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Der Nürnberger Prozeß

Von Gottfried Dyrssen

Siegerjustiz und Willkür

Die sechzigste Wiederkehr dieses denkwürdigen Prozesses, der am 20. November 1945 in Nürnberg begann, war in Deutschland wieder einmal Anlaß, etwas „Großartiges“ zu feiern, und manche Medien waren wieder einmal dankbare Multiplikatoren jener dem Recht hohnsprechenden Interpretation dieses Schauprozesses.

So berichtet das „Hamburger Abendblatt“ am 15. November: „Allerdings bedurfte es zäher Verhandlungen der westlichen Alliierten, um auch die Sowjetunion von der Notwendigkeit eines fairen Prozesses nach anglo-amerikanischem Recht gegen die NS-Führungsregie zu überzeugen.“
Wie aber konnte dann die Sowjetunion überhaupt mit am Tisch sitzen, wurden doch gerade von ihr die größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, dem Hauptanklagepunkt des Tribunals? Und ausgerechnet während des Prozesses wurden besonders von Amerikanern und Franzosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an deutschen Kriegsgefangenen und der deutschen Zivilbevölkerung verübt, ganz zu schweigen von den Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei den Terrorangriffen auf Frauen und Kinder in deutschen Städten während des Krieges. Es war ein Schauprozeß nach amerikanischer Rechtsauffassung, die wir in Iraker Gefängnissen oder in Guantanamo auf Kuba noch heute erleben.
Während man im offiziellen Deutschland die Nürnberger Rechtsauffassung billigt und die Vereinten Nationen wohl ohne großes Nachdenken am 11. Dezember 1946 das bei den Prozessen angewandte Recht zum Völkerrecht erklärten, wie das „Hamburger Abendblatt“ natürlich auch berichtete, sollten heute aber jene Stimmen nicht vergessen werden, die deutlich machten, was unter Recht zu verstehen ist. Immerhin hieß es im Rechtsausschuß der UN-Generalversammlung nach einem Bericht der „New York Times“ vom 6. November 1950 über die Erörterung der „Nürnberger Rechtsprinzipien“ schon: „Im Laufe der Debatte wurde besonders beachtet, daß Deutsche auf der Grundlage von Prinzipien verurteilt und hingerichtet worden sind, deren Rechtsgültigkeit jetzt umstritten ist“, worüber das „Hamburger Abendblatt“ natürlich nicht berichtete.

Empörte Kritik aus den USA

Schon unmittelbar nach der Urteilsvollstreckung sagte der US-Senator Robert A. Taft aus Ohio in einer Ansprache im Oktober 1946 vom Kenyon College: „Ich glaube, daß die meisten Amerikaner die Kriegsprozesse, die jetzt in Deutschland zum Abschluß gebracht worden sind, mit Unbehagen verfolgt haben … In diesen Prozessen ist das Prinzip amerikanischen Rechts verletzt, daß niemand nach einem später ergangenen Gesetz unter Anklage gestellt werden kann. Ein Gerichtsverfahren der Sieger gegen die Besiegten kann niemals unparteiisch sein, selbst wenn man noch so ängstlich bestrebt wäre, die äußeren Formen der Rechtssprechung zu wahren … Über diesen Urteilsspruch hängt von vornherein der Geist der Rache, und Rache hat nur selten etwas mit Gerechtigkeit zu schaffen. Der Tod der elf verurteilten Männer am Galgen ist für Amerika ein Schandfleck, der uns noch lange belasten wird.“
Noch deutlicher wurde der amerikanische Richter in Nürnberg Charles F. Wennersturm, der wegen der Prozeßmethoden sein Amt empört niedergelegt hatte und in der „Chicago Tribune“ nachfolgende Erklärung veröffentlichte: „Die Mitglieder der Gruppe der öffentlichen Ankläger, anstatt zu versuchen, ein neues, richtungsweisendes Rechtssystem zu formulieren und zu erreichen, waren nur von ihrem persönlichen Vorteil und ihren Rachegefühlen geleitet.
Die Anklage tat ihr Äußerstes, um es in jeder Weise der Verteidigung unmöglich zu machen, ihren Fall vorzubereiten und Beweise herbeizuschaffen.
Das wirkliche Ziel des Nürnberger Prozesses war, den Deutschen die Verbrechen ihrer Führer zu zeigen, und das war die Absicht, aus welchem Grunde die Prozesse angesetzt wurden. Hätte ich sieben Monate früher gewußt, was in Nürnberg passierte, dann wäre ich niemals dorthin gegangen.“

Das Ideal der Gerechtigkeit wurde geschändet

Der US-Völkerrechtler, Päpstliche Geheimkämmerer und Mitglied des Ständigen Schiedsgerichtshofes in Haag, Michael Francis Doyle, bemerkte: „Die Nürnberger ‚Kriegsverbrecherprozesse‘ sind nach meinem Dafürhalten einer der dunkelsten Flecken aller Zeiten auf der Weste der ach so aufgeklärten Führerschaft der Welt. Diese Verfahren der Siegernationen dienten dem Zweck, Kriegsgegner wegen nichts anderem zu bestrafen als wegen ehrenhafter Pflichterfüllung. Die Prozesse waren wirklich eine Schande für alle, die sie betrieben haben. Ohne jede Sympathie mit den militärischen Zielen der Angeklagten muß man gleichwohl deren Pflicht in Rechnung stellen, den ihnen vom eigenen Staate und dessen Führung erteilten Befehlen Folge zu leisten. Es ist ganz besonders zu bedauern, daß unser Land als Ankläger aufgetreten ist. Hoffen wir nur, daß sich ein solcher Vorgang nicht wiederholt.
Das amerikanische Ideal von Gerechtigkeit ist geschändet worden. Als ehemaliges Mitglied des Ständigen Internationalen Schiedsberichts in Haag bin ich durch und durch an der Sache des Friedens interessiert. Frieden aber kann niemals mit Mitteln erreicht werden, wie wir sie während dieser angeblichen Gerichtsverfahren angewandt haben. Dauerhaften Frieden kann es nur im Zeichen des Rechts geben, nicht aber durch die Verhöhnung des Rechts.“
Am 3. Mai 1963 veröffentlichte die Zeitschrift „New Statesman“ das Bekenntnis des Ministers R. Crossmann, der im Kriege Chef der britischen politischen Kriegsführung gegen Deutschland war: „Diese Zerstörung von Dresden war eines jener Verbrechen gegen die Menschlichkeit, deren Urheber man in Nürnberg vor Gericht gestellt hätte, wäre dieses Gericht nicht in ein reines Instrument alliierter Rache verdreht worden.“
Und schließlich schrieb Telford Taylor, nach Jackson ab Herbst 1946 US-Hauptankläger, in seinem selbstkritischen Buch „Nürnberg and Vietnam, an American Tragedy“ 1971: „Wir haben in Vietnam das Land in Stücke geschlagen und uns nicht einmal die Mühe gemacht, Blut und Trümmer zusammenzukehren. Irgendwie haben wir es nicht geschafft, die Lektionen zu lernen, die wir in Nürnberg als Schulmeister lehren wollten.“

Kardinal Galen klagt an

Dennoch hat der Nürnberger Prozeß bis in unsere Zeit massive Auswirkungen: „Die in den Anklagepunkten erhobenen Feststellungen bilden bis heute die Grundlage für all das, was als unumstößlich, d. h. für all das, was als ‚offenkundige Tatsachen, die keines Beweises bedürfen’ gilt. Somit hat das Nürnberger Tribunal die Norm gesetzt für die Geschichtsschreibung sowie für die bis heute praktizierte Rechtssprechung in allen Verfahren nach dem Verbotsgesetz“, schrieb Rudolf Czernin in seinem Buch „Das Ende der Tabus“.
Der inzwischen seliggesprochene ehemalige Kardinal Graf von Galen, der „Löwe von Münster“, hatte als ehemaliger mutiger Gegner der Nazis 1946 zum Nürnberger Prozeß mutige Worte gefunden, die heute in Deutschland wohl eher als ewig gestrig, wenn nicht gar rechtsextrem bezeichnet würden. Hier nur einige Ausschnitte: „Die Alliierten haben immer betont, daß sie nach dem Kriege die Heiligkeit und Würde des Rechtes wiederherstellen würden … Leider müssen wir feststellen, daß die Wunden, die dem verletzten Recht geschlagen sind, nicht geheilt, sondern durch die jetzige Handhabung des Rechts in Deutschland aufgerissen und noch vertieft werden … In Nürnberg hat man Anklage erhoben im Namen der ‚Menschlichkeit … Dann muß klar gesagt werden, welchen Inhalt der Begriff Menschlichkeit haben soll. Das muß deshalb mit aller Entschiedenheit gefordert werden, weil in dem Gerichtshof zu Nürnberg Richter sitzen, die anscheinend verschiedene Anschauungen der Menschlichkeit haben. Es muß ferner verlangt werden, weil mit der Einführung des Begriffes der Menschlichkeit die Geschichte der letzten hundert Jahre vor Gericht zitiert wird, denn es müssen auch alle Lehrmeister und Vorbilder der verbrecherischen deutschen Staatsmänner bestraft werden. Eine Propaganda, mag sie auch noch so laut ertönen über die Unmenschlichkeit der Deutschen, kann doch die Unmenschlichkeiten, die von Bolschewisten begangen wurden, nicht vergessen machen. Wie ist es aber möglich, daß der Vertreter einer Macht, die die unmenschlichen Foltermethoden ersann, in dem Gerichtshof sitzt, der deutsche Verbrechen im Namen der Menschlichkeit angeklagt? Wir verweisen auf die Methoden der bolschewistischen KZ-Lager, die schon fast 20 Jahre bestanden, ehe Hitler nach diesen Vorbildern KZ-Lager schuf, danach waren die in Deutschland eingerichteten Lager noch harmlos gegenüber den russischen.
Dieses Gericht konstituiert eine Rechtsordnung zu gewissen Überzeugungen ehrenwerter Leute, versieht nachträglich internationale Verträge mit Strafbestimmungen, von denen nie einer ahnte, daß sie kommen würden, und wendet einseitig Gesetze auf deutsche Kriegsverbrecher an, ohne die Kriegsverbrecher anderer Nationen überhaupt zu erwähnen.“

Hätte Deutschland NS-Verbrecher nicht verfolgt?

Es geht nicht darum, daß das Unrecht im Dritten Reich nicht bestraft werden sollte, sondern darum, daß Unrecht mit Unrecht beantwortet wurde, daß kein neues Völkerrecht geboren wurde, sondern Hitlers Geist gefolgt wurde. Dabei spielt nicht nur die Tatsache eine Rolle, daß es sich um kein echtes internationales Gericht handelte, da nur die Siegermächte über die Besiegten urteilten, sondern auch die Art der Behandlung der Gefangenen und der Zeugen, die, wie vielfach belegt, oft menschenunwürdig behandelt, ja sogar teils gefoltert, erpreßt und unter schweren psychischen Druck gesetzt wurden.
Als später ein ähnliches Gericht über japanische „Kriegsverbrecher“ gebildet wurde, lehnte der Richter Radhabinode Pal vom obersten Gerichtshof in Kalkutta, der Indien beim IMT in Tokio vertreten sollte, mit den Worten ab: „Ein sogenannter Prozeß, der auf Anklagepunkten beruht, die von den Siegern heute als rechtskräftig bestimmt werden, löscht Jahrhunderte der Kultur aus, die uns vor der summarischen Hinrichtung der Unterlegenen trennen. Ein Prozeß, der auf einer solchen Rechtsauslegung basiert, ist nichts weiter als der entehrende Gebrauch gesetzlicher Formen zur Befriedigung des Rachedurstes. Er entspricht keinerlei Vorstellung von Gerechtigkeit … Würde man zugeben, daß es dem Sieger zusteht, zu bestimmen, was ein Verbrechen ist und es nach seinem Belieben zu bestrafen, so hieße dies, in jene Zeiten zurückzukehren, in denen es erlaubt war, daß von ihm besiegte Land mit Feuer und Blut zu überziehen, alles in ihm Vorhandene zu rauben und alle seine Einwohner zu töten oder in die Sklaverei zu führen.“
Von dem im letzten Satz Zitiertem war das Handeln der Siegermächte in Ost und West nicht weit entfernt. Millionen Deutsche starben nach dem Kriege in Gefangenschaft, auf der Flucht, in der Verbannung oder an Hunger im eigenen Land, dem die Siegermächte alle Hilfe von außen, auch der des Roten Kreuzes, untersagten.
Noch heute, 60 Jahre später, wird in Deutschland einerseits davon gesprochen, daß in Nürnberg Recht gesprochen worden wäre und andererseits, daß man selbst sonst die Schuldigen nicht ausreichend verfolgt hätte, wie die damalige Bundesverfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach (SPD) schon 1996 feststellte. Doch in Nürnberg tagte kein internationales Gericht, sondern ein weitgehend amerikanisches Gericht. Heute sträuben sich die Amerikaner, einen internationalen Gerichtshof anzuerkennen, weil sie nicht wollen, daß Verbrechen, die von Amerikanern begangen werden, dort zur Anklage kommen. Daß man in Deutschland nicht bereit war, die Täter zu verfolgen, ist eine unwahre Behauptung.

Peter Gauweiler in der „FAZ“

So schrieb Peter Gauweiler 1996 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in welchem Umfang es zu Prozessen und zu Verurteilungen in Deutschland gekommen ist und welche Leiden die deutsche Bevölkerung nach dem Kriege ertragen mußte. Auch das ist einmalig in der Weltgeschichte der Neuzeit:
„Vor einiger Zeit hat Rudolf Wassermann in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ die Frage gestellt, ob man in bezug auf die mangelnde juristische Aufarbeitung des kommunistischen Systems von einer ‚dritten deutschen Schuld’ sprechen müsse, weil diese Aufarbeitung so ‚defizitär’ verlaufe, wie die Sühne für das NS-System verlaufen sei. Ein ähnlicher Tadel war aus dem Munde des neuen Bundesjustizministers zu hören. Im Kern gehen solche Äußerungen von einer falschen Voraussetzung aus. Kein vernunftbegabter Gegner der politischen Klasse der DDR oder anderer GULAG-Länder kann deren Stützen und Mitläufern in ihrer Gesamtheit Sühneleistungen an den Hals wünschen, wie sie den Deutschen des Dritten Reiches auferlegt worden waren.
Nach der Kapitulation in den Westzonen gab es mehr als drei Millionen Spruchkammerverfahren, bei denen über eine Million Menschen als Mitläufer, über 250.000 als Belastete und fast 25.000 als Schuldige und Hauptschuldige eingestuft worden sind. Allein in der amerikanischen Zone kam es zu 600.000 Verurteilungen. In zusätzlichen Prozessen vor ‚außerordentlichen Militärgerichten’ der drei Westmächte wurde über 5.000 Deutsche verurteilt, davon über 800 zum Tode. In der sowjetischen Besatzungszone kam es zu 45.000 Verurteilungen, die Zahl der Todesurteile ist bis heute unbekannt. Die deutsche Justiz hat nach der Besatzungszeit weitere 195.059 Strafverfahren geführt, bei denen es in mehr als 6.000 Fällen zu hohen, sehr oft zu lebenslangen Freiheitsstrafen gekommen ist. Noch heute, im 51. Jahr nach Kriegsende, wird gegen 5.500 Männer und Frauen wegen ihrer Tätigkeit vor dem 8. Mail 1945 ermittelt.
Als ‚Kollektive Strafmaßnahmen’ wurden nach der Kapitulation innerhalb der Sowjetunion mit Zustimmung aller Siegermächte 700.000 Deutsche zwangsumgesiedelt, nach Sibirien und Kasachstan. 80.000 Personen haben diese Maßnahme nicht überlebt. Die Verurteilung von etwa 70.000 bis 100.000 deutschen Kriegsgefangenen zu jahrelanger Zwangsarbeit in der Sowjetunion wurde genauso als Kollektivstrafe für – wie man es nannte – die Tätigkeit für Nazi-Deutschland’ bezeichnet, wie die nach Kriegsende begonnenen – heute würde man sagen – ethnische Säuberungen weiter Gebiete in Mittel- und Osteuropa. Betroffen waren mindestens 12 Millionen Deutsche. Allein die Zahl der schon zuvor von der Roten Armee als erste Besatzungsmaßnahme aufgrund einer kollektiven Racheanordnung Marschall Schukows getöteten deutschen Staatsangehörigen, meist Frauen und Kinder, wird auf eine halbe Million geschätzt, die der Verschleppten auf mehr als eine Million.
Die Zielrichtung einer nicht nur individuellen, sondern auch kollektiven Bestrafung der deutschen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit verfolgte auch die amerikanische Politik. Besonders verhängnisvoll war dabei die ausdrücklich mit der moralischen Kollektivschuld und der bedingungslosen Kapitulation begründete Behandlung der Kriegsgefangenen deutschen Soldaten außerhalb der Genfer Konvention: Das bedeutete massenhaftes Verhungernlassen und die Verschickung zu gefährlicher Arbeit, etwa bei der Minenräumung. Die Einzelheiten dieser aus heutiger Sicht unglaublichen ‚Strafen‘ sind in den Schriften zum ‚Staats- und Völkerrecht‘, herausgegeben von Professor Dr. Dieter Blumenwitz, 45. Band: ‚Die amerikanische Besatzungspolitik und das Völkerrecht’, dokumentiert.“

 
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