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Ein Schlacht, die die Sonne zum Stehen brachte

Von Hubert Gundolf

Prinz Eugens erster Sieg

Nach dem türkischen Sieg über die Serben am Amselfeld im Jahr 1389 gerieten immer größere Gebiete Südosteuropas unter die osmanische Herrschaft, 1453 fiel schließlich Konstantinopel, das uralte Ostrom. Damit waren die Türken eine europäische Großmacht geworden, 1526 vernichteten sie das ungarische Heer bei Mohács, 1529 standen sie erstmals vor Wien. Mehr als eineinhalb Jahrhunderte bedrohten die Osmanen nun Mitteleuropa und strebten nach der Eroberung des „Goldenen Apfels“, von Wien, der Reichshaupt- und Residenzstadt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Erst die zweite Wiener Türkenbelagerung von 1683 brachte die entscheidende Wende. Ein vereinigtes Heer unter Herzog Karl von Lothringen und dem Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, „Türkenlouis“ genannt, dem bayrischen und dem sächsischen Kurfürsten, sowie fränkischen und schwäbischen Reichstruppen und dem polnischen König Johann Sobieski, gelang es, die 150.000 Mann zählende türkische Armee vernichtend zurückzuschlagen. Prinz Eugen spielte in dieser Schlacht nur eine eher untergeordnete Rolle, wie auch bei der drei Jahre später folgenden Einnahme von Ofen, dem heutigen Budapest. Doch schon bei dieser Schlacht, insbesondere aber bei der 1687 folgenden zweiten Schlacht bei Mohács, fiel der Kavallerie unter Prinz Eugen eine entscheidende Rolle zu. Dies brachte ihm die Beförderung zum Feldmarschall-Leutnant ein; die Schlacht bei Zenta am 11. September 1697 war seine erste als Oberbefehlshaber. Mit ihr endete dieser Türkenkrieg, 1699 wurde der Frieden von Karlowitz geschlossen, der allerdings nur bis 1714 anhielt. Im darauffolgenden Türkenkrieg eroberte Prinz Eugen am 16. August 1717 Belgrad. Zum 300. Jahrestag dieser Schlacht wird die „Neue Ordnung“ einen weiteren Artikel bringen. Beitrag und Bilder stammen aus dem Buch „Um Österreich! Schlachten unter Habsburgs Krone“.

„Als Türken und Christen zum Schlagen sich rüsten, wollt’ eben die Sonne bald steigen ins Meer. Der Himmel beglückte das christliche Heer, daß selber die Sonne noch ansah mit Wonne, die Christen erhalten die herrliche Schlacht, die gleichsam den Mondschein hat blutrot gemacht.“
Dieses zeitgenössische Lied bestätigt, daß sich schon früh eine ganze Reihe von Legenden um die Schlacht von Zenta (heute: Senta) gerankt hat; es gibt nur wenige militärische Auseinandersetzungen, die in den Augen der Zeitzeugen so gewaltig waren, daß sich sogar die Gestirne ihrer annahmen – wie im Falle Zentas – und im Lauf innehielten, um dieses gigantische Gemetzel am Abend des 11. September 1697 länger mit ansehen zu können.
Die Schlacht von Zenta war die letzte des Türkenkrieges von 1683 bis 1699, der am 26. Januar 1699 mit dem Frieden von Karlowitz endete. Dieser Krieg setzte der osmanischen Expansion in Mitteleuropa ein Ende. Die von der Türkei okkupierten oder abhängigen Gebiete der Stephanskrone – Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen – kamen wieder an den legitimen Träger dieser Krone, das Haus Habsburg, zurück.
Auf seiten der Kaiserlichen standen Österreicher, Sachsen und Brandenburger, insgesamt 50.000 Mann, unter dem Oberbefehl von Prinz Eugen. Die türkische Armee, ungefähr gleich stark, unterstand dem Kommando von Sultan Mustafa II. Die Schlacht verlief völlig „irregulär“, wie die Verlustzahlen beweisen: während die Türken an die 25.000 Mann verloren, zählten die Kaiserlichen lediglich 429 Tote und 1568 Verwundete. Eine solch krasse Verlustbilanz hatte es kaum in irgendeiner anderen Schlacht gegeben. Hing sie mit den Gestirnen zusammen? Mit der Strategie Prinz Eugens? Mit der Hilfe Gottes für die Christen im Kampf gegen die „heidnischen Hunde“?
Liest man die zeitgenössischen Berichte, so gibt es auf diese Fragen wohl nur eine Antwort: Es war der eiserne Wille des Prinzen Eugen, trotz ungünstiger zeitlicher und räumlicher Bedingungen den Feind mit geradezu elementarer Wucht – und obwohl seine Truppen durch Gewaltmärsche ermüdet waren – anzugreifen. Dieser eiserne Wille unterschied Prinz Eugens Charakter so unglaublich von dem seines kaiserlichen Herrn Leopolds I., von dem der Ausspruch überliefert ist: „O Du mein Vater im Himmel, wie hasse ich es, Entscheidungen treffen zu müssen!“ Und als Prinz Eugen mit knapp 34 Jahren den Oberbefehl über die kaiserliche Armee erhielt, gab ihm der Kaiser folgenden Rat mit auf den Weg gegen die Türken: „Es möge dem Prinzen glimpflich inserirt werden, Er solle gar caute (vorsichtig) vorgehen … und nachdeme von einem glücklichen oder unglücklichen Streich das totum (Ganze) dependiret (abhängt) und daher nichts zu hazardieren ist, sicher gehen und sich mit dem feindt, außer mit einem großen Vortheil und fast sicherer hoffnung zu einer glücklichen reuscita (Gelingen) in kein Treffen ein­lassen.“
Im Mai 1697 hatte Prinz Eugen den Oberbefehl übertragen erhalten; kurze Zeit später traf er bei dem unweit von Esseg stehenden Hauptheer ein. Graf Guido von Starhemberg meldete den Kriegsstand der Armee mit 31.142 Mann. Eugen erwiderte: „Danke für die Meldung. Nun, ich bin der 31.143ste, und wir werden bald mehr werden.“ Und an den Kaiser schrieb er: „Lasset mir der Feind nur ein paar Tage Zeit, bis ich Dero Armee einmal zusammenbringe, so lebe ich folgends mit göttlichem Beistande guter Hoffnung, demselben sein Vorhaben allerdings sauer zu machen.“
In seinem Prinz Eugen-Buch schreibt Janko von Musulin, es sei „nicht einfach, sich die Ereignisse dieses ersten großen Treffens, das Eugen gegen die Türken gewonnen, lebendig und wirklich vorzustellen. Nicht, daß die Anlage der Schlacht besonders kunstvoll oder verwickelt gewesen wäre: der Gedanke, die Türken anzugreifen, während sie die Theiß auf einer von französischen Ingenieuren entworfenen Brücke überschritten, war naheliegend, der Vorteil einer solchen Operation ist leicht zu begreifen. Das Heer des Gegners ist geteilt, die Truppe auf dem jenseitigen Flußufer kann nicht zurückgebracht werden, um in den Kampf einzugreifen. Die taktische Schwierigkeit lag also nur darin, die kaiserliche Armee so an den befestigten Brückenkopf heranzuführen, daß sie sich schon während des Aufmarsches zum Kampf formieren und einen Ausfall aus dem Brückenkopf abwehren konnte. Diese Aufgabe wurde durch das Gelände sehr erleichtert. Nachdem Eugen auf zwei Brücken einen Sumpf überquert hatte, gab es keine Terrainschwierigkeiten zu überwinden, er konnte seine Heeresmacht in zwölf Kolonnen formieren, die er in zwei Treffen teilte, auch das zur Umfassung des Brückenkopfes nötige Einschwenken war kein allzu verwickeltes Unterfangen. Das ganze Geheimnis von Zenta lag im Zeitfaktor:
Das Heer des Großherrn hatte einen gehörigen Vorsprung, die Türken müssen gehofft haben, die Theiß vor Ankunft der kaiserlichen Armee überqueren zu können. Tatsächlich erreichte der Prinz erst in den Abendstunden die feindliche Heeresmacht und muß bis zum Schluß gebangt haben, zu spät zu kommen. In der glühenden, sich wie ins Endlose öffnenden Theißebene war die Armee, die da entlang des metallenen Flußbandes weiterhastete, ein kleiner, verlorener Haufen. Durst, Müdigkeit, Fußweh und Todesahnen mögen den einzelnen Soldaten geplagt haben. Man weiß, wie eine unwillige Truppe einen Marsch verlangsamen, immer neuen Anlaß zu Verzögerung finden kann. Eugen verstand es nicht nur, die angeborene Trägheit zu besiegen, er erfüllte die Armee mit dem Gefühl von höchster Eile und Dringlichkeit: Keine Rast, kein Trunk, kein Verschnaufen im spärlichen Schatten, nur weiter mit letzter Kraft.“
Ähnlich beschreibt Egon Caesar Conte Corti in seinem Eugen-Buch „Ein Leben in Anekodoten“ die Lage: „Die feindliche Armee im Flußübergang, augenblicklich durch einen breiten Strom in zwei Teile geteilt. Und gerade die Reiterei, ohne die der Janitschar nicht kämpfen will, jenseits des Wassers! Freilich – es sind nur mehr zwei bis drei Stunden Zeit, und die Truppen haben zehn- und fünfzehnstündige Gewaltmärsche hinter sich, aber das ist gleich, so ein Augenblick kommt nicht wieder. Alles, was reiten kann, voraus, Prinz Eugen an der Spitze, die Infanterie soll marschieren, laufen, was sie kann. Noch vor Einbruch der Dunkelheit muß der Feind, der noch diesseits geblieben, geschlagen sein.
Sofort wird angegriffen. Ein wirrer Knäuel des Feindes auf der Brücke verhindert jede Verstärkung von der anderen Seite her. Die feindliche Infanterie in der Verschanzung wird überrannt, in den Fluß hinein geht die wilde Flucht, zwanzigtausend Tote decken die Walstatt, zehntausend ertrinken in den Fluten der Theiß, so daß die Soldaten, sonderlich bei der Brücke, wie Eugen meldet, ‚auf den toten Türkenkörpern fast wie auf einer Insel stehen können‘. Da wenden sich auch der Sultan und die Reiterei jenseits zur Flucht. Das türkische Heer zerstiebt in alle Winde, unermeßlich ist die Beute. ‚Und als die Sonne unterging‘, meldet Prinz Eugen, ‚da konnte sie noch mit ihrem letzten glänzenden Auge den völligen Triumph Eurer kaiserlichen Majestät glorwürdigster Waffen vollständig anschauen. Ich habe auch das Groß-Sultans Petschaft erhalten, welches das Allerrarste, und diesen ganzen Krieg über bei allen Victorien noch niemals bekommen worden ist, folglich um so viel mehr glauben macht, daß der Groß-Wesir selbst geblieben sei … indem er verpflichtet war, es allenthalben an seinem Hals zu tragen, und ich werde mir auch die Ehre geben, wann ich wiederum das Glück habe, vor Eurer kaiserlichen Majestät Thron zu erscheinen, in aller Untertänigkeit es persönlich zu überreichen?…’. So gut war diese Schlacht beschlossen und durchgeführt, daß ein Augenzeuge und Mitkämpfer (Luca Damiani) mit Recht bemerkte: ‚Der Glücksgöttin blieb kein Spielraum mehr, den Ausgang des Tages zu Eugens Nachteile zu entscheiden.‘‚“

 
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