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Reichsdeputationshauptschluss 1803

Von Martin Möller

Der Todesstoß für’s alte Deutschland

Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 steht im Schatten der vorangegangenen Ereignisse (Französische Revolution, Revolutions- und Koalitionskriege) und der auf ihn folgenden Ereignisse (Ende des Imperium Romanum, napoleonische Herrschaft über Europa, Wiener Kongreß). Für Deutschland hatte dieser Selbstzerstörungsakt eine Bedeutung, die den Wiener Kongreß bei Weitem übersteigt und dessen Folgen bis heute nicht überwunden sind.

Wie sah es in Deutschland zu dieser Zeit aus? In einer Kette von rechtswidrigen, gegen seine Ostgrenzen vorgetragenen Angriffskriege hatte Frankreich alle Reichsgebiete links des Rheins sowie die niederländische Republik okkupieren können. Die deutschen Staaten waren durch den revolutionären Vernichtungswillen paralysiert. Die Bedrohung von Recht und Freiheit durch die Revolutionäre, die Angst, die sie überall verbreiteten, raubte den deutschen Fürsten die Kraft, sich zu den notwendigen Entschlüssen durchzuringen. Preußen blieb dem Zweiten Koalitionskrieg fern, der so sein Ziel einer Eindämmung des französischen Vernichtungswillens nicht erreichen konnte. In den Friedensschlüssen von Campo Formio und Lunéville hatte das Reich auf sämtliche linksrheinischen Territorien verzichten müssen. Frankreich legte Wert darauf, daß die betroffenen Fürsten rechtsrheinisch entschädigt werden, obwohl es im Reichsrecht dafür nicht die geringste Grundlage gab.
In dieser Situation wurde der Reichstag des Imperiums von Frankreich gezwungen, einen Ausschuß, Deputation genannt, einzusetzen, dem es zur Aufgabe gemacht wurde, die Verhältnisse im Reich zu gestalten und eine den französischen Wünschen entsprechende Neuordnung vorzunehmen. In der Deputation waren Österreich, die Kurfürstentümer Mainz, Sachsen und Brandenburg, das Herzogtum Bayern mit der Pfalz, das Herzogtum Württemberg, die Grafschaft Hessen (Kassel), der Hoch- und Deutschmeisterorden und andere Reichsstädte vertreten. Das ohne die geringste Rechtsgrundlage vorgelegte Ergebnis der Arbeit der Deputation konnte nur deshalb als „Hauptschluß“, das heißt Reichsgesetz, exekutiert werden, weil die Verfassungsorgane des Imperiums, Kaiser, Reichstag und Reichshofrat gezwungen wurden, an ihrer Selbstentmachtung mitzuwirken.
Das vorgebliche Ziel einer Entschädigung bestimmter Fürsten geriet im Laufe der Arbeit mehr und mehr aus dem Blickfeld der Deputation, die zum Bereicherungsinstrument bestimmter, von Frankreich benannter Reichsfürsten wurde. Die geistlichen Fürstentümer des Imperiums wurden mit Aunahme von Mainz, das territorial erheblich reduziert wurde, aufgehoben, fast das gesamte Reichskirchengut, Ergebnis von Jahrhunderten deutscher Frömmigkeitsgeschichte, wurde säkularisiert (d.h. geraubt) und hunderte Reichsstädte und andere Stände mediatisiert, also in die benachbarten Fürstentümer eingegliedert. Lediglich Hamburg, Lübeck, Bremen, Frankfurt, Nürnberg und Augsburg blieben als Reichsstädte erhalten, die geistlichen Ritterorden und die Reichsritterschaft verloren ihre reichsrechtliche Grundlage.
Die Macht des Reiches wurde auch durch erhebliche Eingriffe in die Kurverfassung beeinträchtigt, da fünf neue Kurwürden für die Reichsstadt Regensburg, für Baden, für Württemberg, für Hessen-Kassel und für das nunmehrige Fürstentum Salzburg geschaffen wurden. Da die Kurwürden Triers und Kölns bereits in der französischen Aggression de facto untergegangen waren und Salzburg durch die Deputation säkularisiert wurde, war die tausendjährige Tradition der geistlichen Kurfürstentümer, die erheblich zur Stabilität und zur inneren Rechtsverfassung des Imperiums beigetragen hatten, fast völlig erloschen. Von nun an sollten geistliche Staaten als obsolet gelten und der ordinäre Flächenstaat mit seinen verheerenden Auswirkungen auf Gemeinwesen und Kultur trat seinen zweifelhaften Siegeszug auch auf dem Gebiet des Imperium Romanum an.
Durch den Wegfall der Kurfürstentümer und die Aufhebung unzähliger Bistümer, Abteien und weiterer katholischer Reichsstädte wurde eine über tausendjährige katholische Dominanz des Imperiums beendet, angesichts der ungeheuren Verluste auch durch die verschiedenen Säkularisierungswellen muß von einer aufklärerisch-säkularisatorischen Kulturrevolution geredet werden, die das geistige und politische Angesicht Deutschlands schwer verunstaltete. Welche kulturellen und religiösen Werte damals binnen weniger Jahre vernichtet wurden, wird niemals benannt werden können. Bei der Beurteilung des Reichsdeputationshauptschlusses ist auch zu berücksichtigen, daß der Boden für die weiteren Zerstörungswellen des 19. und 20. Jhdts. sorgfältig bereitet wurde.
Die großen Gewinner der Deputationsmauschelei waren Preußen, Bayern, Württemberg und Baden, die keine Skrupel hatten, sich – gedeckt von Frankreich – auf Kosten des Kirchen- und Reichsgutes zu vergrößern. Das Kurfürstentum Bayern der Wittelsbacher Herzöge gewann beispielsweise die Stifte und Erzstifte Eichstätt, Freising, Passau und Bamberg; neben anderen die Reichststädte Lindau, Kempten, Nördlingen, Rothenburg und Schweinfurth, später kamen auch noch Würzburg, Aschaffenburg, Regensburg, Augsburg und vieles anders hinzu. von den ungezählten aufgehobenen und beschlagnahmten Klöstern kann an dieser Stelle nicht die Rede sein, da dieser Vorgang der anständigen Klostersäkularisierung eigenständige Dimensionen aufwies.
Württemberg konnte sein Territorium auf mehr als das Doppelte vergrößern, Ulm, Reutlingen, Heilbronn und Hohenlohe hatten vorher keinesfalls zu dieser traditionsreichen Grafschaft gehört. Daß die begünstigten Herrschaften nicht protestierten, als drei Jahre später Kaiser Franz II. rechtswidrig die Kaiserkrone und die Krone des Deutschen Königs niederlegte, leuchtet unmittelbar ein. Die von Napoleons Gnaden erworbene Königswürde war auch einem Haus Wittelsbach näher als der Kurhut des Reiches, von dem es einst seine Würde und Größe bezogen hatte.
Durch diesen Gesetztesakt, dem der Willkürcharakter allzu deutlich ins Gesicht geschrieben war, wurde die Reichs
treue, für die überwiegende Mehrheit der Bürger bis dahin selbstverständliches Daseinsgrundlage, nachhaltig erschüttert und damit das sichere Rechts- und Lebensgefühl, aus dem 1000 Jahre deutscher Kultur- und Geistesgeschichte erwachsen waren.
Nicht zuletzt den Reichsdeputationshauptschluß dürfte Julius Mosen in Erinnerung gehabt haben, als er in Erinnerung an Andreas Hofer, den Freiheitskämpfer, der für die Reichsfreiheit seiner Heimat stritt, schrieb: „Doch als aus Kerkers Gittern im Festen Mantua die treuen Waffenbrüder die Händ’ er strecken sah, da rief er laut: „Gott sei mit Euch, mit dem verrat’nen deutschen Reich und dem Land Tirol!“

 
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