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Gilad Atzmon und der Zionismus

Von Achim Lang

Gilad Atzmon ist nicht nur als Jazz-Trompeter weltbekannt, sondern hat sich auch als Romanautor international einen Namen gemacht, in 18 Sprachen sind seine Bücher lieferbar. 1963 in Jerusalem geboren, lebt Atzmon seit mehr als zehn Jahren in London – im Exil, wie er sagt. Eine geplante Dichterlesung mit anschließendem Konzert führte nun in Deutschland jedoch beinahe zum Eklat. Merkbar konsterniert berichten die Ruhr-Nachrichten vom 29. November 2005 über die Ausführungen des Autors: „Atzmon bezeichnete die uns bekannte Geschichtsschreibung über den II. Weltkrieg und den Holocaust als eine komplette von Amerikanern und Zionisten initiierte Fälschung. Der wahre Feind sei nicht Hitler, sondern Stalin gewesen. Die Deutschen sollten dies endlich erkennen und sich nicht länger schuldig und auch nicht verantwortlich fühlen. ‚Ihr seid die Opfer‘, meinte Atzmon.
Die Bombenangriffe auf deutsche Städte hätten stattgefunden, weil die Amerikaner diese Bomben besaßen und einsetzen wollten. Und genauso sei es in Vietnam und heute in Afghanistan und im Irak gewesen. Das wahre Böse unserer Zeit seien George W. Bush, Tony Blair und Ariel Sharon. Besonders heftig entbrannte die Diskussion, als Atzmon die Zahl der während des Holocaust umgekommenen Juden in Frage stellte und argumentierte, es gäbe ‚keinerlei forensischen Beweis‘ dafür, daß diese wirklich 6.000.000 betragen habe.“
Atzmon bezeichnet sich selbst als links und wer seine zahlreichen politischen Texte liest, wie sie auf seiner Heimseite  zu finden sind, stellt fest, daß er die scharf selbstkritische Sicht der Linken auf die Geschichte Europas, den Kolonialismus etwa, voll und ganz teilt. Auch seine Kritik an George Bush und Ariel Sharon resultiert daraus und müßte nicht weiter für Aufsehen sorgen. Was aber, insbesondere hierzulande, für Verstörung sorgt, ist die Radikalität, mit der er den Zionismus als solchen als rassistische Ideologie brandmarkt und sich zugleich so kompromißlos auf die Seite der Palästinenser stellt, daß er Israel als exklusiven Judenstaat die Existenzberechtigung abspricht.
Als Rechter wird man Gilad Atzmon in vielem nicht folgen können, sondern zur Kenntnis nehmen müssen, daß er als Jude und Israeli sein Volk und dessen Geschichte offenbar im (nach rechter Sicht illusionären) Glauben an eine Weltgesellschaft selbstbestimmter, autonomer Individuen mit der gleichen unbarmherzigen Schärfe kritisiert, wie dies hierzulande schon lange die Art des Umgangs linker Intellektueller mit dem eigenen Volk ist.

Zum heutigen Stellenwert des „Antisemitismus“

Obwohl Atzmon das Judentum nicht religiös sondern ausschließlich ethnisch definiert, postuliert er, daß es heute keinen Antisemitismus mehr geben kann. Entweder handle es sich dabei um eine Spielart der Xenophobie, die – wie auch immer man mit solchen privaten Rassismen umgehen möchte – jedenfalls keine Sonderform darstellt, die auch besondere Formen der politischen Reaktion einfordert, oder es handle sich um eine politische Reaktion auf die Politik Israels bzw. der Zionisten weltweit. Im Essay „Über den Antisemitismus“ heißt es: „Wenn Israel der Staat des jüdischen Volkes ist und das jüdische Volk nicht kollektiv gegen die Verbrechen, die in seinem Namen verübt werden, aufsteht, dann wird jede jüdische Person, jedes jüdische Symbol, jedes jüdische Objekt als Teil der israelischen Interessen zu einem möglichen terroristischen Ziel. … Seit die Zionisten Israel als eine Nation unter Nationen verstanden wissen möchten, sollten sie auch nicht als ein Sonderfall behandelt werden. Sie sollen in der gleichen Weise behandelt werden, wie die Amerikaner oder die Briten, die bereits verstanden haben, daß ihre weltweit expansionistische Politik zu schrecklichen Reaktionen führt.“

Jüdische Weltverschwörung?

Gilad Atzmon geht so weit, daß er fragt, ob die immer wiederkehrende Rede von einer jüdische Weltverschwörung wirklich bloß eine leere Unterstellung sei und listet diesbezüglich die Namen der einflußreichen Juden in der Administration von George Bush auf. Unter Bill Clinton, so Atzmon, „the situation was even worse.“ Obwohl nur 2,9 % der US-Amerikaner Juden sind, wären 56 % der Minister, Spitzenbeamten und Botschafter unter Bill Clinton Juden gewesen. Atzmon: „Wir müssen uns fragen, was die amerikanischen Juden motiviert, eine solche politische Macht zu erlangen. Entspringt dies nur der genuinen Sorge für amerikanische Interessen? Bald, folgend der steigenden Zahl von amerikanischen Toten im Irak, wird das amerikanische Volk sich selbst genau diese Frage stellen. Seit Amerika den Status der einzigen Supermacht eingenommen hat und seit all die in der obigen Liste (der Administration) aufgeführten Juden sich selbst als ausgesprochene Zionisten deklarieren, müssen wir anfangen, die Anschuldigung, daß das jüdische Volk versucht, die Welt zu kontrollieren, ernst zu nehmen. … Die amerikanischen Juden machen jede Debatte, ob die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ authentisches Dokument oder eine bloße Fälschung* sind, irrelevant. Die amerikanischen Juden (d. h. die Zionisten) versuchen tatsächlich die Welt zu kontrollieren.“

Der Zionismus

Gilad Atzmon verweist im Zuge des Artikels auch auf die Zusammenarbeit der zionistischen Führer mit Hitler-Deutschland und darauf, daß der Mossad selbst Attacken auf jüdische Einrichtungen in bestimmten Ländern inszeniert hat, um die dort lebenden Juden politisch in bestimmter Weise zu beeinflussen. In dieser Hinsicht, so analysiert Atzmon, benötigt der Zionismus den Antisemitismus sozusagen als Antriebskraft.
Für Atzmon ist der Zionismus gerade kein „normaler“ Nationalismus. Gegen nationales Denken sei im Prinzip genausowenig einzuwenden, wie dagegen religiös zu sein oder Punk-Musik zu mögen. Der jüdische Nationalismus aber sei deswegen unakzeptabel, weil er auf rassistischer Grundlage und einem religiösen Auserwähltheitsglauben basiere. Nur eine kleine Gruppe von orthodoxen Juden würde diese Auserwähltheit durch Gott in einer akzeptablen Weise deuten, als Bürde nämlich, und sich daher auch mit den Palästinensern solidarisieren.
Den religiösen Auserwähltheitsglauben – auch der „aufgeklärten“ Juden – macht Atzmon an folgendem Beispiel fest: Kaum ein Nicht-Jude wisse, daß die meisten Juden, wenn sie von Christus sprechen, nicht „Jesus“ sagen, sondern das hebräische Wort „Yeshu“** verwenden. Atzmon: „In der jüdischen Hierarchie von Beleidigungen ist das die schwerste und verächtlichste, wie sie für gewöhnlich auf Hitler und Leuten seines Kalibers angewandt wird. Jesus, wie es scheint, wird also von spirituellen Führern des Judentums geradezu als Verkörperung alles Bösen gesehen. Wenn aber in den Augen der Rabbiner Jesus genauso schlimm wie Hitler war, warum fühlen sich die Juden dann angegriffen, wenn sie beschuldigt werden, ihn getötet zu haben. Warum betrachten sie dann seinen Tod nicht als das ruhmreichste Kapitel ihrer Geschichte?“

Auschwitz als Basis amerikanischer Weltherrschaft

Im Essay „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde – die Geschichte von Auschwitz“ wendet sich Atzmon der Funktion zu, die „Auschwitz“ heute für die USA und die europäischen Staaten erfüllt: Vor dem Hintergrund der Erinnerung an Auschwitz würde in Amerika eine überaus naive Schwarz-Weiß-Sicht auf die Welt entworfen: „Auf der einen Seite finden wir die offene Gesellschaft, auf der anderen ihre vielen Feinde.“ Und weil die Amerikaner eben die guten Jungs seien, die nur für das Gute kämpfen, heißt es für den Rest der Welt: „Du bist entweder mit uns oder gegen uns.“ „Mit uns“ zu sein bedeutet aber gleichzeitig, keine lästigen Fragen über das moralische Verhalten der westlichen Welt zu stellen. „Zum Beispiel fragt nicht, warum Bomber Harris & Co. 850.000 deutsche Zivilisten ermordet haben, indem sie zu ihren Zielen eher die deutschen Städte als die industrielle Infrastruktur der Nazis machten. Als freies Wesen in einer offenen Gesellschaft sollte man auch nicht nach Hiroshima fragen. Im Falle, daß man dumm genug ist, das zu tun, ist es angeraten, wenigstens klug genug zu sein, die offizielle Lüge zu akzeptieren, daß dies der beste Weg war, einen so schrecklichen Krieg zu einem raschen Ende zu bringen.“
Eine weitere unangenehme Frage könnte die restriktive Einwanderungspolitik der USA betreffen, die auch nach 1933 nahezu keine jüdische Immigration zuließ. Doch all diese „lästigen Detailfragen“ verblassen vor der großen Erzählung von Auschwitz, die besagt, daß eben die Amerikaner die Befreier Europas waren und bis heute die Fahnenträger der freien Welt sind. Die Bezugnahme auf den Holocaust liefert den USA immer aufs neue das Bewußtsein ihrer eigenen moralischen Integrität und rechtfertigt die expansionistische Außenpolitik: „Um ein neues Auschwitz zu vermeiden senden die Amerikaner ihre Armeen nach Vietnam, Korea und in den Irak. Sie sind immer die Befreier.“

„Auschwitz“ als Schutzwall gegen eine Wiedergeburt der Rechten in Europa

In Europa spielt der Holocaust eine andere politische Rolle. Atzmon: „In Europa ist es die parlamentarische Linke, die aus Auschwitz Kapital schlägt. Solange Auschwitz eng mit dem täglichen politischen Diskurs verknüpft bleibt, kann die Rechte niemals ihren Kopf heben. Der linke Mainstream Europas ist völlig abhängig von der Art, wie der Holocaust (immer und immer wieder) der Öffentlichkeit präsentiert wird. Auschwitz ist, wie es scheint, die letzte Barrikade der Linken gegen die Möglichkeit einer Wiederauferstehung der politischen Rechten. In Europa ist jedes Nationalgefühl, ja jede politische Bewegung, die auch nur im Ansatz fremdenfeindlich klingt, sofort als wiedererwachtes Nazitum abgestempelt. Diese bedrückende Weltsicht erlaubt es den Menschen nicht einmal, irgendeine Art von Zuneigung zu ihrem Land auszudrücken. … Auschwitz ist damit ein Symbol der Partnerschaft zwischen der europäischen Linken und der amerikanischen expansionistischen Rechten geworden.“

 
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