Archiv > Jahrgang 2004 > NO III/2004 > Deutsche in Slowenien 

Deutsche in Slowenien

Von Reinhold Reimann

Die Alpenslawen – Vorfahren der heutigen Slowenen – siedelten seit dem frühen Mittelalter in den Ostalpen und im Karst. Um die Mitte des 8. Jahrhunderts riefen sie gegen die sie bedrängenden Awaren die Baiern zu Hilfe, in deren Abhängigkeit sie dann gerieten. Damit beginnt die gemeinsame deutsch-slawische Geschichte in diesem Raum – auch auf dem Gebiet der heutigen Republik Slowenien.

Während die bäuerliche Bevölkerung zunächst überwiegend slawisch war, wurde die politische und kirchliche Organisation zunehmend von den Deutschen bestimmt. Im 10. und 11. Jahrhundert wurden vermehrt deutsche Bauern (Baiern und Franken) angesiedelt, deutsche Märkte und Städte entstanden. Und während etwa in der Ober- und Mittelsteiermark und im Großteil Kärntens bis zum Ende des Mittelalters die Slawen im Deutschtum aufgingen, vollzog sich in der Untersteiermark und in Krain ein umgekehrter Prozeß: Deutsche Bauern gingen im Slowenentum auf, während Städte und Märkte überwiegend deutsch blieben.
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts siedelte das Kärntner Grafengeschlecht der Ortenburger – ihre Stammburg befand sich bei Spittal an der Drau – auf seinen bisher kaum bevölkerten Besitzungen an der kroatischen Grenze in Unterkrain deutsche Bauern aus Osttirol und Oberkärnten an: Es entstand die deutsche Sprachinsel Gottschee. Die altertümliche Mundart der „Gottscheberer“ weist bis heute auf ihr Herkunftsgebiet hin.

Nationale Gegensätze

Die beschriebenen Siedlungsvorgänge vollzogen sich weitgehend friedlich. Erst der erwachende Nationalismus des 19. Jahrhunderts („Völkerfrühling“) führte zu Gegensätzen, indem jede der beiden Volksgruppen versuchte, der eigenen Sprache und Kultur vorrangige Geltung zu verschaffen. Diese nationalen Bestrebungen wurden auch von Vereinen – auf der einen Seite von einer Reihe slowenischer Lesevereine (Citalnice), auf der anderen Seite namentlich vom Deutschen Schulverein und vom Verein „Südmark“ – getragen.
Nach dem Zerfall der Donaumonarchie wurde die Grenze zwischen dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat; ab 1929 „Jugoslawien“) und der Republik (Deutsch-)Österreich durch den Vertrag von St. Germain in der Steiermark ohne Volksabstimmung, in Kärnten – ausgenommen das Mießtal und Seeland, die ohne Plebiszit an den südslawischen Staat fielen – durch eine Volksabstimmung festgelegt. Etwa 100.000 Deutsche der ehemaligen Herzogtümer Krain und Steiermark (davon Dreiviertel in der Untersteiermark) wurden SHS-Staatsbürger, das waren etwa 10 Prozent der Einwohner des genannten Gebietes (in Laibach 15 %, in der Gottschee 90 %, in Marburg 80 %, in Pettau 84 %, in Cilli 70 %, im Abstaller Feld 90 %). Doch repressive Maßnahmen der südslawischen Behörden (Inhaftierung führender deutscher Persönlichkeiten, Entlassung deutscher Lehrer, alleinige Verwendung des Slowenischen als Amtssprache, Enteignung privater Schul- und Vereinshäuser der Deutschen, Auflösung deutscher Vereine) ließen die Zahl der Deutschen in den Folgejahren rasch sinken.
In der Zwischenkriegszeit schlossen sich die Deutschen in der Untersteiermark und in Krain dem „Schwäbisch-deutschen Kulturbund“ an – durch den Vertrag von Trianon war ja auch etwa eine halbe Million Donauschwaben in Slawonien, im Branau-Zipfel, in der Süd-Batschka und im West-Banat zu SHS-Staatsbürgern geworden. Der Kulturbund vertrat die Losung „Volkstreu und staatstreu“, lehnte sich aber ab 1933 – enttäuscht von der Mißachtung des 1919 in St. Germain zwischen den Alliierten und dem SHS-Staat abgeschlossenen Minderheitenvertrages – immer mehr an das unter Hitler erstarkende Deutsche Reich an.

Belastungen durch die jüngste Geschichte

1941 wurde Jugoslawien als Folge des deutschen Balkanfeldzuges zerschlagen: Die Untersteiermark wurde dem Reichsgau Steiermark, Oberkrain dem Reichsgau Kärnten angegliedert, die Gottschee fiel als Teil der Unterkrain an Italien.
In der Untersteiermark und in Oberkrain hatten brutale Eindeutschungsmaßnahmen der NS-Behörden einen grausamen Partisanenkampf und drastische deutsche Gegenmaßnahmen zur Folge – eine „Spirale der Gewalt“ vergiftete das Verhältnis zwischen Deutschen und Slowenen soweit, daß nach der deutschen Niederlage 1945 die meisten Deutschen flüchteten, ermordet oder vertrieben wurden. Zudem wurden die Deutschen Jugoslawiens durch die 1944 in Jajce (Bosnien) erlassenen (1946 zum jugoslawischen Gesetz erhobenen) AVNOJ-Dekrete (AVNOJ = serbisch: Antifašisticko vec´e narodnog oslobodjenja Jugoslavije, d. h. Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens) ihres gesamten Vermögens beraubt.
Die Laibacher und Gottscheer Deutschen wurden durch ein gemäß einem 1941 zwischen Hitler und Mussolini geschlossenes Abkommen gedrängt, für eine Umsiedlung ins Deutsche Reich zu „optieren“, der Großteil von ihnen machte von dieser Möglichkeit Gebrauch; die nun fast menschenleere Gottschee wurde zum idealen Operationsgebiet für slowenische Partisanen. Die besondere Tragik der Gottscheer ergab sich aus ihrer Umsiedlung ins Ranner Dreieck (südlichster Zipfel der Untersteiermark), wo ihnen zu Ende des Zweiten Weltkrieges das gleiche Schicksal wie den übrigen Jugoslawiendeutschen zuteil wurde: Flucht, Vernichtung, Vertreibung.
Dennoch gab es 1948 in der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien eine Restgruppe von mehr als 2.000 aus den Lagern entlassenen, amtlich festgestellten (deutschen) Personen, die zum Teil keine Staatsbürger waren, denen man aber aus pragmatischen Gründen gewisse eingeschränkte Rechte zugestand – sie mußten strenge Kontrollen über sich ergehen lassen, waren von bestimmten Berufen ausgeschlossen und durften sich nicht im grenznahen Bereich zu Österreich niederlassen. Teils konnten sie ihr Volkstum „im Untergrund“ bewahren, teils wurden sie assimiliert: Nach offizieller Version lebten nach dem Zweiten Weltkrieg in ganz Jugoslawien (und damit auch in Slowenien) keine Deutschen mehr …

Im selbständigen Slowenien

Als die Republik Slowenien durch den Zerfall Jugoslawiens 1991 ein unabhängiger Staat wurde (2 Millionen Einwohner), erhielten drei ethnische Minderheiten Volksgruppenrechte zuerkannt: die Ungarn (8.000 im Übermurgebiet), die Italiener (3.000 im nördlichen Istrien), und, eingeschränkt, auch die Roma (etwa 2.500 verstreut über das slowenische Staatsgebiet). Die den Ungarn und Italienern gewährleisteten Rechte umfassen zweisprachiges Schulwesen, eigenes Nachrichten- und Verlagswesen, den Unterhalt nationaler Organisationen, das Führen nationaler Symbole und eine parlamentarische Vertretung – dies „ungeachtet der Anzahl der Angehörigen der jeweiligen Volksgruppe“ (Art. 64. der Verfassung der Republik Slowenien von 1991). Hingegen werden solche Rechte der deutschen Restminderheit bisher vorenthalten.
Gibt es sie überhaupt noch? Im Auftrage des österreichischen Außenministeriums hat der Leiter des Grazer Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung, Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner, 1998 eine Studie erstellt, welche mindestens 1.813 Personen in Slowenien nachweist, die sich zum deutschen Volkstum bekennen – dazu kommt eine Dunkelzahl in unbekannter Höhe, die „aus mangelndem Bekenntnismut“ nicht faßbar ist. Karners Zahlenangabe gewinnt an Gewicht, weil eine parallel erstellte slowenische Studie der Laibacher Historikers Dušan Nec´ak zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Entgegen der ursprünglichen Vermutung, dies seien vornehmlich alte Leute, stellte sich heraus, daß die deutsche Volksgruppe in ihrer Altersverteilung der slowenischen Mehrheitsbevölkerung weitgehend entspricht. Die jüngste Volkszählung in Slowenien (April 2002) weist gegenüber der Volkszählung von 1991 eine Zunahme der deutschen Volksgruppe um etwa 50% aus – damit hat sie sich zahlenmäßig der italienischen angenähert.
Im Mai 2001 wurde zwischen Österreich und Slowenien ein „Abkommen über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft“ (Kulturabkommen) geschlossen. Artikel 15 des Abkommens sieht vor, daß die Vertragsparteien „auch Projekte zu Gunsten der kulturellen sowie der bildungs- und wissenschaftsrelevanten Anliegen der Angehörigen der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien aufnehmen“ – leider hat diese Vereinbarung bisher weder in Laibach noch Wien wirklich entscheidende Geldquellen für die Volksgruppe öffnen können.

Vereinswesen

Der 1990 (noch zu jugoslawischer Zeit) in Marburg an der Drau (Maribor) gegründete Verein „Freiheitsbrücke“ tritt mit Nachdruck für das Erreichen eines gesetzlich verankerten Minderheitenstatus für die deutsche Volksgruppe im Sinne einer Gleichstellung mit den Ungarn und Italienern ein und versucht seine Ziele auf politischem Wege durch Vorsprachen bei slowenischen, österreichischen, europäischen und anderen internationalen Instanzen durchzusetzen.
Mehr Breitenwirkung erreichen drei Vereine, die mit kulturellen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit treten und damit lebendiges Zeugnis für das Bestehen der deutschen Volksgruppe in Slowenien ablegen: Der Gottscheer Altsiedler-Verein, gegründet 1992 im Gottscheer Dorf Pöllandl (Kocevske Polanje); der Kulturverein deutschsprachiger Frauen „Brücken“, gegründet 2000 in Marburg; der Kulturverein „Abstaller Feld“, gegründet 2002 in Abstall (Apace) bei Oberradkersburg (Gornja Radgona).
Der Gottscheer Altsiedler-Verein besitzt ein Kulturzentrum in Krapflern (Obcice), das vornehmlich mit Mitteln des Landes Kärnten erworben und ausgebaut wurde. Dort findet regelmäßiger Deutschunterricht für Erwachsene und Kinder statt. Die Jugendgruppe hat einen Chor, der das Gottscheer Liedgut pflegt. Derzeit läuft – als Umsetzung des Kul tur abkommens von Österreich finanziert – ein Projekt zur Erfassung von Lebens erinnerungen betagter Gottscheer. Der Verein ist Mitglied der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV).
Der Kulturverein deutschsprachiger Frauen „Brücken“ unterhält in Marburg ein (für die Aktivitäten des Vereines mittlerweile zu klein gewordenes) Begegnungszentrum in einer angemieteten Altbauwohnung neben der evangelischen Christus-Kirche, das von den Ländern Kärnten und Steiermark finanziert wird. Auch hier wird Deutschunterricht für Erwachsene und für Kinder erteilt, zudem gibt es eine Kindertheatergruppe und eine überaus aktive Literaturgruppe, die mit dem Vortrag eigener Schöpfungen an die Öffentlichkeit tritt.
Der Kulturverein „Abstaller Feld“ besitzt – nachdem er seine anfängliche Tätigkeit im völlig unzureichenden, kleinen Pfarrsaal abgewickelt hat – nunmehr im Josef-Matl-Haus ein Kulturheim im Zentrum Abstalls, das vornehmlich mit Mitteln der Steiermärkischen Landesregierung errichtet wurde, derzeit aber noch seiner Fertigstellung harrt. Hier finden Deutschkurse mit hauswirtschaftlicher Prägung und Proben einer Frauensinggruppe statt. An eine Ausweitung der Tätigkeit kann gedacht werden, sobald der vorläufig noch fehlende Saal zur Verfügung steht.

Ausblick

Die Sloweniendeutschen gehören zweifellos zu denjenigen Menschen, denen die Geschichte im vorigen Jahrhundert am übelsten mitgespielt hat: Zu Ende des Zweiten Weltkrieges wurden ihre Angehörigen vertrieben oder ermordet; dann mußten sie fast fünf Jahrzehnte hindurch ihre Identität verleugnen, Schulunterricht und Gottesdienst in der Muttersprache waren ihnen verwehrt. Nun ringen sie um ihre staatliche Anerkennung als Volksgruppe, die jedoch derzeit im slowenischen Parlament „nicht mehrheitsfähig“ ist.
Inwiefern nach Sloweniens Beitritt zur EU polit-moralische Maßstäbe und vertragliche Bestimmungen (Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, von Slowenien unterzeichnet) für die deutsche Volksgruppe zum Tragen kommen können, bleibt abzuwarten – und zu erhoffen. Zweifellos hat Österreich, das seine slowenische Volksgruppe in großzügiger Weise fördert, gegenüber den Sloweniendeutschen eine Bringschuld!

Der Verfasser: a. o. Univ.-Prof. Dr. Reinhold Reimann, geboren 1941 in Leoben (Obersteiermark), lehrt als Anatom an der Medizinischen Universität Graz. Seit 1993 ist er Obmann des Alpenländischen Kulturverbandes Südmark.

Literaturempfehlung

Reimann, Reinhard: Die Deutschen in Slowenien. Eckart-Schrift 160. Österreichische Landsmannschaft, Wien 2002.
Kontaktadressen:
Internationaler Verein „Freiheitsbrücke“, SLO-2000 Maribor, Prešernova 2, Obmann: Dušan Ludvik Kolnik, (Anschrift w. o.), Tel. (00386/2) 250 51 80.
Verein Gottscheer Altsiedler, SLO-8350 Dolenjske Toplice, Obcice 9, Obmann: Dipl.-Ing. August Gril, SLO-6129 Grosuplje, Rošna dolina 9, Tel. (00386/70) 660 500.
Kulturverein deutschsprachiger Frauen „Brücken“, SLO-2000 Maribor, Gregorciceva 26, Obfrau: Veronika Haring, SLO-2000 Maribor, Prušnikova ul. 24, Tel. (00386/70) 660 305.
Kulturverein „Abstaller Feld“, Josef-Matl-Haus, SLO-9253 Apace, Apace 115, Obfrau Rosi  Verbošt, SLO-9253 Apace, Apaèe 102, Tel. (00386/2) 569 11 98.

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com