Archiv > Jahrgang 2007 > NO II/2007 > Die neue Deutschfeindlichkeit 

Ende der Entwicklungshilfe?

Von Prof. Paul Edward Gottfried

Die Propagierung deutschfeindlicher Empfindungen nimmt ungeahnte Ausmaße in den USA an, und zwar auch an Orten, an denen man dies nicht unbedingt erwartet. Wie die neokonservative amerikanische Bewegung zum Brennpunkt dieser deutschfeindlichen Offensive wurde, soll hier aufgezeigt werden.

Während und nach der US-Beteiligung am Zweiten Weltkrieg hat sich die Abneigung gegen die Deutschen als Fortsetzung anti-nationalsozialistischer Propaganda vorwiegend auf der Linken zugespitzt. In der Nachkriegszeit, wie dies unter anderem Caspar von Schrenck-Notzing in seiner umfänglichen Schrift „Charakterwäsche“ über die deutsche Umerziehung nachgewiesen hat, kamen die exponiertesten Angriffe auf die geschlagenen Deutschen von der antifaschistischen Linken. Das zeigt sich auch im Ansinnen einer langfristigen, zielbewußten Besetzung Deutschlands, das bezeichnenderweise von prokommunistischen Dunstkreisen und linksgerichteten Exilgruppen vorangetrieben wurde.
Schrenck-Notzing hat recht, daß die Verlagerung der amerikanischen Wählerschaft in den späten 1940er Jahren nach rechts hin zur Folge hatte, daß die Verfechter einer regelrecht strafenden Besatzung und Behandlung Deutschlands aus dem öffentlichen Blickpunkt gedrängt wurden. Selbstverständlich haben die Umstände des Kalten Krieges unter anderem bewirkt, die Deutschen in ein besseres Licht zu rücken. Statt „Hitlers willige Vollstrecker“ wurden sie zu Mitkämpfern für westliche Wertvorstellungen gegen den sowjetischen Feind. Damals war natürlich die Christenheit in das zu bewahrende Gemeingut miteinbezogen.
In den 1950er Jahren hat sich eine Sonderbeziehung zwischen dem amerikanischen Außenminister John Foster Dulles und der staatstragenden CDU/CSU-Regierung des „Alten“ Konrad Adenauer verfestigt. Von dem Gesichtspunkt des antikommunistischen Dulles her firmierten Adenauer und sein Nachfolger Ludwig Erhard als musterhafte US-Alliierte. Verdächtigte oder Außenseiter zu Zeiten des Dritten Reiches, die eine althergebrachte Bürgerlichkeit verkörperten, haben diese deutschen Staatsmänner den Amerikanern auch auf Kosten der Möglichkeit, den Sowjets eine etwaige deutsche Wiedervereinigung abzuhandeln, zur Seite gestanden.
Damals war an den amerikanischen Universitäten noch eine relativ verständnisvolle Auslegung der deutschen Geschichte anzutreffen. Befremdlich erscheinen heute die gedruckten Erinnerungen des konservativen Emigranten Hans Rothfels, die verdeutlichen, wie dieser freimütige deutsche Patriot vielbegehrte Lehrstellen an erstrangigen amerikanischen Universitäten einnehmen konnte. Wie mir seine ehemaligen Studenten attestieren, hat er sich als englischsprachiger Vortragender scharfzüngig gezeigt. Ihm stand damals ein weitreichendes Freundesnetz innerhalb der universitären Gesellschaft zur Verfügung.
Differenziert argumentierende Historiker wie William Langer und andere Vertreter aus seinem Jahrgang haben seinerzeit den bedeutenden Graben im Hinblick auf den jeweiligen deutschen Anteil bei der Auslösung der zwei Weltkriege unterstrichen. Auch wenn sie den Ausbruch der Feindseligkeiten nicht als „Betriebsunfall“ sahen, waren diese Gelehrten überzeugt, daß die Schuld für den Ersten Weltkrieg nicht einfach eindeutig auf die Mittelmächte oder die Entente abgewälzt werden konnte.
Und auch unter den aus dem Dritten Reich in die USA gekommenen Emigranten konnten sich nichtlinke Historiker profilieren. Zwei Beispiele dafür waren der Historiker und Hindenburg-Biograph Andreas Dorpalen an der Ohio State University (Neuere Geschichte) und der umsichtige, aber auch beharrliche Kritiker der Fischer-These Joachim Remak von der University of California. Im Gegensatz zu dem Hamburger Historiker Fritz Fischer, der dem deutschen Machtstreben die Alleinschuld für den Kriegsausbruch 1914 zuwies, begab sich Remak mit sachten Schritten auf die Gegenseite. In einer Menge von englischsprachigen Abhandlungen verdeutlichte er die Unwahrscheinlichkeit eines solchen vorsätzlichen deutschen Weges zum europaweiten Kriegszustand vor dem Hintergrund des Verhaltens der deutschen Staatsmänner. Remak konnte viele belegbare Fakten vorbringen, die einem geplanten kaiserlichen Krieg zwecks Reichserweiterung widersprechen.

Die alte Rechte war deutschfreundlich

Zweifelsohne wurden die Deutschen von den Amerikanern in den 1950er Jahren mehr begünstigt als im vorangegangenen Jahrzehnt oder in der Gegenwart. In dieser Zeit hätte man auch sehen können, daß je weiter es nach „rechts“ ging, desto deutschfreundlicher die Geisteswelt war. Auch eine maßgebliche konservative Zweiwochenschrift, nämlich die „National Review“, an deren Ruder William F. Buckley saß, hat den seiner Meinung nach hochgespielten Prozess gegen den Kriegsverbrecher Adolf Eichmann bedauert. In einem stimmungsvollen, im April 1961 gedruckten Leitartikel bedenkt Buckley die mögliche Beeinträchtigung des von den Deutschen wiedererlangten Ansehens als Mitglied des westeuropäischen Staatensystems, die der Prozeß gegen Eichmann bewirken könnte. Wenn der Schauprozeß planmäßig ablaufe, so Buckley, dann würden die voraussichtlichen Lehrstücke wohl wiederholt vorgeführt, damit ein Scheinwerfer auf das Kollektivböse der deutschen Nation gerichtet werden könnte. Und dann gelangt Buckley, nicht nur in den USA ein Inbegriff des gemäßigten Rechten, zu einem Schlußplädoyer, das ich am besten im Original zitiere:
„There is underway a studied attempt to cast suspicion upon Germany. It is all there: bitterness, distrust, the refusal to forgive, the advancement of Communist aims.“
Abwegig wäre es, diese Anschuldigung mit dem Oberbegriff Antikommunismus gleichzusetzen, ohne Einblick in den Hintergrund der obigen Aussagen zu nehmen. Seit dem amerikanischen Eintritt in den Ersten Weltkrieg und bis lange nach der Begründung der „National Review“-Zweiwochenzeitschrift im Jahre 1955 wurde die amerikanische isolationistische Rechte zum Sammelbecken derjenigen, die dem probritischen, weltläufigen „Eastern Establishment“ Paroli geboten haben. Im Ersten Weltkrieg kamen die hart angefahrenen „German-Americans“ zu der Erkenntnis, daß ihr Interesse mit dem der im Mittelwesten befindlichen Republikaner zu verorten und zu verschmelzen war und nicht weiter mit dem der internationalistisch orientieren Demokraten, die an der Ostküste und in den Großstädten ihre Stützpunkte aufgebaut und erweitert hatten. Die Haltung der meisten „German-Americans“ zum Kriegsausbruch – im Gegensatz zum Beispiel zum germanophilen, streitsüchtigen Journalisten H. L. Mencken – war neutral. Die anderen wußten, trotz ihrer Anzahl (mehr als ein Viertel der amerikanischen Gesamtbevölkerung war wenigstens halbdeutsch) wäre es nicht zu erreichen gewesen, die amerikanische Regierung zu den Mittelmächten hinüberzuziehen.
Nach dem Ersten Weltkrieg wirkten die „German-Americans“ mit ihrer Stimmwucht auf die Wahl des republikanischen Präsidentenkandidaten Warren Harding ein. Dieser aus Ohio stammende Politiker hatte sein Desinteresse an dem von Wilson verkündeten „Kreuzzug für die Weltdemokratie“ nie verhehlt und als Präsident vorher eingekerkerte Kriegsprotestler begnadigt. Hardings Wahl führte dazu, eine neue Mehrheit aus einer Zusammenstellung von Kriegsgegnern und einer antielitären, vorwiegend protestantischen Mittelschicht zu befestigen. Die gleiche Wählerschaft ist in späteren Wahlkämpfen immer wieder zum Zug gekommen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sie sich mit antikommunistischen Katholiken, die aus der demokratischen Koalition umständehalber ausgestiegen waren, gegen die Linksmitte und die veritable Linke zusammengeschlossen. Überzogen wäre es allerdings zu behaupten, daß diese antilinken Wähler dem Dritten Reich in irgendeiner Form geneigt gewesen wären. Allerdings nahm die gemäßigte demokratische Rechte die Hauptrichtung der mit Wilson und Roosevelt verbundenen Außenpolitik unter Beschuß. Was für sie als Stein des Anstoßes diente, war die spürbare Tendenz der Ostküstenintelligenz und der führenden Schicht der Demokratischen Partei, eine antideutsche, probritische, und zeitweise prosowjetische Außenpolitik zu steuern. Daß bei der Bewertung oder Umbewertung dieser Orientierung bittere Familienerinnerungen, ausgehend von der Verfolgung der „German-Americans“ 1917 bis 1918, die von Sachbeschädigung bis zu Lynchmorden ging, eine Rolle spielten, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Erwähnt werden sollte auch, daß diejenigen, die sich in diesem Lager zusammenfanden, in den 1950er Jahren erfreut waren zu sehen, daß deutsche Alliierte und antikommunistische Amerikaner endlich ein gutes Gespann abgaben.

Die „68er“ brachten die Wende

Der anschließenden, durch die „68er“ mitgestalteten Epoche, hat sich ein grundverschiedenes Wesen aufgeprägt. Bei den Deutschen und nicht zuletzt bei den Amerikanern gebiert diese neue Richtung das dringende Anliegen, die bis dahin mehr oder minder verborgene Schmach der deutschen Vergangenheit völlig bloßzustellen. Die Anstifter der „Aufarbeitung“ förderten nur wenig zu Tage, was nicht schon bekannt gewesen wäre. Doch darum ging es ihnen auch nicht vorrangig. Sie hatten ihre eigenen volkspädagogischen Ziele. Ihr Anliegen, jede beschämende Ecke der neueren deutschen Geschichte auszuleuchten, verfolgte auch das Ziel, mit der Elterngeneration „abzurechnen“. Die Tendenz, alle Kritiker der zunehmend abfälligen Urteile abzuqualifizieren oder ihnen unlautere Motive zu unterstellen, zeigt einen beleibe nicht mit wissenschaftlichen Methoden zu verwechselnden Aktivismus.
Um das zu veranschaulichen zwei Beispiele, eines zum Ersten, das andere zum Zweiten Weltkrieg. Zum Ersten Weltkrieg: Seit den 1970er Jahren liegen übrigens Widerlegungen zur Genüge vor, die Fischers Thesen auseinandernehmen, aber die in der akademischen Schickeria keinen Stellenwert besitzen. Dazu zählen die Arbeiten von Egmont Zechlin, Gerhard Ritter und Joachim Remak, die Fischers These, Deutschland habe 1914 geflissentlich einen Krieg vom Zaun gebrochen, um zur Weltmacht greifen zu können, falsifizieren. Deren Verächtern geht es aber nicht darum, die Gegenargumente sachlich auszuwerten. Worauf es ankommt, ist, die eigene Nation auf dem Weg über die sogenannte „Vergangenheitsbewältigung“ im schwärzesten Licht zu schildern. Die derart verstandene Geschichtsinterpretation zeigt die Besonderheiten des vorgesehenen „herrschaftsfreien Diskurses“ von Habermas an. Die dazugehörigen Rederegeln laufen darauf hinaus, eine deutsche Vergangenheitsabkehr zu erzwingen. Und damit strebt man selbstverständlich dahin, unter dem Deckmantel der Vernünftigkeit oder Wissenschaftlichkeit eine deutsche Selbsterniedrigungshaltung zu fördern.
Eine stimmungsverwandte Entwicklung findet man bei der Ablehnung, differenzierte Verantwortlichkeitsgrade für die deutsche Täterschaft an NS-Greueltaten einzuräumen. Vor drei Jahren veröffentlichte der emeritierte Politologie-Professor Konrad Löw im Deutschland-Archiv einen Aufsatz mit dem Titel „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“, worin die an sich harmlose Meinung vertreten wurde, daß sich nicht alle Deutschen als Hitlers „willige Helfer“ erwiesen hätten. Anhand (unter anderem) der Tagebücher des jüdischen Hochschullehrers Victor Klemperer, der die Leiden seiner Mitjuden im Dritten Reich ausführlich beschrieb, und der nachprüfbaren Klagen von Joseph Goebbels, kommt Löw zu dem völlig begründeten Schluß, daß „die Mehrheit der Deutschen Hitlers brutale Judenpolitik nie bejaht hat“. Ohne das Gegenteil zu belegen, beeilten sich der Verleger (Bertelsmann) und die Bundeszentrale für politische Bildung, Löw einen Denkzettel zu verpassen. Beide bereuten öffentlich die Auslieferung der anstoßerregenden Ausgabe des Deutschland Archivs und versicherten denjenigen Lesern, „welche sich durch den Beitrag verunglimpft fühlen“, den Rest der Auflage zu „makulieren“. Eine methodische Wertung der Vorzüge und Schwachstellen einer umstrittenen These sollte es also gar nicht mehr geben. Und man müht sich auch nicht mit der augenfälligen Frage, warum die jüdische Gemeinde wütend oder besorgt zittern müßte, als sie von der keineswegs „unglimpflichen“ Feststellung des emeritierten Professors hörte. Diese war nichts anderes als die einst maßgebliche Theorie einer begrenzten deutschen Schuld für die Verbrechen der Hitlerjahre. Nicht nur die Deutschen, sondern auch ich als Sproß einer mitteleuropäischen Emigrantenfamilie habe an so etwas geglaubt. Bis die „Holocaust-Industrie“, wie sie der US-Politikwissenschafter Norman Finkelstein genannt hat, in Gemeinschaft mit dem deutschen Selbsthaßbetrieb in den späten 1960er Jahren schnell an Einfluß gewann, wie Peter Novick in seinem diesbezüglichen Buch „Nach dem Holocaust“ herausgestellt hat, hätten recht wenige Historiker Löws Argumenten etwas vorwerfen können.
Freilich ist die Kehrtwende nicht auf die Überzeugungskraft eines Daniel Goldhagen zurückzuführen. Trotz des deutschen Siegeszugs des Verfassers von „Hitlers willige Vollstrecker“ ist schon lange vorher eine instruktive Widerlegung durch den US-Politologen Norman Finkelstein und die kanadische Historikerin Ruth Bettina Birn mit dem Titel „A Nation On Trial“ erhältlich gewesen, die Goldhagen gravierende sachliche Fehler nachweist. Ziel der Abbitte von Konrad Löws Verleger war, den antifaschistischen Journalisten und Lehrern zuzusichern, daß sich alles im Gleise des deutschen Selbsthasses weiter bewegen werde. Am allerwenigsten kümmert man sich um Sachlagen, die sich nicht in diese Richtung instrumentalisieren ließen.
Daß die oben veranschaulichten antideutschen Vorstellungen in die USA hinüberschwappten, sollte niemanden verwundern. Schon lange gibt bei uns eine Linke, die den Deutschen ihre Vergangenheit am laufenden Band vorwirft. In den 1960er Jahren haben ehrfurchtgebietende Historiker wie Fritz Stern und mein erster Dissertationsvater Hajo Holborn versucht, die Fischer-Geiss-Schule vor sogenannten „irrenden Nationalisten“ zu beschützen. Ihrer Erzählkunst zufolge mußte sich Fischer, der die Kriegsjahre vermutlich im Bedrängnis verbracht hatte, einsam und kümmerlich durchhelfen. Wegen meiner Ausbildung kam ich auch zu dem Eindruck, daß der Widerstand gegen Hitler aus „Mittätern“ bestanden hätte. Ohne die Argumente der Gegenpartei gebührend zu berücksichtigen, hat die kritikübende Linke Helmuth James Graf von Moltke und Claus Schenk Graf von Stauffenberg einer Art von antikommunistischen Faschismus zugeordnet. Nichtlinke und nicht-antinationalistische Deutsche wurden über denselben Kamm geschoren. Zudem haben zwei renommierte Politologieprofessoren, die einfach als Zentristen firmiert haben, Sidney Verba und Gabriel Almond, in ihrem Fachbuch für außenpolitische Studien, The Civic Culture (1965), den Deutschen eine mangelnde „demokratische bürgerliche Kultur“ vorgehalten. Im Gegensatz zu benachbarten europäischen Gesellschaften, so Verba and Almond, ging die deutsche Gemeinschaftlichkeit fehl; ein Manko, das die Autoren auf das nur halb umgesetzte Unterfangen, die Deutschen „umzuerziehen“, zurückführten.

Die antideutsche Haltung der Neokonservativen

Was für die antideutschen Empfindungen unter den Amerikanern vornehmlich bezeichnend erscheint, ist, daß sie sich in den letzten 25 Jahren mit der rechtsmittleren Szene verbunden haben. Seit dem Aufschwung der Neokonservativen zu internationaler Wirkungsmächtigkeit und nicht zuletzt zu Gleichschaltern der amerikanischen konservativen Bewegung, verbreitete sich die intensive Abneigung gegen die Deutschen ebenso auf der Rechten wie auf der Linken. Abkömmlinge ostjüdischer, meist linksgesinnter Familien, die in New York und seinen Vororten siedelten, haben sich die „Neocons“ über die Verbrechen des Dritten Reiches derart entsetzt, daß sie überall in der deutschen Geschichte „Vorboten des Hitlerismus“ wittern. Obwohl diese Gruppierung die Deutschen nie mit Samthandschuhen angefaßt hat, wurden rasende Ausfälle gegen sie vor der Wende unterlassen. Bis der Kalte Krieg ablief, wollten die Neocons einen damals unentbehrlichen amerikanischen Alliierten nicht vergrämen. Jedoch traten vorausweisend in den 1980er Jahren in ihrer Monatsschrift Commentary schon Wegbereiter der Neuausrichtung auf. Kommentatoren, der Altertumsgeschichtler Donald Kagan voran, zeichnete angelehnt an Fischer und Geiss eine vermeintliche Querverbindung vom Zweiten Reich zu Hitlers Außenpolitik nach. In etlichen, im Commentary veröffentlichten Aufsätzen, hat man die Almond-Verba-These, daß den Deutschen eine „echte demokratische Kultur“ fehle, eingewoben. Wenngleich die „Umerziehung“ im Nachkriegsdeutschland angesichts der deutschen Erblast als grundsätzlich richtig gewertet wird, beklagt man dabei, daß die nationsumfassende Neuausrichtung nicht weit genug getrieben worden wäre. Kurzgefasst: Die Neokonservativen haben ihren antideutschen Ekel so oft bekundet, wie die Zeitumstände es erlaubt haben. Sobald der Kalte Krieg abebbte, bot sich die Gelegenheit, die bis dahin gehemmte Denunziantenwut loszulassen. Als die Kohl-Regierung 1990 ausländische Stimmung in punkto deutscher Wiedervereinigung auslotete, trat der künftige Vizepräsident der „Heritage Foundation“, Stuart Butler, für eine antideutsche Gegnerschaft ein. Nicht unbeachtet sollte man dabei lassen, daß Heritage auf neokonservative Dotierungen (bis hin zu 12 Millionen Dollar jährlich) angewiesen ist. Der angeführte Grund, warum die Deutschen auf die Bremse treten sollten, nämlich daß der Anblick eines geeinten deutschen Nationalstaates benachbarte Länder erschrecken müßte, ist offenbar eher eine antideutsche Phobie als eine echte Sorge um die Befindlichkeiten der deutschen Anrainerländer. Ebenso überdeutlich sind die Beweggründe für die neokonservative Anbetung des „demokratischen Staatsmanns Winston Churchill“. Im Claremont Review und gleichgesinnten neokonservativen Zeitschriften wird Churchills Antigermanismus auch im Vorfeld des Ersten Weltkriegs als eine demokratische Stärke eingestuft. Vor etwa einem Jahr, dank einer Haushälterin, ertönte der neokonservative FOX-Kanal durch meinen Wohnraum, den Kommentar des Obersten Oliver North, der das Verhängnis von 1914 verdeutlichen wollte, übertragend. Dieser hat sich dadurch ausgezeichnet, daß er 1987 eine Begnadigung beim Präsidenten beantragen mußte, nachdem er bezahlte Waffen für die iranischen Mullahs gegen gewaschene Subventionen für die Contra-Partisanen in Nicaragua ohne Berechtigung ausgetauscht hatte. Nach dem Fehlschlag seines späteren Ringens um einen Senatsitz wuchs sich North zu einem Vorzeigejournalisten der neokonservativen Glaubensrichtung aus. Im Fernsehen behauptete er damals, daß der letzte deutsche Kaiser entschied, „all die Demokratien gleichzeitig anzugreifen“. Ob die Konflikte zwischen Deutschland und den Westmächten andere, belegbare Gründe hatten, spielte bei dieser Vorstellung natürlich keine Rolle.

Wollte Deutschland 1914 die USA überfallen?

Ebenso typisch für die neokonservative Geschichtsaufarbeitung ist die von Fred Siegel hergestellte biographische Skizze einer Leitfigur der alten amerikanischen Rechten nämlich H. L. Mencken, in der neokonservativen Zweiwochenschrift Weekly Standard (30. Jänner 2006). Siegel bezeichnet den verstorbenen Widersacher des amerikanischen Eintretens in den Ersten Weltkrieg als einen festgelegten und anrüchigen „Verteidiger der deutschen Kultur“. Jedem Beistand für die Entente gegen „die deutschen Militaristen“ hat sich Mencken widersetzt; und dadurch veranschaulichte er die von Siegel betonte Beziehung zwischen der damals aufbrausenden Kriegsopposition und mit den Feinden der demokratischen Zivilisation. So hartnäckig sei Mencken für die deutsche Seite eingetreten, so Siegel, daß er sogar vor dem bekannten deutschen Plan, die USA zu überfallen, das Gesicht abwandte.
Dem unbefangenen Leser sollte es einleuchten, daß bei Siegel und der Redaktion des Weekly Standard keine Spur von Sachlichkeit zu finden ist. Man legt daher auch keine Indizien vor, daß die deutsche Regierung 1914 tatsächlich eine Besetzung der USA beabsichtigt haben könnte. Eine solche Eventualfallvorlage hat das deutsche Militär zwar in den 1890er Jahren aufbereitet und sie in eine Aktenablage eingereiht; letztlich hat das Reichskabinett, wenn dem British Guardian, einer Hauptquelle des Gerüchts zu vertrauen ist, 1907 beschlossen, den schon verstaubten Plan für obsolet zu erklären. Auch das „Zimmermann-Telegramm“, der angebliche Kriegserklärungsauslöser, den Siegel heranzieht, beweist gar nichts, sondern muß wohl als eine deutsche Verzweiflungsaktion angesehen werden: Wenn die Amerikaner den deutschen Hoffnungen zuwider den Krieg gegen die Mittelmächte erklären würden, dann hätten die Bekriegten zumindest die Aussicht auf einen möglichen mexikanischen Bundesgenossen, den die USA angreifen könnte.
Über die brisante Verwendung der U-Boot-Waffe hat die kaiserliche Regierung deshalb entschieden, weil sie der erdrückenden britischen Belagerung ihrer Küsten entgegenwirken wollte. Ein nicht genug herausgestrichener und auf die zukünftige Belagerung bezogener Sachverhalt beweist, daß die deutsche Regierung berechtigt war, wegen einer Umkreisungsgefahr besorgt zu sein. Nach Zechlins Begründung haben die Engländer und Russen vereinbart, ein Flottenabkommen im Sommer 1914 zu unterzeichnen, das eine gemeinsame Blockade gegen die Deutschen im Kriegsfall vorgesehen hat. Wie der englischer Unterhändler Harold Nicholson sich in seinem Tagebuch notierte, wurde nicht deutlich gemacht, ob die Versicherungen auf einen Angriff seitens der Mittelmächte beschränkt gewesen wären. Die Möglichkeiten eines Präventivkrieges wollten sich die antideutschen Alliierten offenhalten. Angesichts der britischen Vorherrschaft auf See waren zudem die eingesetzten deutschen U-Boot-Besatzungen nicht in der Lage, aufzutauchen und Schiffe nach Konterbanden zu durchsuchen. Hinzu kommt, daß die kaiserliche Regierung ihr probritisches, amerikanisches Gegenstück immer wieder gemahnt hat, sich von den anvisierten Seekursen fernzuhalten. Auch ist zu bemerken, daß die Wilson-Regierung und nicht Menckens Seite an der Verletzung der Bürgerrechte der kriegskritischen Amerikaner schuld gewesen ist. Und man hat die Opposition der förmlichen Kriegserklärung vorauseilend abgewürgt, als amerikanische Amtsträger den bundesweiten Auftrag erhielten, Neuigkeiten aus Europa zuerst nachrichtendienstlich zu verarbeiten und erst dann öffentlich mitzuteilen. Blutige Krawalle haben sich teilweise an zurechtgestutzten Berichten zum Schaden deutschstämmiger Amerikaner entzündet.
Ziel hier aber ist nicht, Stimmung gegen „Wilson’s War“ wieder aufzuheizen, sondern einfach die Frage zu stellen: Warum versucht man jetzt, einen vor 90 Jahren begangenen Mißstand nicht nur schönzureden, sondern auch dessen Opfer (überhitzte Demonstranten haben etwa Menckens Familienhaus in Baltimore ramponiert) nochmals zu beschimpfen?

Deutsche Linke und amerikanische Rechte sind sich einig

Es rührt daher, daß die Schrittmacher mittlerweile dazu gelangt sind, der amerikanischen neokonservativen Bewegung ein populäres Gepräge zu verleihen; und daran reiht sich das modische Gemisch von Wilsonianismus, weltdemokratischer Spinnerei und einer wieder geschürten Teutonophobie auf Seiten der amerikanischen Rechten. Ohne darauf weiter einzugehen, muß daraus geschlossen werden, daß es, wenn das Deutschtum auf der Tagesordnung steht, keine Kluft mehr zwischen den deutschen Antifaschisten und dem amerikanischen rechtsmittleren Milieu gibt. Niemand streitet ab, daß die beiden Seiten keineswegs einig sind, was etwa den Krieg im Irak angeht. Wenn aber die Rede auf die Deutschen als die eine Nation kommt, dann brechen beide unisono und händeringend in Gezeter aus. Ob die eine oder die andere Gruppe von dieser schon eingefleischten Verhaltensweise zu entwöhnen ist, kann ich hier nicht mehr behandeln. Mein Ziel war schlicht und einfach die Problematik aufzuzeigen, warum die amerikanische Rechte oder was darunter zu verstehen ist, sich nicht mehr deutschfreundlich ausnimmt. Und was immer die Zukunft bringen mag, ich finde mittlerweile keinen Anlaß zum Glauben, daß sich diese Haltung schon bald abmildern wird. Belege dafür sind vorerst nicht aufzutreiben.

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com