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Der Gehorsam der Korrekten

Von Ernst Brandl

Wie man in Graz einen deutsch-identitären Literaturpreis umfärbelt

Eine frisch gekürte Kulturstadträtin der Grünen sorgt mit einer anlaßbezogenen und übereilten Statutenänderung des Franz-Nabl-Literatur-Preises (Dotierung 14.500 €) für eine grundlegende Neuausrichtung der Vergaberichtlinien. Künftig darf der angesehene Literaturpreis auch an nicht deutsch schreibende Literaten vergeben werden.

Die steirische Landeshauptstadt verdankt ihren schmückenden Titel „heimliche Hauptstadt deutschsprachiger Literatur“ den „wilden“ 1970ern. Damals war der junge Motor der österreichweiten Literaturszene nicht die Bundeshauptstadt, sondern das verträumte, biedermeierliche Graz. Das „Forum Stadtpark“ war damals Nabel der Literatur in Österreich, und Alfred Kolleritsch, über Jahrzehnte zentrale Figur der Literatenszene und Spiritus rector der umtriebigen Schreiberlinge, organisierte publikumswirksame Lesungen oder kontroversielle Literatursymposien. Eine junge Generation von Literaten rief damals, 1973, als Gegenpol zum (Wiener) PEN-Club die Grazer Autorenversammlung ins Leben und aufgrund der auffallend-substantiellen Konzentration von Schriftstellergrößen (von Peter Handke über Wolfgang Bauer bis Gerhard Roth) wurde Graz im deutschen und österreichischen Feuilleton alsbald zur „Literaturhauptstadt“ Österreichs stilisiert.
Das offizielle Graz nahm diese „Literaturhausse“ in der grünen Mark damals nicht nur mit einer gewissen Selbstgefälligkeit hin. Bereits 1974 wurde die Verleihung eines eigenen Literaturpreises initiiert – übrigens unter dem FPÖ-Bürgermeister Alexander Götz. Die Wahl des Namensgebers des biennal vergebenen Preises viel auf keinen Unumstrittenen: Franz Nabl (1883–1974), Dramatiker und Schriftsteller, der seit Mitte der 1930er Jahre in Graz lebte und wirkte. „Huldigungsliteratur“ Nabls an den Führer oder ein öffentliches publizistisches Eintreten für das NS-Regime waren dem Literaten zwar nicht nachweisbar; trotz seiner eigenen Selbsteinschätzung als unpolitisch mußte sich Nabl aber doch als einigermaßen „opportunistischer Nutznießer“ des NS-Systems verorten lassen, der vor allem „nach 1945 keine klaren Worte zur (eigenen) NS-Verstrickung“ fand.
Solch Anwürfe standen natürlich auch schon Mitte der 1970er im Raum; allein, den jungen Autoren von Kolleritsch über Handke bis Roth war der greise Literat ein identitäres schriftstellerisches Vorbild. Die Absage Nabls an die Idylle (beispielhaft hierfür ist der Roman „Der Ödhof“) machte ihn noch kurz vor seinem Tod 1974 für die jungen, aufstrebenden Autoren des „Forum Stadtpark“ interessant: Sie schätzten die strenge Erzählform Nabls. Darum erschien sein Integrationskraft signalisierender Name bestens geeignet, den hochdotierten Preis der Stadt Graz zu benennen.
Schon mit der erstmaligen Vergabe 1975 an Elias Canetti zeigte sich, daß der Preis als Synonym für höchste, international wahrgenommene literarische Qualität steht und stand: Manès Sperber (1977), Ilse Aichinger (1979), Christa Wolf (1983), Peter Handke (1985), H. C. Artmann (1989), Martin Walser (1993), Christoph Ransmayr (1995), Herta Müller (1997), Barbara Frischmuth (1999), Urs Widmer (2001), Norbert Gstrein (2003), Josef Winkler (2005), Terézia Mora (2007) und Angela Krauß (2011). Allen diesen Autoren ist, abgesehen von der unbestrittenen literarischen Qualität, eines gemeinsam – sie verfaßten ihre Literatur allesamt in Deutsch. Auch das Statut des Preises sah vor, den Preis ausschließlich an Autoren zu vergeben, die „in deutscher Sprache“ schreiben. Beinah 40 Jahre blieb dieser entscheidende Passus ohne Änderung.
Eine Grünen-Kulturstadträtin machte dieser „Deutschtümelei“ nun ein jähes Ende. Die diesjährige Vergabe an den Kärntner Slowenen Florjan Lipuš – Lipuš verfaßt seine Literatur in Slowenisch; sehr gute Übersetzungen ins Deutsche gibt es aber – nutzte die Grünen-Kulturstadträtin dazu, das Gründerstatut weitgehend zu ändern. Nunmehr ist der Franz-Nabl-Preis auch für Autoren gedacht, die nicht in deutscher Sprache publizieren – „unter der Voraussetzung, daß der/die vorwiegend, aber nicht zwingend, jedenfalls aber beispielhaft die kulturelle und sprachliche Vielfalt Österreichs repräsentiert und damit in einen europäischen Literaturkontext zu bringen ist“. Diese Änderung der Statuten erfolgte unter den im Grazer Stadtsenat vertretenen Parteien nicht einstimmig. Die FPÖ versagte der Änderung der Statuten ihre Zustimmung. Für die FPÖ stellte diese Änderung, „eine grundlegende Neuausrichtung der Vergaberichtlinien dar“, werde doch damit die Prämierung von Literaturschaffen in jenen Sprachen, die in Österreich weder als Minderheitensprachen anerkannt, noch autochthon gewachsen sind, ermöglicht, so die Freiheitlichen in einer Presseaussendung.

Fazit: Für einen Literaten von der unbestrittenen Qualität des Herrn Lipuš, hätte man in der Literaturstadt Graz nicht „Statutenreiten“ müssen. Daß eine Grünen-Kulturstadträtin die Vergabe an einen Kärntner Slowenen aber gleich dazu instrumentalisiert, einen identitären Preis, der bisher für deutsche Literatur vorgesehen war, nun auf alle in Österreich gesprochenen und geschriebenen Sprachen zu erweitern, kann man wohl unter den Titel „Anlaß-Kulturpolitik“ subsumieren. Die Freiheitlichen hatten übrigens durchaus einen ausgewogenen Zugang zur Diskussion. Der im Kulturausschuß eingebrachte Kompromißvorschlag der FPÖ auf Ausweitung und Öffnung des Franz-Nabl-Preises hinsichtlich der in Österreich laut Verfassung anerkannten Minderheitensprachen Slowenisch und Kroatisch fand aber im Kulturausschuß keine Zustimmung.

 
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