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„Wir mußten den Krieg verlieren, um die Nation zu gewinnen.“

Von Dirk Herrmann

Deutsche Frontromane um 1930*


2014 wird ein besonderes und hoch brisantes Gedenk- und Erinnerungsjahr: 25 Jahre Mauerfall, 75 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In Österreich wirft das politische wie kulturelle Andenken an die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bereits jetzt seine Schatten durch zahlreiche Ankündigungen und Anregungen weit voraus.1 Ursachen, Verlauf und Folgen des Ersten Weltkrieges waren bekanntlich nach 1918 schon heftig umstritten.

Die Auseinandersetzungen erreichten Ende der 1920er Jahre einen Höhepunkt und erfaßten zu dieser Zeit auch die schöngeistige Literatur mit voller Wucht2 – ein mentalitätsgeschichtliches Ereignis, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wiederholen sollte. Innerhalb weniger Monate und Jahre erschienen in einer politisch-gesellschaftlich turbulenten Zeit Hunderte Kriegs- und Nachkriegsromane, die unsere Sicht auf das Geschehen der Jahre 1914–1918 bis heute prägen – darunter als bekanntestes Beispiel der damals heftig umstrittene und inzwischen zum Longseller gewordene Roman Im Westen nichts Neues (1929) von Erich Maria Remarque mit einer Gesamtauflage von über 20 Mio. Exemplaren in mehr als fünfzig Sprachen. Den weitverbreitetsten „Antikriegsroman“ kennt heute nahezu jedes Schulkind. Völlig in Vergessenheit gerieten hingegen – neben etlichen anderen kriegskritischen Büchern, Remarque-
Adaptionen sowie ‑Parodien (z. B. von Emil Marius Requark) – zahlreiche Bücher jener Umbruchszeit, die die heutige Literaturhistorie als „kriegsbejahende Literatur“ von den „pazifistischen“ (oder gar „demokratischen“3) Romanen vom Schlage Remarques fein säuberlich trennt. Dazu gehören Werke von Autoren der Konservativen Revolution und deren Umfeld, wie z. B. von Werner Beumelburg, Edwin Erich Dwinger, Ernst von Salomon, Arnolt Bronnen, Franz Schauwecker, Karl Benno von Mechow u. a. m.4, die oft auch hohe bis höchste Auflagen erzielten und damit eine ganze Lesegeneration nachhaltig prägten. Für diese Autoren war der Erste Weltkrieg das Urerlebnis in biographischer wie künstlerischer Hinsicht, mithin ihre zweite Geburt. Einigen ihrer Werke möchte ich hier nachgehen: Werner Beumelburgs Die Gruppe Bosemüller (1930), Josef Magnus Wehners Sieben vor Verdun (1930), Karl Benno von Mechows Das Abenteuer (1930) und Franz Schauweckers Aufbruch der Nation (1929).
Ernst Jünger kann wie kein anderer als Wegbereiter, Lehrer und Vorbild v. a. der nationalrevolutionären Schriftsteller gelten, von denen sich einige – wie Schauwecker und Salomon – in einem Kreis um ihn sammelten. Sein Werk ist jedoch um 1930 im Umbruch begriffen: Die aus dem Fronterlebnis gespeisten Bücher, beginnend mit In Stahlgewittern, das bereits 1920 erschien, werden mit der Erstfassung des Abenteuerlichen Herzen (1929) abgeschlossen, in dem die Kriegsereignisse zentrales Thema bleiben, jedoch ein ganz neuer Ton angeschlagen wird. 1930 trat Jünger noch als Herausgeber des Bild- und Sammelbandes Das Antlitz des Weltkrieges hervor, aber der rückblickenden Deutung des Krieges und Frontkämpfers und der Fundierung eines Neuen Nationalismus wich um 1930 die Interpretation der Gestalt eines neuen antibürgerlichen Typus in einem technokratisch-totalitären System – der des Arbeiters (1932). Während sich die Flut der Frontromane in den Jahren nach 1929 über den Buchmarkt ergoß, spürte der ‚Seismograph‘ Jünger schon ganz neue Erschütterungen! Auch andere wichtige und einflußreiche Autoren der Konservativen Revolution widmeten sich weit vor 1930 ihrem je eigenen Weltkriegserlebnis in literarisch-autobiographischer Form. Der Bataillonsarzt Hans Carossa veröffentlichte bereits 1924 (und damit genau zehn Jahre nach Kriegsausbruch) seine nach innen gekehrten Aufzeichnungen im Rumänischen Tagebuch; im gleichen Jahr erschien – als ungewolltes Pendant – Der Totenwolf des jungen Kriegsfreiwilligen Ernst Wiechert, mit dem der Autor sein Frühwerk, von dem er sich später distanzierte, abschloß. Beide Bücher wirkten jedoch für die hier infrage kommenden Romane nicht stilbildend.
Die Autoren des Weltkriegserlebnisses widmeten sich um 1930 zumeist in epischer Form der Aufarbeitung der Geschehnisse auf dem Schlachtfeld. Neben kleineren Erzählungen und Novellen (von Paul Alverdes etwa, dem Verfasser der weithin bekannten Pfeiferstube (1929)) und Bildbänden mit Textteilen (von Schauwecker, Jünger und den Ziese-Brüdern) waren es vor allem Romane, die als geeignetes Mittel einer authentischen, plastischen wie ausführlichen Schilderung der Kriegs- und Nachkriegserlebnisse erschienen, darunter sogar mehrere Trilogien (z. B. von Franz Seldte, Thor Goote, Edwin Erich Dwinger). Den inhaltlichen Schwerpunkt bildete das Jahr 1916 mit seinen verlustreichen Materialschlachten vor Verdun und an der Somme. Ausschließlich diesem Kriegskapitel widmeten sich die beiden 1930 erschienenen Romane von Wehner und Beumelburg, an denen die Heterogenität der Behandlung dieses Genres weiter deutlich wird.

Die Gruppe Bosemüller und Sieben vor Verdun

Bereits die Buchtitel verraten, daß hier keine Einzelhelden durch das Schlachtgetümmel gehen, sondern mehrere Figuren für das Geschehen relevant sind. Während Wehner – bezugnehmend auf den griechischen Sagenstoff der Sieben vor Theben – sieben verschiedenen Soldatenschicksalen im Stellungskrieg vor Verdun nachgeht, steht bei Beumelburg die Entwicklung des 17-jährigen Kriegsfreiwilligen Erich Siewers in der Gruppe des Unteroffiziers Bosemüller im Zentrum der Handlung. Der unerfahrene Siewers kommt in eine kampferprobte Truppe (eine beliebte und auch bei Remarque verwandte Konstellation dieses Genres), findet dort einen Vaterersatz (den Gefreiten Wammsch, dem der Roman gewidmet ist) und schließlich auch Anerkennung. Die Schwächen ihrer einzelnen Mitglieder breitet der Autor genüsslich aus; nur als Ganzes ist die Gruppe stark. Sie weiß um die Sinn- und Aussichtslosigkeit des Schlachtgeschehens, und sie bewältigt die Situation trotz militärischer Erfolglosigkeit – sozusagen als verlorener Posten – durch Ironie, Witz und Sarkasmus. Siewers wird vom Leutnant aufgeklärt: „Es ist sogar das Allerbeste für uns, wenn wir nicht mehr [aus Verdun] hinauskommen. [...] Alle Schulweisheit kriegt hier das große Kotzen. Die ganze sogenannte Moralphilosophie zerplatzt vor einem wohlgezielten Maschinengewehrschuß ...“ (S. 73 f.)5 Maßnahmen von Train und Heeresstrategen werden belächelt und verhöhnt. Die Gruppe Bosemüller besteht aus Pragmatikern. Von Kriegsbegeisterung oder ‑verherrlichung keine Spur! Im Gegenteil: Mit bitterer Ironie schildert der Erzähler einen Gasangriff:

    Herr Schwartzkopf, Herr Peter Schwartzkopf ... bitte nehmen Sie doch einmal den Kopf aus dem Loch, damit ich Sie sehen kann. Wollen Sie nicht einen Ihrer berühmten Witze machen? Sie können das doch sonst so gut! Es steckt Ihnen etwas im Halse? I wo ... kotzen Sie es heraus, vielleicht haben Sie ihre fröhliche Schnauze voll Gas bekommen, wissen Sie, von dem schönen Gas, das so angenehm nach Chlor, Schwefel und Leichengeruch schmeckt? Haben Sie schon einmal in die Maske gespien? Das ist ein origineller Spaß ... sehen Sie nur den guten Lesch, das Leschle ... wie der sich dort krümmt! Immer raus mit dem grünen Magensaft ... immer raus damit ... wir halten fest zusammen, hipp hipp hurra, hipp hipp hurra ... (276 f.)

Auf den darauf folgenden Seiten am Ende des Buches untergräbt der Erzähler, der zuvor hinter das Geschehen zumeist zurückgetreten war, mit äußerstem Sarkasmus fortlaufend die kurzen Gesprächsfetzen der Soldaten. Das Kampfgeschehen wird bei Beumelburg weder heroisiert noch trivialisiert, noch romantisch verklärt. Durch die nüchterne, schonungslose und kaltschnäuzige Darstellung aller Facetten des grausamen Stellungskrieges vor Verdun, die auch stille wie besinnliche Situationen bereit hält, gelingt es dem Autor, dem Leid und der psychischen Belastung der Soldaten Ausdruck zu verleihen. Der schnoddrige Soldatenjargon (ganz in der Manier von Remarque) trägt ein Übriges zur realistischen Schilderung des Gruppenlebens bei. Die Kernaussage des Buches findet sich in einem Brief von Siewers. Jener reflektiert während eines Lazarettaufenthaltes in Deutschland über seinen Einsatz und resümiert gegenüber dem an der Front verbliebenen Wammsch:

    Es ist mir so, als wäre ich bei Euch zu Hause und als dürfe ich jetzt nach langer Abwesenheit wieder in die Heimat zurück. [...]
    Ist es denn möglich, daß dieser leichtfertige [...] von Orden und Ehren und fröhlichem Krieg träumende Junge – daß ich das war? Ach, was ist von alledem übriggeblieben – alles ist fort, nichts hat standgehalten, gar nichts, und auf einmal mußte ich auch noch erkennen, daß mir das Vaterland nur als Vorwand gedient hatte für meinen Ehrgeiz und die Sucht, es andern vorauszutun.
    Aber statt dessen ist mir ein Neues aufgegangen, ein hundertmal Größeres, ein Ungeahntes. Das seid Ihr, Du und Bosemüller und Schwartzkopf und die anderen. Und vielleicht [...] sind wir so auf dem Weg zum Vaterland. Vielleicht ist die Kameradschaft nur der kleine, sichtbare, für uns faßbare Teil des Ganzen. [...] (S. 261)
 Siewers, der erst an der Front echte zwischenmenschliche Bindungen kennenlernt, drückt die Hoffnung aus, daß dieser Korpsgeist im ganzen Heer herrsche. Nach dem Krieg müsse man „von vorn anfangen, vom kleinen Kreis, von Mensch zu Mensch, damit wir nachher das Ganze begreifen können, den großen Kreis.“ (ebd.) Dies sei der Fehler vor dem Krieg gewesen: Man wollte „den großen Kreis begreifen [...], ohne den kleinen zu kennen.“

Dies ist die positive Bedeutung, die Beumelburg über zehn Jahre nach der militärischen Niederlage dem Krieg abgewinnen kann: Daß an der Front, an der sich die eigentliche Heimat, ja die Familie der Soldaten befunden habe, die Zukunft der Nation in kleinen Gruppen geschmiedet wurde. Die dort herrschende zwischenmenschliche Bindung (auch Renn und Remarque gewannen dem Kameradschaftserlebnis etwas Positives ab!) bildet den Garant für einen größeren Gemeinschaftsgeist. Der Krieg erst ermöglichte die individuelle Läuterung, die dadurch eine des ganzen Volkes werden könne, von der jedoch alle ausgeschlossen bleiben, die nicht teil an ihm hatten. Dementsprechend werden im Roman die Gräben zwischen Front und Heimat auch immer größer.
Werner Mittenzwei hat recht, wenn er Beumelburg „einen kühlen, modernen Dokumentationsstil“ attestiert und sein Buch „als eine eigenständige Synthese aus Ernst Jünger und Remarque“6 bezeichnet. Die Struktur gleicht der von Im Westen nichts Neues und „einige Episoden sind direkt austauschbar“7. Ähnliches gilt für das Buch von Wehner. Bei ihm gibt es (neben indirekten Anspielungen8) auch einen expliziten intertextuellen Bezug zu Remarques Erfolgsbuch: In einen deutschen Gefechtsstand wird ein vermeintlicher Verwundeter getragen. Es stellt sich jedoch heraus, daß es sich um einen betrunkenen und nackten Kriegsberichterstatter handelt, der in die vorderen Linien geraten war. „Seine Zeitung, ein großes Berliner Blatt [Remarques Roman erschien Ende 1928 zuerst in der Vossischen Zeitung, DH], habe ihn um kräftigere Berichte gebeten. Er selbst habe, da es im Westen dauernd nichts Neues gebe, gewaltigen Stoffhunger empfunden (bei diesen Worten überreichte ihm Bernhard Buchholz eine Wolldecke) [...].“ (S. 62) Den zur Tarnung von ihm benutzten Offiziersmantel samt EK I verwehrt man ihm wieder anzuziehen. So wird bei Wehner – der sein Buch wie Beumelburg als notwendige Korrektur zu Im Westen nichts Neues verstand – der Verfasser des erfolgreichen „Antikriegsbuches“ auf joviale Weise desavouiert.
Beumelburg nimmt auch auf einen anderen prominenten Text der Weimarer Republik bezug: auf Thomas Manns Zauberberg (1924). Ein Mitglied der Gruppe Bosemüller heißt Casdorp, anspielend auf den bekannten Titelhelden Hans Castorp, der am Schluß des Romans im Sturm auf Langemarck taumelnd das Lied vom Lindenbaum (nicht das Deutschlandlied) „bewußtlos singend“ vom Erzähler entlassen wird. Beumelburgs Casdorp bleibt ängstlich und schwach, den Anforderungen dieses Krieges nicht gewachsen – ein Außenseiter und eine Kontrastfigur zu Siewers. Vor der Erstürmung eines Forts nimmt er sich das Leben. Beide Beispiele zeigen, daß die Frontromane auch mit einer Abrechnung unliebsamer Literatur einhergehen konnten. Antihelden und kränkelnde wie labile – und damit zutiefst bürgerliche – Naturen vom Schlage Hans Castorps (oder Paul Bäumers, der Hauptfigur Remarques) gehen an diesem Krieg zugrunde, so Beumelburg. Für solche Charaktere ist demzufolge auch in der Literatur um 1930 kein Platz mehr.
Während Beumelburg die Frontgemeinschaft beschwört und einen kleinen, aber repräsentativen Ausschnitt des Geschehens an der Westfront ausleuchtet, dient Wehners Buch der Gesamtdokumentation des Kriegsverlaufs vor Verdun, aber auch der Bewältigung der Gefallenen. Zahlreiche Zeit- und Ortsangaben begleiten die detaillierte Schilderung des Kampfes vom Februar bis zum Oktober 1916 in den Wäldern und Gräben sowie vor allem um die Befestigungsanlagen vor der französischen Stadt. Vom örtlichen Geschehen geht der Blick zuweilen auf die gesamte Kriegslage. Bezeichnend ist, daß nicht Werner Beumelburg, der Mitte der 20er Jahre vier Dokumentarwerke in der Reihe Die Schlachten des Weltkrieges verfaßte9, um 1930 als Chronist des Weltkrieges hervortritt, sondern ein Dichter wie Josef Magnus Wehner, der zuvor hauptsächlich durch die Veröffentlichung von im Katholizismus wurzelnden Versepen, Legenden und Märchen bzw. die Darstellung bäuerlichen Lebens ein Auskommen suchte. An der Entwicklung beider Autoren macht sich somit ein Paradigmenwechsel bemerkbar (s. u.).
Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Romanen besteht in der Darstellung des Gegners. Französische Soldaten haben für das Selbstverständnis der Gruppe Bosemüller keine Relevanz. Nur zwei Mal treten gegnerische Soldaten als Individuen (und nicht als blau-graue Masse) in Erscheinung, und gerade in diesen Momenten zeigt sich deren menschliche Seite. Als ein deutscher Leutnant und ein Franzose, dreißig Meter voneinander entfernt, ihre Gewehre auf sich halten, setzen beide wieder ab (S. 60); als Siewers und Wammsch im abklingenden Kampf in den Granattrichtern nach einem Verwundeten suchen, weisen ihnen französische Soldaten den Weg (S. 189). Einen breiten Raum hingegen nimmt die Schilderung gegnerischer Aktivitäten wie auch des Leids französischer Soldaten, die mit denen der deutschen verglichen werden, in Sieben vor Verdun ein. Die Belagerung und Erstürmung von Fort Vaux durch die Deutschen wird aus den Augen der langsam verdurstenden und vergeblich auf Hilfe wartenden Franzosen in einem ganzen Kapitel geschildert. Als Quellen hat der Autor dazu die Tagebuchaufzeichnungen des Fortkommandanten Raynal und die Werke des französischen Schriftstellers Henry Bordeaux benutzt. Der Gegner bekommt bei Wehner ein Gesicht; dessen Qualen und seine Ängste entstehen vor dem Auge des Lesers aufs Neue. Gewiß haben sie aber auch kontrastierende Funktion, denn im Zentrum von Wehners Darstellung steht der unerschrocken stürmende Deutsche. Kriegsmüdigkeit, Resignation oder Stillstand (wie etwa bei Beumelburg) kennt dieser nicht. Trotz Stellungskrieg drängt es ihn immer wieder nach vorn. Kritik wird an der zögerlichen Kriegsführung des Generalstabschefs Erich von Falkenhayn laut; Sympathie gilt dem zwanzig Jahre jüngeren vorwärtsdrängenden preußischen Kronprinzen. Sieben vor Verdun ist ein Hohelied auf die Kampfkraft des deutschen Soldaten und sein Durchhaltevermögen („Es gab Soldaten, die den Feind, da sie keine Kugel mehr hatten, mit Erdklumpen bewarfen“ (S. 302)), was jedoch eine hohe Zahl von Opfern und Verwundeten forderte, symbolisch erhöht durch die sieben individuellen Schicksale im Buch (auch Paul Bäumer zog mit sechs Klassenkameraden ins Feld). Eine Gruppendynamik wie bei Bosemüller gibt es hier nicht; die sieben Freunde aus unterschiedlichen Einheiten und verschiedenen Ranges begegnen sich zufällig zwischen den Kämpfen. So entstehen sieben verschiedene Perspektiven auf die „Hölle von Verdun“ und sieben verschiedene Deutungen über Sinn und Unsinn des Krieges.
Der Roman endet mit der Schilderung der Räumung von Fort Vaux, die auf den Allerseelentag des Jahres 1916 fiel, und gilt abschließend dem Gedächtnis der gefallenen Deutschen aller Frontabschnitte. Es mündet in eine Vision:

Sie sitzen im Rauche und reden. Sie sind allgegenwärtig, und die Zeit haben sie abgetan mit ihren Leibern. Ihre Füße sind kalt von fernster Eiszeit, und ihre Häupter flammen von den Sternen fernster Zukunft. Sie wissen, was sie der Welt geschenkt haben, das Beispiel eines unerhörten Opfers die Jahrtausende hinauf. Sie wollen keinen Dank, sie sind unsterblich. So summen und sagen sie unhörbar vom unsichtbaren deutschen Reiche, das seine Wurzeln hat in ihren Wunden. Und sie wissen, daß dieses Reich unsterblich ist mitten unter sterbenden Völkern.
Wie Walter Flex in seinem Wanderer zwischen beiden Welten versucht auch Wehner, dem beispiellosen Massensterben an der Front einen höheren Sinn abzugewinnen. Seine Botschaft lautet: Der Tod der deutschen Soldaten war nicht umsonst; aus den zeit- und ortlosen Gefallenen speist sich die Zukunft des zeitenüberdauernden wie unfasslichen Reiches der Deutschen. Diese Reichsidee sollte für das künftige Werk des Autors (und auch Beumelburgs) von zentralem Interesse sein.

Das Abenteuer

reift man nach der Lektüre der beiden Romane von Beumelburg und Wehner zu dem im gleichen Jahr erschienenen Reiterroman Das Abenteuer des Offizierssohnes Karl Benno von Mechow, findet man sich in einer ganz anderen Welt wieder: mit Ulanen zu Pferde in den Weiten des Ostens in Polen und Rußland im Jahr 1915 – eine vormoderne Welt und damit der größtmögliche Kontrast zur maschinendurchpflügten Mondlandschaft vor Verdun. Hier gibt es kein tödliches Gemetzel, keine zerfetzten oder verwesten Leiber und vollgespiene Gasmasken, kein Dauerbeschuß mit Granaten und Mörsern. Hier agieren die Figuren nach den Gesetzen der Vernunft; irrationale Taten wie bei Beumelburg (z. B. reißt ein Soldat mit bloßen Händen ein feuerndes gegnerisches Maschinengewehr aus dem Graben) oder entmenschlichte Soldaten wie bei Schauwecker („Er war ein Automat“ (S. 193)) tauchen hier nicht auf. Bei Mechow ist unendlicher Raum und Ruhe – hier wird geritten und geritten: „Die Tage waren Reiten, weiter nichts!“ (S. 104); hier ist Platz für epische Breite, für die Beschreibung von Zivilisten, von Landschaften und vor allem für die vom Erzähler geschätzten Pferde („Dein Pferd ist alles, Du allein bist ein Dreck!“ (S. 19)).
Nicht das Schlachtgeschehen formt diese Soldaten, sondern die weite wie trostlose Landschaft: „Die Einsamkeit der großen Erde stieg aus Wäldern und Seen und nahm die reitenden Menschen in ihre Arme.“ (S. 170) Gekämpft wird im Abenteuer nur am Rande; es gibt lediglich kleine Scharmützel, Warschau wird „im Vorbeigehen“ erobert; die Russen weichen oft zurück, und wenn es zum Gefecht kommt, ist die Zahl der Toten und Verwundeten überschaubar. Leid und Greuel gibt es nicht, der Leitbegriff des Romans ist das Leben. Leben ist Reiten, ist Bewegung, ist Abenteuer. „Gesegnet sei das Abenteuer“ ruft einer der Protagonisten aus. Sie suchen es, sie sehnen sich danach, aber sie finden und erleben es nicht. Die Reiter drängen immer weiter vorwärts, fragen dabei stets nach dem Warum und Wohin, traben ins Ungewisse, ins Leere. Ein Triumphzug sähe anders aus, und es ist symptomatisch, daß die NS-Germanistik ausgerechnet das (nebensächliche) Führertum dieses Romans lobte und vor dem großen Rest des Buches die Augen verschloss.10
Mechows Buch zeigt – angefangen beim Titel – ganz bewußt die andere Seite des Ersten Weltkrieges, eine von der Literatur der Zeit zumeist ausgeklammerte. Daß er sein Buch deshalb auch als Korrektiv zur offiziellen Kriegsgeschichtsschreibung verstand, spricht der Autor direkt im Text an: „Wichtige Ordonnanzoffiziere“ erhalten von auskunftsunwilligen Angehörigen der Schwadron nur unzureichende oder sogar falsche Informationen über den tatsächlichen Gefechtsverlauf, welche dann zu den Kommandeuren weitergetragen werden. Der Erzähler ironisiert: „Ja, bei den Kommandeuren sammelten sich viele [aufgebundene] Bären, und schwer ist es, aus dem vorwärts, immer vorwärts gleitenden Leben die Geschichte zu greifen, an die Wand zu nageln und als Wissenschaft in die Zeit hinausgehen zu lassen“ (S. 143).
Auch im Sprachstil liegen Welten zwischen den hier zu vergleichenden Romanen. Die Autoren wählen eine ihrer Intention gemäße adäquate Form. Schlagen vor Mechows Ulanen Schrapnells ein, heißt es: „Mit Brü und Hui ging die Musik“ (S. 120); oft wird der Einschlag eines Geschosses mit einem Peitschenknall verglichen. Beumelburg meidet dies; sein Buch ist voll von lautmalerischen Mitteln, die aus heutigen Comics stammen könnten: „Wummm ... rrranggg ... rreng rrenggg rrrenggg ... sagt es rechts. Tack tack tack tack ... sss sss sss sss ... kommt es von vorn.“ (S. 184). Mechow erzählt nicht in militärisch-knappen Sentenzen und Stakkato-Sätzen, die wie MG-Salven aus den Figuren Beumelburgs geschossen kommen. Hier herrscht ein leiserer Humor, eine unterschwellige Ironie.
Das Abenteuer ist ein Abgesang auf Formen des Kampfes und Krieges, die mit dem Ersten Weltkrieg ein Ende fanden. Die „grinsende Fresse“ (S. 30) des modernen Krieges taucht nur als Truggespinst am Beginn auf. Der berittene Soldat mit seinen schweren Stiefeln und Sporen ist untauglich zum Kampfe zu Fuß und erst recht für einen Grabenkrieg; seine Zeit ist abgelaufen. Eine jahrhundertealte Tradition findet ihr Ende. Folgerichtig endet das Romangeschehen in völliger Trostlosigkeit und ohne Pathos: Der Vormarsch gerät ins Stocken; Verluste erschüttern das Schwadron, es kommt der Rückzug; aus Jägern werden Gejagte; Infanterie bildet nun die vorderste Linie; und schließlich werden aus den Reitern Schützen. „Das Leben ging weiter, wir wissen es. Das Reiten aber endete.“ (S. 281)

Aufbruch der Nation

Franz Schauweckers Fronterlebnisse schlugen sich bereits unmittelbar nach Kriegsende literarisch nieder und ziehen sich fast monothematisch durch das Gesamtwerk. 1929 erschien sein Roman Aufbruch der Nation, der ihn schlagartig bekannt machte und dessen Handlungsbogen sich (wie bei Remarque) über die gesamte Dauer des Krieges und sogar darüber hinaus spannt. Der 23-jährige Philologiestudent Albrecht Urach wird – der Berechenbarkeit des bürgerlichen Lebens und der Examensvorbereitungen überdrüssig –, durch den Kriegsausbruch aus einer sicher geglaubten Welt gerissen. Diesem individuellen Aufbruch im August 1914 und dem feierlich-beschwingten Abzug von Urachs Regiment aus der Heimat an einem Spätsommertag folgt unmittelbar die trostlose Schilderung des Marschs in „grauweiße[r] Schneeöde“ (S. 43) an die Front im Osten und damit die bittere Wirklichkeit des Krieges. Es ist noch kein Schuß gefallen, aber der Protagonist muß bereits Höllenqualen durchleiden und wird sämtlicher Illusionen beraubt. Urach erkennt: „Große Worte hatten hier keinen Sinn.“ Auf einem Rückzugsgefecht besteht er seine Feuerprobe. Zwar äußert der ernüchterte Urach mehrfach den Wunsch nach Frieden, aber er befindet sich in einem Dilemma: „Ich hatte keinen freien Willen; ich muß gehorchen“ (S. 96). Er wird schließlich verletzt, kommt zur Genesung in die Heimat und wird im Frühjahr 1916 an die Westfront versetzt. Nicht nur die Darstellung der schockierenden Fronterlebnisse, auch die des Lazarettaufenthalts verlangen dem heutigen Leser von Schauweckers Buch eine Menge ab: abgerissene Beine, mit denen sich Sterbende unterhalten, gräßlich entstellte Leiber und Gesichter sowie ein Matrose mit einem Granatsplitter im Kopf, der im Spital einem anderen Schwerverletzten die Eingeweide herausreißt – diese Schilderungen tragen nicht dazu bei, diesem Buch das Etikett „kriegsbejahend“ aufzukleben!
Urach macht die „Hölle von Verdun“ mit; endlos wie drastisch schildert der Erzähler einen furchtbaren Gefechtsvorstoß, in dem Urach stumpf, mechanisch, irr nur noch funktioniert. Nach einem Offizierskurs kommt er Ende 1916 in den Osten, wo er die Bolschewisierung der deutschen Truppen (und weniger der Einheimischen) miterleben muß. Die Demoralisierung der eigenen Kameraden und der sich breit machende Fatalismus finden schließlich im Westen ihren Höhepunkt, wo Urach als verbitterter wie zynischer Leutnant und Regimentsführer die letzten Kriegswochen erlebt. In einem Gespräch mit seinem Kameraden unmittelbar nach Kriegsende und der Verabschiedung seiner Soldaten äußert der Protagonist jenen Satz, der den Titel dieses Aufsatzes bildet und den Roman beschließt.
Schauwecker breitet die seelische Entwicklung seiner Hauptfigur in langen und packenden inneren Monologen (teilweise in Form eines Bewußtseinsstroms) vor dem Leser aus. Urach kommt zu Einsichten, die sein Weltbild radikal ändern: Das bürgerliche Leben des Arztsohnes vor dem August 1914 erscheint plötzlich völlig sinnlos – Urach sieht dies als Befreiung: „Die wahren Grundbedingungen des Lebens zeigten sich hier [im Krieg] unverhüllt.“ (S. 99) Der Krieg reißt alle sozialen Schranken ein (dies kommt in allen vier Büchern zum Ausdruck); an der Front wird eine neue Generation zusammengeschweißt. In der Heimat erkennt Urach, daß ein Riss durch das Volk geht, daß die Daheimgebliebenen völlig im Unklaren über das Kriegsgeschehen sind und später: daß „einzig und allein in der Front [...] die Nation war“ (S. 225). Die aus dem Volk herausgelösten Soldaten kämpfen nicht für die Zuhausegebliebenen, sondern sie „standen hier [an der Front, DH] für sich allein da und für die kommende Nation.“ (ebd.) In den letzten Kriegswochen wird dieser Eindruck noch verstärkt, denn sie fühlen sich im Stich gelassen. „Zuletzt kämpften sie ohne Hoffnung. Sie waren verlassen [...]. Das einzige, das sie besaßen, war dies: sie wußten, wer sie waren.“ (S. 373) In der Heimat angekommen, herrscht völlige Orientierungslosigkeit unter ihnen. Trost- und hoffnungslos endet auch dieser Roman, aber er endet in einer wichtigen Einsicht: Niederlage und Revolution hatten ihren Sinn.
Kriegsende und Versailles bedeuten den Untergang des alten kaiserlichen Deutschlands (Wilhelm II. erscheint in einer unrühmlichen Szene im Text kurz vor Kriegsende), dem Urach keine Träne nachweint. Der Untergang dieser alten Welt ist die Geburtsstunde einer neuen modernen deutschen Nation, eines neuen Nationalismus, eines soldatischen. Dessen konkrete Gestalt bleibt offen. Von Schauweckers Werk geht ein revolutionärer Impuls aus: Die alleszerstörende Wucht des Krieges nebst militärischer Niederlage und Revolution, die eine tabula rasa schuf, wird bejaht, denn sie ermöglichte einen Neuanfang, deren Träger der entbürgerlichte Soldat des Ersten Weltkrieges ist und der jetzt – zehn Jahre nach Versailles – nach Geltung strebt.

Zeitgenössische Rezeption

Werfen wir anschließend einen Blick auf die bemerkenswerte zeitgenössische Rezeption der Werke aus beiden Lagern, die zunächst von einer gewissen Neutralität und gegenseitiger Anerkennung geprägt war. Jüngers „Tagebuch eines Stoßtruppführers“ wurde „im In- und Ausland auch als Antikriegsbuch rezipiert“11. Remarque lobte Mitte 1928 In Stahlgewittern und Das Wäldchen 125 für deren „wohltuende Sachlichkeit“ als „präzise, ernst, stark und gewaltig“; Jünger sei „wie kaum ein anderer berechtigt, über die Schlacht und den Krieg auszusagen“12. Über Das Frontbuch von Franz Schauwecker hieß es an gleicher Stelle: „Und so stößt auch er [Schauwecker, D. H.], grübelnder und schon didaktischer (im guten Sinne) als der prachtvoll ruhige Jünger, ebenso wie dieser zu dem neuen Menschentyp vor, der 1918 im Grabensoldaten fest geprägt war.“
Ludwig Renns Krieg ­– heute auf der Seite der Antikriegsbücher – wurde 1929 in rechten Blättern (im Gegensatz zu Remarques Erfolgsbuch) durchweg positiv besprochen.13 Der Protagonist dieses Buches und seine nüchtern-dokumentarische Sicht auf das Geschehen ähneln dem hier skizzierten frappierend; der Autor verweigert sich ferner jeglicher Sinndeutung.
Beumelburgs Sperrfeuer um Deutschland (1929) wurde durchgängig für seine Neutralität gelobt: „Keine Partei und keine Richtung wird es für sich beanspruchen können“ hieß es im Berliner Tageblatt.14 Gleichlautend bemerkte ein Rezensent in Will Vespers Literaturblatt: „Vor dieser unparteiischen Darstellung können alle sich finden und die parteiischen Verzerrungen und Begrenzungen der anderen Kriegsbücher stillschweigend korrigieren“15. Neben Werken von Alverdes, Dwinger u. a. aus den Jahren 1929/30 wurde Beumelburgs Buch in einer Sammelrezension als Antikriegsbuch gelesen.16
Schauweckers Aufbruch der Nation entfachte eine rege öffentliche Debatte über die Grenzen der politischen Lager hinweg. Bei „aller ideologischen Gegnerschaft“ wurde dem Autor „charakterliche Integrität und seiner literarisch-publizistischen Arbeit eine gewisse Qualität zugestanden“17. Der Berliner Rundfunk übertrug im Januar 1930 eine sachlich und fair geführte Diskussion zwischen dem bekannten Pazifisten Kurt Hiller und Schauwecker.
Im Jahr 1930 spitzt sich die Lage jedoch zu. Auf der einen Seite machen die „Literaten ‚links‘ [...] soviel Spektakel [...] um Jünger und Schauwecker und um Bronnen“. Und auf der anderen Seite künden die tätlichen ‚rechten‘ Proteste gegen die Verfilmung von Remarques Buch von der hochexplosiven Stimmung jener Zeit und einer neuen Qualität des „Kulturkampfes“. Nach der deutschen Uraufführung am 4. 12. 1930 blies Goebbels zum Sturm gegen den Film. Als Tags darauf im Kino Stinkbomben hochgingen und weiße Mäuse losgelassen wurden, kam es zu tumultartigen Szenen, die zu Schlägereien und Straßenschlachten ausarteten. Arnolt Bronnen rückblickend: „Überfall-Kommandos der Polizei pflügten sich durch [...] riesige Menschen-Massen [...] durch, es war ein Geschrei und ein Gejohle, und wer nicht aufpaßte, bekam eins mit dem Gummi-Knüttel“18. Sieben Tage nach der Uraufführung wurde der Film verboten (was Goebbels als eigenen „Triumph“ feierte) und Ende 1931 in einer zensierten Version wieder freigegeben. Wenige Wochen vor den Remarque-Protesten störte Bronnen mit den beiden Jünger-Brüdern Thomas Manns Deutsche Ansprache (in der der frisch gebackene Literaturnobelpreisträger angesichts der Reichstagswahlen vom September 1930 den Nationalsozialismus demaskierte), was gleichfalls einen Polizeieinsatz und einen Skandal auslöste. Bereits Ende 1930, als Goebbels die Wirksamkeit der Aktion im kulturellen Raum erkannte, kam es also zu einer klaren politischen Frontenbildung, die sich bis heute negativ auf eine unvoreingenommene Bewertung der literarischen Werke jener Zeit im allgemeinen wie der Frontromane im besonderen auswirkt.

Resümee

Um 1930 findet ein sozial- wie literaturhistorischer Paradigmenwechsel statt: Die offizielle Kriegsgeschichtsschreibung (oft aus der Feder des hohen Militärs) wird abgelöst durch den Frontroman der Vertreter der jungen und jüngsten Generation, die als Freiwillige oder als einfache Soldaten in den Krieg eintraten, was auch auf alle hier behandelten Autoren, die in den 1890er Jahren geboren wurden, zutrifft. Nun wird das Kriegsgeschehen aus der Sicht des Frontsoldaten geschildert. Der Frontroman als Teil der vielgestaltigen Literaturlandschaft um 1930 ist aber auch Ausdruck eines stil- und stoffgeschichtlichen Umbruchs. Weg vom historischen Sujet, hin zum Zeitroman; weg von übertriebener Expressivität, hin zu nüchterner Sachlichkeit lautete in der Kunst im Allgemeinen wie in der Literatur im Besonderen die Devise, der sich fast alle Kriegsromane anschlossen. Die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation sind in diesem Genre deshalb besonders stark verwischt.
Ferner etablieren sich die jungen und innerhalb kurzer Zeit recht erfolgreichen Autoren gegenüber der älteren Generation der konservativ-revolutionären Schriftsteller. Ihre um 1930 erschienenen Frontromane verhelfen ihnen zum je eigenen literarischen Durchbruch. Die darin herrschende Antibürgerlichkeit schreckte ältere nationalkonservative Autoren wie Hans Grimm oder Wilhelm Schäfer zumeist ab. Remarque gab das Stichwort von der „verlorenen und zerstörten Generation“; jene Autoren der Konservativen Revolution, die sich davon angesprochen fühlten, deuteten dies um: Die einstigen Verlierer sind die Träger der Zukunft.
In den Frontromanen aus dem Lager der Konservativen Revolution spricht sich kein aggressiver Nationalismus aus. Gegenüber dem militärischen Gegner wird kein Überlegenheitsdünkel laut. Auch macht sich kein blinder Expansionsdrang in diesen Texten bemerkbar. Der Krieg wird weder beschönigt noch verherrlicht, sondern zumeist in seiner nackten Wirklichkeit geschildert; das Leid und die Greuel des Kampfgeschehens werden dabei nicht ausgeblendet. Im Gegensatz zu den meisten Protagonisten der berühmten ‚Antikriegsromane‘ gehen Siewers und Urach nicht an der Front zugrunde, sondern sie werden als Geläuterte aus dem Krieg entlassen. Sie bejahen die Wirkung, die der Krieg in dieser konkreten historischen Situation an ihnen gezeitigt hat (und gewinnen ihm dadurch einen Sinn ab), nicht aber diesen selbst. Insofern ist eine polare Unterteilung der Weltkriegsromane nach dem bekannten Schwarz-Weiß-Schema, das zugleich die Autoren in „gut“ und „böse“ kategorisiert, abzulehnen. Schon Wilhelm Stapel rief 1930 im gleichen Zusammenhang aus: „Welch eine blöde Einteilung der Dichtung in ‚rechts‘ und ‚links‘!“19

 

Buchtip:

Guntram Schulze-Wegener
Der Erste Weltkrieg im Bild
Umfang: ca. 304 Seiten
Format: 23 x 28 cm

ca. € 29,90

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Anmerkungen

* Der Verfasser dankt den Herren Dr. Christoph Fackelmann und Dennis Keller für Kritik und Hinweise.

1 Vgl. etwa den Vorschlag einer zentralen EU-Gedenkfeier in Wien: www.austria.com/sarajevo-attentat-1914-wien-schlaegt-gedenkfeier-bei-eu-gipfel-2014-vor/3615792, die Programm­ankündigungen des ORF im Standard v. 30. Juli 2013 oder auch das Wissenschaftsthemenportal www.erster-weltkrieg.clio-online.de
2 Vgl. Statistik bei Jörg Vollmer: Imaginäre Schlachtfelder. Kriegsliteratur in der Weimarer Republik. Eine literatursoziologische Untersuchung. Diss. Berlin 2003. S. 434.
3 Vgl. Herbert Bornebusch: „Kriegsromane“. In: Horst Albert Glaser (Hg.): Dt. Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 9: Weimarer Republik – Drittes Reich. Reinbek 1983. S. 138–143.
4 Zu diesen Autoren ist ein Handbuch in Vorbereitung, das im Grazer Ares-Verlag erscheinen soll. Vgl. dazu Christoph Fackelmann/Dirk Herrmann: Dichter im Umkreis der Konservativen Revolution – Präliminarien zu einem bio-bibliographischen Handbuch. In: Jahresgabe der ­Josef-Weinheber-Gesellschaft N. F. 2010/11/12, Wien/Berlin/Münster 2013. (in Vorb.)
5 Die Seitenangaben beziehen sich auf folgende Ausgaben: W. B.: Die Gruppe Bosemüller. Oldenburg 1930; J. M. W.: Sieben vor Verdun. Hamburg 1932 [zuerst München 1930]; F. Sch.: Aufbruch der Nation. Berlin 1929; K. B. v. M.: Das Abenteuer. Hamburg 1933 [zuerst München 1930].
6 Werner Mittenzwei: Die Mentalität des ewigen Deutschen. Nationalkonservative Dichter 1918 bis 1947 und der Untergang einer Akademie. 2. Aufl. Leipzig 2003. S. 207.
7  Ebd. S. 206; vgl. dazu Heidrun Ehrke Rotermund: „Durch die Erkenntnis des Schrecklichen zu seiner Überwindung“? W. B.: Gruppe Bosemüller (1930). In: Thomas F. Schneider (Hg.): Von Richthofen bis Remarque. Deutschsprachige Prosa zum 1. Weltkrieg. Amsterdam/New York 2003. S. 299–318.
8 Vgl. etwa die Granattrichterszene (S. 194 f.), die auf Kapitel 9 bei Remarque anspielt: Bei Wehner bergen französische Soldaten einen deutschen Verwundeten aus einem Trichter, während Paul Bäumer einen Franzosen in Todesangst verwundet, dann in dessen Anwesenheit an Schuldgefühlen verzweifelt und schließlich dem Todgeweihten leere Versprechungen macht.
9 Eine ähnliche Entwicklung machte Beumelburg nach 1945 durch: 1952 erschien eine von ihm verfaßte Chronik des Zweiten Weltkrieges u. d. T. Jahre ohne Gnade; sechs Jahre später veröffentlichte er als Pendant zur Gruppe Bosemüller den Roman ...und einer blieb am Leben, das ein Gruppenschicksal im Zweiten Weltkrieg behandelt.
10 Vgl. dazu Hubert Orłowski: Krieg der Reiter. Karl Benno von Mechow: Das Abenteuer. Ein Reiterroman aus dem großen Krieg (1930). In: Thomas F. Schneider (wie Anm. 6) S. 343–358.
11 Steffen Martus: Ernst Jünger. Stuttgart 2001. S. 18. Auch heutige Rezensenten folgen diesem Topos: Vgl. die Besprechung von Jüngers Kriegstagebuch-Edition aus dem Jahr 2010 in der taz (!) von Jörg Magenau: Bum, bum, huiuiui, huiui, Bautz, Bautz. Die erstmals publizierten Tagebücher Ernst Jüngers aus den Jahren 1914–18 zeigen ihn als hitzigen, mordlustigen Kämpfer. In: taz v. 20. September 2010, S. 15.
12 Erich Maria Remarque: Fünf Kriegsbücher. In: Sport im Bild 34 (1928) Nr. 12 v. 8. Juni 1928. S. 895 f.
13 Z. B. in Will Vespers Die schöne Literatur 30 (1929) S. 211 f., in Wilhelm Stapels Deutsches Volkstum (1929) S. 84 oder in Rudolf Pechels Deutscher Rundschau 55 (1928/29) S. 81 f.
14 Zit. n. Franz Lennartz: Deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts im Spiegel der Kritik. Bd.1: Achleitner–Gurk. Stuttgart 1984. S. 153.
15 Kurzrezension von Martin Klein in: Die schöne Literatur 30 (1929) S. 584. Diese Neutralität stand einer Vereinnahmung von Beumelburgs Werk im Dritten Reich nicht im Weg. Der Autor wurde mit überarbeiteten Ausgaben seiner meist vor 1933 erschienenen Bücher zu einem der auflagenstärksten der NS-Zeit.
16 Guido K. Brand: Siebzehn gegen den Krieg. In: Die Literatur 32 (1929/30) S. 338–340.
17 Ulrich Fröschle: „Radikal im Denken, aber schlapp im Handeln“? F. S.: Aufbruch der Nation (1929). In: Thomas F. Schneider (wie Anm. 6) S. 291 f.
18 Arnolt Bronnen: A. B. gibt zu Protokoll. Hamburg 1954. S. 256.
19 W. St. in: Deutsches Volkstum (1930) S. 244.

 
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