, der Gründung von Sewastopol machten  seine Nachfolger klar, daß das orthodoxe Rußland den Schutz über seine Glaubensbrüder anstrebte. Später zielte man auf die Meerengen.
Mit der Französischen Revolution treten auch in Südosteuropa tiefgreifende Änderungen im Staatensystem ein. Die beiden Handels- und Seerepubliken Venedig und Ragusa (Dubrovnik) fallen Napoleon zum Opfer. Die Truppen der Militärgrenze sind wichtige Stützen der Monarchie; Österreich kämpft um sein Bestehen. Nach einem letzten, kurzen Türkenkrieg (1787–1792), der keine Veränderungen brachte, herrschte zwischen Wiener Hofburg und Hoher Pforte Frieden.
Von nun wirken die Ideen der Französischen Revolution auf Südosteuropa ein. In der kurzen Zeit der russisch-französischen Verständigung greift Rußland nach Finnland und Bessarabien. Serbien versucht aus eigener Kraft in Anlehnung an Rußland die Freiheit zu erringen. Angebote, sich Österreich anzuschließen, werden dort aus übergeordneten Gründen ausgeschlagen.

Serbiens Weg in die Unabhängigkeit

Der Aufstand der Serben hat schließlich nach Rückschlägen Erfolg. Das Fürstentum der Serben ist mit zwar eingeschränkter Selbstverwaltung der Hohen Pforte seit 1817 tributär. Erst 1830 wird Serbien vollautonomes Erbfürstentum unter osmanischer Oberhoheit. Stadt und Festung Belgrad behalten bis 1867 eine türkische Besatzung. Hauptort ist von 1818 bis 1839 Kragujevac. Die beiden Fürstenhäuser, ursprünglich Bauernfamilien, Karadjordjevic und Obrenovic, rivalisieren miteinander bei Anlehnung an Rußland oder Österreich. Langsam entfaltet sich das Staatswesen. 1833 wird es um ein Drittel erweitert. 1844 erhält es ein bürgerliches Gesetzbuch nach österreichischem Vorbild. Der Innenminister Garašinin entwirft in einer Denkschrift die Vision eines Großserbiens: die Vereinigung aller Südslawen unter serbischer Führung. Mithin ist es ein Grundbaustein der jugoslawischen Staatsidee des 20. Jahrhunderts.
Die kurzfristige Eingliederung Dalmatiens und anderer kroatischer, serbischer und slowenischer Gebiete als Illyrische Provinzen in das Kaiserreich Napoleons bringt französische Ideen und Verwaltungspraxis in den südslawischen Bereich ein. Unter dem Begriff „Illyrismus“ erwächst südslawisches Selbstbewußtsein. Die Idee der „einen und unteilbaren Republik“ läßt sich auf Monarchien übertragen. So z. B. auf das Königreich Ungarn; wir kommen noch darauf zurück.
Montenegro oder Crna Gora, Schwarzer Berg, konnte in Anlehnung an Venedig seine Unabhängigkeit behaupten. Die geistliche Herrschaft des Metropoliten Danilo Petrovic Njegoš begründet durch den Übergang des Amtes vom Onkel auf den Neffen eine Erbdynastie. Die Montenegriner sind „eigentlich“ Serben. Aber infolge der langen Eigenständigkeit entwickelte sich ein besonderes Staatsbewußtsein.

Die Griechen werden frei

Die Lage der Griechen im Osmanischen Reich war recht unterschiedlich. Als Kaufleute und Reeder waren sie wirtschaftlich bevorzugt. In Rumänien, d. h. in der  Walachei und Moldau, herrschten seit 1711 Phanarioten im Auftrage der Hohen Pforte. Sie waren Angehörige reicher griechischer Kaufmannsfamilien aus dem Stadtteil Fanar in Istanbul.
Die ausgehende venezianische  Herrschaft über Kreta brachte eine erste Blüte der neugriechischen Literatur. Domenikos Theotokópoulos, als El Greco bekannt, wanderte nach Venedig und Spanien aus. Seit dem 18. Jahrhundert wurde eine neue Schicht griechischer Kaufleute, Seefahrer und Fernhändler dank ihrer Kontakte zu Mittel- und Westeuropa zu Vermittlern des  Gedankengutes der Aufklärung und der nationalen Bewegungen. Aus ihren Reihen kamen die Gründer des revolutionären Geheimbundes der „Heteria Philikon“, die sich der Vorbereitung des griechischen Aufstandes widmeten.
Das serbische Vorbild, der Streit des Sultans mit dem unbotmäßigen Pascha von Janina und das Vertrauen auf russische Hilfe waren Anstöße für den Aufstand, der 1821 begann. Er fand ein weites Echo in Europa. Etwa 1.000 Freiwillige, unter ihnen der englische Dichter Lord Byron, zogen als Philhellenen nach Hellas. Das Eingreifen der Seemächte England, Frankreich und Rußland gab den Ausschlag in der letzten Segelschiffsschlacht von Navarino. Ohne Kriegserklärung wurde die türkisch-ägyptische Flotte vernichtet.
Auch in Deutschland fand Südosteuropa lebhaftes Interesse. Otto von Wittelsbach regierte von 1832/35 bis 1862 Griechenland. Die Herrschaft der Griechenfreunde bekam den Spitznamen „Bavarokratie“.
Goethe interessierte sich lebhaft für die Volksliedsammlung des serbischen Sprachforschers Vuk Stepanovic Karadzic und besorgte eine Übersetzung. Der Großmeister der  Geschichtsschreibung, Leopold (von) Ranke, verfaßte eine Geschichte der Serben, die auf Karadzic fußt und in drei Auflagen erschien, und zwar 1839 und 1844 betitelt: „Die serbische Revolution. Aus serbischen Papieren und Mitteilungen“; 1879 als „Serbien und die Türkei im 19. Jahrhundert“. In Venedig hatte Ranke die venezianischen Gesandtschaftsberichte (Relationen) für eine kurze und klare Geschichte der Osmanen ausgewertet.
Im Krimkrieg (1853–56) prallten zum ersten und einzigen Male die Seemacht England (verbündet mit der Türkei, Frankreich und Sardinien) und die Kontinentalmacht Rußland aufeinander. Es ging vordergründig um die Schutzrechte der christlichen Untertanen der Osmanen. Wichtiger wurde die Meerengenfrage. Die russische Vormachtstellung im Osten Europas wurde gebrochen.

Bosnien und Herzegowina

1878 ist das Jahr der Orientkrise und der Erhaltung des Weltfriedens. Aufstände in Bosnien und Herzegowina, vom bulgarischen Aufstand gefolgt, die Kriegserklärung von Montenegro und Serbien an die Pforte führten zum Eingreifen Rußlands. Nach erbitterten Kämpfen erzwangen die Russen den Frieden von San Stefano (heute Yeçilköy, der Flughafen von Istanbul) vom 3. März 1878. Kernstück sollte ein Großbulgarien sein, das sich zwischen Schwarzem Meer und Ägäis erstreckt, nominell der Pforte tributpflichtig, aber russischer Schutzstaat. Großbritannien entsandte eine Flotte in die Meerengen. Bismarck bot seine Vermittlung an, um den allgemeinen Frieden zu retten. Als „ehrlicher Makler“ vermittelte er auf dem Berliner Kongreß vom 13. Juni bis 13. Juli 1878 einen raschen Friedensprozeß:
 Bulgarien, mit ihm die russischen Ambitionen, wurde zurechtgestutzt. Serbien gewann Nisch. Zusammen mit Rumänien und Montenegro wurde es unabhängig. Rußland erhielt Kars und das kleine Gebiet nördlich der Donaumündungen. Rumänien gewann die Dobrudscha. Ostrumelien wurde von Bulgarien abgetrennt und blieb der Pforte tributpflichtig. Österreich-Ungarn besetzte mit starkem Truppenaufgebot Bosnien und die Herzegowina und übernahm dort die Verwaltung. Ferner durfte es im Sandschak Novipazar Truppen unterhalten. Dieses Gebiet trennte Montenegro von Serbien. Großbritannien besetzte Zypern, das es 1914 annektierte, und unterhielt noch 1999 große Stützpunkte dort. Statt Dank mußte Bismarck eine russische Verstimmung hinnehmen, die Weiterungen zeitigen sollte. Aber – bis 1908 gab es auf dem Balkan zwar kleinere Konflikte; die Politik der Großen Mächte jedoch wurde wenig gestört. Man suchte den status quo zu erhalten.

Die Balkankriege

Zwischen Rußland und Bulgarien war es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Die Russen zogen ihre Militärberater ab. Die Bulgaren hatten als obersten Offiziersrang nur den Hauptmann. Es gab Krieg mit Serbien, das schlimme Niederlagen erlitt und durch Österreich-Ungarn gerettet werden mußte. Das Drehbuch zum Film „Helden“ nahm sich diese Geschichte zum Vorbild.
Doch im Untergrund arbeiteten die Geheimbünde. In Serbien war es die Schwarze Hand, in Mazedonien die IMRO, die Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation. Apis, so lautete der Deckname für Dragutin Dimitrijevic, organisierte im Jahre 1903 die Liquidierung des serbischen Königs Alexander I. Obrenovic und seiner Dynastie.
Der Vielvölkerstaat Osmanisches Reich, der „kranke Mann am Bosporus“, war vom Nationalismus der jungen Balkanstaaten bedroht. Versuche, das Reich zu reformieren, mündeten in die jungtürkische Revolution von 1908. Nun annektierte Österreich-Ungarn formell Bosnien-Herzegowina, zog aber seine Besatzung aus dem Sandschak von Novipazar zurück. Die Abwendung Serbiens von Österreich-Ungarn führte zu einem „Schweinekrieg“, der den serbischen Bauern schadete und sie politisch mobilisierte.
Italien, 1896 in Äthiopien zurückgeschlagen, wandte sich dem Mittelmeerraum zu. Der italienisch-türkische Krieg von 1911 brachte ihm Tripolis und die Inseln des Dodekanes ein. Im Ersten Balkankrieg 1912 entwanden die verbündeten Staaten Serbien, Montenegro, Rumänien, Bulgarien und Griechenland der Türkei ihre europäischen Besitzungen, um sich dann im Zweiten Balkankrieg um die Beute zu balgen. Serbiens Gewinne waren die größten; statt 48.300 km² umfaßte es 87.000 km². Von 3,0 Millionen wuchs die Bevölkerung auf 4,5 Millionen. Es besetzte das Amselfeld, das Kerngebiet des mittelalterlichen Serbiens. Einen Zugang zur Adria verwehrten die Großmächte. Neu geschaffen wurde das Fürstentum Albanien, das allerdings nicht das ganze Siedlungsgebiet der Albaner umfaßte. Österreich-Ungarn und Italien betrachteten Albanien als Gegengewicht gegen die slawischen Staaten.
Wenig bekannt sind die Fluchtbewegungen, Vertreibungen und Verdrängungen türkisch-muslimischer und albanischer Bevölkerung oder aus der Türkei geflohener Griechen in der Größenordnung weniger Hunderttausend. Serbisches Heer und Freischärler (Komitadschi) teilten sich die Arbeit der Vertreibungen, die sich auch gegen anderssprachige Christen richtete.
In einem Zusatzprotokoll des Friedens von Konstantinopel wird von einem geregelten Bevölkerungsaustausch gesprochen. Dieser Begriff sollte nach dem Ersten Weltkrieg die Vertreibung der Griechen aus Kleinasien verharmlosen.
Im Vollgefühl seines Sieges steuerte Serbien weiter auf sein Ziel „Großserbien“ zu. Jenseits der Drina in Bosnien und Herzegowina galt es, Landsleute vom österreichisch-ungarischen Joch zu befreien. Seit dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn 1867 setzte sich die Donaumonarchie aus verschieden strukturierten Gebieten zusammen. 1868 hatte es einen kroatischen Ausgleich gegeben, der den Kroaten in Ungarn eine beschränkte Autonomie gewährte. Die Militärgrenze mit ihren Sonderrechten und Siebenbürgen mit der Selbstverwaltung von Ungarn, Szeklern und Sachsen waren im Königreich Ungarn gleichgeschaltet worden. Bis 1834 war Latein die Geschäftssprache des ungarischen Reichstages.  Jetzt wurde eine eifrige Madjarisierungspolitik betrieben – gegen die Mehrheit, die aus „Minderheiten“ bestand. Denn die Madjaren (Ungarn) umfaßten nur weniger als die Hälfte der Bevölkerung des Königreiches Ungarn.
Die österreichische Reichshälfte war in 15 Kronländer gegliedert. Ihre Landtage boten mehr Möglichkeiten zum Ausgleich zwischen den Volksgruppen. Bosnien-Herzegowina wurde als Reichsland von dem gemeinsamen österreichisch-ungarischen Finanzministerium verwaltet.
Jedoch ließen sich Pläne eines südslawischen Ausgleichs, wie sie Thronfolger Franz Ferdinand verfolgte, vor allem wegen des Widerstandes der Ungarn nicht verwirklichen. Am 26. Juni 1914, einem Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfelde, fiel er den Kugeln serbisch-bosnischer Attentäter zum Opfer.

Jugoslawien

Entgegen vielen Vorhersagen hielt die Vielvölkermonarchie bis zum Ende des Weltkrieges durch. Eine neue Großmacht beginnt auf Südosteuropa einzuwirken: Am 7. Dezember 1917 erklärt der amerikanische Kongreß einstimmig Österreich-Ungarn den Krieg. Am 8. Januar 1918 verkündet Präsident Wilson seine Kriegziele in den berühmten 14 Punkten, proklamiert feierlich das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“.
Eine weltgeschichtliche Entscheidung fällt 1915 an der Grenze Südosteuropas: der Plan Churchills, die Meerengen gewaltsam zu öffnen, scheitert. Rußlands Massenarmeen können nicht von Westen mit Waffen und Munition versorgt werden. Nach der Oktoberrevolution 1917 scheidet Rußland aus dem Ringen aus. Im August 1914 waren die deutschen Kreuzer Goeben und Breslau in die Meerenge eingelaufen; die Türkei trat auf die Seite der Mittelmächte. Es war ein Beispiel für eine Seemacht und ihre politische Wirkung.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges sind die vier Kaiserreiche Europas zerschlagen; es ist eine Urkatastrophe, so der amerikanische Diplomat George Kennan. In den Pariser Vorortverträgen entsteht eine Nachkriegsordnung.
Beim Zerfall Österreich-Ungarns erklärt der Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben seine Unabhängigkeit. Im nach umgekehrter Reihenfolge benannten Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen entsteht ein neuer Vielvölkerstaat. Von Anfang an ist das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten gespannt. Nach zehn Jahren wird der Staat in Jugoslawien (Südslawien) umbenannt und eine Königsdiktatur. Neben der kroatischen Bauernpartei, die breit verankert ist, lehnt sich die radikale Gruppe der Ustascha („Aufständische“) an das faschistische Italien an. Ungarn und Österreich sind machtlose Kleinstaaten. In der „Kleinen Entente“ schließen sich Jugoslawien, Rumänien und die Tschechoslowakei zusammen, um die Nachkriegsordnung aufrechtzuerhalten. Die meisten Nachbarn Jugoslawiens sind potentielle Feinde. Innenpolitisch ist das Land instabil. Nach französischem Vorbild ist der Staat in Banschaften gegliedert, die historisch nach Flüssen benannt sind und zentralistisch verwaltet werden. Die französische Idee der „einen und unteilbaren Republik“ wurde vom Königreich übernommen.
Der Ausgleich zwischen Serben und Kroaten, das „Sporazum“ vom 26. August 1939, kommt zu spät. Das Geheimprotokoll zwischen Hitler und Stalin vom 23. August 1939 betrifft Südosteuropa zunächst nur am Rande. 1940 besetzt Stalin nach einem Ultimatum Bessarabien und die Nordbukowina. Diese war im Abkommen 1939 nicht erwähnt. Doch Stalin wollte wohl die Kontrolle über das gesamte ukrainische Siedlungsgebiet. Im November 1940 meldet Molotow in Berlin weiterführende Interessen an Bulgarien und den türkischen Meerengen an.
Der Angriff des faschistischen Italien auf Griechenland aus Albanien heraus (1940) zieht den Balkan in den Zweiten Weltkrieg hinein. Jugoslawien unterzeichnet in Wien den Dreimächtepakt. Auf den Staatsstreich in Belgrad zwei Tage später reagiert Hitler mit einem Blitzkrieg. Nach 12 Tagen kapituliert die jugoslawische Armee. Der Staat wird zerschlagen und zwischen Italien, Albanien, Bulgarien, Ungarn und dem Deutschen Reich aufgeteilt. Übrig bleiben der „Unabhängige Staat Kroatien“, Montenegro und Rest-Serbien. Jetzt setzt der Partisanenkrieg ein, der gleichzeitig ein blutiger Bürgerkrieg ist. Josip Broz, genannt Tito, kroatisch-slowenischer Herkunft, wird Sieger. Hauptkampffeld sind Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Kroatien.
Tito organisiert das Neue Jugoslawien föderativ. Der Kommunismus war in Jugoslawien lange verboten, die Partei anfänglich schwach. Es galt, in Bauernvölkern Fuß zu fassen. Die eiserne Klammer, die Jugoslawien zusammenhält, sind Partei und die Jugoslawische Volksarmee. In beiden herrschen die Serben vor.
Wo aber bleibt Südosteuropa im Spiel der Großen Mächte? – Mit dem Frontwechsel Rumäniens gelingt der Sowjetunion Ende August 1944 der Einbruch. Auf einer Besprechung Churchills mit Stalin in Moskau am 9. Oktober 1944 tauschen beide Zettel aus mit einer Aufschlüsselung nach „Einflußprozenten“. Die Seemacht sichert sich 90% Einfluß in Griechenland. Bei Jugoslawien und Ungarn möchte Churchill 50 zu 50 haben. Mit Mühe gelingt es, Griechenland und den Hafen Triest unter westlicher Kontrolle zu halten.
Für die anderen Staaten gilt der Ausspruch eines ungarischen Beobachters: Sieger und Besiegte wurden mit dem gleichen System bestraft oder belohnt, dem Sowjetkommunismus.

 
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