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Die Zukunft der Landwirtschaft

Von Wolfgang Dvorak-Stocker

Die Landwirtschaft ist nicht produktiv genug, so heißt es vielerorts. Gesundschrumpfen sei die Devise, Marktorientierung ohne Subventionen. Doch über die – wünschenswerterweise gesunde – Produktion von Lebensmitteln hinaus erbringt die bäuerliche Form der Landbewirtschaftung eine Vielzahl von unentgeltlichen Leistungen, die dennoch ihren Wert haben. Von diesem Gesichtspunkt aus stellt sich die Frage der Produktivität daher anders. Warum wir unsere Bauern brauchen, heute und in Zukunft.

Achtzig Prozent der Touristen kommen vor allem wegen der schönen Landschaft nach Österreich. Doch diese Landschaft machen nicht nur schroffe Felsgipfel, schweigende Wälder und klare Seen aus, dazu gehört wesentlich und unverzichtbar auch die bunte Vielfalt der Kulturlandschaft, geprägt durch jahrhundertelange bäuerliche Bewirtschaftungsformen. Müssen Österreichs Bauern in Zukunft einen immer größeren Teil ihres Einkommens mit dem Verkauf ihrer Produkte zu „Weltmarkt“-Preisen erzielen, wird die logische Folge die Konzentration der Landwirtschaft in den Gunstgebieten sein und Aufforstung in den alpinen Bereichen, der Almen, aber auch vieler Täler. Eine Entwicklung, die nie und nimmer im Sinne des Tourismus sein kann! Recht betrachtet sollte jede Tourismus-Gemeinde ihre Bauern dafür bezahlen, daß sie die Kühe noch auf die Weide treiben bzw. alpen, trägt dies doch ganz wesentlich zur Attraktivität des touristischen „Standortes“ Österreich bei.
Zur Landschaft gehört freilich auch die Baukultur. Und da wird von den Bauern ganz selbstverständlich erwartet (oder sogar baupolizeilich vorgeschrieben), daß ihre Ställe und Wirtschaftsgebäude landschaftsgerecht und ästhetischen Prinzipien entsprechend errichtet werden. Betrachtet man die Wellblech-Baracken, die in anderen EU-Ländern als Ställe fungieren, wird eine weitere Leistung deutlich, die Österreichs Bauern mit erheblichen Kosten, aber ohne jegliche Abgeltung für die Allgemeinheit erbringen.
Konkurrenzfähig am Weltmarkt zu sein, würde heißen, auf diese und andere überbetrieblichen Leistungen der Landwirtschaft zu verzichten, ja die Produktionsweise in den Gunstlagen zu intensivieren und ohne die ökologischen, gesundheitlichen und tierschützerischen Standards zu betreiben, die die Konsumenten hierzulande stillschweigend vorauszusetzen gewohnt sind. Diese Aussichten den Konsumenten – und Wählern – klarzumachen, würde die Voraussetzung für eine echte und grundlegende Wende in der Agrarpolitik schaffen.
Und noch ein wesentliches Element spricht für einen unbedingten Erhalt der flächendeckenden bäuerlichen Landbewirtschaftung in Europa:
Große wirtschaftliche und politische Krisen mögen  in naher Zukunft eher unwahrscheinlich scheinen, doch können sie auf den Zeitraum von einigen Jahrzehnten nicht ausgeschlossen werden. Für solche Fälle Vorsorge zu treffen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben jeder politischen Führung. Eine Ernährung der eigenen Bevölkerung muß auch dann mit den wichtigsten Nahrungsmitteln möglich sein, wenn durch politische, wirtschaftliche oder Energiekrisen ein weltweiter Handel mit Agrarprodukten nicht mehr stattfinden kann. Dies aber ist nur möglich, wenn ein hinreichend großer Prozentsatz der Bevölkerung in der Landwirtschaft verbleibt und seine Produktion, auch wenn er jahrelang nachwachsende Rohstoffe oder ähnliches erzeugt hat, im Notfall auf Nahrungsmittel umstellen kann und dazu auch von seiner Ausbildung und technischen Ausrüstung her in der Lage ist! Der Faktor Krisensicherheit verbietet es also strikt, die landwirtschaftliche Urproduktion über ein bestimmtes Maß hinaus auszudünnen und zu reduzieren.
Diese und viele andere Gründe haben dazu geführt, daß die Landwirtschaft lange Zeit bei den Verhandlungen des GATT ausgeklammert wurde. Erst in der letzten WTO-Runde, jener von Uruguay, wurde sie auf Drängen der USA in die Liberalisierung miteinbezogen.

Die Folgen der Liberalisierung

Den Spielregeln des freien Welthandels unterworfen, müssen heute naturzerstörende und naturnahe Produktionsweisen miteinander preislich konkurrenzieren, auf einem Weltmarkt, in dem kein Gleichgewicht zwischen marktwirtschaftlicher Dynamik, sozialer Fairneß und ökologischer Verantwortung existiert.
Die langfristigen Folgen dieser Entwicklung aber werden in den Massenmedien kaum hinreichend diskutiert: Ein Ende der nachhaltigen, auf schonenden Umgang mit Boden, Wasser und Pflanzen ausgerichteten und tiergerechten Landwirtschaft würde das Gesicht Europas verändern und die Umweltbilanz gravierend verschlechtern. Denn nur die bäuerliche Form der Landbewirtschaftung produziert mit einigermaßen ausgeglichener – oder im Biobetrieb sogar positiver – Ökobilanz, ohne, wie die intensiv bewirtschafteten Monokulturen, die Umwelt zu belasten.
Freilich hat diese Entwicklung kompetente Kritiker auf den Plan gerufen. Vor allem ist hier der ehemalige Vizekanzler Dipl.-Ing. Josef Riegler zu nennen, der in den beiden von ihm herausgegebenen Büchern, „Aufstand oder Aufbruch? Wohin gehen Europas Bauern“ und „Die Bauern nicht dem Weltmarkt opfern! Lebensqualität durch ein europäisches Agrarmodell“ eine Reihe profunder Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz versammeln konnte, die über die Analyse der Fehlentwicklungen hinaus ein echtes, dem ökosozialen Gedanken folgendes Gegenmodell entwerfen. Dieses Gegenmodell basiert auf der „Agenda 21“, die als Ergebnis der Internationalen Umweltkonferenz von Rio im Jahre 1992 die Ziele nachhaltiger Entwicklung zum Schutz von Klima und Umwelt insgesamt formuliert hat.
Auch der Direktor der Steirischen Landwirtschaftskammer, Heinrich Kopetz, greift in seinem Buch „Kurswechsel. Zukunft grüne Energie“ die Politik der weitgehenden Liberalisierung der Agrarmärkte frontal an und schreibt, sie führe dazu, „daß Länder mit einer schwach entwickelten, nicht konkurrenzfähigen Landwirtschaft immer mehr Agrargüter importieren, wobei die Krise der Landwirtschaft zur verstärkten Landflucht führt und gleichzeitig die Sicherheit der Lebensmittelversorgung schwindet. Es liegt auf der Hand, daß nach einer Periode weitgehender Liberalisierung, während welcher Teile der Weltlandwirtschaft aus der Produktion gedrängt werden und in der gleichzeitig die Weltbevölkerung weiter zunimmt, die Weltagrarpreise steigen und die weniger entwickelten Länder dann kaum die Möglichkeit haben werden, die teuren und mengenmäßig stark gestiegenen Agrarimporte zu kaufen, sodaß die erhöhten Weltmarktpreise, die den reichen Exportländern zum Vorteil gereichen, für die armen Schichten in den Ländern der Dritten Welt Hunger und Elend bedeuten.“ Und er zitiert den Generalsekretär des landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbandes von Korea, Nai Soo-Lee, der auf einem internationalen Agrarkongreß 1999 in Verona ausführte: „Wir asiatischen Bauern erleben, daß die Umsetzung der Uruguay-Runde für die Landwirtschaft und die Einkommen der Bauern in Asien viele negative Effekte hatte und gleichzeitig die Abhängigkeit Asiens von Nahrungsmittelimporten anstieg. In der Periode von 1994 bis 1997 stieg das agrarische Handelsdefizit Asiens um 37%, während gleichzeitig die USA ihre Nettoexporte um 14% steigerten. Fleisch, Molkereiprodukte, Obst und höher verarbeitete Lebensmittel überfluteten den asiatischen Markt, und die Abhängigkeit der Nahrungsmittelversorgung von Importen stieg mehr denn je.“ Doch auch die amerikanischen Bauern profitieren nicht von dieser Entwicklung, im Gegenteil: Die US-amerikanische Landwirtschaft steckt in einer tiefen Krise, die Preise verfallen, und die Höfe sind überschuldet. Profiteur der Entwicklung sind eigentlich nur die Händler und damit einige wenige Oligopolisten. So befindet sich der Welt-Weizenhandel in der Hand von fünf Familien, zwei italo-amerikanischen und drei jüdisch-amerikanischen.

Das Ende des Erdöls

Kopetz macht in seinem Buch deutlich, daß der Weg, den die EU in Zukunft gehen will, noch unentschieden ist. Einerseits will sie die europäische Landwirtschaft weltmarktfähig und exportorientiert machen und hat ihre Politik im Rahmen der Agenda 2000 dementsprechend umgestellt. Auf der anderen Seite hat die Europäische Kommission im November 1997 im Rahmen eines sog. „Weißbuches“ einen Aktionsplan für die Ausweitung erneuerbarer Energieträger vorgelegt. Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen wurde die Kyoto-Konferenz vorbereitet und dafür Strategien zur Reduzierung der CO2-Emissionen entworfen, um dem drohenden Klimawandel zu begegnen, zum anderen befürchtete die Kommission, daß die Abhängigkeit der EU von Energieeinfuhren von derzeit 50% in den nächsten 20 Jahren auf 70% steigen wird: „Dies gilt besonders für Erdöl und Erdgas. Sie werden verstärkt aus Ländern bezogen, die immer weiter von der Union entfernt sind, was in vielen Fällen mit geopolitischen Risiken verbunden ist“, heißt es im „Weißbuch“.
Als einzig mögliche Antwortstrategie, die beide Fliegen mit einer Klappe schlägt, gibt das Weißbuch die Verdopplung des Anteils der erneuerbaren Energie am Gesamtenergieverbrauch der EU bis 2010 an. 1995 deckten die erneuerbaren Energieträger 5,44% des Primärenergiebedarfs der Europäischen Union. Während Windkraft, Fotovoltaik, Erdwärme und Solarkollektoren nur geringfügige Anteile haben, stellte die Biomasse 60% der erneuerbaren Energie und die Wasserkraft 35 %. Um das angestrebte Ziel einer Verdoppelung des Anteils erneuerbarer Energie zu erreichen, müßte die aus Biomasse gewonnene Energie in den nächsten 10 Jahren verdreifacht werden; dies, weil die Wasserkraft nicht mehr in besonders großem Maße ausbaufähig ist und die anderen Energielieferanten auch bei stärksten Wachstumsraten noch nicht so stark ins Gewicht fallen werden. Für Kopetz ist dabei eines klar: „Die Ziele der Agenda – verstärkte Belieferung des Weltmarktes – und die Ziele des Weißbuches der Kommission – 83 % der zusätzlichen erneuerbaren Energie aus der Land- und Forstwirtschaft – sind nicht gleichzeitig erreichbar; sie sind unvereinbar.“ Für ihn ist der Ausbau von Energie aus Biomasse das Gebot der Stunde.

Energie aus Biomasse das Gebot der Stunde

-Bis spätestens 2015 erwartet Kopetz eine grundlegende und endgültige Wende am Ölmarkt hin zu stetig steigenden Preisen aufgrund der langsam, aber sicher zur Neige gehenden Vorräte, wie er mit ausführlichen Statistiken und Berechnungen glaubhaft zu machen vermag.
-Nach der Osterweiterung der EU müßten 40 bis 50 % der gesamten Ackerflächen stillgelegt werden, um eine Überproduktion zu vermeiden, wenn die Exportmöglichkeiten nicht massiv zunehmen. Doch dies ist nicht zu erwarten: Bedingt durch die Wirtschaftskrise in Asien hat es in den letzten Jahren eine eher gegenläufige Entwicklung gegeben.
-Nur durch die Umstellung von weiten Teilen der Landwirtschaft auf die Produktion erneuerbarer Energie läßt sich also überhaupt eine flächendeckende Landbewirtschaftung in Europa aufrechterhalten. Gleichzeitig werden dadurch 500.000 bis 900.000 neue Arbeitsplätze in der EU geschaffen.
-Nur so erreichen wir auch die aus Gründen des Klimaschutzes dringend notwendige Reduktion des CO2-Ausstoßes und erlangen gleichzeitig wieder eine etwas größere Autarkie im Bereich der Energieversorgung.
Aus Biomasse, das heißt aus Holz, Stroh und Energiepflanzen wie Raps und Sonnenblumen, lassen sich Wärme, Treibstoff und Strom erzeugen. Moderne Verwertungsformen wie Holzpellets, Hackschnitzelheizungen, Biogas etc. erschließen neue Wege der Nutzung der landwirtschaftlichen Urproduktion bzw. ihrer „Abfall“-produkte!
Einem solchen Umstieg auf mehr Energie aus Biomasse widersprechen aber die zunehmende Liberalisierung der Energiemärkte und der Rückzug des Staates aus der Energiepolitik. Kopetz analysiert die Folgen dieser Entwicklung und resümiert: „Die Alternativen zu politischen Eingriffen in den Energiemarkt sind daher ein weiterer Verbrauchsanstieg der fossilen Energieträger sowie eine rasche Zunahme der CO2-Emissionen und damit der Verzicht auf Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung künftiger Klimakatastrophen… Die notwendigen Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energieträger können sich nur in jenen Ländern rasch entwickeln und durchsetzen, in denen durch entsprechende Rahmenbedingungen ein inländischer Markt für erneuerbare Energieträger geschaffen wird. Die Industrie in diesen Ländern hat den Vorteil, daß sie früher als die Konkurrenz anderswo wettbewerbsfähige Produkte entwickelt und in größerer Serie erzeugt, und sie wird dann gut gerüstet sein, wenn in naher oder fernerer Zukunft durch die Verknappung und Verteuerung der fossilen Energieträger weltweit die Märkte für diese Produkte entstehen. Jene Länder, die durch eine laissez-faire Politik abwarten und der eigenen Industrie im Bereich der erneuerbaren Energie keine Entwicklungsmöglichkeiten bieten, werden diese Chancen nicht mehr nutzen können.“

Literatur

Heinrich Kopetz, Kurswechsel für Landwirtschaft und Energiewirtschaft in Europa, Zukunft grüne Energie, Österreichischer Agrarverlag, 2000, 191 S., zahlr. Statistiken im Text, kart., öS 298,–
Josef Riegler/Hans W. Popp/Hermann Kroll-Schlüter u. a., Aufstand oder Aufbruch? Wohin gehen Europas Bauern? 232 S., brosch., Leopold Stocker Verlag, 1996, öS 218,–
Josef Riegler/Hans W. Popp, Hermann Kroll-Schlüter u. a., Die Bauern nicht dem Weltmarkt opfern! Lebensqualität durch ein europäisches Agrarmodell, 248 S., zahlr. Abb. u. Grafiken, brosch. Leopold Stocker Verlag, 1999, öS 281,–

 
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