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Ich bin nicht „stolz“, Deutscher zu sein

Von Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker

Eigentlich mag ich das Wort „Stolz“ nicht. Stolz kann natürlich ein positives Gefühl der erhebenden Freude meinen, wenn jemand etwa sagt, er sei stolz auf seine Kinder. Oft meint Stolz aber (begründete oder unbegründete) Überheblichkeit. Stolz ist man dann auf etwas, das einen über andere Menschen erhebt. Man kann Stolz auf seinen Erfolg hegen, oder darauf, ein guter Tänzer zu sein, weil es andere eben nicht sind.

Ich habe Menschen getroffen, die stolz darauf waren, Städter zu sein, und auf die in ihren Augen so viel primitivere Landbevölkerung herabblickten. Mit welchem Recht, wenn doch ihr einziges „Verdienst“ ein bestimmter Geburtsort war? Wer tatsächlich kultiviert ist und sich um Verfeinerung des eigenen Verhaltens bemüht, wird jedenfalls nicht pauschal auf ganze Bevölkerungsgruppen herabblicken. Und in der Tat habe ich Bauern kennengelernt, die vielleicht ihr Lebtag nie ein Museum oder Theater besucht haben, aber dennoch feinere Menschen waren als manch einer, für den der Kulturgenuß zum täglichen Brot zählt. Herzensbildung nennt man das wohl. Und nicht nur Herzensbildung: Ich habe am Land viele ganz einfache Menschen kennengelernt, die nur acht oder neun Jahre lang in die Schule gegangen sind, aber doch ein tiefes Wissen über alle Blumen und Kräuter, Vögel und sonstiges Getier an ihrem Wohnort besaßen. Und ich habe in der Stadt genauso wie am Land unglaublich primitive Menschen kennengelernt.

Abgesehen von einem erstaunlichen Maß an Dumpfheit und Kulturlosigkeit haben sich diese vor allem durch ungeheures Selbstbewußtsein und ebensolche Überheblichkeit gegenüber allem „Fremden“ ausgezeichnet. Das hat mir zu denken gegeben. Schon innerhalb Österreichs gibt es gar nicht so wenige Regionen und Orte, deren Bewohner eine aggressive Art der Fremdenfeindlichkeit hegen: Wer nicht so spricht wie sie, wer nicht so ißt wie sie, wer sich nicht verhält wie sie, ist in ihren Augen ein Untermensch. Das können dann schon die Bewohner des nächsten Bundeslands, ja des nächsten Tals sein.

Und es sind immer die besonders primitiven, kulturlosen Einheimischen, die diese Art von „Stolz“ pflegen, während die Gebildeteren, Feinsinnigeren, Welterfahreneren in der eigenen Art, zu sein, nicht das Maß aller Dinge erblicken, sondern den „Anderen“, den „Fremden“ das Recht auf eigene Art zugestehen.

In dieser Hinsicht geht mir das Gefühl, „stolz“ darauf zu sein, Deutscher zu sein, völlig ab. Ich bewundere und beneide andere Völker: die Engländer, die im Bewußtsein leben, in den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts auf der richtigen Seite, zumindest aber auf der Seite der Sieger gestanden zu sein, und die ein ungebrochenes Verhältnis zur großen Geschichte und Kultur ihres Landes haben, wenngleich man „objektiv“ den Vorwurf erheben kann, daß sich gerade ihr Land in den letzten Jahrhunderten – Stichwort Opiumkrieg oder Stichwort Irland – alles andere als „positiv“ verhalten hat. Oder die kleineren Völker Osteuropas, von Esten über Polen bis hin zu Ukrainern, die für sich in Anspruch nehmen, in der Geschichte immer wieder zu Opfern ihrer größeren und mächtigeren Nachbarn geworden zu sein, und daraus das Recht eines besonderen Nationalstolzes ableiten, obgleich ein genauerer Blick in die Geschichte beweist, daß auch diese Völker, wenn sie nur konnten, rasch zu Unterdrückern und Verfolgern schwächerer Bevölkerungsgruppen oder Minderheiten geworden sind. Mein Blick fällt auch auf Italien, das mit seiner faschistischen Geschichte um so vieles ungezwungener umgeht, als wir dies tun, und das die eigene nationale Identität ungeachtet des Verhaltens des demokratischen italienischen Staats in Südtirol hochhält. Ob Engländer, Italiener oder Osteuropäer, ob Franzosen, Spanier oder Skandinavier: Das Verhältnis zur eigenen Nation und deren Geschichte scheint überall einfacher, leichter und unbelasteter zu sein als unser eigenes.

Nein, ich bin wirklich nicht besonders stolz darauf, deutsch zu sein. Um wie viel einfacher wäre es, einem der genannten Völker anzugehören? Doch stellt sich diese Frage nicht. Ich bin nun einmal, was ich bin, und habe mir dies ebensowenig ausgesucht wie meine Eltern und die familiären Verhältnisse, in denen ich aufgewachsen bin. Nationalität läßt sich nicht abstreifen wie ein getragenes Hemd. Nationalität kann man nicht wechseln. Sie ist einem aufgegeben und aufgetragen, oft in Schmerzen, oft in Konflikten, manchmal sogar im Widerwillen. Doch ist sie wie die eigene familiäre Herkunft, die regionale Herkunft und auch die Geschlechtsidentität vorgegeben und kann nur im Ausnahmefall gewechselt werden. Daher ist es eigentlich nur natürlich und selbstverständlich, daß jeder Mensch in Liebe an seinem Volkstum hängt. Meine Mutter, die in einer sehr nationalen und zeitweise auch nationalsozialistischen Familie aufgewachsen ist, wurde daher mit folgendem Leitsatz erzogen, den sie selbst wiederum in der Erziehung ihrer Kinder angewandt hat: „Liebe dein Volk, die anderen aber achte!“ Und in der Tat habe ich sie niemals negativ über irgendein anderes Volk sprechen hören. Liebe zum eigenen Volk, positive Zuwendung zur eigenen Nationalität und frohes Bekenntnis zur eigenen Identität bedeuten eben nicht, andere Nationen herabzuwürdigen oder zu bestreiten, daß deren Angehörige mit Recht ähnliche Gefühle für ihr Volk hegen können. Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen und eingestehen, daß andere Nationalitäten Vorzüge besitzen, die der eigenen mangeln, und daß man daher deren Angehörige in einer gewissen Weise beneidet und bewundert. Mir sind solche Gedanken jedenfalls nicht fremd, was meinen positiven Bezug zur eigenen Identität jedoch in keiner Weise trübt.

Man kann die großen Leistungen der eigenen Nation auch nicht von den dunklen Seiten ihrer Geschichte abscheiden. Die Geschichte des eigenen Volks ist ein Ganzes; nicht nur das, was einen mit Freude oder sogar mit Stolz erfüllt, gehört dazu, sondern auch das, was man – objektiv oder subjektiv – als negativ empfindet, was einen mit Scham oder Trauer erfüllt. Nationale Identität ist in diesem Sinne etwas Ganzes, zu dem man – so oder so – ein Verhältnis finden muß. Sie ist uns vorgegeben und ein essentieller Bestandteil der persönlichen Identität eines jeden, der nicht ohne Schaden für die eigene seelische und geistige Gesundheit geleugnet oder abgetan werden kann. Zumindest in unserer Zeitschrift wurde dieser Standpunkt immer entschieden vertreten. Heute wird anderes propagiert, und tatsächlich gewinnt man bei vielen Zeitgenossen den deutlichen Eindruck, daß sie nur „zufällig“ hier sind, ohne jeden tieferen Bezug zum eigenen Volk und Land.

Doch es gibt auch eine Gegenbewegung: Gerade in der gegenwärtigen Zeit der zunehmenden Entortung, der global gleichen Serien etwa, die die Menschen sehen, und der gleichen Hits, die sie hören, der forcierten Migrationsbewegungen und des zunehmenden Heimatverlusts, sind viele Menschen, junge im besonderen, auf der Suche nach ihrer volklichen, nationalen und heimatlichen „Identität“. Oft gerade solche, die in Elternhaus und Schule wenig oder nichts darüber gehört haben. Die Massenmedien kämpfen dagegen an und respektieren gerade noch die stärkste, die regionale Identität. Unsere Zeitschrift und der nun erscheinende Sammelband „Was ist deutsch?“ halten dagegen und versuchen, gerade auch die volklich-nationale Identität von verschiedenen Seiten zu beleuchten.

Nationale Identität hat dabei drei Komponenten:

Da ist die genetische zu nennen. Völker sind nicht zuletzt Abstammungsgemeinschaften, und Untersuchungen haben gezeigt, daß eheliche Verbindungen innerhalb eines Volks, und zwar auch solche von Wien nach Hamburg, um Zehnerpotenzen häufiger waren als Verbindungen über nationale Grenzen hinweg. Dies mag sich in der heutigen, modernen Welt geändert haben. Gerade rechte Aktivisten, denen die Bewahrung der Identität des eigenen Volks besonders am Herzen liegt, sind aber überdurchschnittlich häufig mit Frauen aus anderen Ländern verheiratet: mit Russinnen, Lettinnen und Ukrainerinnen, Japanerinnen und Inderinnen, Türkinnen, Amerikanerinnen, Französinnen oder Polinnen. Warum ist das so? Vielleicht weil ein positiver Bezug zur eigenen nationalen Identität für Frauen aus diesen Ländern ganz selbstverständlich ist und sie diesen auch nicht bei ihren Männern in Frage stellen, was viele deutsche Frauen tun würden?

Von entscheidender Bedeutung ist der geistige Aspekt. Zwar darf die Biologie nicht unterschätzt werden, doch wir Menschen sind vor allem Geistwesen, und wer den Geist auf die Biologie reduzieren will, unterbietet diesen. Identität hängt also ganz wesentlich mit der bewußten (oder anerzogenen) Aneignung bestimmter kultureller Muster zusammen: Sprache, Sprachfärbung, Dialekt und Ausdrucksweise, Kleidung, Verhalten und Freizeitgewohnheiten, Lebensart, Sitten und Gebräuche. Diese sind natürlich (nicht nur) national; gerade, was die deutsche Nation betrifft, sehen wir hier viele Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen: Der Österreicher, der Bayer, der Sachse und der Norddeutsche unterscheiden sich diesbezüglich tiefgreifend. Und schon innerhalb Österreichs wird man große Unterschiede zwischen Tirol und dem Burgenland, Kärnten und Wien feststellen. Es gibt Völker, und nicht nur kleinere, die ein weit geringeres Maß an innerer Vielfalt aufweisen als das deutsche, was natürlich vor allem historische Wurzeln hat.

Der dritte Aspekt, oft nicht bedacht, ist der der zeitlichen Dauer. Ich könnte zum Beispiel mit meiner Familie nach Japan auswandern, ich und meine Kinder könnten die japanische Kultur intensiver verinnerlichen und bewußter leben, als dies der Durchschnittsjapaner tut, aber auch wenn wir uns vollkommen in die japanische Kultur einzufügen versuchten, fehlte uns doch die historische Dimension: Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki blieben für uns wie die Meiji-Restauration bloß Daten aus den Geschichtsbüchern und wären keine Ereignisse, die mit der Geschichte unserer Familie eng verknüpft sind.

Nationale und regionale Identität läßt sich also nicht abstreifen wie die Kleidung des letzten Tags. Sie ist uns in essentieller Weise vorgegeben, und wir müssen uns ihr so oder so stellen. Natürlich können wir sie auch ablehnen und etwa versuchen, durch Emigration in ein anderes Land dessen nationale Identität anzunehmen. Gelingen wird dies in vollkommener Weise jedoch nie und bliebe immer Aufgabe für Generationen.

Diesen Aspekten der nationalen Identität – dem biologischen, dem geistigen und dem historischen – widmet sich der Sammelband „Was ist deutsch?“, ohne jedoch auch nur annähernd Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Wollte man die gestellte Frage abschließend beantworten, wäre wohl ein weit umfangreicheres Buch nötig. Auch die gerade in der deutschen Nation so vielfältigen und unterschiedlichen regionalen Identitäten werden in einigen Artikeln beleuchtet. Zwei Jahrzehnte habe ich nun die von Ernst Graf Strachwitz und Franz Frank schon in den 1950er Jahren begründete Zeitschrift „Neue Ordnung“ im Ares-Verlag herausgegeben, die 2020 in „Abendland“ umbenannt wurde, ohne daß damit jedoch eine inhaltliche Änderung verbunden gewesen wäre. In all diesen Jahren hat sich die „Neue Ordnung“ bzw. das „Abendland“ immer und immer wieder mit der Frage der „deutschen Identität“ auseinandergesetzt. Die wichtigsten diesbezüglichen Artikel sind nun in einem Sammelband zusammengefaßt. Weitere Sammelbände sollen folgen.

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com