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Anti-Wehrmachtsausstellung in neuem Gewande

Von Franz W. Seidler

Die hohe Kunst des Weglassens

Im April kommt sie auf Einladung des Wiener Kulturstadtrates Mailath-Pokorny wieder in die Bundeshauptstadt: Die Anti-Wehrmachtsschau des Jan Philipp Reemtsma, diesmal unter dem Titel „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944“. Der folgende Beitrag ist mit freundlicher Genehmigung dem „Ostpreußenblatt“ entnommen und wurde noch vor Vorliegen des mittlerweile erschienenen Kataloges verfaßt, behandelt also die allgemeine Tendenz der Ausstellung, ohne auf eventuelle konkrete Fehler eingehen zu können. Der Autor war Professor für Militärgeschichte an der Bundeswehr-Universität München.

Wie bei der Anti-Wehrmachts-Show „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945“, die Hannes Heer zu verantworten hatte, geht es auch hier darum, zu demonstrieren, daß die Wehrmacht im Balkanfeldzug von April bis Mai 1941 und während der folgenden Besatzungszeit sowie im Rußlandfeldzug von Juni 1941 bis zur Räumung des Landes im August 1944 eine Fülle ungeheurer Völkerrechtsverstöße beging und an der Ermordung der Juden direkt und indirekt beteiligt war.
Um den verbrecherischen Charakter der Wehrmacht deutlich zu machen, werden drei Akzente gesetzt. Zum einen wird von den Befehlen ausgegangen, die das Oberkommando der Wehrmacht im Auftrag Hitlers erließ. Es wird unterschlagen, daß bereits auf der folgenden Befehlsebene der Wehrmachtteile der Widerstand dagegen begann, der sich auf den folgenden Befehlsebenen fortsetzte. Zum zweiten wird auf die angeblich gute Kooperation zwischen den Dienststellen der SS und der Wehrmacht verwiesen und nur ungenügend deutlich gemacht, wieviel Widerstand in der Truppe gegen die Erschießungsaktionen von Gestapo und Sicherheitsdienst geleistet wurde. Zum dritten werden die Gründe bagatellisiert, die die deutschen Truppen zu harten Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten veranlaßten.
Jan Philipp Reemtsma nahm das Gutachten der von ihm zusammengestellten Kommission zur Überprüfung der vorangegangenen Ausstellung als Votum dafür, eine neue zu organisieren. Eigentlich stand von vorneherein fest, wie sie argumentieren würde, denn die Kommission war ganz und gar nicht unabhängig, obwohl sie behauptete, das zu sein. Mindestens drei Mitglieder, die die Ausstellung mit Vorträgen und Ratschlägen wohlwollend begleitet hatten, waren befangen. Niemand machte Reemtsma darauf aufmerksam, wie viele sachliche Fehler und Falschaussagen der Bericht enthielt.
Da die Kommission die Grundaussagen der vorangegangenen Ausstellung als in „der Sache nach richtig“ bezeichnete und meinte, sie entspreche „in ihrer Substanz dem internationalen Forschungsstand“, wurde mit großem Aufwand an Personal und Geld ein neues Unternehmen mit gleicher Tendenz gestartet.
Etwa zur gleichen Zeit, in der die neue Ausstellung eröffnet wurde, beschloß der Deutsche Bundestag, deutsche Truppen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zur Verfügung zu stellen. Die Enkel der Männer, die als deutsche Soldaten Greueltaten unvorstellbaren Ausmaßes begangen haben sollen, werden in einen schmutzigen Krieg verwickelt, dessen Umfang und Dauer heute noch niemand kennt. Sollten Tapferkeit, Mut und Umsicht in extremen Situationen von ihnen verlangt werden, könnte ihnen das, was ihre Großväter unter Angst, bei Kälte, mit Hunger leisteten, eher Vorbild sein als Abschreckung. Insofern ist diese Ausstellung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal politisch korrekt.
Der Rundgang durch die drei Ausstellungsräume macht deutlich, daß ausstellungstechnisch kein Aufwand gescheut wurde. Um die Anstößigkeiten der alten Ausstellung auszumerzen, beschränkt sich das Fotomaterial auf exemplarische Beispiele, deren Herkunft zurückverfolgt werden konnte. Quellenzitate und -interpretationen stehen im Vordergrund. Viele Befehle werden im Original abgedruckt. Es gibt weniger anzuschauen als zu lesen. Das Faszinosum der Greuelfotos ist auf wenige Beispiele reduziert. Bei den Texten aus der Sekundärliteratur werden die Quellen angegeben, so daß Irrtümer auf die Autoren zurückfallen, beispielsweise auf die Statistiken von Streit. Die Ausstellungsmacher können nur gefragt werden, warum sie gerade diesen oder jenen Autor zitieren und keinen anderen. Wahrscheinlich weil die genannte Quelle besser ins Ausstellungskonzept paßt. Wissenschaftliche und statistische Kontroversen gehören wohl nicht in eine Ausstellung, die ein plakatives Ziel hat. Aber sie existieren in Wirklichkeit und sind das Salz der Wissenschaft.
Die sechs Kapitel der Ausstellung – „Völkermord“, „Sowjetische Kriegsgefangene“, „Repressalien und Geiselerschießungen“, „Deportationen und Zwangsarbeit“, „Partisanenkrieg“, „Ernährungskrieg“ – sind von unterschiedlichem Gewicht und Umfang. Alle enthalten kritische Punkte. Es wurden vielerlei Fehler entdeckt. Sie werden aufgegriffen, sobald anhand von Texten argumentiert werden kann.
Am einfachsten lassen sich Tendenz und Fehlerhaftigkeit vorläufig am Kapitel „Partisanenkrieg“ demonstrieren. Ist es nicht kennzeichnend, daß ganz vergessen wurde zu definieren, was 1941 der völkerrechtliche Status eines Freischärlers war? Es genügt nicht zu sagen, was den regulären Soldaten zum Kombattanten macht, man muß auch sagen, was den Partisanen zu einem Kämpfer außerhalb jeder Rechtsordnung macht. Die Anlage zur Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 spricht allen Kriegführenden den Kombattantenstatus ab, wenn sie folgende Bedingungen nicht erfüllen: „1. daß jemand an ihrer Spitze steht, der für seine Untergebenen verantwortlich ist, 2. daß sie ein bestimmtes aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen, 3. daß sie die Waffen offen führen und 4. daß sie bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges beachten.“ Waffenträger, die diese Bedingungen nicht ingsgesamt erfüllten, waren nach internationalem Recht bei der Gefangennahme dem Sieger auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Zum mindesten hatten die meisten gegen die letztgenannte der vier Forderungen verstoßen. Da Partisanen nach der Art ihres Kampfes grundsätzlich keine Gefangenen machten, d. h. regelmäßig gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges verstießen, konnten sie auch dann hingerichtet werden, wenn alle anderen Voraussetzungen erfüllt waren. Die Nürnberger Richter bestätigten im Prozeß gegen die Südost-Generale 1946, daß sich Zivilisten nicht am Kampf beteiligen dürfen. Partisanen, die der Haager Landkriegsordnung nicht entsprachen, waren ohne Rechtsschutz. Daß Festgenommene „im Verhör routinemäßig geschlagen, gefoltert, im sogenannten strengsten Verhör anschließend getötet“ werden sollten, kann nur eine einzelne und untypische Anordnung sein.
Dem Besucher wird durch derartige definitorische Manipulationen nicht deutlich, daß es die Partisanen waren, die außerhalb des Völkerrechts standen, und nicht die deutschen Soldaten, die gegen die Partisanen vorgingen. Daran ändert auch der Ausspruch Hitlers nichts, der 1942 darauf drängte, den Kampf gegen die Partisanen „mit den allerbrutalsten Mitteln“ zu führen. Bereits mit dem Kriegsgerichtserlaß im Barbarossabefehl vom 13. Mai 1941 war angeordnet worden, daß Partisanen nicht mehr einem Kriegsgericht zu überantworten waren, wie es die bis dahin gültige „Verordnung über das Sonderstrafrecht im Krieg und bei besonderem Einsatz“ (KSSVO) vom 17. August 1938 zwingend vorgeschrieben hatte. Mit dieser Bestimmung war Deutschland das einzige Land gewesen, das die Bestrafung von Freischärlern einem Standgerichtsverfahren vorbehielt. Alle anderen Nationen hatten die Bestrafung von Partisanen den ungeschriebenen Normen des Völkergewohnheitsrechts überlassen, die weder Prozedur noch Strafmaß festlegten. Erst jetzt, vor dem Beginn des Rußlandfeldzugs, reihte sich das Deutsche Reich wieder in die Praxis der anderen ein. Die Wehrmacht wurde von den über das Völkergewohnheitsrecht hinausgehenden Verpflichtungen entlastet. Nach Kriegsbrauch konnte somit fortan jeder Freischärler ohne gerichtliches Verfahren erschossen werden. Damit entfiel auch das dritte der „Zehn Gebote des deutschen Soldaten“, die jeder Rekrut zu lernen hatte: „Es darf kein Gegner getötet werden, der sich ergibt, auch nicht der Freischärler oder Spion…“ Der für das Rechtswesen im Kriegsheer zuständige General z.b.V. Müller legte zusätzlich fest, daß im Zweifelsfall auch Verdächtige und „Bandenhelfer“ zu den Partisanen zu rechnen seien, also Leute, die deren Nachschub organisierten, für sie spionierten, falsche Auskünfte gaben, Brände legten etc.
Die Verantwortung für die Behandlung von Partisanen war damit der Militärgerichtsbarkeit entzogen und in die Hände von Offizieren gelegt, die in Extremsituationen über Tod und Leben zu entscheiden hatten. In vielen Fällen ging ihnen die Sicherheit ihrer Untergebenen, mit denen sie Kameradschaft und Treue verband, über das Leben von verdächtigen gefährlichen Personen. Nach dem Krieg standen einige deshalb vor Gericht.
Wenn behauptet wird, daß die Partisanen in den ersten Kriegsmonaten „keine militärische Bedeutung erlangten“, läßt sich streiten, was darunter zu verstehen ist. Die Meldungen der Armeen sind bereits ab Juli 1941 voll von Berichten über die Störungen der Nachschubwege durch die sowjetischen Partisanen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß die Partisanenbewegung bereits vor dem deutschen Angriff im Rahmen von Osoviachim-Übungen vorbereitet worden war. Da bereits in den ersten Kriegstagen Gruppen von Zivilisten als Kämpfer auftauchten, war man auf der deutschen Seite überzeugt, daß der NKWD für den Partisanenkrieg einen Organisationsplan vorbereitet hatte. Die Aufrufe des Zentralkomitees der KPdSU vom 29. Juni 1941 und Stalins am 3. Juli 1941 lösten die vorbereiteten Maßnahmen lediglich aus.
Schon an den Stellwänden wird deutlich, daß Reemtsmas „neue“ Ausstellung darauf abzielt, die Wehrmacht zu diskriminieren, wo immer es geht. Bei der Darstellung ihrer Greueltaten wird immer wieder auf die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen hingewiesen, obwohl die Erschießung von Geiseln im Verhältnis eins zu zehn gewohnheitsrechtlich akzeptiert war und auch von den Alliierten höhere Quoten bis zum Verhältnis von eins zu zweihundert angedroht wurden. Es wird nicht darauf hingewiesen, daß die Verhängung von Repressalien auch in der Wehrmacht reguliert war.
Da es der Zweck der Repressalien war, der Bevölkerung klarzumachen, daß die Besatzungsmacht keine Völkerrechtsverletzungen oder Verstöße gegen ihre Anordnungen hinnehmen werde, mußte bei der Frage, welche Repressalien anzuwenden waren, die Situation am Ort berücksichtigt werden. Die deutsche Heeresdienstvorschrift 2 g besagte beispielsweise: „Bei der Auswahl von Geiseln wird zu beachten sein, daß ihre Festnahme nur dann in Frage kommt, wenn die aufsässigen Teile der Bevölkerung ein Interesse am Leben der Geiseln haben. Die Geiselnahme wird nur auf solche Personen anzuwenden sein, von denen anzunehmen ist, daß ihr Schicksal die Aufrührer beeinflussen wird.“
Wenn eingewendet wird, das sei eine Papierbestimmung und die Realität sei weit davon entfernt gewesen, dann darf man auch nicht davon ausgehen, daß die verbrecherischen Befehle – Barbarossabefehl, Kommunistenbefehl, Kommissarbefehl – so ausgeführt wurden, wie sie auf dem Papier standen.
Für die Ausstellungsmacher ist völlig klar: Die Deutschen mordeten „auf brutale Weise wahllos Männer, Frauen und Kinder“. Sie verübten „Massaker“. Die Partisanen waren ehrenwerte Widerstandskämpfer. Daß auch sie ganze Dörfer ausrotteten und in Asche legten, ist nicht erwähnenswert.
Ein weiteres Beispiel dafür, daß den Deutschen mit aller Kraft Unverhältnismäßigkeit bei ihren Maßnahmen nachgewiesen werden soll, ist die Schilderung des Falls Pancevo im April 1941 in Jugoslawien. Abgesehen davon, daß die wenigen Sätze dem Problem nicht gerecht werden, wird in der Ausstellung erzählt, daß als Vergeltung für den Tod „mindestens“ eines deutschen Soldaten, der „unbekannten Tätern“ zum Opfer fiel – in Wirklichkeit waren es vier –, bei den folgenden Razzien sogar ein Junge gefangengenommen wurde, der den „Paradesäbel seines Vaters verstecken wollte“.
Von anderen Gefangengenommenen wird nicht erzählt. Kein Wort davon, daß die Frau, die den „unbekannten Tätern“ in ihrer Gastwirtschaft Unterschlupf gab, unter dem Verband am Unterarm eine Pistole verborgen hatte oder daß sich die Partisanen, die auf deutsche Soldaten geschossen hatten, in einer Friedhofsgruft versteckt hatten. Die Partisanen werden geschont, die Deutschen verteufelt. Da verwundert es nicht mehr, daß die neun Volksdeutschen, die am Gerichtstag beerdigt wurden, von der jugoslawischen Armee nicht ermordet worden waren, sondern „getötet worden sein sollen“, als ob dieses Faktum nicht eindeutig bewiesen wäre.
Wenn die Verwüstungen geschildert werden, welche die deutschen Truppen bei ihren Rückzügen in der Sowjetunion anrichteten, fehlt der Hinweis, daß die Politik der verbrannten Erde von der Roten Armee bei ihren Rückzügen 1941 vorexerziert wurde. Der Besucher soll mit dem Eindruck nach Hause gehen, daß so etwas nur die Wehrmacht tut und sonst niemand.
Die historische Wahrheit sieht anders aus: Am 1. Juli 1941 befahl das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Weißrußlands wie das der anderen westlichen Bezirke auf Weisung aus Moskau, „Straßen und Brücken zu sprengen oder zu beschädigen, Treibstoff- und Lebensmittellager, Kraftfahrzeuge und Flugzeuge anzuzünden …“, und Stalin sagte in seiner berühmten Rundfunkrede vom 3. Juli 1941, daß den deutschen Invasoren alles zu entziehen sei, was ihnen nützen könne. „... dem Feind darf keine einzige Lokomotive, kein einziger Waggon, kein Kilogramm Getreide, kein Liter Treibstoff überlassen werden. Die neu gegründeten Divisionseinheiten sollten Straßen und Brücken unbrauchbar machen, Telefon- und Telegraphenverbindungen zerstören und Wälder niederbrennen.
Mit solchen Maßnahmen wurde nicht nur den deutschen Truppen die „Ernährung aus dem Land“ unmöglich gemacht, sondern auch der Zivilbevölkerung die Lebensgrundlage entzogen. Marschall Timoschenko rief am 6. August 1941 sogar die Bevölkerung in den bereits von Deutschen besetzten Gebieten auf, Häuser und Wälder anzuzünden, damit der Feind kein Unterkommen findet. Wo man den Dorfbewohnern mißtraute, wurden Vernichtungskommandos aus Kriminellen zusammengestellt, die keine Skrupel hatten, wie im Dorf Sjenno bei Witebsk. Von den Anstrengungen, welche die deutsche Besatzungsmacht unternahm, um in den verwüsteten Gebieten nicht nur die Soldaten, sondern auch die Zivilbevölkerung zu ernähren, ist in der Reemtsma-Ausstellung nichts zu finden. Der Wiederaufbau des von der Roten Armee gesprengten Kraftwerks Saporoschje bis Ende 1942 zur Energiegewinnung für das ganze Donezbecken ist ebensowenig einer Erwähnung wert wie die Wiederherstellung anderer industrieller und landwirtschaftlicher Anlagen, die nicht nur der Besatzungsmacht zugute kamen, sondern auch den Einheimischen.
Angesichts dieser Schwarz-Weiß-Malerei verläßt man die Ausstellung mit Unbehagen. Der Wahrheit wäre mit einer Ausstellung gedient, welche die Völkerrechtsverbrechen aller Kriegführenden des Weltkriegs darstellt. Dann würde deutlich, wie ausgewogen das Maß an Grausamkeiten gegen Soldaten und Zivilisten auf beiden Seiten war.

 
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