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Gruhl und die Gründungsgrünen

Von Volker Kempf

 

Silke Mende versucht mit ihrer 2011 vorgelegten Dissertation „Weder rechts, noch links, sondern vorn“ neue Maßstäbe in der Zeitgeschichtsschreibung der Gründungsgrünen zu setzen. Dabei meidet Mende kritische Blicke auf die Einflüsse der K-Gruppen bei den Grünen. Symptomatisch hierfür ist, daß Mende zwar Rudolf van Hüllens einschlägig geltende Dissertation Ideologie und Machtkampf bei den Grünen von 1990 aufgreift, die die Rolle der K-Gruppen kritisch beleuchtet. Doch das sei einem „ideologischen Standpunkt“ (S. 27) geschuldet. Ideologisch sind immer die anderen, Mende natürlich nicht. Um so gespannter darf man auf die Argumentation über den führenden konservativen Gründungsgrünen Herbert Gruhl (1921–1993) sein, auf den ihr Buchtitel zurückgeht und der auch die von ihr am meisten zitierte Person darstellt. Für Mende scheinen Vertreter eines „grünen“ Konservatismus Totalaussteiger zu sein: „Feindbild war für ihn [Gruhl] die Industrie­gesellschaft als solche, ungeachtet ihrer ideo­lo­gi­schen Vorzeichen in Ost- und West.“ (S. 75) Tatsächlich aber führte Gruhl in Ein Planet wird geplündert (1975) mit Blick auf die Industrie­gesellschaft nur aus, daß sie den „künst­lichen Produktionskreis“ stelle, aus dem man gar nicht aussteigen könne. Er forderte daher Dinge wie den technischen Umweltschutz oder eine ökologische Steuerreform. Das zeugte von Reformbemühungen, wie sie zu einem Autor passen, der damals (seit 1969) noch für die CDU im Bundestag saß.
Es ist bezeichnend, daß Mende aus Gruhls Schriften nur Satzfragmente zitiert, die sie wie Puzzelsteine mit Sekundärliteratur bewaffnet neu zusammenfügt. Mit Hobbes etwa hantiert Mende gegen Gruhl, also mit einem „mathematisch-geometrische[n] Welt­bild“, von dem er in Ein Planet wird geplündert und in Himmelfahrt ins Nichts (1992) selbst aber schrieb, es sei zu einem „typisch mensch­liche[n] Hirn­ge­spinst“ erhöht worden. Mende meint, Gruhl habe doch geschrieben: „’Im Kampf ums Überleben werden die Men­schen auch zu allem bereit sein’“, weshalb es einer „’Weltregierung’ bedürfe, die „’mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet sein müßte’“ (S. 74). Aber im dazuge­hörigen Ka­pi­tel „Die planetarische Wende“ gilt das Zitat der Idee von der „einen Welt“. Diese Idee würde konsequent zu Ende verfolgt „die Folge der Diktatur“ zeitigen. Eine befürchtete Folge ist das Gegenteil von einem Plädoyer für etwas und richtet sich hier gegen gut gemeinte linke Weltrettungsversuche.
Gruhl stellte in Himmelfahrt ins Nichts klar, daß er die Möglichkeiten einer „totalen Weltregierung“ in Ein Planet wird geplündert geprüft und für „weder reali­sierbar, noch wünschenswert“ befunden hatte. Was Gruhl nicht mehr für nötig hielt deutlich zu machen ist, daß er auch auf nationaler Ebene eine Diktatur für nicht wünschenswert hielt. Er sah, anders als es Mende wahrnimmt, nur das Problem, daß das rechtsstaatlich unumgängliche Gewaltmonopol des Staates dabei sei geschwächt zu werden drohte. Der Staat habe „fast jede Autorität verloren“. Es entstehe der Eindruck, daß die Bekundungen der Bundesrepublik Deutschland nicht selten einen Ton anstimmten, „’als wolle sie sich dafür entschuldigen, daß es sie als Staat noch gibt’“, wie er Ernst Forsthoff zustimmend zitierte. Gruhl sah also den von der Gründergeneration der Bundesrepublik konzipierten staatlich gesetzten Ordnungsrahmen als geschwächt an. Geschwächt war damit ein ordoliberaler „Staat als Interessen­vertreter aller seiner Bürger“, der „im Konflikt mit den Unternehmungen und den Arbeitnehmern“ seine Richtlinienkompetenz einbüßte. Gruhl selbst wurde vor diesem Hin­ter­grund bald seiner umweltpolitischen Sprecherfunktionen in der Unionspartei und ihrer Fraktion ent­bunden.
Mende wundert sich, daß „die Rezensenten“ von Gruhls Bestseller zeit­genössisch „nur selten … die Einschränkungen von Freiheitsrechten“ (S. 76) aufgriffen, weil sie verkennt, daß Zeitgenossen noch nah genug an der kontextbezogenen Lektüre seines Buches dran waren, um es recht zu verstehen. Das mahnte zur Vorsicht. Diese fehlt Mende und spitzt munter alte Fehlinterpretationen zu. So würde „ausgehend von Gruhl und seiner GAZ die Brücke zu völ­kischbiologischem Gedankengut“ (S. 91) geschlagen. Der Assoziation nach wird man heute bei völkisch an den „Völkischen Beobachter“ der Nazis mitsamt ihrer antisemitischen Hetze denken. Oder ist es schon völkisch, wenn ein Bundestagsabgeordneter schwört, dem deutschen Volke dienen zu wollen? Solche Vagheiten haben Methode, insofern sie den Leser voreingenommen machen. Die nachgeschobenen Belege sind bei Lichte besehen entlarvend. Gruhls Co-Autorin Christa Meves (geb. 1925) habe beim Abfassen des familienpolitischen Teiles von Das grüne Manifest der Grünen Aktion Zukunft (GAZ) unter anderem geschrieben: Es „müssen die Mütter wieder dazu angehalten werden‚ ihre Kinder selbst zu stillen“ (S. 91). Das Stillen an der Brust, seinerzeit im Zuge allgemeiner Fort­schritts­be­­gei­sterung nur noch gering geschätzt, wird längst von UNICEF und WHO empfohlen und von der Wissenschaft zunehmend verstanden. Das Stillen ist hiernach die natür­liche und optimale Art einen Säug­ling zu ernähren und eine ein­zigartige biologische und emo­tio­nale Basis für die Entwicklung des Kindes.
Es würde den Rahmen sprengen, weitere Punkte aufzugreifen. Zu bemerken bleibt, daß der GAZ-Programmatik ein rotes Jahrzehnt (Gerd Koenen) unmittelbar voraus ging, in dem die Auffassung popularisiert wurde, intakte bürgerliche Familien würden den Konser­vatismus weiter­geben und damit ein Hindernis auf dem Weg zur angeblich überfälligen Systemüber­windung der Bundes­repu­blik darstellen. Mende betei­ligt sich hier also an einem gar nicht so neuen Überbie­tungs­wettbewerb, intel­lektuelle Köpfe aus dem konservativen Lager der „skep­tischen Ge­neration“ (Hel­­mut Schels­ky) mit Hilfe tendenziöser Darstellungen möglichst ewig­gestrig erscheinen zu lassen. Dafür gibt es Gelder der Deutschen Forschungs­gemein­schaft (DFG). Par­teinahe Stif­tungen, die sich über die Jahr­zehnte immer mehr Staats­gel­der zur Beute mach­ten, parti­zi­pie­ren an solchen Überbie­tungs­wettbe­wer­ben und koope­rieren mit Uni­ver­sitäten und Akademien. Journalisten sorgen dafür, in der Tagespresse alles weiter zu verbreiten. Was entsteht, ist das Berufs­bild Söld­ner für den Klassen­kampf und die Priester­herrschaft der Intel­lektuellen. Schelsky meinte das 1975 noch mit einem sati­rischen Unter­ton. Das dürfte heute  – mehr denn je – angemessen sein.

 
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