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Jüdische Identität

Drei Interviews

Auch noch heute, mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des II. Weltkrieges gilt das Verhältnis zwischen Deutschen (und damit auch Österreichern) einerseits und Juden andererseits als problembelastet. Da werden neue Forderungen nach Entschädigungszahlungen erhoben und auch erfüllt, während andere nach einem Schlußstrich rufen. Wieder andere fragen, warum Verbrechen an jüdischen Menschen 56 Jahre nach der Tat noch zu Verurteilungen führen, während solche an deutschen Menschen nach wie vor ungesühnt bleiben. Da gibt es die heftigen Diskussionen um Noah Finkelsteins Vorwurf einer „Holocaust-Industrie“ und Daniel Goldhagens Anschuldigung eines „willigen Tätervolks“. Da wird in Österreich auch von keinesfalls „rechten“ Medien Kritik an nicht immer ganz lauteren Machenschaften innerhalb der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) geäußert, während andererseits orthodoxe Juden von den österreichischen Behörden daran gehindert werden, eine eigene, von der IKG unabhängige Gemeinde zu bilden.
Die „Neue Ordnung“ hat zehn offene und ungeschminkte, teilweise brisante und heikle Fragen an drei Repräsentanten jüdischen Lebens in Österreich gerichtet. Die Antworten sprengen oft manche von verschiedenen Seiten gepflegte Klischees und zeigen vor allem eines deutlich: daß es sich bei „den Juden“ mitnichten um einen „monolitischen Block“ handelt, sondern daß ihr Selbstverständnis und religiöser / gesellschaftlicher / politischer Standort sehr unterschiedlich sein kann.

Die Interviews führte Wolfgang Dvorak-Stocker mit:

Gerard Sonnenschein ist der Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in Graz mit Zuständigkeitsbereich für Steiermark, Kärnten und das südliche Burgenland. Geboren 1945 als Sohn eines Emigranten in Casablanca, kehrte er mit seinem Vater, einem überzeugten österreichischen Patrioten, bald nach dem Krieg nach Graz zurück.

Michael Löwy ist in Israel geboren, wuchs von Kindesbeinen an in Österreich auf, wie auch seine Vorfahren aus den verschiedenen Gebieten der k.u.k.-Monarchie stammen. Michael Löwy ist heute in der Industrie tätig und war früher als parlamentarischer Mitarbeiter im Europaparlament politisch aktiv. Seit Jahren ist er in der Paneuropabewegung engagiert.

Oberrabbiner Moishe Arye Friedman ist in den Vereinigten Staaten mit jiddischer Muttersprache aufgewachsen. Seine Vorfahren waren seit Jahrhunderten im Raum der österreichisch-ungarischen Monarchie Rabbiner, seit dem 14. Jahrhundert mehrfach auch Wiener Oberrabbiner. Seit 14 Jahren lebt er in Europa und hat in London, der Schweiz und Belgien an rabbinischen Instituten studiert. Er ist verheiratet mit einer Badgasteinerin aus alter, österreichisch-ungarischer Rabbiner-Familie.

 

Welche Rolle spielt die Religion für die jüdische Identität, sind die Juden ein Volk oder eine Religionsgemeinschaft? Und wie steht es mit dem Verhältnis zu Österreich? Ariel Muzicant hat geschrieben, er gehöre der österreichischen Nation, aber dem jüdischen Volk an und ein „Heimatgefühl“ in tiefstem Sinne gäbe ihm nur die Volkszugehörigkeit.

Sonnenschein: Die Religion spielt für die jüdische Identität natürlich eine große Rolle, da das Judentum eine Religion, wie andere eben auch, ist.
Wäre das Judentum keine Religion, könnte man nicht zum Judentum übertreten oder aus dem Judentum austreten.
Was man hier immer wieder vergißt, ist, daß es bei allen Rassen Juden gibt, wie z. B. bei Indianern und auch Eskimos. In Brooklyn/New York gibt es beispielsweise Synagogen in die nicht nur Dunkelhäutige kommen, sondern auch dunkelhäutige Rabbiner predigen.
Ich selbst bin Österreicher und fühle mich auch als solcher. Als Österreicher habe ich auch meinen Präsenzdienst beim österreichischen Bundesheer absolviert.
Schon mein Vater, der emigrieren mußte, war ein überzeugter Österreicher und glühender Patriot, der gleich nach dem Krieg nach Graz zurückgekommen ist.

Löwy: Ich glaube, daß die Religion der zentrale Faktor für die jüdische Identität ist. Die Religion hat in den Jahrhunderten der Diaspora den Zusammenhalt gegeben, durch sie unterscheiden  sich die Juden von den anderen Völkern und haben sie sich auch schon früher, in der Antike und davor, unterschieden. Auch sind die Juden heute keine „Ethnie“ im eigentlichen Sinne. Die europäischen Juden haben mit jüdischen Kasachen oder Äthiopier in ethnischer Hinsicht nichts gemein. Natürlich fühle ich mich aber einem jüdischen Äthiopier mehr verbunden als anderen Äthiopiern.
Trotzdem haben wir gerade in Europa das Phänomen, daß viele Juden zu anderen Bekenntnissen konvertiert sind, trotzdem aber in einem gewissen „kulturellen“ Sinne dem Judentum verbunden geblieben sind.
Die Wurzeln meiner Familie liegen eindeutig hier im österreichischen bzw. mitteleuropäischen Raum, auch ich selbst bin in Österreich aufgewachsen, dieses Land ist meine Heimat.

Friedman: Einerseits sind die Juden sicher ein Volk. Es gibt also auch Juden, die anderen Religionen angehören, aber der Identitätskern der Juden ist die Religion. Sie macht unser Volk aus. Die Reformjuden und ganz besonders die Zionisten erkennen das aber nicht mehr, sie wenden sich von der Religion ab und bekämpfen sie oft sogar. Ohne die jüdische Religion aber gibt es in Wirklichkeit kein jüdisches Volk.
Was nun das Verhältnis zur Österreich betrifft, weiß ich nicht, ob jemand glaubt, daß Leute wie Muzicant in Wahrheit überhaupt ein positives Verhältnis zu Österreich haben oder diesem Staat, mehr als nur auf dem Papier angehören. Bei den orthodoxen Juden ist das aber anders: Wir betrachten die Diaspora als uns von Gott auferlegtes Schicksal und haben deshalb grundsätzlich ein positives Verhältnis zu jeder Obrigkeit, egal ob das jetzt Österreich ist oder Australien. Unser Prinzip ist es, uns in die innere Politik überhaupt nicht einzumischen, wir akzeptieren die jeweilige Obrigkeit und lehnen die politischen Provokationen, die die Zionisten immer wieder durchführen, vollkommen ab. Daher ist auch unser Verhältnis zu Österreich sehr positiv. Ich weiß nicht, ob bekannt ist, daß der orthodox-jüdische Verein Agudat Israel durch Benjamin Schreiber und andere  schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg einen größen Betrag für den Wiederaufbau des Wiener Stephansdomes gespendet hat und ich selber habe im letzten Jahr um US$ 30.000,— ein halbseitiges Inserat in der New York Times zustandegebracht, in dem orthodoxe Rabbiner aus der ganzen Welt erklärt haben, daß niemand das Recht hat, den Österreichern vorzuschreiben, welche Regierung sie sich selbst wählen.

 

Welche Rolle spielt die Israelitische Kultusgemeinde für die österreichischen Juden?

Sonnenschein: Eine sehr große. Wir halten u. a. den Religionsunterricht aufrecht und sind für die Grabpflege verantwortlich. Im Judentum werden Gräber ja niemals aufgelöst, sondern für immer von der Kultusgemeinde gepflegt. Insgesamt hat uns in Graz auch der Neubau der Synagoge viel gebracht. Vor einem halben Jahr, bevor die neue Führung gekommen ist, hatten wir nur zwei Schulkinder zu betreuen, jetzt sind es schon drei Schulklassen. 130 Mitglieder haben sich bisher bei uns gemeldet und es werden laufend mehr.

Löwy: Die IKG ist sicher die wichtigste Vertretung der österreichischen Juden, doch kann sie auch nicht für alle Juden sprechen, genauso wenig wie dies der Jüdische Weltkongreß oder irgendeine andere Organisation kann. Ich selbst bin zum Beispiel nicht Mitglied der IKG.
Was Entschädigungszahlungen betrifft, so finde ich, daß diese ausschließlich den Opfern oder vielleicht noch ihren Nachkommen zufließen sollten, immer aber personengebunden. Zahlungen an Staaten wie etwa Israel, jüdische Organisationen oder die IKG können nicht in diese Kategorie fallen. Der Staat soll die israelitische Kultusgemeinde unterstützen, wie er auch andere Religionsgemeinschaften untersützt, diese Unterstützungen aber sollten nicht mit der Vergangenheit oder einer „Wiedergutmachung“ begründet werden.

Friedman: Eine sehr negative. Zum einen bekämpft die Kultusgemeinde das traditionelle Judentum, das orthodoxe Judentum. Dann mischt sie sich auch immer wieder in die innenpolitischen Verhältnisse Österreichs ein, was die orthodoxen Juden völlig ablehnen. Auch haben in der Wiener IKG viele Leute keine saubere Weste, es sind Betrügereien vorgekommen, Unterstützungsgelder wurden miß
bräuchlich verwendet usw. Das wissen auch die Juden Wiens, aber die meisten haben Angst, es auszusprechen, weil die IKG sehr mächtig ist. Ich verstehe nur nicht, daß die österreichischen Behörden und auch die Katholische Kirche so gerne und so eng mit der IKG zusammenarbeiten und uns die Bildung einer eigenen Kultusgemeinde verweigern.
Was die Entschädigungszahlen für die Zwangsarbeiter betrifft, so habe ich meiner Gemeinde gesagt, daß sie keine entsprechenden Anträge stellen sollen, weil diese rechtliche Möglichkeit auf politischer Erpressung beruht und daher gegen die Gebote Gottes ist.

 

Welche Bedeutung hat Israel für die Juden?

 Sonnenschein: Israel spielt für meine Generation und die vor mir, sicher eine zentrale Rolle aufgrund der historischen Ereignisse. Es ist so etwas wie ein Rettungsanker, gleichsam die letzte Hoffnung, sollten Menschen jüdischen Glaubens in irgendeinem Land dieser Welt wieder einmal verfolgt werden. Und von daher gibt es natürlich auch ein gewisses Solidaritätsgefühl mit Israel.

Löwy: Israel ist sehr wichtig für alle Juden auf der Welt. Einfach, weil jeder Jude weiß, daß es einen Staat gibt, in den er gehen kann und in dem er auf jeden Fall - als Jude - willkommen ist. Das spielt für mich heute sicher nicht diese Rolle, da ich in einem friedlichen, demokratischen Land lebe, in dem es auch keinen wirklich merkbaren Antisemitismus gibt. Ja es ist sicher heute ungefährlicher in Österreich zu leben, als in Israel. Aber trotzdem gibt uns die Existenz dieses Staates eine gewisse Sicherheit, und daher glaube ich, daß eigentlich alle Juden auf der Welt ein tief inneres Solidaritätsgefühl mit Israel empfinden und Anteil an seinem Schicksal nehmen.

Friedman: Israel ist eine Katastrophe für die Juden. Wie ich schon gesagt habe, ist es der Wille Gottes, daß wir bis zum Kommen des Messias in der Diaspora leben und so hat der zionistische Staat Israel, den wir als orthodoxe Juden nicht anerkennen können, nichts Positives für die Juden gebracht. Im Gegenteil - vorher konnten wir in allen arabischen Ländern in Frieden leben, heute ist das nicht mehr der Fall. Und überhaupt lebt man in keinem Land als Jude so unsicher und gefährdet wie in Israel.

 

Auch jetzt werden noch Urteile gegen Männer gefällt, denen Verbrechen an Juden während des Zweiten Weltkriegs vorgeworfen werden.
Andererseits werden Rufe nach einem Schlußstrich laut. Wie soll mit der Vergangenheit umgegangen werden?

Sonnenschein: Die Frage ist für mich schwierig zu beantworten, da ich ja nichts entschuldigen kann, was mir nicht angetan wurde. Einen Schlußstrich könnten nur die ziehen, denen Unrecht geschehen ist.

Löwy: Ich halte diese Verurteilungen für richtig, weil niemand, der so etwas getan hat, sich sicher fühlen darf, egal wieviel Zeit seit der Tat vergangen ist. Mörder müssen ganz einfach vor Gericht gestellt werden, und man darf da kein falsches Mitleid mit den Tätern haben, bloß, weil sie alt und gebrechlich geworden sind.

Friedman: Eigentlich interessiert mich das nicht.
Das ist eine Angelegenheit der Deutschen und der Österreicher. Aber überhaupt ist der gesamte Umgang mit der Vergangenheit, wie er heute stattfindet, eine zionistische Provokation, die erst wieder zu Antisemitismus führen wird.
Aber das ist ja auch nicht unbeabsichtigt, da der Zionismus den Antisemitismus geradezu braucht. Daher wird es auch keinen Schlußstrich in dieser Frage geben, sondern ganz im Gegenteil, es wird immer weiter und immer mehr über die Vergangenheit in dieser verzerrten Weise diskutiert werden.

 

Auch bei der Vertreibung der Deutschen sind Verbrechen begangen worden, doch es ist nie zur Verurteilung von Tätern gekommen, obwohl einige dieser Täter aus Tschechien, Oberschlesien oder dem früheren Jugoslawien namentlich bekannt sind.

Löwy: Selbstverständlich gilt das Gesagte nicht nur für Mörder an Juden, sondern auch für alle anderen. Bei der Vertreibung der Deutschen sind schreckliche Verbrechen an Unschuldigen begangen worden, und es lastet z. B. auf der tschechischen Justiz eine schwere Schuld, daß diese Dinge nie richtig aufgearbeitet wurden.

Sonnenschein: Unrecht muß immer bestraft werden, das ist ganz logisch.

Friedman: Was die „Versöhnung“ betrifft, so muß man festhalten, daß Versöhnung in objektiver Hinsicht eine Angelegenheit Gottes ist. Mein persönliches Verhältnis ist aber zu den Deutschen und Österreichern viel besser, als zu vielen anderen Völkern, und keines der beiden Länder muß sich vor einem anderen Staat der Welt verstecken, was sein Verhältnis zu den Juden betrifft.
Ich muß aber auch sagen, daß ich manche Aktionen Österreichs ablehne, z. B. den Synagogenbau in Graz. Da macht man diese Stadt erst „judenrein“ und baut 50 Jahre später um beträchtliches Geld eine Synagoge wieder auf, die kaum jemand betreten wird, weil eben fast keine Juden in der Stadt leben, und Thomas Klestil und Muzicant tanzen bei der Eröffnung: Das ist ein Theaterspielen auf dem Rücken von Opfern, das ist ein Sichlustigmachen über die Vergangenheit... Wenn man wirklich etwas „wiedergutmachen will“, muß man traditionelles jüdisches Leben in Österreich wieder ermöglichen, muß man mit den orthodoxen Juden, die die Hauptopfer des Holocaust waren, sprechen. Genau das verweigern aber die Behörden, sie wollen verhindern, daß sich vom Reformjudentum unabhängige, traditionelle jüdische Gemeinden in Österreich bilden, wie das in der ganzen Welt möglich ist.

 


Michel Friedman, der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland (und CDU-Vorstandsmitglied) hat gesagt, Versöhnung sei ein absolut sinnloser Begriff. Den Erben des „judenmordenden Staates“ würde nichts anderes zukommen, als die schwere historische Verantwortung für immer auf sich zu nehmen. Wird es, soll es in der näheren Zukunft ein unbelastetes Verhältnis zwischen Deutschen (bzw. Österreichern) und Juden geben?

Sonnenschein: Die Frage ist schon falsch. Es gibt ja deutsche Juden. Ich kann doch nicht mit mir selbst im Unfrieden sein als deutscher Jude oder österreichischer Jude. Und wie ich schon gesagt habe: Ich fühle mich als Österreicher. Ich bin in Graz, in der Grazer Gesellschaft vollkommen integriert und habe keinerlei Probleme.
Auch ist es so, daß die jüdische Gemeinschaft hier in Graz wächst. Jetzt haben wir schon 130 Mitglieder, nicht nur weil sich viele melden, die sich früher aus verschiedenen Gründen nicht gemeldet haben, sondern auch, weil es immer wieder Übertritte gibt. Erst jetzt haben wir wieder drei Kandidaten, die nächstes Monat in Wien übertreten werden, in Wien deshalb, weil wir in Graz noch keinen Rabbiner haben.

Löwy: Ich glaube nicht, daß man jungen Menschen heute, bald 60 Jahre nach dem Krieg, die Geschehnisse von damals noch vorwerfen kann. Die Erlebnisgeneration, die alles mitgemacht und durchgestanden hat, ist davon natürlich geprägt und kann es nicht vergessen. Aber für uns, die Nachkommen, hat sich das Verhältnis normalisiert. Es kann schon sein, daß junge Juden aus verschiedenen Ländern, insbesondere aus nichteuropäischen beim Namen „Deutschland“ ein gewisses Schaudern befällt, weil sie eben nur die Geschichte, aber nicht das Leben in der Gegenwart wirklich kennen. Die meisten Juden aber, die hier leben, haben ein weitgehend unbelastetes Verhältnis zu den Österreichern und Deutschen von Heute.
Ich halte es darüber hinaus auch nicht für richtig, wenn manche Nachkommen der Opfer für sich eine besondere moralische Autorität in Anspruch nehmen - die sie einfach nicht besitzen - und sich aus dieser eigentlich angemaßten Position immer wieder in emotionalisierender Weise zu verschiedenen Themen zu Wort melden. Ich halte das für kontraproduktiv und schädlich, für mich ist das Zeichen eines Komplexes.

Friedman: Die sogenannte „Vergangenheitsbewältigung“ in Österreich und ganz besonders in Deutschland war und ist belastet von unsauberen Motiven - Geld, Macht, zionistische Interessen - und die Bevölkerung merkt das auch. Die Holocaust-Industrie, von der Norman Finkelstein geschrieben hat, besteht auf alle Fälle. Der einzige Fehler, den Finkelstein macht, ist, daß er behauptet, sie sei erst in den 60er Jahren entstanden.
Deutschland und Österreich sind aufgrund der Vergangenheit viel erpreßbarer und das wird vom Zionismus bzw. der Holocaust-Industrie auch ausgenutzt, zum letztendlichen Schaden der Juden selbst. Die größten Opfer der Holocaust-Industrie werden wieder die Juden, speziell die orthodoxen Juden sein.

 

Noah Finkelstein hat mit seinem viel beachteten Buch den Begriff der „Holocaust-Industrie“ geprägt und behauptet, die Geschichte würde von manchen Organisationen und Gruppen für eigene Zwecke ausgebeutet.

Sonnenschein: Ich selbst habe dieses Buch nie gelesen. Die zwei oder drei Ausschnitte aus dem Buch, welche ich gesehen habe, halte ich für falsch. Natürlich gab und gibt es immer wieder Gruppen, welche die Geschichte für ihre eigenen Zwecke ausnutzten. Nur was hat dies mit dem Holocaust zu tun?

Löwy: Norman Finkelstein hat mit seiner These der Instrumentalisierung des Holocaust leider vollkommen recht. Wenn man sieht, welche Millionenbeträge amerikanischen Anwälte kassieren und wie bestimmte Funktionäre jüdischer Organisationen nur in Luxushotels absteigen und für Tausende Dollar Firs tClass-Flüge buchen, während alte Leute für jahrelange Zwangsarbeit in Konzentrationslagern mit geringfügigen Beträgen abgespeist werden, dann kann man die Argumente Finkelsteins nicht vom Tisch wischen. Die Instrumentalisierung hat aber noch eine zweite Seite: Auch beiu ns benützen alle Parteien – wirklich alle– die Juden für ihre Zwecke, um innenpolitisch daraus Kapital zu schlagen.

Friedman: Die Forschung und die Publizistik sollen auf alle Fälle völlig unbeschränkt sein. Ich finde es seltsam, daß ich manche Bücher über den Holocaust nur in Amerika kaufen kann und hierzuland nicht. Ich halte es auch für gefährlich, daß in Österreich – im Unterschied zu allen anderen Ländern – Kritik an Juden und der israelitischen Kultusgemeinde etc. für „nicht erlaubt“ gehalten wird, weil genau das den Antisemitismus wieder anheizt. Und den Preis werden wieder die orthodoxen Juden zahlen. Der Grund, daß bestimmte Gruppen den Holocaust leugnen oder behaupten, daß viel weniger Juden umgekommen sind, liegt in dem bereits erwähnten unmoralischen und unsauberen Umgang mit der Vergangenheit. Die Zahlen selbst können stimmen oder auch nicht stimmen, ich bin kein Experte mich dazu zu äußern, das sollte der Wissenschaft überlassen bleiben. Allerdings muß man auch festhalten, daß auf der moralischen Ebene Zahlen keine Rolle spielen.



John Sack, Daniel Goldhagen, Noah Finkelstein: Eine wissenschaftliche Diskussion um die Vergangenheit und ihre Interpretation wird heute vor allem von amerikanischen Juden vorangetrieben. Und in Auschwitz wurde die offizielle Todeszahl von 4 Mio. auf eine Million reduziert. Hierzulande wird aber die Forschung und auch die öffentliche Diskussion teils durch Gesetze, teils durch Gebote der „politischen Korrektheit“ eingeschränkt. Wie offen soll über diese Themen diskutiert werden?

Sonnenschein: Die Forschung sollte in jedem Fall frei und ohne gesetzliche Einschränkungen sein. Ob sich dann an den Opferzahlen etwas ändert oder nicht, ist egal; denn ob es eine Million sind oder fünf Millionen: Menschen wurden verfolgt und getötet, nur weil sie Juden waren. Letztlich wissen wir schon jetzt, daß wir alle diese Vorgänge nie genau eruieren können, daß alles nur mehr oder minder genaue Schätzungen sein können. An dem, was an sich geschehen ist, ändert das aber gar nichts.

Löwy: Meiner Auffassung nach soll jeder sagen dürfen, was er denkt. Die Grenze ist nur dort zu ziehen, wo konkret politische Hetze gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen betrieben wird, wo gegen sie zu Haß oder zu ungesetzlichen Maßnahmen aufgerufen wird. Über die Vergangenheit sollte aber, soferne eben nicht Haßparolen verbreitet werden, völlig frei diskutiert werden dürfen. Es ist für mich persönlich auch nicht wirklich wichtig, ob nun sechs, fünf oder vier Millionen Juden ums Leben gekommen sind. Dieser Frage und anderen Detailfragen wie etwa wieviele Juden mit welchen Methoden in bestimmten Lagern oder anderen Orten ermordet wurden, kann sich die Wissenschaft widmen, genauso wie die Zahl der vernichteten Panzer bei einer bestimmten Panzerschlacht diskutiert wird. Da sollte es keine Einschränkungen geben. Aber die Wissenschaft darf dabei auch nie vergessen, daß hier Menschen auf bestialische Weise ermordet wurden, und daß diese Tatsache feststeht, egal ob sich in den Details dann noch etwas verändert.

Friedman: Die Forschung und die Publizistik sollen auf alle Fälle völlig unbeschränkt sein. Ich finde es seltsam, daß ich manche Bücher über den Holocaust nur in Amerika kaufen kann und hierzuland nicht. Ich halte es auch für gefährlich, daß in Österreich – im Unterschied zu allen anderen Ländern – Kritik an Juden und der israelitischen Kultusgemeinde etc. für „nicht erlaubt“ gehalten wird, weil genau das den Antisemitismus wieder anheizt. Und den Preis werden wieder die orthodoxen Juden zahlen. Der Grund, daß bestimmte Gruppen den Holocaust leugnen oder behaupten, daß viel weniger Juden umgekommen sind, liegt in dem bereits erwähnten unmoralischen und unsauberen Umgang mit der Vergangenheit. Die Zahlen selbst können stimmen oder auch nicht stimmen, ich bin kein Experte mich dazu zu äußern, das sollte der Wissenschaft überlassen bleiben. Allerdings muß man auch festhalten, daß auf der moralischen Ebene Zahlen keine Rolle spielen.

 


Michel Friedman hat gesagt, eine Religion, die auf dem Tod eines Menschen beruht (Jesus Christus), muß sich die Frage nach ihrem Menschenbild gefallen lassen. Wie ist Ihr Verhältnis zum Christentum?

Sonnenschein: Ein sehr persönliches. Meine Frau ist nämlich katholisch.

Löwy: Mein persönliches Verhältnis zum Christentum ist sehr gut. Ich glaube auch, daß beide Religionen mehr gemeinsam haben, als dies viele ihrer Vertreter gerne wahrhaben möchten. Mit der Aussage von Michael Friedmann kann ich nichts anfangen. Sie kann auch nichts damit zu tun haben, daß er Jude ist, denn was die Bedeutung von Tod und Opfer betrifft, unterscheidet sich das Judentum vom Christentum nicht so sehr. Hier ist es vielleicht eher der moderne materialistisch und hedonistisch eingestellte Mensch, der mit den überlieferten Religionen, egal ob mit der jüdischen oder christlichen, nichts mehr anfzufangen weiß.

Friedman: Zuerst muß ich mich verwehren gegen die Art und Weise, wie das Christentum heute immer wieder angegriffen wird. Ich kann und will der Kirche keine Vorwürfe bezüglich der Vergangenheit machen. Ich frage mich aber, warum die Kirche heute, wo sie offenbar ein besonders gutes Verhältnis mit dem Judentum haben möchte, vor allem mit den Vertretern des Reformjudentums spricht, die doch nicht die traditionelle und das heißt echte, jüdische Tradition vertreten.
Zum Auftreten von Michel Friedmann möchte ich eigentlich nichts sagen. Er ist ein moralisch fragwürdiger Mann, der in der Öffentlichkeit Theater spielt, eine gewisse Rolle zum Besten gibt, die sich nur zum Schaden den Judentums auswirkt.

 

Wie beurteilen Sie die Politik der FPÖ? Und darüber hinaus jene meist auf der rechten Seite des politischen Spektrums angesiedelten Parteien und Bewegungen, die Sorge um die kulturelle und volkliche Identität Europas tragen und daher gegen Zuwanderung, Globalisierung, Multikulturalismus etc. auftreten?

Sonnenschein: Auch dazu eine ganz konkrete Antwort: Der Vizebürgermeister der Stadt Graz und Grazer FPÖ-Parteichef Peter Weinmeister ist ein guter Freund von mir. Die FPÖ ist eine Partei wie alle anderen auch. Und zum zweiten Teil Ihrer Frage: Diese Sorgen habe ich nicht. Ich habe die konträre Sorge, daß, wenn wir nicht bald mehr Einwanderer bekommen, unser Pensionssystem nicht mehr finanzierbar ist.

Löwy: Ich persönlich habe überhaupt keine Berührungsängste mit der FPÖ. Wie bei jeder anderen Partei gibt es bestimmte Programmpunkte, die ich für gut finde und andere, die ich für nicht so gut finde.
Zm anderen Teil der Frage:
Erstens ist es das Recht jedes Volkes, in seinem angestammten Gebiet seine Identität zu bewahren, auch wenn es aus verschiedenen Gründen eine Zuwanderung gibt. Andererseits glaube ich, daß das Fremdenproblem in Österreich zur Zeit stark übertrieben wird. Insbesondere müssen wir keine Angst vor ein paar Tausend Zuwanderern aus osteuropäischen Ländern nach der EU-Erweiterung haben. Ich halte es nicht für richtig, wenn Parteien hier Ängste schüren und emotionalisieren.

Friedman: Aus moralischen und religiösen Gründen will ich zu den innenpolitischen Angelegenheiten Österreichs oder der anderen europäischen Staaten gar nichts sagen. Das ist, wie ich Ihnen bereits erklärt habe, auch ein Prinzip des orthodoxen Judentums: Wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates ein, das ist nicht unsere Sache. Im übrigen ist die FPÖ für mich eine Partei wie jede andere auch und ich habe von vielen ihrer Politiker eine sehr gute Meinung.

 
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