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Begründer des Terrors

Von Dr. Mario Kandil


Ein kritischer Blick auf Danton und andere französische Revolutionäre

Noch aus den letzten Worten, die der französische Revolutionär und Volkstribun Georges-Jacques Danton in Paris vor seiner Hinrichtung am 5. April 1794 zu dem Henker Charles-Henri Sanson sagte, sprach unerschütterliches Selbstbewußtsein: „Zeig meinen Kopf dem Volk!“1 Auch im Angesicht des Todes wollte er, den manche Zeitgenossen mit einem Löwen verglichen, dem Äußersten trotzen. Wer Danton weniger zugetan ist, würde dies als Unbelehrbarkeit, Uneinsichtigkeit bezeichnen. Mit diesem Charaktermerkmal war er zu einem der Anführer der Französischen Revolution aufgestiegen und war an ihren Verbrechen mitschuldig geworden. Er hatte jedoch auch Bedeutendes für sein Land geleistet, in dessen Namen er nun guillotiniert wurde. Dieser in seinem Auftreten oft sehr ungehobelte, für viele jedoch höchst volkstümliche Mann vereinigte in seiner überaus machtbewußten Persönlichkeit einige Widersprüche. Etwas mehr als 220 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod lohnt sich ein näherer Blick auf Danton und andere führende Köpfe der Französischen Revolution.

Denn er und sie kamen letzten Endes durch jene Terrorherrschaft zu Fall, die sie selbst begründet hatten. Diese Männer sind als die eigentlichen Väter des systematischen Terrors zu sehen, den später Lenin, Stalin, Hitler und andere Schreckensherrscher mit den Hilfsmitteln moderner Technik zu einer grausigen Perfektion steigerten. Der Blick zurück auf Danton und Konsorten soll deswegen nicht von jener romantischen Verklärung getrübt werden, die besonders die Sicht vieler Anhänger der Französischen Revolution prägt und ihnen das Erkennen der grausigen Wirklichkeit nahezu unmöglich macht.

Danton – „Mann des Volkes“

Am 26. Oktober 1759 in Arcis-sur-Aube geboren, lernte Danton ab 1780 als Schreiber eines Anwalts beim „parlement“2 von Paris das französische Rechtswesen in seiner Praxis kennen und führte sich die wichtigste aufklärerische Literatur seiner Zeit zu Gemüte. Ab 1787 wirkte Danton als Rechtsanwalt, saß als solcher nominell im Rat des Königs („Conseil du Roi“) Ludwig XVI. und schloß sich 1789 der Revolution an. Zusammen mit anderen Revolutionären wie Camille Desmoulins und Jean-Paul Marat, der zu einem ihrer radikalsten Wortführer werden sollte, gründete der talentierte Redner Danton Ende April 1790 den „Club des Cordeliers“. Dieser Klub tat sich durch extrem radikale Ansichten hervor, für die neben Marat speziell der Publizist Jacques-René Hébert verantwortlich zeichnete. Danton war jedoch auch Mitglied im Klub der Jakobiner. An dessen Spitze standen sein späterer Hauptgegner, der Advokat Maximilien de Robespierre, sowie dessen treuester Gefolgsmann Louis-Antoine de Saint-Just (der „Todesengel“), über den der Journalist, Publizist und Literaturkritiker Friedrich Sieburg in seiner grandiosen, erstmals im Jahre 1935 erschienenen Robespierre-Biographie u. a. schrieb: „Saint-Just ist nicht von dieser Welt.“3
Danton, der seit Dezember 1791 gewählter Stellvertreter des Staatsanwalts von Paris war und den Beinamen „Mirabeau des gemeinen Volkes“ trug, schob sich in seiner sehr rustikalen Art immer stärker in den Vordergrund der Revolution. Er arbeitete auf den Sturz König Ludwigs XVI. hin und hatte mit seiner aufpeitschenden Agitation als wortgewaltiger Tribun des Volkes einen bedeutenden Anteil am Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792. Bei diesem Gewaltakt wurde die königliche Familie verhaftet, deren Los seitdem besiegelt war. Als Justizminister, der Danton an demselben Tag wurde, setzte er durch, daß das revolutionäre Frankreich sich der Invasion des monarchischen Europa mit allen Mitteln entgegenstemmte: „Kühnheit, Kühnheit und nochmals Kühnheit, und Frankreich ist gerettet.“4 Dieses waren die berühmten Worte, die Danton am 2. September 1792 im Nationalkonvent, dem Parlament, sprach und die überzeugte Republikaner noch heute wie die Sentenz eines Gottes zu zitieren pflegen. Allerdings schritt Danton als Justizminister nicht gegen die Septembermorde ein, die als eines der finstersten Kapitel der von Linken so gerne als ruhmreich gepriesenen Französischen Revolution gelten. Zwischen dem 2. und 6. September 1792 stürmte in einer – auch von Danton mit seinen Reden permanent aufgeheizten – Atmosphäre von allgemeiner Furcht und Hysterie ein blindwütiger Mob die Gefängnisse (dies geschah vorrangig in Paris) und massakrierte dort mehr als 1.200 Inhaftierte. Zwei Drittel davon waren gar keine politischen Gefangenen, aber das hatte für den rasenden Pöbel keinerlei Bedeutung. Und Danton? Der hätte einschreiten und dem Blutbad ein Ende machen können, aber er zog es vor, abzuwarten, bis sich die Mörder ausgetobt hatten. Als alles vorbei war, rechtfertigte sich der Volksredner, der als ein unmittelbar Schuldiger des Septembermassakers zu sehen ist, in einer für einen Revolutionär doch eher erbärmlichen Kleinbürgerlichkeit: er hätte ohnehin nichts gegen die entfesselte Mordlust der Volksmassen ausrichten können. Madame Roland, eine feinsinnige Frau, in deren Salon die Girondisten zusammenkamen, zitiert Danton allerdings als einen gegenüber dem Leid der Opfer komplett gleichgültigen Rohling: „Ich schere mich einen Dreck um die Gefangenen, mir ist egal, was aus ihnen wird!“5 Die Anbeter Dantons lassen davon jedoch das Andenken an ihr Idol nicht besudeln, sondern beweihräuchern weiterhin unbeirrt seine Verdienste um die Revolution und um Frankreich. In dieser Handlungsweise gleichen sie durchaus heutigen Apologeten z. B. eines Joschka Fischer, dessen frühere Gewalttaten und Kontakte zu Terroristen der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) sie ebenso dreist wie dumm als „Jugendsünden“ verniedlichen.

Robespierre – der „Unbestechliche“

Unter den Anführern der Französischen Revolution ragt ein infernalisches Duo heraus, das zu Anfang gemeinsam mit Danton agierte, um schließlich in einen unüberbrückbaren Gegensatz zu ihm zu treten: Robespierre und Saint-Just. Weil sie in der Politik zumeist als Einheit handelten, werden sie mit Recht als eine Art Dioskurenpaar betrachtet.
Die bekanntere Persönlichkeit von beiden ist unleugbar der am 6. Mai 1758 in Arras geborene Robespierre, der auch der „Unbestechliche“ genannt wurde. Es ist schwer nachzuvollziehen, wie aus einem so sehr der Rechtschaffenheit und der Tugend ergebenen Mann wie ihm ein solches Ungeheuer hatte werden können, das um eines Ideals willen ungerührt Ströme von Blut vergoß. Robespierre ist als Erfinder der Tugend wie des Schreckens der modernen Welt zu bezeichnen, als Urheber der fatalen Kombination von Tugend und Schrecken. Er löste den Menschen aus seinen alten Bindungen und opferte ihn einer Idee. Von Robespierre führt eine direkte Linie zu jeder Freiheits-, aber eben auch zu jeder Unterdrückungstat der modernen Welt.
Ungewollt lieferte der Philosoph Jean-Jacques Rousseau mit den Ideen, die er in seinem Werk „Du contrat social ou principes du droit politique“ (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts, 1762) entwickelte, der Terrorherrschaft der Jakobiner und Robespierres das ideologische Rüstzeug. Entscheidend war der „allgemeine Wille“ (volonté générale), der nach Rousseau beständig der richtige ist und auf das allgemeine Beste abzielt. Genau diesen „allgemeinen Willen“ zu kennen, behaupteten Robespierre und die Jakobiner. Da nach ihrer Ansicht einzig und allein sie die „volonté générale“ kannten, hielten sie sich auch für berechtigt, diese zu vollstrecken. Dabei war es ihnen völlig gleichgültig, Ströme von Blut zu vergießen. Denn wie Saint-Just sagte: „Man macht keine Republik durch Schonung, sondern durch unerbittliche Strenge […] gegen alle diejenigen, welche verraten haben.“6
Nun war Verrat aber schon das Anderssein, ein Verräter jeder, der nicht für die Republik Blut vergoß. Die Grenze war in einer radikal politisierten Alltagswelt also sehr schnell überschritten. Denn die Gesetze bedrohten denjenigen mit Strafe, „der nicht beständig seine Anhänglichkeit kundgetan hat“.7 Daraus erwuchs dem einzelnen Bürger eine fast unmöglich zu erfüllende Aufgabe; er mühte sich damit ab, seine republikanische Gesinnung zu bekunden. Doch wer garantierte ihm, daß all diese Kundgebungen genügen würden? Also kleidete sich der Bürger („citoyen“) als „Sansculotte“. Er gebrauchte die derbe, oft rüpelhafte Sprache des wahren Volksfreunds. Er bejubelte jede Hinrichtung und beschimpfte die Opfer nachträglich als Schurken und Verräter. Er stiftete den ersten Betrag für die Anschaffung einer eigenen Guillotine in seinem Departement. Kurz gesagt, er tat alles ihm irgendwie Mögliche, um aktiv sein republikanisches Herz unter Beweis zu stellen. Trotzdem konnte er sich nie sicher sein, wirklich „genug“ getan zu haben und nicht doch von jemandem angezeigt zu werden, der ein noch tüchtigerer Republikaner war als er.8
Friedrich Sieburg hatte absolut recht, als er in seiner Robespierre-Biographie feststellte: „Der gefährlichste Mensch ist derjenige, der nur eine einzige Idee hat. Robespierre ist ein solcher Mensch.“9 Die Simplizität von Robespierres Weltbild, die Unbedingtheit seines Wollens und das Fehlen jeglicher Leidenschaften verliehen ihm jenen Impetus, der ihn vorübergehend zum Anführer der Französischen Revolution machte. Um seiner Idee willen ließ Robespierre eine Vielzahl von Menschen töten, denn er versuchte, die von ihm auf der Basis Rousseaus erdachte „Philosophie“ in Politik zu übersetzen – was sie tödlich werden ließ. Der Advokat aus Arras ist als Erscheinung deshalb so einzigartig, weil vor ihm (und vielleicht auch nach ihm) niemals jemand derart konsequent versucht hat, eine Utopie religiöser Provenienz in praktische Politik zu verwandeln. Seine öffentliche Tätigkeit war die fast mechanische Ersetzung einer religiösen Vorstellung mittels politischer Begriffe. Er war von der Idee besessen, eine vollkommene Gesellschaft zu gründen, deren Souverän das Volk ist. Er wollte quasi ein Reich Gottes auf Erden schaffen, dessen Gott jedoch dieses Volk ist. Diese Unternehmung führte er ohne Rücksicht auf den Unterschied zwischen dem wahren Charakter Gottes und dem bloß gedachten Charakter des Volkes durch. Robespierre sah somit die Realität als verbrecherisch an, weil sie seiner Unternehmung Widerstand leistete. Ohne sich das bewußt zu machen, führte er einen Kampf gegen das Lebendige, ja, gegen das Leben an sich.
Dazu wieder Friedrich Sieburg: „Seine Erfindung ist die Überführung der religiösen Intoleranz auf das politische Leben, ist die Gesinnungspolitik, die nicht mehr den Bruch der Gesetze, sondern die abweichende Gesinnung bestraft.“10 Kennen wir all das nicht auch aus unseren Tagen, in denen die zu einer Geisteskrankheit ausufernde „politische Korrektheit“ jede Abweichung von einer durch Pseudoeliten vorgegebenen Zivilreligion ahndet?
Mit genau dieser Stoßrichtung hat Robespierre – und das ist seine irreversible historische Schuld – die Schleusen geöffnet, so daß in der Gegenwart selbsternannte Gesinnungswächter sich anmaßen, auch noch die allerletzten Reste freien Denkens zu zerstören. Doch dieses darf ihnen nicht gelingen, denn es wäre der Tod des Menschen als eines vernunftbegabten Wesens!
Robespierre hat sich stets als einen Jünger Jean-Jacques Rousseaus bezeichnet und unablässig dessen Andenken beschworen, um so seine politischen Handlungen zu rechtfertigen. In der Tat ist der Anteil Rousseaus an jener Entwicklung, die in Frankreich die Schreckensherrschaft herbeigeführt hat, gewaltig und übertrifft klar den Beitrag, den das 18. Jahrhundert sonst zur Destruktion seiner eigenen Gesellschaft geleistet hat. Daran hatte die Aufklärung einen ganz wesentlichen Anteil. Sie brachte den Menschen jenen Ausbruch aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit“, der sie verschlingen und an deren Ende das im Namen einer angeblich höheren Idee stehende Blutregiment von Terroristen wie Danton, Robespierre, Saint-Just und anderen stehen sollte. Die Freiheit des Menschen kann unmöglich weiter als bis zur Selbstzerstörung getrieben werden. Weil vor der Französischen Revolution von 1789 die Ventilierung der neuen, aufklärerischen Gedanken lange Zeit scheinbar folgenlos geblieben war, hatte die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts wie einen köstlichen Triumph ihrer inhärenten Intelligenz das Gift genossen, an dem sie schließlich verendete. Wer in den Salons des „Ancien Régime“, wo sorglos über die das eigene Ende implizierenden Ideen der Aufklärung geplaudert wurde, hätte erwartet, daß schon wenig später erbarmungsloser Terror nahezu jede Zivilisation vertreiben und den Menschen zur blutrünstigen Bestie machen würde?
Dabei war Robespierre, der diese Verrohung wesentlich zu verantworten hatte, ein Mann, der neben all seiner Grausamkeit als Person ausgesucht höflich war, der seine Perücke geradezu peinlich sauber hielt und auf Spitzenmanschetten Wert legte, der sich an Unordnung, Schmutz, Pöbelhaftigkeit um nichts in der Welt gewöhnen wollte.11

Saint-Just – der „Todesengel“

Auch Robespierres „Schwertträger“ Saint-Just wirkte – äußerlich betrachtet – nicht im kleinsten Detail wie einer jener „Sansculotten“, für die er so gerne das Wort ergriff. Auf diesen am 25. August 1767 in Decize bei Nevers geborenen Revolutionär trifft (jedoch mit Einschränkungen) die folgende Aussage Sieburgs zu: „Niemals wird die Welt mit ihrem Staunen über diesen Jüngling zu Ende kommen, niemals wird sie sich zwischen der scheuen Bewunderung seiner Größe und dem Entsetzen über seine Unmenschlichkeit entscheiden können.“12 Der Leser ahnt schon, worin die Einschränkungen bestehen: Dieser junge Mann, der mit einem noch kälteren Fanatismus als Robespierre Tausende von Menschen für eine von ihm als heilig verehrte Idee auf das Schafott schickte, kann keine „Größe“ verkörpern. Er kann schon gar nicht „scheue Bewunderung“ für all die von ihm systematisch begangenen Verbrechen ernten, nur „Entsetzen über seine Unmenschlichkeit“.
Angebracht ist aber auch heute das Staunen über diesen jüngsten und merkwürdigsten unter den Terroristen der Französischen Revolution. Persönlich sensibel und unbezähmbar, war er in deren Reihen der größte Dogmatiker, das „enfant terrible“ des Schreckens. Der aus der Picardie stammende Louis-Antoine de Saint-Just war ein bildungshungriges Individuum, entwickelte sich jedoch zu einem vollständigen Egozentriker, der unter Mitnahme des Tafelsilbers seiner verwitweten Mutter nach Paris übersiedelte. Diese ließ ihn dort von der Polizei ausfindig machen, festnehmen und vorübergehend in eine Nervenheilanstalt einsperren. Nachdem er sich gebessert hatte, durfte er an der Universität Reims Rechtswissenschaft studieren und erwarb hier 1788 einen Hochschulabschluß. Gemäß der damals in Frankreich herrschenden Mode las er griechische und römische Dichter und Denker der Antike. Außer Platons Werk „Der Staat“ gaben ihm einige Biographien (speziell die des Lykurg, eines Gesetzgebers aus Sparta) in den „Lebensbeschreibungen“ von Plutarch Anstöße für sein republikanisches Denken. Weitere Anleihen machte Saint-Just bei Montesquieu und natürlich auch bei Rousseau.13
Die Obrigkeit erzürnte der zukünftige Terrorist durch ein erotisches Gedicht in 20 Gesängen („Organt“), das als sein erster literarischer Versuch im Mai 1789 erschien. In diesem, so seine Kritiker, feierte er u. a. die Vergewaltigung und pries die Lust als ein „göttliches“ Recht. Bereits einen Monat später wurde der „Organt“ wegen Majestätsbeleidigung verboten, so daß sich der Poet Saint-Just in Paris schon bei Bekannten verstecken mußte, um nicht von der Polizei verhaftet zu werden. In der Revolution, deren Ausbruch er am 14. Juli 1789 als Augenzeuge des Sturmes auf die Bastille selber miterlebte, sah er eine Bestätigung seines Hedonismus. Doch deren Ideale regten ihn dazu an, seinen Individualismus zu einer römischen „virtus“ (Tugend) zu wandeln, die alles aufopfern würde, um diese Ideale Realität werden zu lassen. So wurde Saint-Just von einem Epikureer zu einem Stoiker, blieb allerdings bis zu seinem Ende eine Art Romantiker.14
Dieser Romantiker war allerdings kein Träumer, sondern entwickelte sehr schnell Gedanken, die durchaus als frühkommunistisch einzustufen sind. In seinen „Institutions républicaines“15 von 1791 argumentierte Louis-Antoine, daß die Konzentration des Reichtums politische und gesetzliche Freiheit und Gleichheit zu einer Farce mache. Privater Wohlstand müsse beschränkt und weit gestreut werden. Die Regierung solle in bäuerlichen Besitzern und unabhängigen Handwerkern ihre Stütze suchen, die Erziehung und Fürsorge in staatliche Hände legen. Gesetze dürfe es nur einige wenige geben, doch die hätten kurz und verständlich zu sein: „Lange Gesetze sind ein öffentliches Unglück.“16 Nachdem sie das fünfte Lebensjahr vollendet hatten, sollten nach Ansicht Saint-Justs alle Knaben von Staats wegen in spartanischer Einfachheit erzogen, vegetarisch ernährt werden (offenbar sind die Grünen von heute auf dieses Detail bei ihm nicht gestoßen) und sich im Kriegshandwerk üben (dies würde den Grünen dann wohl weniger gefallen). Entscheidend bei Saint-Just: Demokratie ist zwar gut, doch sollte sie in Zeiten des Krieges durch die Diktatur ersetzt werden.17 Wie wir wissen, sollte die Diktatur bei den Jakobinern kein Ende nehmen, weil der vom revolutionären Frankreich begonnene Krieg kein Ende fand und die von ihnen verheißene „goldene“ Zeit niemals kam.
Aus dem so eigenwilligen, leicht aufbrausenden jungen Mann Saint-Just wurde ein gestrenger Vorgesetzter, ein talentierter Organisator, ja, sogar ein guter militärischer Befehlshaber18. Obgleich er bereits im August 1790 als glühender Verehrer Robespierres erstmals einen Brief an diesen verfaßt hatte, dauerte es noch einige Zeit, bis er sich mit seinem Idol zusammentun konnte. Doch nachdem Saint-Just im Oktober 1792 im Klub der Jakobiner und dann im November 1792 im Nationalkonvent geredet hatte, stand er wegen seiner Eloquenz und der Radikalität der von ihm vertretenen Prinzipien mit einem Mal im Rampenlicht der politisierten Öffentlichkeit. Im Konvent stimmte der Phlegmatiker Saint-Just, der „in steinerner Harmonie wie die Standbilder der Götter“19 verharrte, im Januar 1793 für den Tod des abgesetzten Königs Ludwig XVI. – ohne Aufschub und ohne Appellation. Sehr stolz und selbstsicher, anderen gegenüber hochfahrend, akzeptierte Saint-Just jedoch bereitwillig Robespierres Führerschaft und blieb auch dann noch gelassen und ruhig, als selbst dieser vor Zorn die Fassung zu verlieren drohte. Wieder einmal findet Sieburg die passenden Worte, wenn er über den „Todesengel“ dieses schreibt: „Seine Grausamkeit ist niemals die eines Wüterichs, sondern eines übermenschlichen Richters. Fast alle großen Todesdekrete des Konvents werden von ihm vertreten. […] Hart und hold steht er auf der Tribüne, das Licht bricht sich im Gold seiner Locken, leise schaukeln seine Ohrringe, kein Ausdruck, keine Bewegung unterbricht die paradiesische Ruhe dieses Gesichtes. Er ist der Todesengel.“20
Einzig Robespierre vermochte die eisige Nähe dieses sonderbaren Jünglings zu ertragen, denn er erblickte in ihm die Vollendung seines eigenen Wesens. Was auch immer er, der „Unbestechliche“, als Rousseaus demütiger Schüler ausführte, das machte Saint-Just aus eigener Erkenntnis. Damit war dieser in den Augen Robespierres nicht bloß ein Philosoph, sondern selber ein Gesetzgeber. Also hatte es Saint-Just – ironisch gesprochen – doch noch zu einem Lykurg gebracht! Ohne Ironie war es jedoch, wenn der antikisierende Revolutionär pathetisch sprach: „Ich verachte den Staub, aus dem ich gemacht bin!“21 Eine solche Geisteshaltung ließ ihn dann auch mühelos über die Leichen anderer hinweggehen, und dies waren nicht eben wenige.

Marat – der „Volksfreund“

Die Erstürmung der Bastille, die als bloßes Ereignis bis heute maßlos überschätzt wird und dennoch Jahr für Jahr als französischer Nationalfeiertag begangen wird, gab jenen Journalen, die seinerzeit die Pariser aufstachelten, neuen Auftrieb und verschaffte ihnen neue Leser. Eines der vielen Journale, die in jenen so stürmischen Tagen neu auf den Markt kamen, war der ab 12. September 1789 erscheinende „Ami du Peuple“ (Volksfreund) des Jean-Paul Marat. Unter den neuen Journalisten war er der weitaus radikalste, rücksichtsloseste und unbarmherzigste. Am 24. Mai 1743 wurde er in Boudry (das heute im Schweizer Kanton Neuchâtel liegt) als Sohn einer Schweizer Mutter und eines Vaters aus Sardinien geboren. Zeit seines Lebens verehrte Marat einen Mann, der gleichfalls seine Heimat verlassen hatte – den ebenso von Robespierre und Saint-Just bewunderten Rousseau. In Bordeaux und Paris studierte Marat Medizin, ging dann für zehn Jahre nach England und praktizierte als Arzt mit mäßigem Erfolg u. a. in London. Marat schrieb in englischer Sprache und publizierte in London 1774 „The Chains of Slavery“ (Die Ketten der Sklaverei). In dieser Schrift, die seine berühmteste werden sollte, verdammte er in flammenden Worten die Regierungen Europas als Verschwörung von Klerus, Adel und Königen, welche die Völker hintergeht und in Knechtschaft hält.22
Marat erwarb im Juni 1775 an der St. Andrews University in Schottland einen akademischen Grad in Medizin, wobei er ihn vermutlich ohne eine Prüfung auf Fürsprache zweier angesehener Ärzte erhielt. Dies war damals ein bei der Universität St. Andrews übliches Verfahren. Im Jahre 1777 kehrte Marat nach Frankreich zurück, fand eine Anstellung als Tierarzt in den Ställen des Grafen von Artois (des jüngsten Bruders Ludwigs XVI.) und stieg sogar zum Arzt in der Leibgarde des Grafen auf. Als Spezialist für Erkrankungen der Augen und der Lungen erwarb Marat sich einen guten Ruf, publizierte Abhandlungen über Feuer, Licht, Elektrizität und Optik, wovon einige auch in die deutsche Sprache übersetzt wurden. Marat, ein Mann von stark ausgeprägtem Selbstgefühl, fand, daß ihm das alles einen Anspruch auf eine Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften gäbe, doch sein Angriff auf die wissenschaftliche Autorität eines Isaac Newton machte ihn der Akademie suspekt und trug dazu bei, daß er nicht aufgenommen wurde.23
Da der stark egozentrische Marat von permanenten Beschwerden (darunter einer unheilbaren Hautentzündung) geplagt wurde, wurde er mit der Zeit immer unausstehlicher. Seine Wutausbrüche, seine Eitelkeit, sein Größenwahn, seine ungezügelten Verdächtigungen gegen nahezu jedermann, seine wahnwitzigen Rufe nach Gewaltakten des von ihm als Götzen angebeteten Volkes überlagerten seine durchaus positiven Eigenschaften wie seinen persönlichen Mut, seinen Fleiß und die Hingabe, mit der er seine Arbeit machte. Der Erfolg seines oft zweimal täglich erscheinenden Blattes „Ami du Peuple“ beruhte nicht nur auf den aufpeitschenden, mitunter hetzerischen Übertreibungen seines Stils, sondern mehr noch in der unablässigen Unterstützung des einfachen Volkes. Marat sah, wie sich das Chaos in Frankreich und speziell in Paris immer mehr ausbreitete, und trug mit Feuereifer seinen Teil dazu bei. Alle wirklichen und vermeintlichen Gegner der Revolution titulierte er als Verräter und Volksfeinde, veröffentlichte deren Namen in seiner Zeitung – kennen wir dies nicht vom heutigen „Kampf gegen rechts“? – und lieferte sie damit der Verfolgung durch den Pöbel aus. Deswegen Ende 1789 verhaftet, wurde Marat sehr rasch wieder auf freien Fuß gesetzt, sah sich Anfang 1790 von erneuter Festnahme bedroht, konnte aber nach England entweichen. Doch bereits im Mai desselben Jahres war er zurück in Frankreich und heizte durch seine hemmungslose Agitation die ohnehin schon explosive Atmosphäre im Land noch weiter an.24
Zwar betrachtete Marat die Konzentration des Reichtums als naturgegeben, strebte aber einen „Ausgleich“ an, indem er die Unmoral des Luxus fanatisch anprangerte: „Nichts Überflüssiges kann uns legitimer Besitz sein, solange andere Notwendiges entbehren müssen […] Die Masse kirchlichen Reichtums sollte an die Armen verteilt werden und überall sollte man kostenlose öffentliche Schulen einrichten.“25 Und weiter: „Die Gesellschaft schuldet ihren Mitgliedern, die besitzlos sind und deren Arbeit kaum für ihren Unterhalt ausreicht, eine gesicherte Unterstützung, die nötigen Mittel für Essen, Wohnen und […] Kleidung sowie Fürsorge in Krankheit und Alter und Beistand für die Erziehung der Kinder. Die im Geld wühlen, müssen für die Wünsche derer aufkommen, denen die Notwendigkeiten des Lebens fehlen.“26 Andernfalls, so befand der frühkommunistische Umverteiler, besäßen die Armen das Recht, sich mit Gewalt das zu nehmen, was sie brauchen.
Jean-Paul Marat wurde im Laufe der Revolution immer ausfallender im Stil und immer maßloser in seinen Forderungen. Es grenzte schon fast an Tollwut, wenn er in seinem „Ami du Peuple“ vom 30. Januar 1791 „100.000 Köpfe“ forderte, um die Gegner der Revolution zu dezimieren. Erneut fand sich der radikalste der Agitatoren von den Behörden gesucht, erneut verbarg er sich und entwich nach London und erneut tauchte er wieder in Paris auf (Februar 1792). Dort schloß er sich nach dem Sturz der Monarchie den Jakobinern an, deren Präsident er für eine Wahlperiode wurde, und zog zudem als Abgeordneter in den Nationalkonvent ein. Mit seinen hetzerischen Artikeln trug Marat ebenso wie der nur unwesentlich „mildere“ Danton zur Entstehung jener Atmosphäre bei, in der die Septembermorde des Jahres 1792 stattfinden konnten. Welch eine Ironie ist es, daß just dieser Marat, der hemmungslos den Tod anderer Menschen forderte bzw. durch seine Agitation mit herbeiführte, am 13. Juli 1793 von Charlotte Corday, einer Anhängerin der Girondisten, selbst ermordet wurde!27 Jener Mann, der ohne Ende Gewalt gepredigt hatte, wurde schließlich auch das Opfer einer Gewalttat, und das Mitleid des heutigen Betrachters mit ihm hält sich in sehr, sehr engen Grenzen. Doch die revolutionär eingestellten Zeitgenossen im Frankreich des Sommers 1793 sahen dies völlig konträr: sie bereiteten Marat am 15. Juli ein beeindruckendes Begräbnis und machten es möglich, daß er am 17. Juli 1793 als „Märtyrer der Freiheit“ einer der Heiligen im revolutionären Panthéon wurde.28

Hébert – der „Père Duchesne“

Einer, der Marat an revolutionärer Radikalität kaum nachstand und der es nicht weniger gut verstand, die Volksmassen aufzuwiegeln, war der am 15. November 1757 in Alençon geborene Jacques-René Hébert. Bereits kurz nach Marats Tod erbot sich Hébert, an die Stelle des „Märtyrers der Freiheit“ zu treten, indem er am 21. Juli 1793 im Jakobinerklub ausrief: „Wenn Marat einen Nachfolger braucht, wenn die Aristokratie ein zweites Opfer braucht, so steht dieser Mann schon bereit, ich bin’s.“29 Der in einer Goldschmiedefamilie geborene Jacques-René verlebte seine Kindheit in relativem Wohlstand, so daß es erstaunt, ihn während der Revolution auf der Seite der unteren Volksschichten zu finden. Doch sicherlich liegt eine Ursache darin, daß er – nach einem Studium der Rechtswissenschaft als Advokat arbeitend – durch einen verlorenen Prozeß ruiniert worden war und sich mit einem Schlag selber unter den Mittellosen, den sozial Deklassierten befand.
Deren Sache betrieb Hébert mit Feuereifer, vorzugsweise in seiner seit November 1790 unter dem Namen „Le père Duchesne“ (deutsch: Vater Duchesne) erscheinenden Zeitung. Dieses Hetzblatt, das es bis zu seiner letzten Ausgabe im März 1794 auf insgesamt 385 Nummern brachte, verkörperte eine Zeitung im Geiste des radikalen Flügels der „Cordeliers“. Ganz bewußt hatte Hébert mit dem Ofensetzer „Père Duchesne“ eine beliebte Figur des vorrevolutionären Volkstheaters gewählt, die mit deftiger Sprache und rüden Umgangsformen den „kleinen Mann“ repräsentierte. Mit dieser Zeitung, in der Hébert selbst unter dem Pseudonym „Père Duchesne“ schrieb, griff er aktiv in das revolutionäre Geschehen ein und war in publizistischer Hinsicht letztlich sogar effektiver als Jean-Paul Marat. Paris kam auch durch Héberts zügellose und oftmals pöbelhafte Agitation nicht zur Ruhe und belagerte den Nationalkonvent mit Forderungen nach Enteignung der Reichen.30
Doch hierbei blieb es keineswegs. Der „Père Duchesne“, der in einer für die damalige Zeit erstaunlichen Auflage von mehr als einer halben Million Exemplaren erschien und der auch unter den Soldaten gratis verteilt wurde, radikalisierte sich bei seinen Forderungen ab Frühjahr bzw. Sommer 1791 und mit Einführung der Republik im September 1792 immer mehr: So sollten alle Monarchien ausgelöscht, eine „Weltrepublik“ gegründet sowie alle inneren und äußeren Feinde der Revolution vernichtet werden. Charakteristisch war ebenso die extrem antiklerikale Stoßrichtung des Blattes, das sich besonders an die „Sansculotten“31 wandte. Diese waren kleine Handwerker und Gewerbetreibende in den Vororten von Paris und stellten im Zeitraum von 1792 bis 1794 eine wesentliche Antriebskraft der Revolution dar. Ihnen gefiel es ganz ungemein, wenn Hébert in seinem „Père Duchesne“ z. B. polterte: „Das Vaterland, Sch…, die Händler haben keins.“32 Mit ähnlicher Skrupellosigkeit wie Marat rief er zu rücksichtslosem Vorgehen gegen alle Personen auf, die er als Feinde der Revolution ansah: Adlige, Kleriker, aber auch alle nur gemäßigten Revolutionäre wie die Girondisten, die seine, Héberts, Ansichten vom sozialen Umsturz nicht teilen wollten.33 Das sprach den „Sansculotten“ aus der Seele, und Hébert streichelte sie weiter, indem er z. B. in Nummer 263 seines „Père Duchesne“ schrieb: „Zu lange schon leiden die armen Teufel der Sansculotten bitterste Not, sie haben die Revolution gemacht, um glücklich zu sein.“34
Neben seiner publizistischen Tätigkeit war Hébert in den revolutionären Volksgesellschaften aktiv, so etwa im „Club des Cordeliers“. Nach dem Sturm auf die Tuilerien und der Verhaftung König Ludwigs XVI. und seiner Familie am 10. August 1792 leitete Hébert gemeinsam mit Pierre-Gaspard Chaumette und den um diese Anführer konzentrierten antiklerikal-sozialrevolutionären Hébertisten die „aufständische Kommune“ von Paris. Sie bündelte als Gemeindeorgan die diversen Aktivitäten der 48 Stadtsektionen und übertraf vorübergehend sogar den Nationalkonvent an Bedeutung. Und permanent verschoß Hébert seine Giftpfeile gegen alle vermeintlichen oder realen Gegner der Revolution, gefiel sich in der Rolle des polternden Proleten und drohte im September 1793 im Wohlfahrtsausschuß den faktischen Inhabern der Regierungsgewalt in Frankreich: „Ich habe in Ihrem Namen den Sansculotten Antoinettes Kopf [den Kopf der abgesetzten und inhaftierten Königin Marie-Antoinette, Anm. d. Verf.] versprochen, den sie verlangen. Ohne ihre Unterstützung würden Sie selbst nicht mehr existieren […] Ich werde hingehen und ihn selbst abschneiden, wenn ich noch länger warten muß.“35 Das war diesem mit dem Gemüt der IS-Schlächter ausgestatteten Mann durchaus zuzutrauen, doch er mußte nicht selbst die blutige Arbeit übernehmen. Wie nicht anders zu erwarten, wurde nach ihrem Gemahl Ludwig XVI. (21. Januar 1793) auch Marie-Antoinette guillotiniert (16. Oktober 1793). Ihre Exekution war „für den Père Duchesne die größte aller Freuden“36, wie ein wieder einmal pöbelnder Hébert ausposaunte. Das war exakt seine Welt und die seiner Freunde, der „Sansculotten“ – die Höherstehenden nach Strich und Faden zu demütigen, zu erniedrigen, sie grausam zu töten und sich darüber in der allergemeinsten Schadenfreude zu ergehen. Wir erleben hier den Menschen (wenn man dieses überhaupt noch Mensch nennen kann) auf seiner niedrigsten Stufe, verroht, verkommen, zur blutrünstigen Bestie abgesunken. Doch Hébert sollte sich zu früh gefreut haben: Nicht einmal ein halbes Jahr später sollte er selbst „in den Sack nießen“, wie der Mob es nannte, wenn der abgetrennte Kopf eines Guillotinierten fiel.
Noch war es allerdings nicht so weit. Jacques-René Hébert wütete in seinen Zeitungsartikeln, unterstützt von Pierre-Gaspard Chaumette von der Pariser Kommune, weiter – nun vermehrt gegen das Christentum. Hiervon aufgehetzt, drang am 16. Oktober 1793, genau dem Tag von Marie-Antoinettes Exekution, eine Rotte „Sansculotten“ in die Abtei St. Denis ein, leerte die Särge der dort beigesetzten französischen Königsfamilie aus und schmolz das Metall für Kriegszwecke ein. Am 6. November gab der Nationalkonvent den Kommunen Frankreichs das Recht, sich von der christlichen Kirche offiziell loszusagen. Angesichts dessen fragte sich mancher Abgeordnete im Konvent, ob die antichristliche Karte nicht überreizt worden sei. Denn viele Deputierte, die Agnostiker, Atheisten und Pantheisten waren, fragten sich, ob es klug sei, gläubige Katholiken in die Verzweiflung zu treiben, die ja immer noch die Mehrheit stellten und von denen viele bereit waren, gegen die ihnen verhaßte Revolution die Waffen zu ergreifen. Daher bestätigte der Nationalkonvent am 6. Dezember 1793 erneut die Freiheit der Glaubensausübung und garantierte den Schutz religiöser Zeremonien, die von Priestern zelebriert wurden, die den Eid auf die Verfassung geleistet hatten. All das war unter Robespierres Federführung beschlossen worden, und Hébert, der sich in dieser Thematik nunmehr ziemlich isoliert sah, beteuerte, daß er ebenfalls den Atheismus ablehne. Er gesellte sich jedoch in der Folgezeit zu jenen, die bestrebt waren, der Popularität Robespierres Schaden zuzufügen. Der „Unbestechliche“ erblickte in Hébert nun einen seiner Hauptgegner und wartete auf eine Chance, ihn zu vernichten.37 Die sollte sich schon sehr bald ergeben.

Frühkommunistische Elemente

Während Robespierre die Tugend mit dem Terror verband, knüpfte Saint-Just an den Terror eine Art der sozialen Umwälzung, die beinahe auf die Diktatur des Proletariats hinauslief. Seine Konventsrede vom 26. Februar 1794 – sie trägt den unschuldigen Namen „Bericht über die eingekerkerten Personen“ – zerstörte alle Hoffnungen auf eine Beendigung des Terrors. Er wandte sich wieder seinem Thema zu, das er im Herbst 1793 aufgenommen hatte: „Ihr habt nicht nur die Verräter zu strafen, sondern auch die Gleichgültigen. Ihr habt jeden zu strafen, der in der Revolution passiv ist und nichts für sie tut.“38 Lakonisch und tödlich fuhr er fort: „Was eine reine Republik begründet, ist die Zerstörung dessen, was ihr entgegengesetzt ist.“39 Dann aber war er mit einem Schlag und ohne Übergang bei der Thematik der Enteignung: „Der Zwang der Umstände führt uns vielleicht zu Ergebnissen, an die wir nie gedacht haben. Der übergroße Reichtum befindet sich in den Händen einer ziemlich großen Zahl von Feinden der Revolution, und die Not bringt das arbeitende Volk in die Abhängigkeit seiner Feinde. Glaubt Ihr, daß ein Staat existieren kann, wenn die gesellschaftlichen Einkünfte denen zukommen, die gegen die Regierungsform eingestellt sind? […] Die Unglücklichen sind die Mächtigen der Erde, und sie haben das Recht, zu den Regierungen, die sie vernachlässigen, als Herren zu sprechen.“40
Gleich im Anschluß an diese für Saint-Just typische Rede nahm der Nationalkonvent sogleich ein Dekret an, das so lautete: „Das Eigentum der Patrioten ist unverletzbar und geheiligt. Die Güter der als Feinde der Revolution erkannten Personen werden zugunsten der Republik beschlagnahmt. Diese Personen werden bis zum Frieden in Haft gehalten und dann lebenslänglich verbannt.“41 Diese Maßnahme, welche die Enteignung jedes Nicht-Jakobiners gestattete, hätten in dieser Radikalität nicht einmal die fanatischsten Sansculotten besser ersinnen können. Für jeden, der dieses Gesetz konsequent zu Ende dachte, bedeutete es die Vervollkommnung, ja die Übersteigerung des Terrors. Nunmehr war die Schreckensherrschaft nicht länger ein Kampfmittel, sondern ein soziales System. Saint-Just aber forderte die Alleinherrscher der alten Ordnung zum Kampf heraus, indem er ausrief: „Das Glück ist ein neuer Gedanke in Europa.“42
Ein Saint-Just ähnlicher Fanatiker, aber wendig bis zur Prinzipienlosigkeit, aalglatt, intrigant, geradezu teuflisch verschlagen, opportunistisch sich jeder politischen Färbung anpassend, war Joseph Fouché. Am 21. Mai 1759 als Sohn eines Kapitäns der Handelsmarine in Nantes geboren, hatte er dort das Seminar der Oratorianer besucht, jedoch nur die niederen Weihen empfangen. Als Physiklehrer in Arras lernte er u. a. Maximilien Robespierre kennen, was aber nicht die Ursache dafür war, daß er sich als Prokonsul des revolutionären Nationalkonvents im Departement Loire inférieure im Jahre 1793 so wütend radikal aufführte. Nein, er, der es zumeist glänzend verstand, sich nicht festzulegen und immer noch einen Fluchtweg freizuhalten, hatte im Januar 1793 im Konvent für die Hinrichtung von Ludwig XVI. votiert und war seitdem unauslöschlich als „régicide“ (Königsmörder) gebrandmarkt. Also trat er gewissermaßen die Flucht nach vorn an und wollte sich nun an revolutionärer Radikalität, Schärfe und Grausamkeit von keinem übertreffen lassen. Fouché wetterte in Nantes, Nevers und Moulins gegen die Gemäßigten, überzog das Land mit einem Trommelfeuer von Proklamationen, bedrohte die Reichen, die Zögernden, die Halbherzigen in grimmigster Manier, preßte mit moralischem und mit faktischem Zwang Scharen von Freiwilligen aus den Dörfern heraus und schickte sie gegen den inneren Feind, der sich besonders in der Vendée gegen die Revolutionäre in Paris erhoben hatte.43
Joseph Fouché blieb nicht wie die berühmteren Köpfe der Französischen Revolution, Danton und Robespierre, zurückhaltend in der Frage der Kirche und des Privateigentums, das jene noch für „unverletzlich“ erklärten. Der Prokonsul44 des Konvents stellte vielmehr ein radikalsozialistisches und bolschewistisches Programm auf. Somit ist das erste eindeutige kommunistische Manifest der Neuzeit in Wirklichkeit nicht erst das berühmte von Karl Marx und auch nicht der „Hessische Landbote“ von Georg Büchner, sondern jene ziemlich unbekannte, von sozialistischen Historiographen geflissentlich übersehene „Instruction“ in Lyon. Diese wurde zwar von Jean-Marie Collot d’Herbois und Joseph Fouché gemeinsam gezeichnet, da der Konvent sie beide als Prokonsuln in das „abtrünnig“ gewordene und von Revolutionstruppen eingenommene Lyon entsandt hatte (November 1793). Doch zweifellos ist dieses resolute, in seinen Postulaten der Zeit um hundert Jahre vorgreifende Dokument – eines der bemerkenswertesten der Französischen Revolution – allein von Fouché verfaßt worden.
Nachdem Fouché in einer Einleitung den „im Sinne der Revolution“ Handelnden eine Art von Blankoscheck ausgestellt hat, führt er seine Anschauung aus, daß der „mauvais riche“, der „schlechte Reiche“, niemals ein echter Revolutionär, ein wahrer und aufrichtiger Republikaner sein könne. Somit müsse jede bloß bürgerliche Revolution, die alle Unterschiede des Vermögens weiter bestehen ließe, zwangsläufig zu einer neuen Tyrannei ausarten, „denn die Reichen würden immer sich als eine andere Art Menschen betrachten“45. Deshalb verlangt Fouché vom Volk die äußerste Anstrengung sowie die vollkommene, die „integrale“ Revolution. Wie blutrünstig dieser spätere Polizeiminister Napoleons I. und sogar Ludwigs XVIII. zur Zeit der Schreckensherrschaft denkt und wie sehr er spätere Tyrannen, wie Lenin, Stalin oder Mao Tse-tung, vorwegnimmt, belegen in erschreckender Weise diese Worte aus seiner „Instruction“: „Die Republik will in ihrem Kreis nur freie Menschen, sie ist entschlossen, alle andern auszurotten, und sie erkennt nur jene als ihre Kinder, die für sie leben, kämpfen und sterben wollen.“46
Im dritten Absatz des Dokumentes wird das revolutionäre Bekenntnis nackt und unverhohlen zum kommunistischen Manifest (dem ersten deutlichen von 1793): „Handelt also großzügig und kühn, nehmt jedem Bürger alles weg, was er nicht nötig braucht, denn alles Überflüssige […] ist eine offenkundige Verletzung der Volksrechte. Denn was ein einzelner über seine Bedürfnisse hat, kann er nicht anders brauchen, als indem er es mißbraucht. So laßt ihm nichts als das unbedingt Nötige, der ganze Rest gehört während des Krieges der Republik und ihren Armeen.“47
Nachdem Fouché proklamiert hat, „wir brauchen nur Stahl und Eisen, und die Republik wird triumphieren“48, schließt er seinen Aufruf mit einem furchtbaren Appell zur Rücksichtslosigkeit: „Wir werden mit aller Strenge die Autorität verwalten, die uns übertragen ist, wir werden alles als böswillige Absicht bestrafen, was unter anderen Umständen vielleicht Lässigkeit, Schwäche und Langsamkeit genannt wird. Aber die Zeit der halben Maßnahmen und der Rücksichten ist vorbei. Helft uns kräftige Schläge tun, oder sie werden auf euch selber fallen. Die Freiheit oder der Tod! – Ihr habt die Wahl.“49
Wer nach alledem immer noch die Meinung vertritt, solche französischen Revolutionäre seien „Wohltäter der Menschheit“ gewesen, der ist entweder blind für ihre Verbrechen oder aber von einer ähnlichen Denkungsart wie jener Joseph Fouché, der in Lyon als „Racheengel“ der Revolution für ca. 1.500 Todesurteile verantwortlich zeichnete und so als „Mitrailleur de Lyon“, also als „Schlächter von Lyon“, in die Geschichte einging. Wie glaubwürdig Fouché 1793 als Radikaler, als Kommunist und als wildwütiger Antiklerikaler war, zeigt übrigens die Tatsache, daß er später als Herzog von Otranto millionenschwer in Reichtum lebte und sich unter der Patronanz eines Königs, dessen Bruder auch er zum Tode verurteilt hatte, in der Kirche ein zweites Mal trauen ließ. Doch kennzeichnet diese arge Heuchelei nicht auch zahlreiche Linke unserer Tage, die zwar dem Volk Wasser predigen, aber selber Wein trinken? Man denke hierbei nicht zuletzt an die oft zitierte „Toskana-Fraktion“!

Dantons wachsender Gegensatz zu Robespierre

Immerhin trat Danton, der sich vehement für die unteren Volksschichten einsetzte, als Justizminister bald nach den Septembermorden zurück. Das hinderte ihn aber nicht daran, weiter die Radikalisierung der Revolution zu betreiben. Diese hatte am 21. Januar 1793 durch die Guillotinierung Ludwigs XVI. (den man zum Bürger Louis Capet „degradiert“ hatte) dem monarchischen Europa den Kopf eines Königs vor die Füße geworfen. Damit waren alle Brücken verbrannt worden, und aus Sicht der Revolutionäre war es nur folgerichtig, zur Rettung der Revolution den Terror auf die Tagesordnung zu setzen. Am 10. März 1793 setzte der Agitator Danton die Einrichtung eines außerordentlichen Gerichtshofes, des späteren Revolutionstribunals, durch. Dieses sollte in der Folge durch seine grausame und willkürliche „Rechtsprechung“ zahllose unschuldige Menschen auf das Blutgerüst schicken und die junge Republik (sie war am 21. September 1792 ausgerufen worden) in einem Meer von Blut ertränken.
Doch damit nicht genug, am 6. April 1793 wurde – ganz wesentlich auf Betreiben Dantons – der Wohlfahrtsausschuß („Comité du salut public“) gegründet, dessen erster Leiter der agile Georges-Jacques selbst war (bis 10. Juli 1793). Hinter der wohlklingenden Phrase der öffentlichen Wohlfahrt verbarg sich jedoch, daß dieser Ausschuß als Exekutivorgan des Nationalkonvents in erster Linie die Verteidigung Frankreichs zu leiten hatte. Denn weil sich das revolutionäre Frankreich seit 1792 mit dem Europa der Fürsten und der Könige bzw. Kaiser im Krieg befand und dieses die Republik von fast allen Seiten attackierte, war das „Vaterland in Gefahr“. Und für die Rettung desselben waren aus der Perspektive der Revolutionäre – mithin auch aus der Dantons – alle Opfer gerechtfertigt. Passend dazu prägte Robespierre das böse Diktum: „Wer zittert, ist schuldig!“50 Es erklärt die unaufhaltsame Gewalt des Terrors, der Frankreich seinerzeit in seinem eisernen Griff hatte: Je stärker der Schrecken wirkte, desto mehr zitterte die Republik; und je mehr diese zitterte, desto stärker wurde der Schrecken. Hilflos und ratlos sah sich das von einem unerhörten Umsturz aufgewühlte Land dieser tödlichen Staatsgewalt ausgeliefert, die nach einer erbarmungslosen Mechanik funktionierte.
Wie zynisch viele Revolutionäre in der Ausübung ihres grausigen Handwerks waren, beweist besonders Jean-Baptiste Carrier, der während der Schreckensherrschaft als einer der ärgsten Fanatiker in Erscheinung trat. Die Ertränkungen tausender – tatsächlicher oder vermeintlicher – Gegner des Revolutionsregimes, die er als Konventskommissar in Nantes ohne gerichtliches Urteil vornehmen ließ, nannte er in diabolischer Bosheit nur „senkrechte Deportationen“ („déportations verticales“). In Anbetracht dieser höchst barbarischen Gesinnung ist es als verdient zu bezeichnen, daß dieser Carrier nach dem Ende der Schreckensherrschaft vor Gericht gestellt, verurteilt und am 16. Dezember 1794 selbst guillotiniert wurde.51
Nachdem es Anfang Juni 1793 zum Sturz der Partei der Girondisten – sie wollten nach dem Sturz der Monarchie die Revolution beenden – gekommen war, schloß Danton sich zwar zunächst der siegreichen „Bergpartei“, den „Montagnards“, unter Robespierre an, milderte jedoch schon bald seine politische Einstellung und trat aus dem „Club des Cordeliers“ aus. Wie hatte es zu dieser Wandlung kommen können? Danton repräsentierte (selbstverständlich mit gewissen Abstrichen) die Französische Revolution, soweit sie zugunsten des Menschen geführt wurde. Er war ein Mensch mit allen Stärken und Schwächen, jemand, der Prinzipien hatte, aber nicht wie Robespierre bereit war, buchstäblich alles für diese zu opfern. Danton in seiner heiteren, lebensfrohen Sicherheit durchschaute den asketischen, verkniffenen Robespierre bereits zu der Zeit, als die beiden politisch noch an einem Strang zogen. Der Keuschheit und freiwilligen Armut des „Unbestechlichen“ sah er auf den Grund und verspottete ihn in boshaften Worten dafür: „Dieser Robespierre kann ja nicht einmal –! Der hat ja Angst vor dem Geld!“52 Friedrich Sieburg beschrieb den Epikureer Danton schon sehr zutreffend, indem er über ihn äußerte, er habe sich „bei den Frauen wie ein Herkules“ gefühlt „und sich nicht geniert, ordentlich und überall seine Taschen zu füllen“.53
Die Französische Revolution war – trotz solcher Entgleisungen wie der Septembermorde – so lange menschlich, wie es ihr um das Volk ging. Sie war so lange im weitesten Sinne menschlich, bis Robespierre die Führung an sich brachte und sie unmenschlich, weil tugendhaft machte. Robespierre agierte zwar niemals illegal, doch er mißbrauchte die Gesetze so, daß sie nicht länger den Menschen, sondern einzig noch den Götzen schützten. Übrigens sind in genau diesem Punkte alle diejenigen, die heute eine „tugendhafte“ Gesinnungstyrannei ausüben und die Mehrheit zu ihrem „Glück“ regelrecht zwingen wollen, einem Robespierre nicht eben unähnlich. Wenn sich an dieser Stelle der eine oder die andere davon persönlich angesprochen und „getroffen“ fühlen sollte, dann war genau das beabsichtigt! Denn die Objektivität eines Historikers muß – in Anlehnung an Johann Gustav Droysen formuliert – nicht so weit gehen, daß sie letztlich „eunuchisch“ wird.

Der Sturz des Titanen

Gemeinsam mit Camille Desmoulins führte Danton jetzt die moderate Abspaltung der „Cordeliers“ an, die von Robespierre pejorativ so genannten „Nachsichtigen“ („Indulgents“). Diese Gruppe plante, den Terror im Inneren ebenso zu beenden wie nach außen den Ersten Koalitionskrieg (1792–97). Das trug ihnen den Haß der vom pöbelhaften Jacques-René Hébert angeführten ultraradikalen „Cordeliers“ ein, die aber Robespierre wiederum zu radikal waren. Der „Unbestechliche“ ließ deshalb die Anführer der Hébertisten Mitte März 1794 verhaften und nach einem Schauprozeß hinrichten (24. März 1794).
Schnell kam es in der Folge zur Ausschaltung der „Indulgents“ um Danton, dem Robespierre seinen angeblichen Verrat an den Maximen der Revolution nicht verzeihen wollte. Ein publizistischer Ausfall Dantons gegen die von Robespierre gesteuerte Politik des Wohlfahrtsausschusses führte in der Nacht vom 29. auf den 30. März zu der Inhaftierung von Danton, Desmoulins und weiteren Anführern der „Indulgents“. Diese wollte Robespierre um jeden Preis liquidieren, um seine eigene Machtstellung im labilen Gefüge der Revolution zu festigen bzw. weiter auszubauen. Er strebte die Diktatur an, was jetzt nicht nur für seine Gegner immer deutlicher erkennbar wurde.
Für das Revolutionstribunal aber wurde es äußerst kompliziert, den Schauprozeß in dem von Robespierre gewünschten Sinne zu führen. Denn der löwenhaft um sein Leben kämpfende Danton ließ sich nicht mundtot machen, sondern rief mit donnernder Stimme das Volk als Zeugen seiner Unschuld auf. Um diesem für den Prozeß so gefährlichen Treiben ein Ende zu bereiten, suchte der öffentliche Ankläger, Antoine-Quentin Fouquier-Tinville, Hilfe beim Nationalkonvent. Dort drückte der rigorose Saint-Just, der nichts anderes als ein Terrorist war, ein Dekret durch, wonach jeder, „der die nationale Justiz beleidigt oder ihr widersteht, auf der Stelle außer Verhandlung gesetzt wird“.54 Ausgerüstet mit diesem Instrument, verdammte das Tribunal Danton zur Ohnmacht, und so setzte sich der öffentliche Ankläger zum Schluß wie erwartet durch: Das Revolutionstribunal sprach das Todesurteil gegen die angeklagten Dantonisten aus. An diesem vorhersehbaren Schuldspruch konnte auch die Empörung im Gerichtssaal nichts ändern, unter der sich Ankläger, Geschworene, Richter und Schreiber duckten wie unter einem apokalyptischen Gewittersturm.
Georges-Jacques Danton, der hemmungslose Genußmensch und leidenschaftliche Volkstribun, hatte den Kampf um die Macht verloren. Als Sieger stand jetzt der unscheinbare Robespierre da, der lange von der riesenhaften Gestalt seines Kontrahenten verdeckt worden war. Doch als Danton am 5. April 1794 das Schafott besteigen mußte, konnte sich Robespierre seines Triumphs nicht recht freuen. Schlimme Vorahnungen plagten ihn, denn der dem Tod geweihte Danton prophezeite ihm das baldige Ende: „Infamer Robespierre! Du wirst mir folgen! Dein Haus wird dem Erdboden gleichgemacht, und wo es stand, wird Salz gesät werden!“55 In der Tat endete bereits am 28. Juli 1794 auch der am Tag zuvor von der Macht verdrängte Robespierre zusammen mit seinen engsten Gefolgsleuten ohne einen vorherigen Prozeß auf der Guillotine. Die Revolution hatte – gemäß einem sehr bekannten Ausspruch des am 31. Oktober 1793 hingerichteten Girondistenführers Pierre Vergniaud – wie Saturn ein weiteres ihrer eigenen Kinder gefressen.56
Im November 1799 zog der Revolutionsgeneral Napoleon Bonaparte mit seinem Staatsstreich aus dieser Selbstzerfleischung der Republik den Nutzen. Er putschte sich an die Macht und erklärte wenig später (15. Dezember 1799) die Französische Revolution für beendet. An die Stelle von Danton und Robespierre war nunmehr ein Alleinherrscher getreten, der die „Segnungen“ der Französischen Revolution überall auf dem europäischen Kontinent mit Waffengewalt zu verbreiten suchte. Madame de Staël, eine Literatin und Gegnerin Napoleons, nannte diesen u. a. einen „Robespierre zu Pferd“57.

Anmerkungen

1 Danton zu Sanson, Paris, 5. April 1794. Zitiert nach: Die Französische Revolution – Georges Danton. URL: www.republique.de/index.php
2 Im mittelalterlichen und vorrevolutionären Frankreich war das „parlement“ eine Institution der Rechtsprechung und als permanenter oberster Gerichtshof (in Paris ab dem Jahr 1300) für Berufungen gegen die von königlichen Gerichtsbeamten gesprochenen Urteile zuständig. Die Bezeichnung „parlement“ wurde dann auch für die zwölf weiteren, gleichartigen obersten Gerichtshöfe verwendet, die später nach dem Muster des Pariser „parlement“ in den einzelnen Provinzen errichtet wurden.
3 Sieburg, Friedrich: Robespierre. Eine Biographie. Stuttgart 1978, S. 193.
4 Danton im Nationalkonvent, Paris, 2. September 1792. Zitiert nach: France.fr – Danton (1759–1794). URL: www.france.fr/de/herausragende-personlichkeiten/danton-1759-1794.html
5 Zitiert nach: Soboul, Albert: Die Große Französische Revolution. Ein Abriß ihrer Geschichte (1789–1799). 4. Auflage. Frankfurt am Main 1983, S. 230.
6 Saint-Just im Nationalkonvent, Paris, 31. März 1794. Zitiert nach: GLASNOST Berlin – Saint-Just: Gegen Danton und die Partei der Milde. URL: www.glasnost.de/hist/fr/1794sjust.html
7 Zitiert nach: F. Sieburg, Robespierre, S. 148.
8 Ebenda, S. 148f.
9 Ebenda, S. 121.
10 Ebenda, S. 122.
11 Ebenda, S. 86.
12 Ebenda, S. 193.
13 Durant, Will und Ariel: Kulturgeschichte der Menschheit. Band 17: Die Französische Revolution und der Aufstieg Napoleons. München 1979, S. 81.
14 Ebenda.
15 Saint-Just, Louis-Antoine de: Fragments sur les institutions républicaines. Paris 1831. (Hierbei handelt es sich um eine spätere Ausgabe als die Erstausgabe von 1791.)
16 Zitiert nach: W. und A. Durant, Kulturgeschichte, S. 81.
17 Ebenda.
18 Im April 1794 ging Saint-Just als Revolutionskommissar zur französischen Nordarmee und trieb diese zu der gescheiterten Offensive bei Charleroi, aber dann auch zu dem so wichtigen Sieg in der Schlacht bei Fleurus (26. Juni 1794). Generäle stellte er brüsk vor die Alternative, entweder zu siegen oder vor das gefürchtete Gericht des Wohlfahrtsausschusses geladen zu werden.
19 F. Sieburg, Robespierre, S. 197.
20 Ebenda.
21 Zitiert nach: ebenda.
22 W. und A. Durant, Kulturgeschichte, S. 33f.
23 Ebenda, S. 34.
24 Ebenda, S. 34f.
25 Zitiert nach: ebenda, S. 35.
26 Zitiert nach: ebenda.
27 Ebenda, S. 77 f.
28 A. Soboul, Große Französische Revolution, S. 286.
29 Zitiert nach: ebenda, S. 289.
30 W. und A. Durant, Kulturgeschichte, S. 50, 73.
31 Der Name kommt daher, daß sie keine Kniebundhosen trugen (franz. sans culottes – dt. ohne Kniebundhosen).
32 Zitiert nach: A. Soboul, Große Französische Revolution, S. 160.
33 Schulin, Ernst: Die Französische Revolution. 4. Auflage. München 2004, S. 223.
34 Zitiert nach: A. Soboul, Große Französische Revolution, S. 289.
35 Zitiert nach: W. und A. Durant, Kulturgeschichte, S. 86.
36 Zitiert nach: A. Soboul, Große Französische Revolution, S. 307.
37 W. und A. Durant, Kulturgeschichte, S. 95 f.
38 Zitiert nach: F. Sieburg, Robespierre, S. 207.
39 Zitiert nach: ebenda.
40 Zitiert nach: A. Soboul, Große Französische Revolution, S. 338.
41 Zitiert nach: F. Sieburg, Robespierre, S. 208.
42 Zitiert nach: A. Soboul, Große Französische Revolution, S. 338.
43 Zweig, Stefan: Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen. Frankfurt am Main 1982, S. 33 f., 36, 38 ff.
44 Dieses Amt aus der antiken römischen Republik wird hier synonym für die Funktion des Sonderbeauftragten gebraucht, um die Machtfülle zu verdeutlichen, die diese Abgesandten des französischen Konvents zu Zeiten der Revolution (speziell während der Phase der Schreckensherrschaft) innehatten.
45 Zitiert nach: S. Zweig, Fouché, S. 41.
46 Zitiert nach: ebenda, S. 42.
47 Zitiert nach: ebenda.
48 Zitiert nach: ebenda, S. 43.
49 Zitiert nach: ebenda.
50 Zitiert nach: F. Sieburg, Robespierre, S. 255.
51 A. Soboul, Große Französische Revolution, S. 308, 349, 351, 374, 390–392.
52 Zitiert nach: F. Sieburg, Robespierre, S. 89.
53 Ebenda, S. 89 f.
54 Zitiert nach: ebenda, S. 272.
55 Danton vor seiner Hinrichtung, Paris, 5. April 1794. Zitiert nach: Die Französische Revolution – Georges Danton. URL: www.republique.de/index.php= danton
56 Vgl. zu dem Diktum Vergniauds u. a.: Hesse, Helge: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. In 80 Sätzen durch die Weltgeschichte. München 2008, S. 182.
57 Zitiert nach: Gottschall, Rudolph: Kaiser Napoleon III. Eine biographische Studie. Nachdruck des Originals von 1859. Paderborn 2012, S. 86.

 
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