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Der Arbeiter und Julius Evola

Von Martin Schwarz

Jüngers Buch im Denken der Tradition


Am 17. November 1953 wandte sich Julius Evola in einem Brief an Ernst Jünger: „Verehrter Herr! Mein Name dürfte Ihnen bekannt sein, weil ich (vielleicht durch Vermittlung von Dr. Mohler) unlängst ein gewidmetes Exemplar von ‚Heliopolis‘ erhalten habe und auch weil wir im Reich viele gemeinsame Bekannten hatten (z.B. Prof. C. Schmitt und Frh. von Gleichen).“ Evolas Anliegen war es, die Erlaubnis für die Übersetzung des 1932 erschienenen Werkes „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ zu erhalten. Evola: „Wegen der Analogie der ersten mit der zweiten Nachkriegszeit ist m. E. die in jenem Buch entworfene Problematik wieder aktuell (übrigens die Lösungen, die man in der Zwischenzeit im Reich und in Italien zu finden geglaubt hatte, waren zum größten Teil nur Scheinlösungen, Ersätze und Konjunkturerscheinungen. Ich glaube also, daß das Buch heute noch eine ‚erweckende‘ Wirkung ausüben könnte).“ Jünger lehnte ab. An nichts konnte er in diesen Jahren weniger interessiert sein als an eine wie auch immer geartete Erinnerung an sein „problematischstes“ Werk. Sein Ansinnen bestand in diesen Jahren in erster Linie darin, sich im bundesrepublikanischen Geistesleben neu einzurichten.

Evola übersetzte 1965 schließlich „An der Zeitmauer“. Anstelle der Übersetzung des „Arbeiters“ trat jedoch sein Buch „Der ‚Arbeiter‘ im Denken Ernst Jüngers“, das 1960 erscheinen konnte und das als eine zusammenfassende Auslegung von Jüngers Buch gelesen werden kann. Für die Jünger-Forschung bietet der Band wenig – dafür hat er für das Werk Evolas Bedeutung. Francesco Cassata („A destra del fascismo. Profilo politico di Julius Evola”, Turin 2003) spricht von einer Symbiose Evola – Jünger in Italien, die sich nicht nur darin zeige, daß Evola ein Übersetzer und Hauptkommentator bzw. -propagator des Jüngerschen Werkes in Italien gewesen sei, sondern auch darin, daß er drei politisch-ideologisch relevante Aspekte mit Jüngers Werk gemeinsam bzw. von diesem übernommen habe:
-Die Rechtfertigung der Gewalt als Weg der spirituellen Verwirklichung.
-Die Ausarbeitung eines ethisch-anthropologischen, antibürgerlichen Modells: nämlich des „Kriegers“ und des „Arbeiters“.
-Die Überschreitung der Nullinie des Nihilismus auf der Basis einer Ethik des „heroischen Realismus“. Für Cassata symbolisiert „Der Arbeiter“ die Verbindung von traditionalistischer Fortschrittsfeindlichkeit und reaktionärem Modernismus. Für Evola wie auch für Jünger ist der „Arbeiter“ allerdings nur ein Durchgangsstadium, mit dem die „Überschreitung der Nullmeridians“ gerade erst begonnen hat.
Gibt Evola über weite Strecken dem Jünger’schen Gedankengang in destillierter Form und nur mit behutsamen eigenen Kommentaren wieder, bezieht er vor allem in den „Schlußbetrachtungen“, die etwa ein Zehntel des Buchumfanges ausmachen, auch selbst Position. Hier hebt Evola insbesondere auf die immer wieder auftauchende Doppelgesichtigkeit des „Arbeiters“ ab. Zum einen fügt sich Jüngers Buch aus der Sicht von Evola in die Sichtweise der Tradition von der „Involution der Geschichte“ und der „Regression der Kasten“. Es schildert den vielleicht entscheidenden Abschnitt dieser zyklischen Bewegung eindrücklicher als irgendein anderes Werk der Geschichtsphilosophie: Die Umwandlung der drei ursprünglichen Stände durch die Technik in die neue einheitliche Form des „Arbeiters“. Dies ist sozusagen die „negative Seite“, die „positive“ ist die Gegenüberstellung des „Arbeiters“ und des „Bürgers“, welcher selbst keine der drei traditionell geheiligten „Kasten“ repräsentiert. In beiderlei Hinsicht ist Jüngers Buch geradezu ein Lehrbuch für diejenigen Menschen, die sich gegen die moderne Welt stellen; es kann eine „erweckende“ Wirkung (wie Evola es in seinem Brief an Jünger nannte) ausüben. Darin ist dieses Buch den wichtigsten Werken Evolas ähnlich, für die gilt, was Carlo Terracciano mit Blick auf Evolas Werk „Revolte gegen die moderne Welt“ so prägnant auszudrücken wußte: „Es war für viele, relativ gesprochen, ein kathartischer Augenblick, ein völliger Wechsel der Perspektive, ein Ereignis, das dazu bestimmt ist, die Wahlmöglichkeiten eines gesamten Lebens aufzuzeigen.“ Der „Arbeiter“ Jüngers kommt den Intentionen Evolas nahe, wenn Jünger erklärt, dieses Buch könne „eine Ethik, eine Erziehung des Menschen vorschlagen (die sogar seine Lebenssubstanz beeinflußt), ein Stil und eine Weltanschauung, die, obwohl sie realistisch und entschieden antibürgerlich sind, trotzdem in bezug auf den Marxismus und Kommunismus entgegengesetzte Vorzeichen“ haben.

Der verwirklichte „Übermensch“

Der „Arbeiter“ ist niemand anderer als der verwirklichte „Übermensch“ Nietzsches, der die elementaren Mächte für ein überpersönliches Ziel „auf der Seins
ebene“ zu mobilisieren versteht, anstatt sie im ziellosen „Willen zur Macht“ anarchisch und zerstörerisch zu vergeuden. (Es sei jedoch dahingestellt, inwieweit Evolas „Überwindung des Übermenschen“ den Kern der Konzeption Nietzsches tatsächlich trifft.) In der Janusköpfigkeit des „Arbeiters“ (einerseits die Vernichtung der drei traditionellen Stände, andererseits der Überwinder auch des Bürgers, des eigentlichen Trägers der Neuzeit, und der Demokratie, des Kapitalismus und der Säkularisierung) erblickt Evola den Umschlagspunkt des Nihilismus, die finale Krise des „dunklen Zeitalters“ (kali-yuga), die den Umschwung hin zu einem neuen „goldenen Zeitalter“ (krta-yuga) einleitet. Der Kreis schließt sich – wir überschreiten die Null-Linie.
Die Verwandlung der Krieger, Priester und Bauern in „Arbeiter“ liegt unausweichlich in der Technik selbst (die auch von Evola, wie von vielen anderen kritisierte Bezeichnung „Arbeiter“ können wir an dieser Stelle dahingehend lösen, indem wir den „Techniker“ an seine Stelle setzen; allerdings kann auch diese Variante falsche Assoziationen auslösen.) Jünger erläutert dies sehr anschaulich: „Der wirkliche Soldat ergreift nur ungern die neuen Kriegsmittel, die die Technik ihm zur Verfügung stellt. In den modernen, mit den letzten technischen Mitteln gerüsteten Heeren, ficht nicht mehr ein ständiges Kriegertum, das sich dieser technischen Mittel bedient, sondern diese Heere sind der kriegerische Ausdruck, den die Gestalt des „Arbeiters“ sich verleiht. Ähnlich dürfte kein christlicher Priester darüber im Zweifel sein, daß in einer Ewigen Lampe, die man durch eine elektrische Birne ersetzt, keine sakrale, sondern eine technische Angelegenheit zu erblicken ist. Da es aber, wie wir sahen, rein technische Angelegenheiten gar nicht gibt, steht außer Frage, daß hier fremde Vorzeichen im Spiele sind. Daher besitzt dort, wo er das Reich der Technik mit dem Reiche Satans identifiziert, der Priesterstand noch tiefere Instinkte als dort, wo er das Mikrophon neben den Leib Christi stellt. Ebenso kann überall, wo der Bauer sich der Maschine bedient, von einem Bauernstande nicht mehr die Rede sein. Der Bauer, der statt mit Pferden mit Pferdestärken zu arbeiten beginnt, gehört keinem Stande mehr an. Er ist Arbeiter unter besonderen Bedingungen und wirkt ebenso an der Zerstörung der ständischen Ordnungen mit wie seine Vorfahren, die unmittelbar an die Industrie abgegeben sind. Die neue Fragestellung, lautet für ihn nicht weniger als für den Industriearbeiter, die Gestalt des Arbeiters zu vertreten oder unterzugehen.“

Überwindung des Individualismus

Die Technisierung der Welt richtet sich aber nicht nur gegen diese alten Formen, die eigentlich seit der Frühzeit der Menschheitsgeschichte existierten, sondern auch gegen den Einzelnen, sprich: gegen das Individuum. Der bürgerliche Individualismus wird von der Herrschaft eines Typus abgelöst. Dies wird von Evola wie von dem Ernst Jünger der dreißiger Jahre wie selbstverständlich begrüßt: „Der Typus übernimmt wieder das, was man an einem gewissen, menschlich aktiven und realistischen Vorbild billigen kann, einem Vorbild, das dem Kultus des Individuums fremd, fast asketisch, und immunisiert gegen die ‚bürgerliche Dekadenzdichtung‘ ist, einem Vorbild, das die linksextremistischen Ideologien schon angedeutet hatten, das aber klar vom Marxschen historischen Materialismus gelöst ist. Zugleich nimmt er auch einige Stilelemente auf, die sich bei gegensätzlichen, antikommunistischen und nationalen Strömungen der Weltrevolution [richtig übersetzt muß dieser Passus wie folgt lauten: „ …bei den antikommunistischen und nationalen, der Weltrevolution entgegengesetzten Strömungen“] gezeigt hatten, aber von nicht angemessenen und nicht ausgewerteten Mythen und Anhaltspunkten beeindruckt. Darin liegt vor allem die besondere Bedeutung des Buches von Jünger.“
Demgegenüber verfällt der „geläuterte“ Jünger der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf bürgerliche Standpunkte zurück. So spricht Evola von „einem seltsamen Wiederauftauchen von Werten, die der frühe Jünger gewiß als ‚bürgerlich‘ angeprangert hätte“. Generell spricht Evola davon, daß in den späteren Schriften Jüngers kaum noch die Grundsätze seines Werkes „Reiten auf dem Tiger“ wiederzufinden seien, „noch die Grundsätze zum Auffinden der Stelle, an der die Waffe angefaßt werden kann, nämlich da, wo sie nicht schneidet; noch die Grundsätze sich [ergänze: nicht] in Gebiete zu begeben, wo man sich verteidigt, sondern in jene, wo man angreift.“ Evola mußte in dieser Hinsicht bis zu seinem Tod vor dreißig Jahren (fast) alleine bleiben.
Vergangenes Jahr wurde nun also dieses Werk, das Ernst Jüngers theoretisches Hauptwerk in den Kreisen der antibürgerlichen Rechten Italiens einführen sollte, in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht – allerdings in Italien. Da ein großer Teil des Buches aus Zitaten Jüngers besteht, sollte die Aufgabe einer Übersetzung nicht übermäßig schwer sein, und da Evola zumeist die Reihenfolge des Gedankenganges beibehält, ist auch das Auffinden der Zitate nicht anstrengend. Um so bedauerlicher ist es, daß die Übersetzung nicht nur wenig gelenk, sondern oftmals auch irreführend und falsch ist. Dazu kommen eigenmächtige Hinzufügung von Veränderungen wie zusätzliche oder weggelassene Anführungszeichen bei Zitaten oder nur sinngemäße Zusammenfassungen von Jüngerschen Gedankengängen durch Evola, wodurch die Übersetzung praktisch unbrauchbar wird.


Julius Evola, Der „Arbeiter“ im Denken Ernst Jüngers. Aus dem Italienischen übersetzt von Dr. Anton D. Monaco und Ursula Rockser. Casa Editrice Le Rune, Milano 2003. 142 Seiten, Paperback mit Umschlag, 20 Euro.
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