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Staatsentwicklung und Kriegführung

Von Dr. Ulrich March

Verfassungs- und militärgeschichtliche Zusammenhänge


Eine der ältesten Legenden der Kriegsgeschichte, von Sozialromantikern wie Rousseau und Marx ersonnen und immer wieder aufgewärmt, stellt die Mär von den friedlichen Anfängen der Menschheit dar. Erst mit der Entstehung von Privateigentum und der darauf beruhenden gesellschaftlichen Differenzierung, so die Vorstellung, sei ein gewaltlos-paradiesischer Urzustand zu Ende gegangen, erst von da an habe es organisierte kriegerische Gewalt gegeben. Nach der marxistischen Lehre, die damit ganz dem Drei-Phasen-Modell der Bibel folgt, kann aber dieser Sündenfall bereinigt werden, und nach Wiederherstellung des einstigen Gemeineigentums werde es keinerlei Gründe mehr für Kriege und damit ein erneutes Zeitalter ewigen Friedens geben. Die Wissenschaft – von der Genetik bis zur Geschichtswissenschaft, von der Ethnologie bis zur Ethologie, von der Psychologie bis zur Prähistorie – spricht eine andere Sprache: Genetisch-gesellschaftliche Differenzierungen hat es zu allen Zeiten gegeben, und Krieg ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte. Als „zoon politikon“ kann sich der Mensch nicht der Politik entziehen und damit auch nicht dem Krieg als deren Mittel. Die Zusammenhänge, die Clausewitz – Krieg als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ – und Carl Schmitt – Freund-Feind-Unterscheidung als Wesen des Politischen – hier gesehen haben, erscheinen unmittelbar evident. Krieg bedeutet für den Menschen etwas Schicksalhaftes, von dem er sich ebenso wenig lösen kann wie von seinen Persönlichkeitsmerkmalen, seiner sozialen Stellung oder seinem politischen Umfeld. Jeder einzelne erlebt ihn entweder als Realität, verbunden zumeist mit Einschränkung und Schmerz, Not und Tod, oder doch als permanent drohende Möglichkeit, denn auch der scheinbar gesicherte Frieden kann sich aller Erfahrung nach als zerbrechlich erweisen.

Krieg ist also von altersher ein allgegenwärtiges Phänomen, und er stellt sich gerade in der Frühzeit der menschlichen Geschichte als überaus grausam dar. Bereits sehr alte bildhafte Darstellungen enthalten drastische Kriegsszenen, so die prähistorischen Höhlenmalereien im Matibo-Nationalpark von Zimbabwe. Zahllose schriftliche Quellen lassen erkennen, daß Kriege bis zum Ende der Antike und auch noch im frühen Mittelalter äußerst brutal geführt werden. Kommt es zu keinem Vertrag zwischen den Kriegsparteien, etwa zur Kapitulation der einen Seite unter bestimmten Bedingungen, enden die Kriege in aller Regel damit, daß die unterlegenen Männer ausnahmslos umgebracht und ihre Frauen und Kinder versklavt werden.
Öffentliche Angelegenheiten werden in Zeiten noch unentwickelter Staatlichkeit von Personenverbänden wahrgenommen, etwa von Sippen-, Stammes- oder Siedlungsverbänden. Anders als später der moderne Staat sind sie für eine Hegung des Krieges ungeeignet, da ihnen die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit fehlt. Vielfach liegt eine rücksichtslose Kriegführung auch durchaus im Interesse ihrer Angehörigen, da sie Land, Beute und Sklaven nur auf diese Weise erwerben können.
Viele Kriege werden denn auch von vornherein mit dem Ziel der Unterjochung des Gegners geführt. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der sogenannte Melier-Dialog, den Thukydides in seinem „Peloponnesischen Krieg“ überliefert – ein Lehrbeispiel zugleich für die Ohnmacht der bloßen Friedensidee im Sinne politischen Wollens. Im Verlauf des Krieges greifen die militärisch weit überlegenen Athener Melos an, lassen sich aber vor Beginn der Kämpfe zu Gesprächen mit Beauftragten der gegnerischen Regierung herab. Es wird jedoch gar nicht wirklich verhandelt, da die Athener aus der Position des Stärkeren heraus in geradezu zynischer Weise jedes Entgegenkommen ablehnen, so daß den Meliern lediglich die Wahl zwischen bedingungsloser Unterwerfung und wenig aussichtsreichem Kampf bleibt. Wie üblich werden nach Abschluß der Kämpfe alle überlebenden Männer umgebracht und alle Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft.

Humanisierung des Krieges im Mittelalter

An dieser Art der Kriegführung ändert sich bis zum frühen Mittelalter kaum etwas, obwohl in der Antike zeitweilig, etwa in der Epoche der griechischen Polis oder des Römischen Reiches, die staatlich-politischen Voraussetzungen dafür vorhanden gewesen wären. Deutliche Ansätze zu einer humaneren Kriegführung gibt es erst im Hochmittelalter – ein Vorgang, der – so sollte man meinen – heute auf ein gewisses Interesse stoßen müßte, der aber nur selten thematisiert wird. Ausgerechnet die „Ausbeuterklasse“ des „Feudalzeitalters“ leitet hier eine segensreiche, nur für Europa typische Entwicklung ein. Der Grund für diese veränderte Betrachtung des Krieges liegt aber noch nicht in einem neuen Staatsverständnis; sie ist vielmehr letztlich auf das Christentum zurückzuführen. Die Auswirkungen auf die reale Kriegführung bleiben zwar begrenzt, aber auch Ideale sagen etwas aus über die Zeit, die sie hervorgebracht hat.
In der sittlichen Vorstellungswelt des Rittertums verbindet sich die überkommene heroische Adelsethik mit christlichem Gedankengut, insbesondere mit der Verpflichtung zum Schutz der Schwachen, zu Mildtätigkeit und Barmherzigkeit. Wenn Ritter miteinander kämpfen, geht es jetzt weniger um die Vernichtung des Gegners als um dessen Ausschaltung. Die Eigentümlichkeit des ritterlichen Gefechts, das ständische Zusammengehörigkeitsgefühl und nicht zuletzt die Aussicht auf Lösegeld begünstigen diese Entwicklung. Der durch Lanzenstoß vom Pferd geworfene Ritter liegt aufgrund des Gewichts seiner Rüstung hilflos auf dem Boden, so daß einerseits die dem Menschen angeborene Tötungshemmung wirksam, andererseits der Unterlegene leicht gefangen genommen werden kann. Da das ritterliche Ethos zum Schutz von Frauen und Kindern verpflichtet, gestaltet sich auch die Behandlung von Nicht-Kombattanten schonender als in den Zeiten davor.
Im Zeitalter der Söldnerkriege, also im Spätmittelalter und zu Beginn der Neuzeit, stellt sich zwar die Kriegführung wieder ähnlich grausam dar wie in der Vorgeschichte und der Antike, aber seit Mitte des 17. Jahrhunderts verliert der Krieg erkennbar manche seiner Schrecken. Ursache ist diesmal ein grundsätzlicher Wandel des Staatsgedankens. An die Stelle des älteren Personenverbandes tritt – beginnend bereits um die Wende zur Neuzeit – der moderne institutionelle Flächenstaat, der die politischen Hoheitsrechte innerhalb eines bestimmten, genau umrissenen Gebiets vollständig durchsetzt. Seine Merkmale stellen die politische Souveränität, das Monopol auf legitime Gewaltausübung und die Staatsräson dar, die auch das Wohlergehen der Untertanen und späteren Staatsbürger mit einschließt.

Grundsätzlicher Wandel seit dem 17. Jahrhundert

Für die stehenden Heere des Absolutismus ist der einzelne Soldat viel zu wertvoll, als daß man ihn unnötigen Gefahren aussetzt; man bevorzugt die Ermattungs- und Ermüdungsstrategie, nicht die risikoreiche Entscheidungsschlacht mit hohen Opferzahlen. Gefangene Gegner werden nicht einfach umgebracht, sondern man nutzt ihre Arbeitskraft, reiht sie auch in die eigene Truppe ein. Anders als noch im Dreißigjährigen Krieg, in dem Frauen und Kinder schwer zu leiden hatten, geht es nunmehr darum, den Krieg so zu führen, daß die eigene Zivilbevölkerung möglichst gar nichts von ihm mitbekommt, damit die Wirtschaft ungestört weiterlaufen kann.
Daß damals Begriffe wie „Kasernenhofdrill“ oder „Kadavergehorsam“ aufkommen, die bis heute lebendig geblieben sind, spricht nicht gegen die einsetzende Humanisierung des Krieges. Die Lineartaktik des 18. Jahrhunderts ist dadurch gekennzeichnet, daß die einzelnen Glieder der beiden aufeinander zurückenden Linien auf Kommando Salvenfeuer auf den Gegner abgeben. Da dabei alles von der Schnelligkeit der Schußfolge abhängt, muß der einzelne Soldat die jeweils erforderlichen Griffe wie im Schlaf beherrschen, zumal ja noch der psychische Druck hinzukommt, wenn die Kameraden rechts und links getroffen niedersinken. Die besten Überlebenschancen hat dabei die Einheit, der das entsprechende Verhalten auf dem Kasernenhof regelrecht eingeschliffen worden ist: „Schweiß spart Blut.“
Nachdem die Französische Revolution die geistigen und politischen Voraussetzungen für die allgemeine Wehrpflicht geschaffen hat und der einzelne Soldat nunmehr für deren Ideale und für seine Nation kämpfen will, wird die Lineartaktik durch die Tiralleurtaktik abgelöst; an die Stelle des Salvenfeuer tritt das gezielte Einzelfeuer. Der Soldat ist jetzt nicht mehr in eine starre Linie eingereiht, kann damit die Geländeverhältnisse besser nutzen und entscheidet selbständig, wann und auf wen er schießt.
Die preußische Heeresreform, die im Zuge der Stein-Hardenbergschen Staatserneuerung verwirklicht wird, erhebt die freie, selbstverantwortliche Einzelentscheidung sogar zum taktischen Prinzip. Die Reformer entwickeln damals die so genannte Auftragstaktik, die seither für die deutsche Militärgeschichte typisch ist. Ihr Wesen besteht darin, daß der jeweils Untergebene lediglich einen Auftrag erhält, die Einzelheiten der Durchführung aber ihm selbst überlassen bleiben, so daß er je nach Lage vor Ort frei darüber entscheiden kann – das Gegenteil von Kadavergehorsam. Natürlich bleibt das Befehl-Gehorsam-Prinzip weiterhin bestehen, ebenso wie zur Vorbereitung und zur Bewältigung bestimmter Situationen Drill weiterhin unverzichtbar ist, wobei nicht zu leugnen ist, daß beides auch vielfach mißbraucht wird.
Eine weitergehende Hegung erfährt der Krieg mit der Gründung des Roten Kreuzes (1863), dessen Grundsätzen sich die meisten Staaten in der Genfer Konvention (1864) und der Haager Landkriegsordnung (1899) anschließen. Zivilisten und Soldaten, und zwar Verwundete, Gefangene und Kombattanten, die wehrlos sind oder sich ergeben haben, unterliegen nunmehr einem umfassenden völkerrechtlichen Schutz.
Bereits bei den wenig später geführten deutschen Einigungskriegen werden die Genfer Prinzipien umgesetzt. Vergleicht man die Kämpfe dieser Kriege mit denen der Zeit davor, etwa mit dem Verlauf der Schlacht von Solferino (1859), die Henri Dunant zur Gründung des Roten Kreuzes veranlaßt hat, kann man den humanitären Fortschritt ermessen, der sich für die Kriegführung in Europa ergeben hat.
Eines von zahlreichen eindrucksvollen Beispielen dafür stellt die Kapitulation der Festung Metz dar, neben dem Sieg von Sedan der größte deutsche Erfolg im Krieg von 1870/71. „Um den Mut anzuerkennen, den die Armee wie die Garnison während der Dauer des Krieges gezeigt hat“, belassen die Sieger den französischen Offizieren ihre Degen und entlassen sie sogar nach Hause, wenn sie sich ehrenwörtlich verpflichten, nicht an den weiteren Kämpfen teilzunehmen. Alle Gefangenen behalten ihr persönliches Eigentum und werden medizinisch betreut, und zwar von französischen Militärärzten. Darüber hinaus heißt es in der Kapitulationsurkunde wörtlich: „Jeder Artikel, welcher Zweifel herbeiführen könnte, wird stets zugunsten der französischen Armee ausgelegt werden.“

Rebarbarisierung seit dem Ersten Weltkrieg

Das hier erreichte humanitäre Niveau hat sich nicht halten lassen. Mit dem Ersten Weltkrieg geht die Epoche des gehegten Krieges schlagartig zu Ende, und es setzt eine gegenläufige Entwicklung ein, die bis heute andauert. Wiederum liegt die Ursache dafür in einem grundsätzlichen Wandel von Staat und Staatlichkeit. Der im 17. Jahrhundert entstandene souveräne Flächenstaat hat sich für seine Bürger in vielerlei Hinsicht als segensreich erwiesen. Besonders die innere Sicherheit und die Hegung des Krieges erlangten einen bisher unerreichten Standard. Die Aushöhlung dieser Form von Staatlichkeit, die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in vollem Gange ist, hat sich denn auch sowohl auf die Sicherheit der Bürger als auch auf die Humanisierung der Kriegführung negativ ausgewirkt.
Die heutige Schwäche des Staates hat ganz unterschiedliche Ursachen. In den meisten der zahlreichen Staaten, die im Zuge der Entkolonialisierung entstanden sind, hat sich Staatlichkeit im klassischen Sinne nie entwickelt; hier liegt die Macht ganz oder teilweise bei lokalen oder regionalen Gewalthabern, die sich auf nichtstaatliche Verbände stützen („failed states“). Anderswo werden bereits lange bestehende Staaten von Alleinherrschern und Einheitsparteien usurpiert, ihre Organe politisch einseitig instrumentalisiert. In Europa ist dies, abgesehen vom Norden und Nordwesten des Kontinents, in den Jahren um 1940 durchwegs der Fall. An die Stelle des gemeinsamen staatsbürgerlichen Bewußtseins treten grenzüberschreitende Ideologien, die für ihre Anhänger den Charakter von Glaubensüberzeugungen haben. In einem großen Teil der Erde setzt sich seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts der islamische Fundamentalismus durch, der Staatlichkeit im westlich-traditionellen Sinn überhaupt nicht aufkommen läßt. Auch die wirtschaftliche Globalisierung und die rasante waffen- und informationstechnische Entwicklung tragen wesentlich zur Aushöhlung der einzelstaatlichen Souveränität bei.
In militärischer Hinsicht bedeutet dies die Wiederkehr des seit 1648 überwunden geglaubten Glaubenskrieges mit all seinen Schrecken. Nicht mehr die Ausschaltung des Gegners, sondern die Vernichtung des Feindes ist nunmehr wieder das Ziel. Während der Erste Weltkrieg ungeachtet des Grauens der Materialschlachten und der Giftgaskämpfe noch nach den Regeln der Genfer Konvention geführt wird, brechen mit der russischen Revolution und dem Spanischen Bürgerkrieg die Dämme. Im Zweiten Weltkrieg werden die Genfer Grundsätze zwar noch auf den Kriegsschauplätzen der West- und Südfront beachtet, soweit reguläre Verbände aufeinander treffen, nicht jedoch in den Partisanengebieten, an der Ostfront und in Ostasien, erst recht nicht in den folgenden Kolonial- und Bürgerkriegen, die sich in weiten Teilen Asiens und Afrikas abspielen. Den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung stellt der islamische Terrorkrieg dar, in dem selbstmordbereite „Märtyrer“ Dutzende unbeteiligter und unschuldiger Menschen mit sich in den Tod reißen.
Auch andere Formen der Kriegführung, die man seit Jahrhunderten für überwunden gehalten hatte, kehren wieder. Schlechterdings unvorstellbar wäre etwa im 18. oder 19. Jahrhundert gewesen, daß der Krieg teilweise wieder privaten Charakter annimmt, wodurch natürlich staatliche Hegungs- und Kontrollmechanismen ebenso zurückgedrängt werden wie beim Glaubenskrieg. Nicht nur afrikanische und asiatische „war lords“ führen heute ihre Kriege auf eigene Rechnung; hochentwickelte Armeen setzen in zunehmendem Maße private Firmen und Organisationen ein, auch zu Kampfaufträgen im eigentlichen Sinn. Sie werden zumeist unter verschleiernden Bezeichnungen tätig; lediglich am anglo-amerikanischen Sprachraum spricht man eindeutig von „war firms“.
Ein düsteres Kapitel stellt die Wiederkehr der Massenvergewaltigungen von Frauen und Mädchen dar. Beim Einmarsch der Roten Armee in Ostdeutschland noch als Rückfall in die Barbarei empfunden, werden sie seit den jugoslawischen Nachfolgekriegen ganz bewußt als Kampfmittel, nämlich zur Zerstörung der gegnerischen Sozialstruktur, eingesetzt. In seiner Perfidie übertrifft dieses Vorgehen selbst die primitivsten und grausamsten Exzesse archaischer Epochen.
Das gleiche läßt sich über den Einsatz von Kindersoldaten sagen, der insbesondere in afrikanischen Bürgerkriegen durchaus üblich ist. Da die Minderjährigen nur wenig verlangen, was über Verpflegung und über Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse hinausgeht, gelten sie als ausgesprochen preiswertes militärisches Instrument.
Aber nicht nur der Rückfall in archaische Praktiken oder gar deren Steigerung, sondern auch die Möglichkeiten, die sich aus dem heutigen waffen- und informationstechnologischen Standard ergeben, tragen zur neuerlichen Entmenschlichung des Krieges bei. Die umfassende Ausspähung des Gegners, die elektronische Wirtschaftsspionage, die Möglichkeit, eine andere Macht über das Netz mittels entsprechender „Trojaner“ nachhaltig zu schädigen, die gezielte Tötung auf Knopfdruck, wie sie in zunehmendem Maße um sich greift, etwa bei „Drohnen“-Angriffen auf Einzelpersonen – dies alles weist darauf hin, daß sich die Kriegführung grundlegend geändert hat. Sie geht inzwischen weit über den traditionellen militärischen Bereich hinaus („cyber war“), ist anonymer und grundsätzlicher geworden und hat damit in Verbindung mit der politischen Ideologisierung brutaleren Charakter angenommen. Hinzu kommt, daß die Gefahr eines Atomkriegs, der im Zeitalter des Kalten Krieges glücklich vermieden werden konnte, keineswegs gebannt ist, da es eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich ist, daß in Zukunft auch Regierungen oder politische Gruppierungen, die zum Einsatz atomarer Waffen entschlossen sind, über sie verfügen werden.
Man sollte sich durch die permanente Beschwörung von Frieden und Menschlichkeit, auch durch weltweit arbeitende Institutionen wie den Haager Kriegsverbrecher-Gerichtshof oder die UNO-Friedenstruppen nicht blenden lassen: Wir sind seit Ende des Ersten Weltkriegs in eine neue Epoche der Militärgeschichte eingetreten. Hatte in den Jahrhunderten zuvor, im Zeitalter des souveränen Einzelstaates, die Art der Kriegführung zumindest in Europa ein bis dahin unerreichtes humanitäres Niveau erreicht, so ist seit knapp hundert Jahren eine zunehmende Rebarbarisierung zu beobachten, deren Ende noch nicht in Sicht ist. Es bleibt offen, ob die Kriegführung weiterhin auf archaisch-brutale Verhältnisse wie die der Frühzeit zurückfällt oder ob sich in näherer oder fernerer Zukunft wieder Möglichkeiten zu neuen Formen der Hegung von Kriegen auftun.
Damit zeichnet sich sowohl für die Verfassungs- als auch für die Militärgeschichte eine Gliederung in drei Großepochen ab, wobei die jeweilige Entwicklung erstaunlich parallel verläuft: In vor- und frühstaatlicher Zeit werden die Kriege erbarmungslos brutal geführt, in der Epoche entwickelter Staatlichkeit gelingt es, den Krieg bis zu einem gewissen Grad einzuhegen, und im Zeitalter der Erosion des klassischen Staates bewegt sich die Kriegführung in vielem wieder auf archaische Verhältnisse zu, übertrifft diese teilweise sogar noch an berechnender Grausamkeit.
Diese Gliederung nach drei Hauptepochen hat mit dem eingangs vorgestellten Drei-Phasen-Modell, einem spekulativen Glaubensprogramm, nichts zu tun. Sie folgt dem tatsächlichen Ablauf der Geschichte und den Ergebnissen ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung. Sie geht von einem realistischen Menschenbild aus, da sie den Krieg als historische Konstante voraussetzt. Und sie beschränkt sich unter Verzicht auf jegliche Prophetie und Prognostik auf den bisherigen Ablauf der Geschichte – die Zukunft ist immer offen.

 
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