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Die Schlacht im Teutoburger Wald

Von Dr. Ulrich March

Mythos und historische Wirklichkeit

Vor 2000 Jahren, im September des Jahres 9 n. Chr., bewegt sich ein riesiger römischer Heeresverband, an die 20.000 Mann stark, von Innergermanien kommend in Richtung Niederrhein. Der kilometerlange Heerwurm wälzt sich eben über die Weserberge, als sich die nichtsahnenden Römer urplötzlich von aufständischen Germanen angegriffen sehen, die unter der Führung des Cheruskers Arminius einen Engpaß besetzt haben. In dreieinhalbtägigen Kämpfen werden die entsetzten Römer restlos aufgerieben, die überlebenden höheren Offiziere ohne Ausnahme den Göttern geopfert. Die Germanen erobern und zerstören unmittelbar darauf sämtliche römischen Stützpunkte im heutigen Deutschland. Binnen weniger Tage ist die Herrschaft Roms über die im Aufbau befindliche Provinz Germanien wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.

Ereignisse dieser Dimension schlagen sich gewöhnlich in der kollektiven Erinnerung in doppelter Weise nieder: als Sage und als Geschichtsbild. Beispielsweise spiegelt sich die Eroberung Italiens durch die Ostgoten unter König Theoderich im Sagenkreis um Dietrich von Bern wider, die Zerstörung des Burgunderreiches durch die Hunnen in der Sage vom Untergang der Burgunder am Hof König Etzels. Vor kurzem hat man die Gestalt des Arminius mit der Siegfriedsage in Verbindung gebracht.
Die Parallelen zwischen beiden Personen fallen in der Tat ins Auge. Beide verkörpern den Typ des strahlenden jungen Helden, beide sind von vornehmer Abkunft, beide treten in fremde Dienste und leisten bereits in jugendlichem Alter Erstaunliches, beide werden schließlich in der Blüte ihres Lebens von Verwandten ermordet. Hat man in dem römischen Heerwurm, der westlich der Weser zerschlagen wird, den von Siegfried erschlagenen gepanzerten Lindwurm zu sehen, in der unermeßlichen Beute, zu der auch der römische Kriegsschatz gehört, den Nibelungenhort?
Die These, daß die Siegfriedsage den Nachhall der Hermannsschlacht darstelle, dürfte sich wohl kaum schlüssig verifizieren lassen. Auffällig scheint allerdings, daß die Sage selbst im fernen Island ihr Geschehen auf die römisch beherrschte Rheinlinie zwischen Worms und den Niederlanden lokalisiert; Xanten, die Geburtsstadt Siegfrieds, stellt den Ausgangspunkt für die Romanisierung Nordwestdeutschlands dar. Der römische Historiker Tacitus berichtet, daß die Germanen noch zu seiner Zeit, fast 100 Jahre nach dem Geschehen, die Taten des Arminius in Heldenliedern besungen haben.
Die Nachricht erscheint insofern interessant, als die literarhistorische Forschung im Heldenlied die Vorstufe für das hochmittelalterliche Sagenepos sieht.
Mit der Auffindung der Schriften des Tacitus beginnt um die Wende zur Neuzeit die eigentlich historische Auseinandersetzung mit dem Schlachtgeschehen.
Arminius, zu „Hermann“ verdeutscht, gilt dabei von Anfang an als nationaler Freiheitsheld von epochaler Bedeutung, die Hermannsschlacht, wie sie nunmehr genannt wird, als frühes Sinnbild deutschen Freiheitswillens und deutscher Größe. Vor allem Ulrich von Hutten (1488–1523) und Daniel Caspar von Lohenstein (1635–1683) propagieren diese Vorstellung, später dann auch Kleist in seinem Drama „Die Hermannsschlacht“ (1808).
In den Freiheitskriegen gegen Napoleon, im Krieg gegen Frankreich 1870/71 und nach der Errichtung des Deutschen Reiches sehen die sich jetzt als Nation empfindenden Deutschen in der Hermannsschlacht das historische Symbol deutscher Einheit und Freiheit. Seit 1875 erhebt sich auf den Höhen des Teutoburger Waldes, bei der Dörenschlucht unweit von Detmold, wo man damals das Schlachtfeld vermutete, das monumentale Hermannsdenkmal. Der Sieger des Jahres 9 richtet, sein riesiges Schwert drohend erhoben, den Blick fest gegen den römisch-französischen Erbfeind im Westen; er steht nicht nur für nationale Verteidigungsbereitschaft, sondern verkörpert – ähnlich wie die ebenfalls nach Westen gewandte Germania des um die gleiche Zeit entstandenen Niederwald-Denkmals bei Assmannshausen – die Nation schlechthin.

Germanien vor 2.000 Jahren

Die populäre Vorstellung von der Hermannsschlacht, nach dem Zweiten Weltkrieg zwar stark verblaßt, aber immer noch wirksam, hat mit der historischen Wirklichkeit wenig zu tun.
Die Eindeutschung Arminius – Hermann – ist ebenso willkürlich wie die Erhebung dieser Person zum nationalen Heros der Deutschen. Die Gleichsetzung von Deutschen und Germanen, obgleich bis zum 19. Jahrhundert gängige Praxis, ist ebenfalls unhistorisch. Denn der Begriff „deutsch“ tritt erstmals fast acht Jahrhunderte nach der Schlacht im Teutoburger Wald auf, und erst seit der Mitte des 9. Jahrhunderts wachsen die Deutschen allmählich zu einem Volk zusammen – zu einem von vielen Völkern germanischer Abkunft.
Wie schief die ganze Konstruktion eines germanisch-deutschen Freiheitskampfes unter Führung des Cheruskers Hermann ist, geht auch daraus hervor, daß es in der Zeit um Christi Geburt und noch lange danach kein Gemeinschaftsbewußtsein der germanischen Stämme gibt, weder den Kelten noch den Römern gegenüber.
Schlachtenmythos und Hermannskult erweisen sich demnach als Projektion neuzeitlicher nationaler Zielvorstellungen auf längst vergangene Zeiten, in denen völlig andere politische Verhältnisse herrschen. Die genauere Betrachtung dieser Verhältnisse ist unabdingbar, wenn man die vor 2.000 Jahren geschlagene Schlacht historisch richtig analysieren und einordnen will.

Wie stellt sich der Zustand ­Germaniens im Vorfeld der ­Varusschlacht dar?

Der germanische Teil Europas ist damals sehr dünn besiedelt und anders als der Mittelmeerraum unwegsam und größtenteils von Urwäldern, Mooren und Sümpfen bedeckt; Kälte und Nebel machen den an ganz andere Landschaften und Klimaverhältnisse gewöhnten Römern die Region zusätzlich unheimlich. Die politischen Strukturen sind sehr einfach: Eine politisch organisierte Siedlungskammer bildet einen Gau, mehrere Gaue einen Stamm, der bereits die höchste politische Einheit darstellt. Diese Stämme sind recht klein; ihr Siedlungsgebiet umfaßt zumeist nur das Areal einiger heutiger Landkreise. Erst seit etwa 200 n. Chr. schließen sich diese Kleinstämme zu Großverbänden zusammen, aus denen dann schließlich in einem langwierigen Verschmelzungsprozeß das deutsche Volk erwächst; die Völker der Schweden, Dänen und Engländer sind auf ähnliche Weise entstanden. Die Kleinstämme der Zeit um Christi Geburt haben keine über den eigenen Verband hinausgehenden politischen Vorstellungen.
Cäsar dagegen, der zwischen 58 und 51 v. Chr. das festlandkeltische Siedlungsgebiet unterwirft und damit Römer und Germanen zu Nachbarn macht, legt großen Wert auf die Unterscheidung zwischen Kelten und Germanen. Als Grenze zwischen beiden Großethnien sieht er den Rhein an, obwohl damals schon einige germanische Gruppen den Strom in westlicher Richtung überschritten haben.
Nachdem die Eroberung Galliens abgeschlossen ist, gilt infolgedessen der Rhein als Grenze des Imperiums.
Den neuen germanischen Nachbarn gegenüber betreibt Cäsar eine Politik des Containments; über den Rhein stoßende Stämme drängt er zurück.
Mit seiner starken Betonung der Rheingrenze begründet Cäsar eine Art Grenzstrommythos, der die Antike überlebt hat. So steht später die Außen- und Kriegspolitik des absolutistischen Frankreich unter dem Schlagwort der „limites naturels“, und im 19. Jahrhundert wird die „Wacht am Rhein“ als nationaler Auftrag der Deutschen empfunden. Die von Cäsar begründete Politik des Containments gegenüber der Germanen hat sich mit großer Wahrscheinlichkeit in den folgenden Jahrzehnten nicht geändert. Genauere Einzelheiten kennen wir jedoch nicht, da sich die zeitgenössischen Quellen in der Schlußphase der Republik und im Zusammenhang mit der Errichtung des augustäischen Prinzipats ganz überwiegend innenpolitischen Gegenständen zuwenden. Um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts tritt jedoch ein Wandel in der römischen Germanienpolitik ein: Sie wird jetzt zunehmender aggressiver und offensiver.

Die Wende der römischen ­Germanenpolitik

Für diesen Wandel gibt es mehrere Gründe. Gallien ist inzwischen weitgehend befriedet, sodaß die im Norden des Römischen Reiches operierenden Legionen hier nicht mehr benötigt werden.
Es liegt nahe, sie an der Rheingrenze zu stationieren, wo sie neue Aufgaben übernehmen können. Tatsächlich bauen die Römer, beginnend mit der Errichtung der Kastelle Neuss (Novaesium) und Nymwegen (Noviomagus), in den folgenden Jahren systematisch eine militärische Schutzkette entlang des Rheins auf, die von der Strommündung bis zum Oberrhein reicht und in den folgenden Jahrhunderten grundlegende Bedeutung für die römische Reichsverteidigung gewinnen wird. Die Verlegung zahlreicher Legionen an den Rhein führt zu einer schnellen und gründlichen Romanisierung der Rheinlande, zumal um die Kastelle herum jeweils größere Orte entstehen. Die wichtigsten Plätze stellen die späteren Hauptstädte der Provinzen Ober- und Niedergermanien dar, Mainz (Mogontiacum) und Xanten (Castra Vetera).
Ein aktueller Anlaß beschleunigt wahrscheinlich die Ostwendung der römischen Politik. Im Jahre 16 v. Chr. erleidet der römische General Marcus Lollius westlich des Rheins eine Niederlage gegen die angreifenden Germanenstämme der Sugambrer, Usipiter und Tenkterer. Aufsehen erregt dieses Ereignis in Rom vor allem durch den Umstand, daß dabei der Legionsadler in die Hände des Feindes fällt – aus römischer Sicht eine große Schmach, zumal im Zeitalter des Augustus, der gerade dabei ist, ein imperiales Staatsverständnis zu propagieren, und der sich viel darauf zugute hält, einige von den Parthern eroberten Legionsadler  zurückgewonnen zu haben.
Es ist gut denkbar, daß die Niederlage des Lollius Augustus eine offensive Germanienpolitik mit veranlaßt hat; jedenfalls hält sich der Kaiser in den Jahren 16–13 v. Chr. persönlich in Gallien auf, um die militärische Reorganisation zu betreiben.
In den Jahren 16 und 15 v. Chr. erobern Drusus und Tiberius, die Stiefsöhne des Augustus, den gesamten Alpenraum und stoßen nach Norden bis zur Donau vor; das heutige südliche Süddeutschland wird damit in das Imperium einbezogen. Die neue Reichsgrenze in Mitteleuropa stellt sich aus römischer Sicht nach Länge und Verlauf recht ungünstig dar: Oberrhein und obere Donau treffen in spitzem Winkel aufeinander; überdies verläuft der Rhein von der Quelle bis zur Mündung über nicht weniger als 1.324 km; von der Donauquelle bis Pannonien, dem heutigen Ungarn, ist es noch einmal so weit. Die wesentlich kürzere Elbe-Sudeten-Grenze wäre sehr viel leichter zu verteidigen gewesen.
Diese geografisch-strategische Situation und die Zeitgleichheit der Truppenverlegung an den Rhein und des Vorstoßens zur Donau haben in der Forschung die Frage aufgeworfen, ob die römischen Feldzüge im Alpenraum und Pannonien nicht bereits Ausdruck eines politischen Gesamtkonzepts darstellen, das auf die Eroberung Mitteleuropas bis zur Elbe abzielt.
Die Frage läßt sich aufgrund der Darstellungen nicht eindeutig entscheiden. Tatsächlich ist jedoch, daß die Römer wenig später mit der Eroberung des Gebietes zwischen Rhein und Elbe beginnen und in den bis zur Schlacht im Teutoburger Wald folgenden Jahren systematisch die Einbindung des heutigen Deutschlands, ausgenommen nur Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, in das Imperium Romanum betreiben.

Germania magna

Die historische Forschung hat heute ein ziemlich genaues Bild von der damals scheinbar im Werden befindlichen römischen Provinz „Germania magna“ und dem abrupten Abbruch dieser Entwicklung durch die Varusschlacht. Jahrhundertelang war man auf die Berichte der römischen Historiker angewiesen, von denen für die Schlacht selbst und für die Jahre davor und danach vor allem der Armeepräfekt Velleius Paterculus und der bedeutendste Historiker Roms, Tacitus, zu nennen sind, die um 30 n. Chr. und um 100 n. Chr. schreiben, also den Ereignissen noch ziemlich nahe stehen und überdies als Fachleute gelten können; Velleius Paterculus hat sogar Arminius während dessen Dienstzeit im römischen Heer persönlich kennengelernt. Ausführliche Darstellungen der damaligen Zeit geben ferner die Historiker Florus (erste Hälfte des 2. Jahrhunderts) und Cassius Dio (erstes Drittel des. 3. Jahrhunderts).
Neben diesen schriftlichen Quellen haben seit dem 19. Jahrhundert die Sachquellen, die von der archäologischen Forschung bereitgestellt werden, immer größere Bedeutung gewonnen; vor allem Münzen, Waffen- und Skelettfunde sowie nachweisbare Befestigungsreste spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. Die mit modernsten Mitteln, etwa Metalldetektoren, Luftbildaufnahmen, dendrochronologischen und anderen naturwissenschaftlichen Methoden arbeitende Spartenforschung hat zum einen die schriftlichen Quellenberichte in eindrucksvoller Weise bestätigt, zum anderen unsere Kenntnisse in einem Umfang erweitert, den vor kurzem noch niemand für möglich gehalten hätte.
Faßt man den Befund der schriftlichen und archäologischen Quellen zusammen, so stellt sich die Situation im Vorfeld der Varusschlacht wie folgt dar: Unter Führung der Stadthalter Drusus (12–9 v. Chr.), Athenobarbus (6.v.–1 n. Chr.), Tiberius (4–6 n. Chr.) und Varus (7–9 n.  hr.) dringen römische Heeres- und Flottenverbände tief in Germanien ein und unterwerfen die meisten Stammesverbände; dreimal wird die Elbe erreicht. Nach Velleius Paterculus hat bereits Drusus „die Germanen zu einem großen Teil bezwungen“. Gleichzeitig machen sich die Römer daran, die Infrastruktur der künftigen Provinz zu schaffen; Verkehrswege, Siedlungen und Befestigungsanlagen werden errichtet.
Die wichtigsten Ausgangspunkte für die meisten militärischen und zivilen Aktivitäten sind die Legionsstandorte Xanten und Mainz; vom Kastell Xanten stößt man lippeaufwärts, von Mainz aus main- und lahnaufwärts vor. Besonders im heutigen Westfalen und in Hessen häufen sich daher die bis jetzt aufgefundenen römischen Anlagen jener Jahre, die unter anderem für die Orte Dorsten, Haltern, Bergkamen-Oberaden, Delbrück-Antreppen, Lünen-Beckinghausen, Knieblinghausen, Waldgirmes/Dorlar, Niederweimar/Lahn, Rödgen, Mainz-Castell, Wiesbaden, Bad Nauheim, Friedberg und Höchst nachweisbar sind. Aber auch in entfernteren Gebieten hat die Archäologie unserer Tage römische Hinterlassenschaften aufgespürt, so in Bentumersiel/Ems, Hedemünden/Werra und Marktbreit/Main. Als zentrale Orte für die in Aussicht genommene Romanisierung waren offenbar Haltern/Lippe und Waldgirmes im heutigen Lahn-Dill-Kreis vorgesehen.
Haltern ist nachweislich zeitweilig Standort der in der Varusschlacht vernichteten 19. Legion und darüber hinaus Flottenstützpunkt mit Zivilsiedlung. In Waldgirmes hat es zeitweilig sogar eine regelrechte römische Stadt mit Forum und zahlreichen Häusern mit Steinmauern gegeben, die ganz offenkundig als „Kolonisationsprojekt“ gedacht gewesen ist, deren Ausbau aber nie vollendet wurde.
Als Publius Quinctilius Varus im Jahr 7 n. Chr. sein Amt als Statthalter antritt, ist die römische Herrschaftssicherung bereits weitgehend abgeschlossen; in den Augen der Römer gilt Germanien schon als Provinz des Reiches. Varus konzentriert sich infolgedessen auf die Zivilverwaltung.
Im Unterschied zu seinen Vorgängern soll er die Germanen in ungeschickter Weise unnötig hart angefaßt und die Steuern allzu rigoros eingetrieben haben, aber vielleicht soll durch Nachrichten dieser Art lediglich ein gewisser politischer Stimmungswandel erklärt werden, der sich kurz vor der Schlacht im Teutoburger Wald unter den Germanen abzeichnet. Offenkundig gehen jetzt viele, die der römischen Aktivität östlich des Rheins zunächst abwartend oder positiv gegenüberstehen, doch auf Distanz, als Rom mit der Einverleibung der Region in das Imperium Ernst macht. Der neue Statthalter hat den latenten Widerstandswillen offenbar unterschätzt.
Zu Varus‘ militärischem Gefolge gehört der Cherusker Arminius (18 v.–19. n. Chr.), der bereits eine erstaunliche militärische Karriere in römischen Diensten hinter sich hat. Er hat eine Reihe von Jahren als Auxiliarpräfekt, also als Kommandeur eines germanischen Hilfstruppenverbandes, für das Imperium gekämpft und sich dabei solche Verdienste erworben, daß ihm nicht nur das römische Bürgerrecht, sondern sogar die Ritterwürde verliehen worden ist.
Arminius kehrt um die Zeit des Dienstantritts von Varus in seine Heimat zurück und nimmt als dessen militärischer Berater an Feldzügen in Germanien teil. Er gilt aufgrund seiner Vergangenheit als unbedingt loyal, steht jedoch insgeheim der römischen Okkupation feindlich gegenüber und plant eine militärische Erhebung gegen die im Land befindlichen Römer.
Als Kenner des römischen Militärwesens weiß er genau, daß damals die Leistungsfähigkeit der gut ausgebildeten, taktisch geschulten und äußerst diszipliniert operierenden Legionen die der germanischen Truppenverbände bei weitem übersteigt und daß die romfeindlichen
Kräfte nicht den Hauch einer Chance hätten, wenn man in offener Feldschlacht aufeinanderstieße. Eine Erfolgschance bietet sich nur bei „asymmetrischem“ Vorgehen, wobei dem Überraschungsmoment und der Ausnutzung der spezifischen Geländeverhältnisse besondere Bedeutung zukommt.

Geschichte der Varusschlacht

Wie bei der Vorgeschichte der Varusschlacht war die historische Forschung auch hinsichtlich des Schlachtverlaufs selbst lange Zeit ausschließlich auf die schriftlichen römischen Quellen angewiesen. Erst mit der Entdeckung des Schlachtfeldes von Kalkriese und dessen immer genauerer archäologischer Erforschung, die in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einsetzte, hat sich hier Grundlegendes geändert.
Aus den schriftlichen Berichten, insbesondere aus den vier genannten Hauptquellen, geht hervor, daß sich im September des Jahres 9 n. Chr. ein ungewöhnlich großer römischer Heeresverband unter der Führung des Statthalters nach Westen bewegt. Er hat während des Sommers Feldzüge in Innergermanien unternommen, wie dies seit 12 v. Chr. üblich ist, und befindet sich jetzt auf dem Rückmarsch zu den Winterlagern am Rhein.
Kern des Verbandes bilden die 17., die 18. und die 19. Legion; am Marsch beteiligen sich ferner sechs möglicherweise gallische Auxiliarkohorten, drei Reiterabteilungen und der Tross, zu dem auch Frauen und Kinder gehören. Da die Stärke einer Legion 5.000, die einer Kohorte 500 Mann beträgt, und da der Tross nach Aussage der Quellen sehr groß gewesen sein soll, dürften sich mehr als 20.000 Personen auf dem Marsch befunden haben.
Der Heeresverband folgt nicht den bekannten Wegen zur Lippe und lippeabwärts, sondern bewegt sich weiter nördlich auf unbekanntem Terrain, da dort angeblich ein Aufstand gegen die römische Herrschaft ausgebrochen ist, wie Arminius dem Oberbefehlshaber weismacht. Dieser wird zwar rechtzeitig vor Arminius gewarnt, schöpft aber keinen Verdacht, auch dann nicht, als die germanischen Truppen abrücken, angeblich, um die Niederschlagung des Aufstandes vorzubereiten, in Wirklichkeit jedoch, um ihre vorbereiteten Stellungen für den Kampf mit den Römern einzunehmen und die Koordination der inzwischen versammelten Aufständischen zu übernehmen.
An der vorgesehenen Stelle, einem Engpaß zwischen einem großen Moor und einer Bergkette, fallen die Aufständischen plötzlich über die ahnungslosen Römer her.
Die Legionäre sind zwar an sich auf Zwischenfälle dieser Art bestens vorbereitet, doch scheitert wirksame Gegenwehr in diesem Fall daran, daß die Geländeverhältnisse eine Entfaltung größerer Verbände nicht zulassen, sodaß die überlegene Kampfkraft der Römer nicht zur Geltung gelangt. Schon der erste Angriff kostet daher beträchtliche Opfer. Varus läßt den Marsch fortsetzen in der Hoffnung, nach Westen durchbrechen zu können und auf diese Weise wenigsten des Gros der Truppen zu retten. Die Schlacht entwickelt sich damit zu einem „Defilee“-Gefecht, bei dem es angesichts der Länge des römischen Heerwurms zahlreiche Kampfplätze gibt.
An den folgenden Abenden errichten die Römer das übliche Nachtlager, doch geraten die Verschanzungen von Tag zu Tag provisorischer. Die Zahl der Feinde wächst ständig, das Marschtempo wird immer geringer. Am vierten Kampftag muß Quinctilius Varus erkennen, daß seine zusammengeschmolzenen Verbände den Durchbruch nicht schaffen werden. Als dann auch noch die römische Reiterei die Flucht ergreift – laut Tacitus gibt sie „ein schauderhaftes Beispiel“ –, ist das Schicksal der Römer entschieden. Varus und andere hohe Befehlshaber, die befürchten müssen, nach damals allgemeinem, auch bei den Römern üblichem Brauch unter Folter den Göttern des Feindes geopfert zu werden, stürzen sich in ihr Schwert.
Tatsächlich werden die überlebenden Centurionen ersten Ranges und die höheren Offiziere auf Altären den Göttern geopfert; die sonstigen Toten läßt man einfach unbestattet liegen. Den Siegern fällt eine ungewöhnlich große Beute in die Hände, neben Waffen, militärischer Ausrüstung und persönlichen Wertgegenstände der Toten die gesamte Kriegskasse und die drei Legionsadler.

Der Ort der Varusschlacht

Aus den schriftlichen Quellen der Antike geht der Ort des Geschehens nicht hervor. Jahrhundertelang hat man ihn im Süden des Teutoburger Waldes vermutet, der indessen diesen Namen erst seit dem 17. Jahrhundert trägt. Die Erbauer des Hermannsdenkmals nahmen an, daß sich der Endkampf in der Dörenschlucht abgespielt habe; das paßt durchaus zu der Angabe des Tacitus, das Schlachtfeld liege in der Nähe der Emsquelle. Aber auch am Rand des Sauerlandes und im Raum Beckum, beide ebenfalls in der Nähe der Emsquelle, hat man den Ort der Varusschlacht vermutet, ferner am Berkel-Oberlauf (westlich von Münster) und im Gebiet zwischen Dümmersee und Hase. Die letztere Hypothese hat durch die Funde, die man seit 1987 bei Kalkriese (östlich Bramsche, nördlich Osnabrück) gemacht hat und immer noch macht, erheblich an Überzeugungskraft gewonnen; die große Mehrheit der Wissenschaftler glaubt heute, daß das Rätsel um den Ort der Varusschlacht inzwischen mit Hilfe der modernen Archäologie gelöst ist.
Schon der bedeutende Althistoriker Theodor Mommsen hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Schlachtort bei Kalkriese vermutet. Seine Gründe für diese Annahme waren neben einzelnen Münzfunden vor allem die Topographie der Region. Nördlich des Wiehengebirges und südlich des Großen Moores, das erst im 19. Jahrhunderts trockengelegt worden war, verläuft in West-Ost-Richtung ein etwa sechs Kilometer langer Engpaß, der an den schmalsten Stellen nur einen Kilometer breit ist. Ein Heer, das diesen Weg einschlägt, während der Gegner die Ränder des Engpasses besetzt hält, steckt regelrecht in der Falle.
Und genau hier finden sich deutliche archäologische Hinweise auf eine erbitterte militärische  Auseinandersetzung, die in den Jahren nach Christi Geburt stattgefunden haben muß. Man fragt sich, worüber man mehr staunen soll: über die strategische Raffinesse des Arminius, gerade hier die große Schlacht zu suchen, oder über die unbegreifliche Unbekümmertheit der Römer, sich ausgerechnet auf diesen Weg zu begeben, obwohl sie, da dem Heer einige berittene Einheiten angehören, die Möglichkeit zur Aufklärung und zur Geländeerkundung gehabt hätten.
Zahlreiche eindeutige Belege für außerordentlich heftige Kämpfe finden sich im Bereich der Flur Oberesch am Kalkrieser Berg.
Hier zieht sich ein hastig aufgeworfener Erdwall von 400 Meter Länge und ursprünglich wohl etwa vier Meter Breite und rund zwei Meter Höhe in Richtung des Engpasses hin, dessen Zweck es war, den ohnehin geringen Bewegungsspielraum der römischen Truppen weiter einzuengen. Der militärische Charakter dieses Walles geht daraus hervor, daß er an mehreren Stellen in bastionsartigen Bögen vorspringt und daß sich Pfostenlöcher für eine offenbar durchlaufende hölzerne Brustwehr gefunden haben.
An dieser Stelle müssen erhebliche Teile des römischen Heeres aufgerieben worden sein, wie die außerordentliche Dichte des Fundmaterials beweist. Es haben sich zahlreiche römische Waffen- und Rüstungsfragmente gefunden: Lanzen und Pfeilspitzen, Helmteile und Schildbückel, ferner Soldatenfibeln der augustäischen Epoche. Die ebenfalls zahlreichen Menschenknochen stammen von männlichen Personen im Alter von 20 bis 40 Jahren; einzelne weisen tödliche Hiebverletzungen auf. Eine Schildinschrift „cohor I“ beweist, daß hier der Kernverband einer Legion eingesetzt worden ist.
Doch auch Teile des Trosses sind an dieser Stelle vernichtet worden, wie ein aufgefundener weiblicher Beckenknochen und eine bronzene Haarnadel zeigen, ferner der Umstand, daß die gefundenen Tierknochen nicht nur von Pferden, sondern auch von Mauleseln stammen.
Einige Forscher haben die Ansicht vertreten, daß es sich bei dem Fundmaterial um den archäologischen Niederschlag eines der Feldzüge des Germanicus handelt, der in den Jahren 14–16 n. Chr. erneut tief nach Germanien eingedrungen ist, daß die Funde also nicht auf das Jahr 9 verweisen, sondern auf einige Jahre später zu datieren sind. Gegen diese These spricht jedoch der Münzbefund: Die ebenfalls in großer Zahl sichergestellten Münzen sind alle noch während der Republik oder im Zeitalter des Augustus geprägt worden, die jüngsten stammen aus der Zeit der Statthalterschaft des Varus.
Und noch einen Umstand gibt es, der eindeutig für Kalkriese als Ort der Varusschlacht spricht. Man hat bisher acht Gruben mit menschlichen Knochenresten gefunden, die vor der Bestattung einige Jahre lang an der Erdoberfläche gelegen haben, nach osteologischen Befunden zwischen zwei und zehn Jahren. Dies deckt sich genau mit der schriftlichen Überlieferung. Tacitus berichtet nämlich, daß die Soldaten des Germanicus im Jahre 15 n. Chr. ihre sechs Jahre zuvor gefallenen Kameraden beerdigt haben.
Auch wenn man bisher nicht weiß, welche Phase des dreieinhalbtägigen Defilee-Gefechts sich in den Funden im Raum Kalkriese im allgemeinen und im Bereich der Flur Oberesch im besonderen niedergeschlagen hat, so läßt sich doch nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, daß die Varusschlacht am Nordrand des Wiehengebirges und nicht im Teutoburger Wald, also in der Region östlich Bramsche, und nicht im Raum Detmold, stattgefunden hat. Das Hermannsdenkmal steht damit rund 70 km zu weit südöstlich.

Die Folgen

Erscheint also der Schlachtort endlich lokalisiert, so bleiben die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des Geschehens weiterhin strittig, sie waren es schon in der Antike. Von den vier genannten römischen Historikern geht Florus von einer grundlegenden Wende der römischen Germanienpolitik aus. Er schreibt klipp und klar: „Diese Niederlage bewirkte, daß die (römische) Herrschaft am Ufer des Rheins zu stehen kam.“
Tacitus spricht zwar ebenfalls von einem erfolgreichen Befreiungskampf der Germanen, hält jedoch die weitere militärische Auseinandersetzung für geboten, auch wenn er „in Anbetracht des drohenden Schicksals des Reiches“ den Römern langfristig kaum Erfolgsaussichten einräumt.
Wie hat nun die römische Politik auf die schwere Niederlage des Jahres 9 reagiert? Als die Nachricht in Rom eintrifft, kommt es dort zu panikartigen Unruhen; der Kaiser, sonst stets äußerst beherrscht, äußert seine Trauer mit geradezu dramatischen Gesten. Man erwartet einen Sturm der Germanen auf die Rheinlinie und einen Aufstand der Gallier. Beides bleibt aus, doch verlieren die Römer ihre Stützpunkte östlich des Rheins, und zwar fast alle unmittelbar im Anschluß an die Niederlage. Damit sind die im Aufbau befindlichen römischen Militär-, Verwaltungs- und Verkehrsstrukturen schlagartig zerstört, der beginnenden Romanisierung ist der Boden entzogen.
Erst 14 n. Chr. kommt es unter dem neuen Statthalter Germanicus, dem jungen, bei Volk und Militär äußerst beliebten Sohn des Drusus, erneut zu größeren Vorstößen der Römer auf rechtsrheinisches Gebiet. Germanicus erzielt beachtliche Erfolge, muß allerdings auch Verluste hinnehmen. 14 n. Chr. greift er mit vier Legionen die Brukterer, Tubanten und Uspeter an, im darauffolgenden Jahr zunächst die Chatten, dann die Cherusker. Beim letzten Feldzug fällt Thusnelda, die schwangere Ehefrau des Arminius, in die Hände der Römer und wird nach Italien gebracht. Auch die von den Germanen verborgenen Legionsadler, die in der Varusschlacht verlorengegangen sind, kann Germanicus aufspüren und nach Rom zurückbringen lassen.
Im Jahr 15 n. Chr. erreicht Germanicus den Ort der Varusschlacht. Tacitus beschreibt den Anblick, der sich den Römern bietet, wie folgt: „Mitten auf dem Feld lagen bleichende Knochen, bald einzeln, bald haufenweise, je nachdem, ob sie von Flüchtigen oder von einer noch kämpfenden Abteilung herrührten. Daneben zerbrochene Waffen und Pferdegerippe, an den Bäumen waren Menschenschädel befestigt. In den Häusern in der Nähe standen die Altäre der Barbaren, an denen man die Tribunen und die Centurionen ersten Ranges geschlachtet hatte.“ Germanicus und seine Legionäre bestatten ihre sechs Jahre zuvor gefallenen Kameraden ehrenvoll. Bei den Feldzügen des Germanicus gerät das römische Heer teilweise in erhebliche Schwierigkeiten. Besonders im Jahr 16 sind die Verluste beträchtlich; zwar gelingt es damals Germanicus, ein Heer des Arminius bei Idistaviso an der Weser zu besiegen, doch geht anschließend in der Deutschen Bucht fast die gesamte römische Flotte verloren.
Nach der Rückkehr der Legionen an ihre Standorte westlich des Rheins wird Germanicus seines Oberkommandos enthoben und in den Orient entsandt. Zur Begründung führt der inzwischen regierende Kaiser Tiberius an, daß mittlerweile von den Germanen nichts mehr zu befürchten sei. „Es sei genug der Erfolge und der Unglücksfälle. Die Cherusker und die übrigen aufrührerischen Stämme kann man jetzt, nachdem Rom seine Rache genommen hat, ihren inneren Zwistigkeiten überlassen.
Tacitus, von dem diese Formulierung stammt, vermutet als Motiv des Kaisers für die Abberufung vor allem dessen Neid auf die militärischen Erfolge seines Neffen, dessen Popularität in Rom, schon zuvor sehr groß, daraufhin immer noch zugenommen hat, während Tiberius herzlich unbeliebt ist. In der Folgezeit verhalten sich dann die Legionen am Rhein strikt defensiv; größere Feldzüge im rechtsrheinischen Teil Mitteleuropas werden fortan nicht mehr geführt. Erst seit Beginn des 2. Jahrhunderts dringen die römischen Truppen wieder tiefer in Germanien ein, für die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts gibt es sogar eindeutige archäologische Belege dafür, daß ein mittelgroßer römischer Heeresverband im Harzvorland ­ bei Olderoder/Kreis Northeim ­ ein siegreiches Gefecht gegen germanische Gegner bestritten hat.
Die neuerliche offensive Germanienpolitik und ihr abrupter Abbruch nach drei Jahren werfen Fragen auf, die den historischen Stellenwert der Varusschlacht unmittelbar berühren. Handelt es sich bei den Feldzügen des Germanicus in den Jahren 14 bis 16 überhaupt, wie zumindest Velleius Paterculus und Cassius Dio offenbar glauben, um einen ernsthaften Versuch der Rückgewinnung Germaniens, oder haben diese Unternehmungen nur demonstrativen Charakter? Ist es im Zeitalter der imperialen Staatsideologie überhaupt denkbar, daß Rom offiziell den Verzicht auf benachbartes Territorium ausspricht? Gibt es wirklich vorwiegend innenpolitische Gründe für den Rückzug aus dem Gebiet des heutigen Deutschland, nämlich die vielleicht objektiv gegebene, von dem stets loyalen Germanicus aber subjektiv nie empfundene Konkurrenzsituation zwischen dem Kaiser und seinem in Germanien agierenden Statthalter? Oder stellt der Abbruch der Germanenkriege das Ergebnis einer kühlen Kosten-Nutzen-Bilanz dar, in die dann natürlich nicht nur die Verluste der Jahre 14 bis 16, sondern auch die des Jahres 9 eingeflossenen sind?
Was immer letztlich den Ausschlag für den Verzicht gegeben hat, es ist schwer vorstellbar, daß die Schockwirkung der Niederlage des Jahres 9 bei der Entscheidung des Tiberius keine Rolle gespielt hat. Soviel ist jedenfalls sicher: Die Varusschlacht beendet schlagartig den ersten und einzigen großangelegten Versuch, die gesamte Region zwischen Rhein, Donau und Elbe in das Römische Reich einzubeziehen. Auch für Tacitus ist Arminius „unstreitig der Befreier Germaniens, im Krieg unbesiegt“.
Trotz dieser eindeutigen Aussage und trotz der ebenso eindeutigen Angabe des Florus, mit der Schlacht sei die Expansion des Römischen Reiches zum Stehen gekommen, gibt es einige Historiker, die der zum Wendepunkt der Geschichte „stilisierten“ Varusschlacht keinen epochalen Rang zubilligen, ihre historische Bedeutung vielmehr herunterzuspielen suchen (Canter, Oldfather, Wiegels).

Ohne Varusschlacht  keine deutsche Geschichte?

Daß die Varusschlacht kein Wendepunkt deutscher Geschichte ist, braucht nicht noch einmal betont zu werden, da es ein deutsches Volk und damit eine deutsche Geschichte erst ein Jahrtausend später gibt.
Aber so unhistorisch die Identifikation von Germanen und Deutschen auch ist, so läßt sich doch nicht leugnen, daß die Deutschen aus eben jenen Völkern und Stämmen hervorgegangen sind, die damals ihre politische Freiheit behauptet haben.
Wenn sie später als germanisches und nicht als romanisches Volk in die Geschichte eintreten, hängt diese entscheidend mit den vor 2.000 Jahren an der Weser geführten Freiheitskriegen zusammen. Es besteht kein Zweifel, daß die deutsche Geschichte anders verlaufen wäre, wenn Mitteleuropa damals ein Teil des Römischen Reiches geworden wäre, die Deutschen später zur romanischen Völkerfamilie gehört hätten.
Theodor Mommsen hat in scharfem Gegensatz zu den genannten Historikern in einem 1871 gehaltenen Vortrag die Varusschlacht sogar als „Wendepunkt der Weltgeschichte“ bezeichnet. „Nach den Fluthöhen der Außenpolitik Roms“ markiere die römische Niederlage des Jahres 9 den „Beginn der Ebbe“.
Tatsächlich hat sich das in den Jahren zuvor stark expandierende Römische Reich seither kaum vergrößert. Lediglich Kaiser Trajan schiebt zu Beginn des 2. Jahrhunderts die Grenzen vorübergehend noch einmal etwas vor, vom Euphrat an den Tigris, von der unteren Donau ans Schwarze Meer, vom Oberrhein und von der oberen Donau an den neu errichteten obergermanisch-rätischen Limes.
Doch diese letzten territorialen Erfolge bleiben Episode: Mesopotamien wird bereits wenige Jahre nach der Eroberung wieder geräumt, und nur gut ein Jahrhundert später geht Südwestdeutschland an die Alemannen, Rumänien an die Goten verloren.
Daß die Expansion des römischen Weltreiches an Rhein und Donau gestoppt wird, hat schließlich auch europageschichtliche Bedeutung, wenngleich sich das abendländische Europa erst Jahrhunderte später, nämlich im frühen Mittelalter, herausbildet. Grundlegend dabei ist ein umfassender Verschmelzungsprozeß, in den vor allem drei Kräfte eingehen: das antike Erbe, das Christentum und die nach Süd- und Westeuropa vorstoßenden Germanen.
Wesentliche Impulse dieses Amalgierungsprozesses sind von Mitteleuropa ausgegangen, so die fränkische Großreichsbildung unter der merowingischen und karolingischen Dynastie. Es ist wenig wahrscheinlich, daß die Germanen, wenn sie nach einer Romanisierung Mitteleuropas auf die nördlichen Randbereiche des Kontinents abgedrängt worden wären, diesen Part so hätten spielen können, wie es geschehen ist. Vielleicht wäre es ihnen so ergangen wie den Kelten, die einst beträchtliche Teile des europäischen Festlands und die Britischen Inseln beherrscht haben, nach der Romanisierung Norditaliens, der Pyrenäenhalbinsel, Britanniens und Galliens aber nur noch eine untergeordnete Rolle bei der Konstituierung des Abendlandes spielen. Auf jeden Fall wäre die Geschichte Europas anders verlaufen, wenn das heutige Deutschland in das Römische Reich einbezogen gewesen wäre. Die vor genau 2000 Jahren geschlagene Schlacht hat also nicht nur eine national-, sondern auch eine europageschichtliche Dimension.

 
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