Archiv > Jahrgang 2007 > NO II/2007 > Weißrußland 

Ende der Entwicklungshilfe?

Von Dr. Peter Bachmaier

Unabhängiger Weg zwischen Moskau und Brüssel

In Weißrußland (Belarus) sollte im März 2006 anläßlich der Präsidentenwahlen nach dem Willen des einzig verbliebenen Imperiums eine orange Revolution stattfinden, finanziert von internationalen Stiftungen, um einen Regimewechsel herbeizuführen und, ähnlich wie in der Ukraine 2004, Demokratie und Marktwirtschaft nach neoliberalem Muster einzuführen. Aber auch Rußland versuchte, durch Preiserhöhungen für Erdgas und Erdöl das Land unter Druck zu setzen. Der folgende Beitrag zeigt auf, auf welche Weise auch ein kleines Land in der Lage ist, einen eigenen Weg zu gehen und einen Angriff auf seine Unabhängigkeit abzuwehren.

Jahrhundertelang war die Gemeinschaft der drei ostslawischen Völker der Russen, Ukrainer und Weißrussen – eine „heilige Angelegenheit“, wie Präsident Lukaschenko in seiner Rede vor der russischen Staatsduma am 13. November 1996 erklärte. Die Grundlage dafür waren die gemeinsame Abstammung, die Verwandtschaft der Sprachen, die gemeinsame christlich-orthodoxe Religion und die gemeinsame Geschichte. Das soll sich nach der Meinung jener Geostrategen, die an der „Demokratisierung der Welt“ arbeiten, ändern.1
Weißrußland ist die deutsche Übersetzung von Belarus oder Belorussija. Im Mittelalter bedeutete belyj im Russischen nicht nur weiß, sondern auch westlich; Belarus war demnach das westliche sowie auch das nicht von den Mongolen besetzte russische Land. Es war ursprünglich ein Teil des Kiewer Rußlands, dann des Großfürstentums Litauen, in dem ein Vorläufer des Weißrussischen als Kanzleisprache gebräuchlich war, und des polnisch-litauischen Staates. Infolge der polnischen Teilungen fiel es im 18. Jahrhundert an das russische Zarenreich. In der Sowjetunion wurde 1918 die Belorussische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) proklamiert, die 1945 gemeinsam mit der Ukraine auch ein Gründungsmitglied der Vereinten Nationen wurde.
Belorußland konnte sich über die Behandlung innerhalb der UdSSR nicht beklagen. Die Republik war ein Musterland, vollständig in die Sowjetunion integriert, stark industrialisiert, urbanisiert und hatte den höchsten Bildungsstand: Während in der Russischen Föderation (RSFSR) die Kennziffer des Anteils an Hochschulabsolventen im Laufe der letzten drei Jahrzehnte der Existenz der Sowjetunion (1959–1989) um das 4,2fache und in – der Ukraine – um das 4,6fache stieg, erhöhte sie sich in der BSSR um das 6,9fache. Der Anteil von Spezialisten mit Hochschulbildung betrug in der BSSR 144 pro Tausend (in der RSFSR 146, in der Ukraine 139). Die Sprache des öffentlichen Lebens war Russisch, während Weißrussisch nur als Familiensprache und im kulturellen Sektor verwendet wurde.2 Am 24. August 1991 erklärte die Belorussische Sowjetrepublik ihre Unabhängigkeit. Seit damals ist Weißrußland (offiziell Republik Belarus) ein unabhängiger Staat und wurde im Dezember 1991 auf der Konferenz in der Regierungsdatscha Viskuli in der Belowescher Heide bei Brest Gründungsmitglied der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten.3
Die weißrussische Nomenklatura, begierig nach dem Privateigentum an Produktionsmitteln, förderte – ähnlich wie in der Ukraine – in den 1980er Jahren in der Zeit der Perestrojka und Anfang der 1990er Jahre die Bewegung für nationale Unabhängigkeit, weil sie damit die Befreiung von der Bevormundung durch die Zentrale Plankommission und den Anschluß an den Westen zu erreichen glaubte. Im Jahre 1994 gewann jedoch Alexander Lukaschenko die Präsidentschaftswahlen, der als einfacher Sowchosvorsitzender nicht aus der Nomenklatura kam – als einziger unter allen Präsidenten der Nachfolgerepubliken der Sowjetunion – und nicht ihre Interessen vertrat. Er behielt viele Einrichtungen des sowjetischen Staates bei, aber entmachtete die im Entstehen begriffene neue Oligarchie und errichtete eine Präsidialrepublik, die seither von der Political Correctness als „Diktatur“ bezeichnet wird.
Mit Hilfe eines Referendums konnte Lukaschenko im November 1996 eine neue Verfassung etablieren, die dem Präsidenten entscheidende Vollmachten gewährte – vom Westen als „Verfassungsputsch“ bezeichnet und bis heute nicht anerkannt – und eine Union mit Rußland vorsah. Nach amtlichen Mitteilungen befürworteten 70,45 % der Wahlberechtigten den präsidialen Verfassungsentwurf.4
Sein Programm, das ein Gegenmodell zu den neoliberalen Reformen seiner Nachbarländer ist, erläuterte Alexander Lukaschenko auf folgende Weise: „Wir bauen einen sozialorientierten Staat. Wenn wir über Marktumwandlungen sprechen, so meinen wir nicht Reformen, sondern Vervollkommnung. Wir haben auf das Wort ‚Reform‘ längst verzichtet, das unseren Menschen sowohl in Rußland als auch in Weißrußland Angst eingejagt hat. Wir haben den Weg der Zerstörungen vermieden. Was die Landwirtschaft angeht, haben wir ein Programm der Erneuerung, sozusagen der Rettung unseres Dorfes, angenommen.“5

Soziale Marktwirtschaft

Weißrußland kann seit Jahren auf Wachstum, Stabilität und soziale Sicherheit verweisen. Es ist die erste Ex-Sowjetrepublik, die das Bruttoinlandsprodukt aus der Ära vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder erreichte. Das wirtschaftliche Ergebnis Weißrußlands beträgt heute 116 % des Niveaus von 1990, verglichen mit 85 % in Rußland und 60 % in der Ukraine.6
Seit 1999 stieg das BIP jährlich um 9–10 %. Im Länderbericht des IWF für 2004 war von einem starken Wirtschaftswachstum von 11 % auf Grund externer Faktoren die Rede.7 Im Jahre 2005 stieg das BIP um 9,2 %, die Industrieproduktion um 10,4 %, die landwirtschaftliche Produktion um 2,1 %, die Konsumgüterproduktion um 10,4 %, die Kapitalinvestitionen um 22,6 %, der Außenhandel um 11,1 %, die Inflation um 8 %, und die Arbeitslosigkeit betrug 1,5 % (die niedrigste unter den ex-sowjetischen Ländern). Im Jahr 2006 stieg das BIP um 8 % und in den ersten fünf Monaten des Jahres 2007 um 9 %, während sich die Arbeitslosigkeit auf 1,1 % verminderte.8 Die Auslandsschulden des Landes betragen nicht mehr als 813 Mio US-Dollar. Nach dem Index der Konferenz für Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCTAD) ist Weißrußland an 44. Stelle und steht damit vor allen anderen GUS-Ländern.9
Der Durchschnittslohn betrug 2004 im Staatsdienst 225 US-Dollar und in der Wirtschaft 250 US-Dollar. Das mittlere Lohnniveau in der Hauptstadt Minsk lag bei 240 US-Dollar. Im Jahr 2005 stieg der Durchschnittslohn neuerlich um 16 %. Das BIP je Einwohner betrug mit 2335 US-Dollar (2004) nahezu das Doppelte des Wertes in der Ukraine (1365 US-Dollar).10 Die Investitionen in der Wirtschaft stiegen von 200–300 Mio US-Dollar im Jahr 2000 auf 7 Mrd. US-Dollar im Jahr 2005.11
Der Internationale Währungsfonds hat sein Engagement in Weißrußland 2002 eingestellt, weil die Fortschritte bei den Reformen „ungenügend“ waren, während sich andere internationale Finanzinstitutionen auf die Förderung kleiner und mittlerer Betriebe sowie auf Projekte im Gesundheits-, Sozial- und Umweltbereich beschränkten. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), die ihre Tätigkeit in engem Zusammenhang mit dem Stand des Verhältnisses EU – Weißrußland sieht, investierte im Zeitraum 2001–2005 fast € 200,– Mio, aber hauptsächlich im privaten und nicht im staatlichen Sektor.12
Die Ursache für diese positive wirtschaftliche Entwicklung ist nicht so sehr die bisherige billige Energie, die das Land von Rußland bezieht, der hohe Weltmarktpreis für Erdöl und der Vorteil, den der Außenhandel mit Rußland gegenüber dem Handel mit allen Nicht-GUS-Staaten und einigen GUS-Staaten genießt, sondern die Tatsache, daß der Staat weiterhin eine souveräne Wirtschaftspolitik betreibt und nicht vor der Globalisierung und den „Konditionen“ des IWF kapituliert hat.
Viktor Schadurski, Politologe an der Fakultät für internationale Beziehungen der Staatlichen Universität Minsk (BGU), bezeichnet die „Nutzung der administrativen Ressourcen“ als die Besonderheit des weißrussischen Sozial- und Wirtschaftsmodells, d. h. eine umfassende staatliche Kontrolle über die marktwirtschaftlichen Prozesse, die die destruktiven Kräfte zügelt und die Herausbildung von oligarchischen Strukturen wie etwa in der Ukraine verhindert hat.13
Die Regierung hat auch erkannt, daß zu einem Staat, der langfristig seine Zukunft sichern will, eine pro-natalistische Bevölkerungspolitik gehört. Deshalb werden Familien mit drei oder mehr Kindern vom Sozialministerium und den Gemeinden gefördert und Frauen mit fünf oder mehr Kindern mit dem „Mutterorden“ ausgezeichnet. Das hat bereits dazu geführt, daß die kinderreichen Familien zunehmen und die Anzahl der Geburten die Anzahl der Todesfälle übersteigt.14 Etwa 80 % der Bevölkerung empfinden die wirtschaftliche Lage nach unabhängigen Umfragen als befriedigend oder gut.15

Die geistige Wiedergeburt

Mit dem Zerfall der Sowjetunion ging ein rapider Wertewandel einher, der bereits in den 1980er Jahren begann und mit einer Wiederbelebung der nationalen Kultur, gleichzeitig aber einem verstärkten westlichen Einfluß verbunden war. Bereits im Jahr 1990 hatte der Oberste Sowjet der Belorussischen Sowjetrepublik ein Sprachengesetz verabschiedet, das die weißrussische Sprache zur Staatssprache erklärte, während das Russische nur den Status einer Sprache der interethnischen Kommunikation erhielt.16
Das im Oktober 1991 verabschiedete Bildungsgesetz, das Weißrussisch als Hauptsprache vorsah, sollte ein weiterer Schritt zur Loslösung von Rußland sein. Neben der Förderung der weißrussischen Nationalkultur sollten gleichzeitig die westlichen „demokratischen Werte“ vermittelt werden. Diese Bewegung verlor jedoch nach der Wahl Lukaschenkos 1994 wieder an Bedeutung. Im Referendum von 1995 bejahten mehr als 70 % der Bürger die Frage, ob Russisch zur zweiten Staatssprache neben Weißrussisch erhoben werden solle.17
Dem Bildungswesen wird von der Regierung in den letzten Jahren eine hohe Priorität beigemessen, was in einem im Vergleich zu anderen GUS-Ländern überdurchschnittlichen Anteil am Staatsbudget (ca. 7 %) zum Ausdruck kommt.18 Das Fach „Staatsideologie“, eine Art Staatsbürgerkunde, die in den oberen Klassen unterrichtet wird, dient der Erziehung zur Liebe zur Heimat, zum Staat und zur Familie. Der Minister für Volksbildung, Alexander Radkow, erklärte dazu in einem Interview: „Wenn man nicht an der Staatsideologie in der Erziehung des jungen Menschen festhält, so nehmen die entstehende Nische andere, in der Regel zerstörerische Kräfte ein. Das führt unvermeidlich zum Chaos, zur Unordnung und Verschwommenheit in den Idealen.“19 Die Zielsetzungen der 1998 beschlossenen Bildungsreform, die die zehnjährige Schulpflicht festlegte, nannten „die Wiederherstellung der nationalen und kulturellen Grundlagen der Erziehung“ an erster Stelle.20
Die patriotische Erziehung ist auch Aufgabe des „Weißrussischen Republikanischen Verbandes der Jugend“ (BRSM), der im Jahre 2002 durch einen Zusammenschluss verschiedener Jugendverbände entstand und Jugendliche im Alter von 14 bis 31 Jahren umfasst.21 Der Verband der Jugend hat in den letzten Jahren eine Reihe von Aktionen durchgeführt; so „Wir dienen Weißrußland“ zur Stärkung der Verbindung der Jugend mit der Armee; die Aktion „Gedenken“ zur Erinnerung an die Verteidigung der Heimat in den Jahren des Zweiten Weltkriegs und schließlich die Aktion „Weihnachtsbaum“, die jährlich am orthodoxen Weihnachtsfest Anfang Jänner unter Mitwirkung des Metropoliten von Minsk und der orthodoxen Geistlichkeit durchgeführt wird.22
Es gibt bis jetzt keinen Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen, aber die orthodoxe Kirche unterstützt das Regime, was in vielen Veranstaltungen zum Ausdruck kommt. Die jährlichen „Kyrill-und-Method-Vorlesungen“ an der Staatlichen Universität Minsk dienen der Wiedergeburt der christlichen Werte in der weißrussischen Gesellschaft, wie der Metropolit von Minsk, Filaret, anläßlich der Eröffnung der XII. Vorlesungen am 24. Mai 2006, am Festtag der hl. Slawenapostel, erklärte.23
Mit dem Preis „Für die geistige Wiedergeburt“, bereits 1997 durch ein Dekret des Präsidenten gestiftet, werden jährlich am 7. Jänner, am Tag von Christi Geburt, Kulturschaffende, Schriftsteller, Lehrer und Geistliche für hervorragende Leistungen im Bereich der Literatur und Kunst, im humanitären Bereich und für die Festigung geistiger Werte ausgezeichnet.24

Die geplante Union mit Rußland

Die weißrussische Regierung schloß 1996 einein Vertrag über die Bildung einer „Gemeinschaft“ und 1999 einen Vertrag über die Bildung einer „Union“ mit Rußland.25 Die Integrationsdynamik auf dem Papier hat aber ihre politischen Grenzen erreicht. Tatsächlich kann die Integration beider Länder nur in dem Tempo verwirklicht werden, wie die Angleichung der Wirtschaftssysteme Fortschritte macht.26 Im Juli 2002 wies Präsident Putin im Anschluß an den neunstündigen Petersburger Gipfel die Konzeption seines weißrussischen Kollegen Lukaschenko zur weiteren rechtlichen und politischen Ausgestaltung des Unionsstaates Rußland – Weißrußland zurück.27
Weißrußland ist nach Deutschland der größte Handelspartner Rußlands. Das Land wickelt 60 % seines Handels mit Rußland ab, von dem es über 90 % seines Energiebedarfs bezieht.28 Die Führung Weißrußlands sieht ihr Land in der Rolle des russischen Schildes und einer Grenzfestung, die die Grenzen der slawischen Völker gegen westliche Feinde schützt.
Die Verteidigungsministerien Rußlands und Weißrußlands wollen ein gemeinsames Luftabwehrsystem aufbauen, das dem Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte die Möglichkeit bietet, von der weißrussischen Luftverteidigung Gebrauch zu machen, und dem Oberbefehlshaber der weißrussischen Streitkräfte, die russischen Flugabwehrmittel in Anspruch zu nehmen.29 Diese Zusammenarbeit hat angesichts der Pläne der USA, eine Raketenabwehr in Polen und Tschechien aufzubauen, eine besondere Aktualität erlangt.
Der Vertrag von 1999 hat aber bisher weder zu einer gemeinsamen Verfassung noch zu einer gemeinsamen Währung geführt. Lukaschenko verfolgt zunehmend einen Autarkiekurs mit dem ausdrücklichen Ziel, die ökonomische und politische Abhängigkeit auch von Rußland zu vermindern. Er tritt für eine Union mit Rußland auf gleichberechtigter Grundlage ein, lehnt aber einen Eintritt in die Russische Föderation und die Aufgabe der eigenen Souveränität ab.30
Die staatliche russische Erdölgesellschaft Gasprom, die schon 2004 die Preise für Erdgas erhöht hatte, wollte im Jahre 2006 von Weißrußland 200 $ statt 46 $ pro m³ Erdgas und erhöhte gleichzeitig den Ausfuhrzoll für Erdöl auf 170 $ pro Tonne. Weißrußland ergriff daraufhin Gegenmaßnahmen und verlangte einen Transitzoll für den russischen Energietransit über weißrussisches Territorium, um die russischen Preiserhöhungen zu kompensieren. Am 31. Dezember 2006 wurde schließlich ein Vertrag zwischen Gasprom und der weißrussischen Organisation Beltransgas über die Lieferung von Erdgas in den Jahren 2007 bis 2011 unterzeichnet. Darin wurde der Preis des Erdgases von 46 auf 100 $ erhöht, und Gasprom erhielt das Recht, 51 % der Anteile von Beltransgas zu erwerben, womit Weißrußland seine Mehrausgaben decken kann. Nach der Einschätzung des IWF wird der höhere Wert des importierten Erdgases und Erdöls einen Verlust von 5,5 % des BIP Weißrußlands pro Jahr nach sich ziehen.31

Die „demokratische Opposition“ in Weißrußland

Westliche Medien, die über Weißrußland berichten, konzentrieren sich heute auf die Kundgebungen der „demokratischen Opposition“, die von der Polizei, wie es heißt, „gewaltsam“ unterdrückt werden. Tatsache ist aber, daß alle Oppositionellen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie der Soros-Stiftung, der Euroatlantischen Vereinigung, der Friedrich-Ebert-Stiftung oder der OSZE-Beobachtergruppe unterstützt und geschult werden. Die Regierung in Minsk hat in der letzten Zeit die meisten dieser Organisationen mit Hilfe eines neuen Gesetzes, das eine Offenlegung der Finanzierung verlangt, vertrieben, und deshalb operieren sie heute von den Nachbarländern aus.
Groß ist die Rolle der amerikanischen Stiftungen. Das von Madeleine Albright geleitete National Democratic Institute (NDI) in Washington, das ein Büro in Kiew unterhält, hat für das Jahr 2006 rund 12 Mio $ für die weißrussische Opposition zur Verfügung gestellt. Das International Republican Institute (IRI), das ein Büro in Wilna unterhält, organisierte im Dezember vergangenen Jahres ein großes Treffen der weißrussischen Opposition in dieser Stadt. An dem Treffen nahmen so erfahrene Persönlichkeiten teil wie Terry Nelson, der im Jahre 2004 einer der Wahlkampfleiter von George Bush war, Trygve Olson, der die Aufständischen in Serbien im Jahre 2000 „beraten“ hatte, und Thomas C. Adams vom Außenministerium der USA. Die amerikanische Regierung gab 2005 nach amtlichen Angaben 11,8 Mio $ für die Förderung der Demokratie in Weißrußland aus und will 2006 weitere 13 Mio $ dafür aufwenden.32
Die EU-Kommission unterstützt, wie Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner verkündete, Radiosendungen der BBC und der Deutschen Welle, die an fünf Tagen in der Woche eigens für Weißrußland „unabhängige“ Nachrichten und Rockmusik bringen. Im Jänner 2006 hat die EU mit der deutschen PR- und Medienagentur Media Consulta einen Zweijahresvertrag über € 2,4 Mio abgeschlossen, damit sie die Nachrichtensendungen für Weißrußland koordiniert, die vom Ausland aus gesendet werden.33
Die EU-Kommission ließ von der deutschen Bertelsmann-Stiftung bereits eine Strategie für den Sturz der Regierung in Minsk ausarbeiten. Der Plan sieht vor, daß weißrussische Oppositionspolitiker im Westen wie Staatsmänner empfangen werden und westliche Politiker nach Weißrußland reisen, um die Opposition zu unterstützen, ferner daß ein neuer EU-Fonds „außerhalb der strengen Richtlinien der Kommission“ geschaffen werden solle, um die Zivilgesellschaft und die nichtstaatlichen Medien im Lande zu stärken. So wurde der Oppositionspolitiker Alexander Milinkjewitsch am 26. Jänner 2006 zu einer Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eingeladen und von José Manuel Barroso, Javier Solana, Angela Merkel und Wolfgang Schüssel empfangen.34
Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem der Westen versucht, in Weißrußland Fuß zu fassen, ist das Hochschulwesen. Bereits im Jahre 1992 wurde die Europäische Universität für humanitäre Studien (EHU) als private Einrichtung in Minsk gegründet, finanziert von der Soros-Stiftung und der EU-Kommission. Die Universität, die zuletzt rund 1.000 Studenten hatte, setzt sich zum Ziel, „eine neue Elite zu demokratischen Werten zu erziehen“. Die Universität, die im Juli 2004 von der Regierung geschlossen wurde, setzt derzeit ihren Betrieb mit westlicher Hilfe im benachbarten Wilna fort.35
Eine besondere Rolle in der Politik des Westens gegenüber Weißrußland spielt die polnische Regierung, die offen für eine „demokratische Revolution“ und den Sturz des Lukaschenko-Regimes eintritt. Als im Juli 2005 eine regimefeindliche Gruppe im Verband der Polen in Weißrußland die Macht übernahm, ließ die Regierung das Gebäude des Verbandes in Grodno von der Polizei besetzen. Drei polnische Diplomaten, denen man vorwarf, in die Ereignisse verwickelt zu sein, wurden des Landes verwiesen. Daraufhin wurden weißrussische Diplomaten aus Warschau ausgewiesen, und der polnische Botschafter in Minsk verließ unter Protest das Land, was ihn aber nicht daran hinderte, anläßlich der Wahl privat ins Land zurückzukehren und an den Kundgebungen der Opposition teilzunehmen.36
Diese Tatsachen lassen es fragwürdig erscheinen, dass die Demonstranten in Minsk, die nicht zufällig weiß-rot-weiße Fahnen mit sich führen, die der polnischen rot-weißen Fahne ähnlich sind, dem Willen des weißrussischen Volkes entsprechen oder ob nicht vielmehr ausländische Mächte die Hände im Spiel haben.
Die Opposition ist aber in Weißrußland keineswegs verboten. Die westlichen Fernsehsender Euronews, RTVi, Radio Liberty und CNN senden für westliche Gelder auf weißrussischen Frequenzen, und die Opposition ist in diesen Medien allgegenwärtig. Auch die Aktivisten der 2001 gegründeten Oppositionsgruppe „Subr“ (Wisent) gingen durch die Ausbildungslehrgänge für „zivilen Widerstand“ der serbischen Organisation „Otpor“, die bereits den Umsturz in Belgrad im Oktober 2005 organisiert hatte.
Die EU organisiert und finanziert zudem die Ausstrahlung von „unabhängigen Sendungen“ per Hörfunk und Fernsehen nach Weißrußland. Dafür agiert ein internationales Konsortium mit Media Consulta (Deutschland), European Radio for Belarus (Polen) sowie Radio Baltic Wave (Litauen) in Zusammenarbeit mit weißrussischen Nichtregierungsorganisationen. Die Sendungen werden von Deutschland aus über Satellit ausgestrahlt. Der letzte Kongreß der oppositionellen Kräfte, der im Mai 2007 ungestört im Haus der Kultur in Minsk stattfand, setzte Milinkjewitsch als Führer der Opposition ab und beschloß die Einrichtung eines neuen Vorstands, in dem alle politischen Gruppen gleichberechtigt vertreten sind.

Die Sanktionen der Europäischen Union

Weißrußland wird von den westlichen Ländern politisch und diplomatisch isoliert, was jedoch wirtschaftliche Beziehungen nicht ausschließt. Im Jahre 1997 traf der Rat der EU die Entscheidung, die politischen Beziehungen zu Weißrußland so lange einzuschränken, bis die weißrussische Führung auf den Weg der „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ zurückkehrt. Lukaschenko gab keine Antwort auf das Angebot der EU, sich Weißrußland in einer Zug-um-Zug-Politik zu öffnen, sprich: in dem Maße, wie das Regime der Opposition Raum gibt zu Artikulation und zu aktiver Mitgestaltung in Staat, Wirtschaft und Medien.37
Am Ende sollte nach westlicher Vorstellung der Rückgriff auf die Substanz der Verfassung von 1994 und die „Rückkehr zur Demokratie“ stehen. Mit großem Engagement hatte sich die OSZE-Beratergruppe unter der Leitung des deutschen Diplomaten Hans-Georg Wieck dieser Aufgabe gewidmet. Ihr Hauptziel war es, als Katalysator der demokratischen Prozesse in Weißrußland zu wirken und die Ansätze einer Zivilgesellschaft zu fördern.38 Die OSZE-Mission bildete Tausende von Wahlhelfern für die Durchführung der Parlaments- und Präsidentenwahlen aus.39 Das Centre for European Policy Reform erklärte anläßlich der Wahlen in Weißrußland im März 2006 die bisherige Politik des „bedingten Engagements“ des Westens gegenüber dem Lukaschenko–Regime für gescheitert und forderte eine neue Politik.40 Eine Demarche der EU nach den Wahlen vom März 2006, in der sie ihre Besorgnis über die Situation der Menschenrechte in Weißrußland zum Ausdruck bringt, wurde jedoch vom Außenministerium Weißrußlands abgelehnt.41
Auch der Deutsche Bundestag unterstützte in zwei Beschlüssen 1997 und 2000 diesen Standpunkt. Daraufhin ließ die Regierung in Minsk die EU-Botschafter zu unerwünschten Personen erklären, worauf die EU wiederum Regierungsmitgliedern Weißrußlands keine Visa mehr erteilte und das Partnerschafts- und Nachbarschaftsabkommen suspendierte. Diese EU-Beschlüsse wurden auf amerikanischen Druck nach den Wahlen vom März 2006 erneuert und auf etwa 35 Personen erweitert.42
Deutschland hat sich trotz der angespannten politischen Beziehungen seit der Unabhängigkeit 1991 zum zweitwichtigsten Handels- und Wirtschaftspartner Weißrußlands nach Rußland entwickelt. Der gemeinsame Warenumsatz hat sich innerhalb der letzten Dekade verfünffacht und überstieg 2005 die Grenze von zwei Mrd. US-Dollar.43 Die Fraktionen der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen stellten im Bundestag den gemeinsamen Antrag, „die Demokratiebewegung in Weißrußland zu fördern“, einen Demokratiefonds und den Posten eines EU-Sonderbeauftragten für Weißrußland zu schaffen.44
Die weißrussische Führung beschloß Anfang 2007, die Beziehungen zur EU auszubauen und der EU-Kommission Verhandlungen über die Energiesicherheit vorzuschlagen, um dem russischen Druck etwas entgegenzustellen. Die Kommission war bereit, eine EU-Vertretung in Minsk zu eröffnen, wiederholte jedoch unter amerikanischem Druck die seit 1997 geltenden politischen Bedingungen, die auf eine Änderung des politischen Systems und einen Regimewechsel hinauslaufen.
Die EU verhängte Wirtschaftssanktionen gegen Weißrußland und entzog dem Land die Zollpräferenzen, was einen Verlust von 300 Millionen $ bedeutet, der durch Erhöhung von Transporttarifen für europäische Transitgüter über weißrussisches Territorium nach Rußland kompensiert werden soll. „Tatsächlich wollen wir aber keinen neuen Streit mit der EU“, sagte Lukaschenko in einem Interview mit einem Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik, „im Gegenteil, wir brauchen die EU als Partner bei der Diversifizierung unserer Energiepolitik. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um neue Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Laßt uns einen offenen, ehrlichen Dialog beginnen!“45
Die Menschen in Weißrußland lehnen die Sanktionen der EU gegen die Regierung Lukaschenko jedoch zu 60 % ab. Das trifft auch, wenngleich in geringerem Ausmaß, für die Intellektuellen des Landes zu.46

Das Ziel der amerikanischen Politik: ein Regimewechsel

Die USA sind ein kompromißloser Gegner des Sonderweges und der Souveränität Weißrußlands. Im Oktober 2004 unterzeichnete Präsident Bush den „Belarus Democracy Act“ (der im Dezember 2006 novelliert wurde), der vorsieht, daß die Finanzhilfe für Weißrußland nicht der Regierung und dem Staat, sondern nur der „demokratischen Opposition“ zugutekommt, und daß die Wirtschaftssanktionen aufrechterhalten werden. Damit werden umfangreiche Finanzmittel (jährlich bis zu 20 Millionen Dollar) für Nichtregierungsorganisationen, „Demokratieprojekte“ und Medienkampagnen freigegeben. Zugleich verhängten die USA Sanktionen gegen Weißrußland. In seiner Rede zu diesem Gesetz erklärte Präsident Bush: „In einem einheitlichen, freien Europa ist für ein Regime dieser Art kein Platz. (…) Wir werden mit unseren Verbündeten zusammenarbeiten, um diejenigen zu unterstützen, die bestrebt sind, der Republik den ihr gebührenden Platz in der euro-atlantischen Gemeinschaft der Demokratien zurückzugeben.“47
Der frühere US-Botschafter in Minsk, Michael Kozak, bezeichnete Weißrußland als das „Kuba des neuen Europas“. Außenministerin Condoleezza Rice charakterisierte im April 2005 in der litauischen Hauptstadt Wilna die Republik als „die letzte wirkliche Diktatur im Zentrum von Europa“. Gemeinsam mit dem Außenbeauftragten der EU, Javier Solana, traf sie sich am Rande der Konferenz der Außenminister der NATO-Staaten mit Vertretern der weißrussischen Opposition und forderte sie auf, ihre Vorbereitungen zu einem Umsturz in Minsk zu forcieren.
Wie der Council on Foreign Relations in einem umfassenden Bericht vom März 2006 unter dem bezeichnenden Titel „Der falsche Weg Rußlands“ offen erklärte, sei es die Hauptaufgabe der USA, den Nachbarn Rußlands eine größere Unterstützung zu gewähren, ihre Integration mit dem Westen zu beschleunigen und Rußland aus dem postsowjetischen Raum zu verdrängen.48
In seiner Rede in Wilna am 4. Mai 2006 – in unmittelbarer Nachbarschaft – griff der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney auch Weißrußland scharf an. „Alle von uns sind dem demokratischen Fortschritt in Weißrußland verpflichtet. Jetzt werden diesem Volk grundlegende Freiheiten von der letzten Diktatur in Europa verweigert. Heute sind Vertreter der Demokratie in Weißrußland hier bei uns … Die Welt weiß, was in Weißrußland geschieht: Demonstranten wurden geschlagen, Dissidenten sind verschwunden, ein Klima der Angst herrscht und die Regierung verhindert freie Wahlen und verbietet sogar die eigene Fahne des Landes. Es gibt keinen Platz in Europa für ein Regime dieser Art.“49
Alexander Lukaschenko erklärte zu der Lage seines Landes in der neuen Weltordnung auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 15. September 2005 folgendes:
„Wir bauen unser Land auf, indem wir unsere eigenen geistigen Fähigkeiten benützen und auf der Grundlage unserer eigenen Traditionen stehen. Aber es ist offensichtlich, daß diese Wahl meines Volkes nicht jedermanns Freude ist. Sie gefällt jenen nicht, die danach streben, die unipolare Welt zu beherrschen. Sie fragen, wie? Wenn es keine Konflikte gibt, werden welche erfunden. Wenn es keine Vorwände für eine Intervention gibt – werden scheinbare geschaffen. Zu diesem Zweck wurde ein sehr geeignetes Banner geschaffen – Demokratie und Menschenrechte. Aber nicht im ursprünglichen Sinn der Herrschaft des Volkes und der persönlichen Würde, sondern allein und ausschließlich in der Interpretation der Führung der USA … Wir müssen erkennen, dass die unipolare Welt eine Welt mit einer einzigen Spur, eine eindimensionale Welt ist.“50

Zusammenarbeit mit GUS, China und Iran

Auf internationaler Ebene gehört zum selbständigen außenpolitischen Kurs die Teilnahme des Landes an der Bewegung der Blockfreien und den Mechanismen der Vereinten Nationen. Immerhin sind zwei der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates – Rußland und China – strategische Verbündete Weißrußlands, die Garantien für seine Sicherheit abgegeben haben.51
Weißrußland ist der konsequenteste und aktivste Motor der Integration der postsowjetischen Republiken im Rahmen der Gemeinschaft unabhängiger Staaten. In den letzten Jahren haben Rußland, Weißrußland, Kasachstan und Tadschikistan Integrationsprozesse im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (Evrazec) verwirklicht, die durch bisher 36 einzelne Abkommen auf die Bildung einer Zollunion und eines gemeinsamen Energiemarktes abzielen.52 Auch die ukrainische Regierung unter Viktor Janukowitsch führt einen konstruktiven politischen Dialog mit Weißrußland und eröffnete ein Kultur- und Informationszentrum in Minsk, das auch der ukrainischen Minderheit in Weißrußland, die 237.000 Personen zählt, zur Information dienen soll.53
Weißrußland unterhält darüber hinaus eine enge Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China, die Lukaschenko im Dezember 2005 bereits zum fünften Mal besuchte. Der Warenumsatz zwischen den beiden Ländern beträgt derzeit bereits eine halbe Milliarde Dollar und soll in den nächsten Jahren vervierfacht werden. China hat in der weißrussischen Außenpolitik eine vorrangige Bedeutung. Die Grundlage der Zusammenarbeit ist die Verwandtschaft der Ansichten über die internationale Lage. „Wir sind für eine multipolare Welt, für die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der Staaten, für Souveränität und Unabhängigkeit, für eine freie Entwicklung der Staaten.“ Im Dezember 2005 hat die chinesische Regierung Weißrußland zur Teilnahme an der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organisation) eingeladen, der bisher Rußland, China, Indien, Pakistan, Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisien angehören.54
In den letzten Jahren gewann auch der Iran, den Lukaschenko bereits 1998 zum ersten Mal besucht hatte, eine zunehmende Bedeutung für Weißrußland im Rahmen einer „strategischen Partnerschaft“. Präsident Mohammed Chatami hatte das Land im September 2004 besucht. Präsident Achmadinejad kam im Mai 2007 zu einem Staatsbesuch, wobei einige Abkommen über Zusammenarbeit z. B. im Bereich der Energie, der Investitionen und der wissenschaftlichen Forschung abgeschlossen wurden.55

Beziehungen zu Österreich

Die österreichische Regierung anerkannte im Dezember 1991 die Unabhängigkeit der Republik Weißrußland und unterzeichnete am 1. Oktober 1992 ein Memorandum über die Zusammenarbeit. Im Jahr 1993 wurde die Botschaft der Republik Weißrußland in Österreich errichtet. Die Botschaft Österreichs in Rußland wurde zugleich für Weißrußland akkreditiert, aber in Minsk wurde bisher trotz der intensiven wirtschaftlichen Beziehungen keine eigene Botschaft eröffnet. In den ersten Jahren nach der Anerkennung der Unabhängigkeit entwickelten sich die Beziehungen auf verschiedenen Gebieten bis etwa 1996 durch Arbeitsbesuche des Ministerpräsidenten, des Außenministers und anderer Regierungsmitglieder Weißrußlands in Österreich sehr positiv. Der Höhepunkt war der Arbeitsbesuch des Präsidenten Alexander Lukaschenko im April 1996 in Wien anläßlich der internationalen Konferenz „Zehn Jahre nach Tschernobyl“.
Als die EU im Jahre 1997 nach der Einführung der Präsidialverfassung und den Präsidentenwahlen Sanktionen gegen Weißrußland verhängte, schränkte auch Österreich die politischen Kontakte zu Weißrußland ein, während sich die wirtschaftlichen Beziehungen weiterentwickelten.
Im Jahr 1999 wurde die Gemischte österreichisch-weißrussische Handels- und Wirtschaftskommission gegründet, die am 11. Mai 1999 in Minsk ihre erste Tagung abhielt, auf die jährlich weitere Tagungen folgten. Am 16. Mai 2001 wurde ein Abkommen zwischen Österreich und Weißrußland über die Förderung und den Schutz von Investitionen unterzeichnet. Eine führende Rolle in den Wirtschaftsbeziehungen spielt die Raiffeisen Zentralbank, deren stellvertretender Generaldirektor Dr. Herbert Stepic von Präsident Lukaschenko dafür im Jänner 2007 mit dem Orden der Völkerfreundschaft ausgezeichnet wurde. Der Außenhandelswarenumsatz zwischen Österreich und Weißrußland stieg von 90,1 Mio $ im Jahre 2004 auf 108,4 Mio $ im Jahr 2005 und auf 127,7 Mio $ im Jahr 2006. Diese Steigerung ist vor allem auf den Export nach Weißrußland zurückzuführen, der im Jahre 2006 103,1 Mio $ erreicht und damit gegenüber dem Vorjahr um 27,2 % zunahm.56
Österreich beteiligte sich parallel zu den Bestrebungen der EU an der Unterstützung der Opposition in Weißrußland. Anatolij Michajlow, der Rektor der Europäischen Humanistischen Universität, die von westlichen Organisationen wie der Stiftung „Offene Gesellschaft“ unterstützt, aber von der weißrussischen Regierung geschlossen worden war, wurde im Oktober 2004 zu einem Vortrag nach Österreich eingeladen. Der Oppositionsführer Alexander Milinkjewitsch wurde vor den Präsidentschaftswahlen, bei denen er kandidierte, von Bundeskanzler Schüssel empfangen und zu einem Vortrag in der Politischen Akademie der ÖVP gebeten. An der Konferenz in Wilna vom 3.–6. Mai 2006 über „Grenzen der Nachbarschaft“, auf der Vizepräsident Dick Cheney eine scharfe Rede gegen Rußland und Weißrußland hielt, nahm auch Frau Bundesrätin Anneli Haselbach (SPÖ) als Vertreterin des österreichischen Parlaments teil.

Perspektiven

Die Präsidentschaftswahlen in Weißrußland am 19. März 2006, die Lukaschenko mit 82,6 % der abgegebenen Stimmen gewann, wurden von der EU und den USA einheitlich als „manipuliert“ bezeichnet, doch wurden so gut wie keine Beweise dafür angeführt. Lukaschenko hatte aber alle Wahlen und Volksabstimmungen seit 1994 (als noch niemand von Manipulation sprach) mit 70 bis 80 % der Stimmen gewonnen, und auch die westlichen Politologen geben zu, dass eine Mehrheit der Bevölkerung für das Regime ist, weil sie mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik einverstanden ist, und sogar die Opposition es nicht wagt, eine andere zu vertreten und außer „Demokratie“ kein eigenes Programm hat.57
Der weißrussische Sonderweg zeichnet sich durch einen eigenständigen Weg der wirtschaftlichen Entwicklung, eine umfassende Sozialpolitik und durch einen „Staat für das Volk“ aus, d. h. durch einen Staatsapparat, der in den nächsten fünf Jahren entbürokratisiert werden soll.58 Weißrußland kann auf die Rolle eines starken Staates verweisen, der die Kontrolle über das Wirtschafts- und Sozialsystem nicht, wie im Westen, völlig aufgegeben hat, sondern aufrechterhält und seine Grenzen verteidigt.59
Dieses Modell ist aber kein Endzustand, sondern ein Übergangssystem, das keine wirkliche Parallele und kein wirkliches Vorbild hat. Die nächsten Jahre werden entscheidend für Weißrußland, das seine Wirtschaft diversifizieren und auch das Verhältnis zu Rußland neu gestalten muß. Der weißrussische Sonderweg steht vor der Entscheidung, ob er zu einem eigenständigen Gegenmodell auf der Grundlage seiner spezifischen Kultur oder letztlich doch nach einer Übergangszeit zum Anschluß an den neoliberalen Westen führen wird.
Es kann keine Rückkehr zum Sowjetsystem mit seiner utopischen Ideologie geben, auch wenn im Lande derzeit äußerlich manches an die Vergangenheit erinnert und viele ältere Bürger eine Sehnsucht danach verspüren mögen. Nur eine wirkliche Rückkehr zu den kulturellen Wurzeln des weißrussischen und russischen Volkes, das natürlich auch ein Erbe der europäischen humanistischen Kultur ist, und eine wahre kulturelle Renaissance können auf die Dauer die Jugend und das ganze Volk in die Lage versetzen, die Unabhängigkeit des Landes zu erhalten.

Der Beitrag ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung eines in der Nr. 35 am 28. August 2006 erschienenen Artikels in der Schweizer Wochenzeitung „Zeit-Fragen“.


Anmerkungen

1 Siehe z. B. Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Weinheim und Berlin 1997 (vor allem das Kapitel „Das schwarze Loch“).
2 Aleksandr Molčalov, Rossija, Ukraina i Belorussija ot N. Chruščeva do Beloveščskoj pušči [Russland, die Ukraine und Belorussland von N. Chruščev bis zur Belowescher Heide], Moskva 2006.
3 Illjustrovannaja chronologija istorii Belarusi [Illustrierte Chronologie der Geschichte Weißrusslands], Belorusskaja enciklopedija, 2-e izdanie, Minsk 2000; Dietrich Beyrau, Rainer Lindner, Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001.
4 Kto est’ kto v respublike Belarus’ [Wer ist wer in der Republik Belaruss, Minsk 1999.
5 Pressekonferenz von Alexander Lukaschenko für Vertreter der russischen Massenmedien, Belarus, Dezember 2005, S. 10.
6 Grant – Leonard, The EU’s Awkward Neighbour, S. 3.
7 Country Report of the IMF 2005; der CIA führt für das Jahr 2005 ein reales Wirtschaftswachstum (BIP) von 8 % an, siehe CIA – The World Factbook, Belarus, 2006.
8 Belta (Minsk), 14. Juni 2007.
9 EBRD, Transition Report Belarus, December 2005.
10 Rainer Lindner, „Präsidentschaftswahl“ in Belarus, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin 2006, S. 18.
11 Sergej Sidorski in Belta, 7. Juni 2006.
12 Ognian Hishow, Wirtschaftspolitik im postsowjetischen Raum, Berlin, Stiftung Wissenschaft und Politik, 2002, S. 16 f.; Karl Wohlmuth, Belarus, die EU-Osterweiterung und die Transformation in der Russischen Föderation, Institut für Weltwirtschaft und Internationales Management, Bd. 29, Bremen 2004; EBRD Transition Report, December 2005.
13 Werner Pirker, Die administrativen Ressourcen: Innenansichten der Republik Belarus, Junge Welt, 8. April 2006, S. 10.
14 Belta, 18. August 2006, 30. August 2006.
15 Im April 2006 bezeichneten nach einer Umfrage, die im Auftrag der Österreichischen Nationalbank durchgeführt wurde, 54,7 % die wirtschaftliche Lage in Weißrußland als befriedigend und 27,8 % als gut, nur 13,4 % als schlecht. Hans-Georg Heinrich, Ludmilla Lobova, Belarussian Society at the Crossroads – Between Moscow and Brussels, Wien ( = Studien des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa Nr. 1), Dezember 2006, S. 66.
16 Meike Spreen, Der nationale Charakter des weißrussischen Bildungswesens, in: Peter Bachmaier (Hrsg.), Nationalstaat oder multikulturelle Gesellschaft? Die Minderheitenpolitik in Mittel-, Ost- und Südosteuropa im Bereich des Bildungswesens, St. Pöltner Osteuropa-Studien, Nr. 1, Frankfurt a. M. 2003, S. 241–264.
17 Meike Spreen, Der nationale Charakter, a. a. O., S. 255.
18 Meike Spreen, Der nationale Charakter, a. a. O., S. 264.
19 Direktiva Prezidenta Respubliki Belarus’ „O merach po ukrepleniju obščestvennoj bezopasnosti i discipliny“ [Direktive des Präsidenten der Republik Belarus ‚Über Maßnahmen zur Verstärkung der gesellschaftlichen Sicherheit und Disziplin‘], Interview mit dem Minister für Bildungswesen der Republik Weißrußland Alexander Rad’kov, Belta, März 2006.
20 Belarus Facts 2006, Minsk 2006, S. 182.
21 Belorusskij respublikanskij sojuz molodeži [Der Weißrussische republikanische Verband der Jugend], Internetportal BRSM, Mai 2006 <http:/brsm.by>
22 „My služim Belarusi“ [Wir dienen Weißrussland], „Pamjat“ [Gedenken], „Za ljubimuju Belarus’“ [Für das geliebte Weißrussland], „My – graždane Respubliki Belarus’“ [Wir sind Bürger der Republik Weißrussland], „Roždestvennaja elka“ [Der Weihnachtsbaum], Mai 2006 <http:/brsm.by>]
23 Kirillo-Mefodievskie čtenija [Die Kyrill-und-Method-Vorlesungen], BELTA, 24. Mai 2006 <www.belta.by>
24 Belta, 3. Jänner 2007.
25 Heinz Timmermann, Die widersprüchlichen Beziehungen Russland – Belarus im europäischen Kontext, SWP-Studie S 37, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin 2002, S. 7.
26 Nezavisimaja gazeta, 2. April 2002.
27 Nezavisimaja gazeta, 24. Juni 2002. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juli 2002.
28 Timmermann, Rußland – Weißrussland, a. a. O., S. 14.
29 Russland und Weißrussland bauen gemeinsame Luftabwehr, Belarusnews, 23. August 2006.
30 Astrid Sahm, Nach der Wahl ist vor der Wahl, Osteuropa, 55. Jg., Nr. 1/2005, S. 85.
31 Vjaimootnošenija Respubliki Belarus’ i Rossijskoj Federacii [Die Beziehungen der Republik Belarus und der Russischen Föderation], Bulletin des Außenministeriums Weißrußlands, Juni 2007; Rainer Lindner, Blockaden der „Freundschaft“ SWP-Aktuell, Januar 2007. Interview von Alexander Rahr mit Präsident Alexander Lukaschenko, Die Welt, 25. Jänner 2007.
32 Neue Zürcher Zeitung , 3. März 2006, Weltwoche Nr. 10, 2006. (Die Zahlen wurden von den amerikanischen Organisationen selbst bekanntgegeben.)
33 Neue Zürcher Zeitung, 27./28. August 2005.
34 Efficiency First – Towards a Coherent EU Strategy for Belarus, Bertelsmann Stiftung, 2005.
35 Trivium – ein deutsch-russisches Austauschprojekt, OEI-Berichte, 2005.
36 Tygodnik Podhalanski, 6. August 2005, zitiert von Belarus Today, August 2005.
37 Sovetskaja Belorussija, 11. Oktober 2001.
38 Belarus-News, Winter 2001, in: Timmermann, Russland-Weißrussland, a. a. O., S. 25.
39 Sovetskaja Belorussija, 5. September 2001; 2. August 2002. Timmermann, Russland-Weißrussland, a. a. O., S. 26.
40 Charles Grant and Mark Leonard, The EU’s Awkward Neighbour: Time for a New Policy on Belarus, Centre for European Reform Policy Brief, March 29, 2006, S. 2.
41 Belarusnews, 18. 8. 2006.
42 Information des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland, März 2005 <www.auswaertiges-amt.de>
43 Belarusnews, 7. August 2006.
44 Belarusnews, 7. August 2006.
45 Interview von Alexander Rahr mit Präsident Alexander Lukaschenko, Die Welt, 25. Jänner 2007.
46 Georg Heinrich, Ludmilla Lobova, Belarussian Society at the Crossroads – Between Moscow and Brussels, Wien, Dezember 2006 ( = Studien des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa, Nr. 1), S. 49.
47 www.dw-world.de, 15. Dezember 2006.
48 John Edwards and Jack Kemp, Russia’s Wrong Direction: What the United States Can and Should Do, Independent Task Force, Council on Foreign Relations Press 2006.
49 Astrid Sahm, Nach der Wahl ist vor der Wahl, Osteuropa, Nr. 1, 2005, S. 77; Vice President’s Remarks at the 2006 Vilnius Conference, 4. Mai 2006 <www.whitehouse.gov>
50 Statement by His Excellency Aleksandr Lukashenko, President of the Republic of Belarus, Plenary Meeting of the 60th Session of the General Assembly, New York, 15. September 2005.
51 Belta, 1. August 2006.
52 Belta, 16. August 2006.
53 Belta, 24. August 2006.
54 Kommersant (Moskau), 27. April 2006; S. 6–7; Axis Information and Analysis, 6. Dezember 2005.
55 Belta, 21. Mai 2007.
56 Pokazateli belorussko-avstrijskoj torgovli, Belta, 12. Juni 2007.
57 Siehe z. B. Rainer Lindner, „Präsidentschaftswahl“ in Belarus, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, März 2006.
58 Belta, 8. Mai 2006.
59 Viktor Schadurski, Politologe an der Fakultät für internationale Beziehungen

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com