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Dante und die beiden Schwerter des katholischen Ghibellinentums

Von Martin A. Schwarz

Dem wichtigen Buch „Dante“ von Robert L. John (erschienen 1946 in Wien mit Druckerlaubnis des Bischöflichen Ordinariats), das den Versuch unternimmt, Dante als gläubigen Katholiken und zugleich als Vertreter der Templergnosis darzustellen, entnahm ich den Hinweis auf eine bemerkenswerte Dante-Enzyklika des Papstes Benedikt XV. (Pontifikat: 1914–1922). „In praeclara“ vom 30. April 1921 hat in den Augen Johns eine ganz besondere Bedeutung, weil sie „zu wiederholten Malen Stellen aus Dantes ‚Monarchia‘ anzog und damit dieser allzulange auf dem Index verbliebenen Apotheose des imperialen Gedankens eine vollkommene Ehrenrettung bot.“ Mehr noch: „Ohne Vorbehalt ließ der Papst die darin verfochtene, einst so verpönte Theorie gelten, daß das abendländische Imperium als eine unmittelbar auf Gott zurückgehende Stiftung und nicht als ein Ausfluß der päpstlichen Vollgewalt zu betrachten sei.“ Wie die meisten Papstworte blieb die Enzyklika allerdings unbeachtet und unbekannt, so John. Ich fand dies jedenfalls Grund genug, mir „In praeclara“ anzusehen und auf Dantes „Monarchia“ zurückzugehen.    

Die einleitenden Absätze von Benedikts Sendschreiben, das vornehmlich an die Lehrer und Schüler der Literatur gerichtet ist, könnten das Mißtrauen erwecken, hier würde von höchster kirchlicher Stelle der Versuch unternommen, einen „von aller Welt gefeierten Schriftsteller“ zu vereinnahmen. „Wir können sicherlich nicht abseits stehen von diesem universalen Konsens guter Menschen; vielmehr sollten wir die führende Stellung in ihm einnehmen, da die Kirche besondere Rechte darauf hat, Dante als einen der ihren zu betrachten.“
Wie oft betont wird, und auch John verzichtet nicht darauf hinzuweisen, hat Dante Alighieri (1265–1321), der bedeutende Meister der italienischen Literatur, in seinem größten dichterischen Werk, der „Divina Commedia“, zahlreiche Kirchenfürsten, darunter auch einige Päpste, ins Fegefeuer, ja sogar in die Hölle verbannt. Doch hören wir Papst Benedikt: Nach einem allgemeinen Hinweis, Dante hätte sein ganzes Leben in hervorragender Weise den katholischen Glauben bekannt, folgt eine Erinnerung daran, daß niemand anderer als der große Kirchenlehrer, der heilige Thomas von Aquin (1225–1274), der wichtigste Lehrer Dantes gewesen ist: „Von ihm erlangte er beinahe sein gesamtes philosophisches und theologisches Wissen.“
Weiters bezeuge seine „Commedia“, die zu Recht den Ruf einer göttlichen erlangte, daß er seine höchsten dichterischen Inspirationen aus dem Glaubensschatz der Kirche bezog. Dies ist, wie man weiß, ein zweischneidiges Schwert. Denn welche Häresien hat man nicht schon diesem Werk zugeschrieben! John, wie gesagt, belegt ziemlich überzeugend den templerischen Gehalt der göttlichen Komödie, zugleich aber deren orthodoxen Charakter – und das sehen manche Interpreten anders. Andererseits findet auch John „materielle Häresien“, insofern nämlich, als Dante systematisch das Konzil von Vienne, das die Templer als Häretiker verurteilte, als unrechtmäßig betrachtet. Jedes direkte Wort darüber fehlt natürlich in Dantes Gedicht, hingegen rehabilitiert er bewußt die Irrlehren des auf diesem – für Dante ungültigen – Konzil verurteilten Franziskaner-Theologen Petrus Johannis Olivi, darunter die Auffassung, daß der Gekreuzigte den Speerstich des Soldaten noch vor seinem Tode am Kreuze erhalten habe (vgl. den 13. Gesang des Paradieses). John faßt seine längeren Ausführungen zu diesem Thema zusammen: „Wir dürfen Dante wegen seiner versteckten Opposition gegen das Vienner Konzil nicht übereilt zu einem formellen Häretiker stempeln. Das ändert nun freilich auf der anderen Seite nichts daran, daß sein Widerspruch gegen dogmatische Lehrentscheidungen seinem Wesen nach wirkliche Häresie bedeutet.“
Jedoch soll hier nicht in das schwierige Feld der „Divina Commedia“ eingedrungen werden, wenden wir uns wieder der Enzyklika und deren Pointe zu. Denn nach dem kurzen Hinweis auf das dreiteilige Gedicht zitiert der Papst zum erstenmal Dantes „De Monarchia“, und zwar aus dem brisanten vierten Kapitel des dritten Buches: „denn sind auch die Schreiber der göttlichen Verkündigung viele, einer ist doch nur, der sie eingibt: Gott, der uns seinen Ratschluß durch die Feder von vielen zu entfalten geruht hat.“ Ein sehr langer Abschnitt der Enzyklika dient nun der Bestätigung, daß Dante die Autorität des Papstes und der katholischen Kirche anerkannt hat. Fürwahr, nicht zu bezweifeln, doch auch Papst Benedikt weiß, daß hier nicht das Problem liegt, er zitiert einige Belege zur Stützung der Kirchen- und Papsttreue Dantes als vorsichtige Vorbereitung der nun folgenden Erörterung des Kernproblems. Dante ist der Auffassung, die imperiale Autorität käme dem Herrscher direkt von Gott zu, also nicht durch die Übermittlung des Papstes. Benedikt erwähnt diese These und gibt ihr die richtige katholische Deutung, die sowohl von antikatholischen, selbsterklärten Nachfolgern Dantes als auch von klerikalen Gegnern Dantes gerne unterschlagen wird, indem er den Schlußabsatz der „Monarchia“ zitiert: „In dieser letzten Frage freilich ist die Wahrheit nicht so eng zu verstehen, daß der römische Fürst nicht in manchem dem römischen Priester untertan sei, da sich diese sterbliche Glückseligkeit irgendwie nach der unsterblichen Glückseligkeit richtet.“ Freilich bleibt also der Caesar dem Petrus unterworfen, in einer Ergebenheit, „wie sie der erstgeborene Sohn für den Vater zeigen soll“. Dadurch fällt auch ein Licht der väterlichen Gnade (also des Papsttums) auf den Herrscher, der jedoch einzig von dem Alleinherrscher Gott in seine zeitliche Herrschaft eingesetzt wurde (zu ergänzen: so wie der Papst vom Alleinherrscher über alles Geistliche zu herrschen eingesetzt wurde). So schließt Dantes „Monarchia“ mit diesem Kernsatz des katholischen Ghibellinentums, das von Papst Benedikt XV. in diesem Jahrhundert ausdrücklich gutgeheißen wurde!
Hier verlassen wir die Enzyklika und betrachten die „Monarchia“ näher. In den Worten Wolfram von den Steinens ist „die Monarchia ein Werk der strengsten Wissenschaft, lateinisch geschrieben, dem stolzen Gedanken des Kaisertums dienend, dem Dante so viele Mühe geopfert hat. Fast von allem Persönlichen und Zeitlichen gelöst, mit unbeirrbarem Ernst ewigen Gesetzen nachspürend, läßt sie von vornherein und immer wieder den erhabensten Eindruck: das philosophische Beistück des großen Gedichts [der Göttlichen Komödie].“ Es kann hier nicht das gesamte Werk nachgezeichnet oder gar erörtert werden, das eigentliche Thema der „Monarchie“, das Verhältnis von zeitlicher (= weltlicher) und geistlicher Herrschaft, faßt Dante aber in ein bekanntes Bild, das von Sonne und Mond: Die Sonne ist die geistliche Macht, also die Kirche und vor allem das Papsttum – der Mond die weltliche Macht. Dante bestreitet nicht, daß der Mond das Licht von der Sonne empfängt – wie könnte er dies auch. – Er sagt jedoch: „Mag der Mond kein reichliches Licht haben, außer daß er es von der Sonne empfängt, so folgt deshalb nicht, der Mond selbst sei von der Sonne. Was das Sein angeht, so hängt nirgendwie der Mond von der Sonne ab, und auch nicht, was die Kraft angeht, noch was die Tätigkeit schlechthin angeht: denn seine Bewegung ist von einem eigenen Beweger, sein Einfluß ist von seinen eigenen Strahlen. Doch was das bessere und wirksamere Tun angeht, so empfängt er etwas von der Sonne: das reichliche Licht, nach dessen Empfang er wirksamer tätig ist. So also sage ich, daß das zeitliche Reich nicht das Sein vom geistlichen empfängt, noch auch die Kraft – und das ist seine Geltung – noch auch die Tätigkeit schlechthin; wohl aber empfängt es von ihm das, daß es wirksamer tätig sei durch das Licht der Gnade, die im Himmel und auf Erden der Segen des höchsten Priesters über ihm ausgießt.“ (De Monarchia, III, 4.)
Priestertum und Kriegertum als Träger, Sonne und Mond, sind einerseits unabhängig voneinander von dem Einherrscher (Monarchen) des Himmels und der Erde eingesetzt, andererseits verhalten sie sich zueinander – in den Worten Leopold Zieglers – „wie sich die großen Mysterien zu den kleinen verhalten“.
Es muß klar festgehalten werden: es geht hier nicht um ein „goldenes Mittelmaß“ oder um einen „Kompromiß“. Es geht um die ontologische Wahrheit, daß es zwei Naturen gibt, von der sich alle weiteren Zweiteilungen, wie sie in der Zwei-Schwerter-Lehre variiert werden, ableiten. Baron Julius Evola faßt sie in den Eingangssätzen der „Rivolta contra il mondo moderno“ für die heutige Zeit so zusammen: „Um den traditionellen Geist und seine Verneinung, die moderne Welt, zu verstehen, muß man von einem grundsätzlichen Punkte ausgehen: von der Lehre über die beiden Naturen. Es gibt eine physische Ordnung und eine metaphysische Ordnung. Es gibt eine sterbliche Natur und eine Natur des Unsterblichen. Es gibt das Höhere des Seins und das Niedrigere des Werdens. Allgemeiner: es gibt ein Sichtbares und Berührbares, und, vor und jenseits von ihm, ein Unsichtbares und Unberührbares als Überwelt, Prinzip und wahres Leben.“ Um diese Unterscheidung wiederherzustellen, ist das Licht in die Welt gekommen, um das Schwert zu bringen (Mt. 10,34).
Um sich dem Schmerz zu entziehen, den dieser Schwerthieb durch jeden einzelnen zieht, entwickeln sich die falschen Kurzschlüsse, die häretischen Lehren, die gegeninitiatischen Praktiken. Diese leugnen nämlich entweder jeden Zusammenhang zwischen den beiden Naturen, oder sie setzen sie gleich. Beides ist bequem. Im ersten Fall erklärt man, die Übernatur brauche sich um die Natur gar nicht erst zu kümmern, es gäbe keine Sünde, wenn man sich nur in diese Überwelt zurückzieht, dies ist der Gnostizismus (den wir begrifflich streng von der wahren Gnosis, wie sie das Johannesevangelium und auch Dante repräsentieren, trennen!) in seinen tausend Spielarten. Ebenso bequem ist es, einfach alles als Ausdruck der Übernatur zu erklären, in der verführerischen Form des Pantheismus und Spiritualismus (Alles ist Geist) und in der vulgären Form des Materialismus und Naturalismus (Alles ist Natur). Auch hier ist alles erlaubt – anything goes! –, allerdings nicht, weil der wahre Geist völlig von der falschen Materie getrennt ist, sondern weil Geist und Materie nicht mehr unterschieden werden.
Nicht bequem, aber dennoch einfach, ist die Wahrheit: Es gibt beide Naturen, wir müssen sie trennen: „Wer kein Schwert hat, der verkaufe seinen Beutel und kaufe ein Schwert“ (Lk. 22, 36). „Sie aber sprachen: Herr! Siehe, hier sind zwei Schwerter“ (Lk. 22, 38). Das Paradies liegt im Schatten der Schwerter: der Aufstieg des einzelnen von der Natur zur Übernatur muß ebenso erkämpft werden wie der Abstieg, der Ausfluß der übernatürlichen Gnade in die Welt. Für beide Wege gibt es ein Schwert: das weltliche Schwert des Reiches, der Verwirklichung der Übernatur in der Welt des Werdens, dies das kleine Mysterium – und das geistliche Schwert der Kirche, die sich um den Aufstieg der Seelen in die höhere Welt, die Initiation in die Welt des Seins, kümmern soll, dies das große Mysterium. Auch die Seele des Herrschers soll in die höhere Welt, den Himmel, aufsteigen, und für sein Seelenheil ist die geistliche Autorität zuständig, das kann er nicht aus eigenem Licht. Da er nicht nur ein einfacher Mensch ist, wirkt sein Seelenheil auch auf das der ihm anvertrauten Völker zurück. Seine Herrschergewalt, sein Schwert, hat er jedoch ebenso unabhängig erhalten wie die Kirche ihr geistliches Schwert! Dies ist unsere Fassung des ghibellinisch-katholischen Credos.
Der Herrscher, von dem hier ständig die Rede ist, ist natürlich als Reichsherrscher der Kaiser, jedoch irrt in einer sehr dummen Weise, wer annimmt, daß mit der Abschaffung der Kaiser und Könige und der Erfindung des säkularisierten Staates auch die Frage nach dem Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht abgeschafft wäre. Man schafft Probleme nicht aus der Welt, indem man die Lösung abschafft! Die Revolutionäre und Reformatoren haben die Probleme nur verdunkelt und damit nicht nur schwieriger sichtbar, sondern auch unlösbar gemacht.

Evola, Julius: Erhebung wider die moderne Welt; Stuttgart / Berlin, 1935
John, Robert L.: Dante; Wien, 1946
Steinen, Wolfram von den: Dante, Die Monarchie [Reihe: Heilige und
Helden des Mittelalters]; Breslau, 1926
Ziegler, Leopold: Menschwerdung, I. Band; Olten, 1948; vor allem: S. 371 ff.

 
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