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Deutsche und Österreicher

 
Von Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker

Eigentlich befaßt sich die NO nur am Rande mit tagespolitischen Ereignissen, da sie als Vierteljahresschrift ergänzend zu den Wochen- und Monatsmagazinen eher grundsätzliche Fragen und langfristige Entwicklungen behandeln will. Doch die Vorgänge rund um den ESM sind für unsere Zukunft so bedeutend, daß wir in dieser Nummer eine topaktuelle Analyse des Entscheids der deutschen Bundesrichter in Karlsruhe aus der Feder von Univ.-Doz. Dr. Friedrich Romig bringen. Wie geht es weiter? Den Weg in einen echten Bundesstaat mit übergeordneter Budgetkompetenz etc., wie ihn etwa Außenminister Spindelegger will, hält Romig mit guten Gründen für nicht beschreitbar und ein weiteres Durchwurschteln mit immer neuen Rettungsschirmen für Griechenland und eine steigende Anzahl weiterer Staaten wird ohne Zweifel in einen Kollaps führen, der die EU als solche in den Abgrund stürzen könnte. Für Romig bleibt als einzige Lösung die möglichst zügige Renationalisierung der Währungen.

Auch Dr. Hans-Dietrich Sander befaßt sich in seinem Kommentar mit der galoppierenden Krise und meint, der Euro wäre vor allem eingeführt worden, um die Dominanz der D-Mark zu brechen und auch in der heutigen Lage ginge es in der EU in erster Linie darum zu verhindern, „daß sich Deutschland wieder aufrappelt – es wären dann die beiden Weltkriege vergeblich geführt worden“. So sehr ich Sander schätze, kann ich ihm in diesem Punkt jedoch nicht rechtgeben. Welches Deutschland sollte sich da „aufrappeln“, mit einer schrumpfenden Einwohnerzahl gegenüber Weltmächten wie den USA mit der 5fachen Bevölkerung der BRD (rechnet man nur die autochthonen Deutschen), gegenüber China und Indien mit fast der 20fachen Bevölkerungszahl? Allein die demographische Entwicklung wird Deutschland und alle anderen europäischen Länder vor so gewaltige Probleme stellen –und zwar auch dann, wenn die Immigrationsfrage wider Erwarten doch noch im Sinne der europäischen Völker gelöst werden kann -, daß die nächsten Jahrzehnte nahezu ausschließlich von ihr beherrscht sein werden. Das alternde und schrumpfende Europa ist keine Gefahr für andere Weltmächte mehr, höchstens Objekt der Begierde. Natürlich wird man nachdenklich, wenn man – wie unter „Zitiert“ auf S. 5 - liest, welche Rolle die USA bei der aufgezwungenen türkischen Massenimmigration in die BRD spielten. Doch die USA wollen alle Welt in kleine Klone ihrer selbst verwandeln, nicht nur uns. Die Misere, in der sich Deutschland mit seinem großen Bevölkerungsanteil nichteuropäischer Zuwanderer befindet, ist etwa in Frankreich oder England noch viel größer. Auch dort haben die Eliten ihr Volk verraten und – wie bei Englands Labour Party aktenkundig – aus parteitaktischem Interesse die Zuwanderung gefördert.

Hat, wie Stephan Baier in seiner Analyse meint, bei der Schaffung des Euros nicht der Gedanke Pate gestanden, damit über eine Hartwährung zu verfügen, die dem Dollar auf den Weltmärkten Paroli bieten könnte – eine Art erweiterte D-Mark mit bald 300 statt nur 80 Millionen Menschen als Basis? Wären die vereinbarten Stabilitätskriterien eingehalten worden, der Euro hätte diese Funktion erfüllt. Doch sie wurden nicht eingehalten – auch von Deutschland und Österreich nicht. Man kann nur Hartwährungspolitik betreiben oder Weichwährungspolitik. Tertium non datur. Daher halte ich es für die sinnvollste Lösung, daß jene Länder, die ersteres wollen, unter strengen Kriterien zusammengeschlossen bleiben – um dem Euro auf den Weltmärkten die denkbar beste Position zu verschaffen – und alle anderen, die dies nicht wollen oder können, zu anderen Lösungen greifen, ob diese nun eine eigene Währung oder einen gemeinsamen, weicheren Währungsverbund bedeuten.

Gegenwärtig geschieht nichts von dem, die EU macht die Krise, in die die europäischen Länder durch ihr selbstverantwortetes, nationalstaatliches Handeln gestürzt sind, nur noch schlimmer. Das sieht auf anderen Politikfeldern nicht besser aus. Auch in der Immigrationsfrage stehen die Institutionen der EU weit eher auf der Seite der Treiber als jener der Bremser oder gar Rückführer. Wie geht es weiter?

Ich stimme Stephan Baiers Analyse voll zu, daß Europa aufgrund der geopolitischen, vor allem demographischen Entwicklungen aus vitalem Selbstbehauptungsinteresse zu einem Zusammenschluß, einem gemeinsamen Vorgehen finden muß und daß dazu die europäische Integration der gebotene Weg ist. Wenn dieser aber in die falsche Richtung führt, wenn die europäische Vielfalt (und die daraus erwachsende Konkurrenz), die seit jeher die genuine Stärke dieses Kontinents ausgemacht hat, durch falsche Vereinheitlichung und Zentralisierung gefährdet wird, wenn gar die EU, wie die beiden genannten Beispiele zeigen, gerade jene Zwecke torpediert, zu deren Verfolgung sie eigentlich geschaffen worden sein sollte –die weltpolitische Stärkung unseres Kontinents und die Bewahrung seiner Identität – dann ist die Zeit gekommen, alternative Wege zu gehen. Alternative Wege, die, wie gezeigt, nicht antieuropäisch, sondern anders-europäisch sein müßten.

Noch ist es aber nicht so weit, noch hat nicht einmal die FPÖ ein echtes, durchdachtes Alternativprogramm vorgelegt, und nationale Parteien in anderen Ländern auch nicht. Noch geht es um die konkreten Beschlüsse unserer Politiker zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise. Ich bin mir nicht sicher, ob hier nicht schon Kompetenzen und verfassungsrechtliche Verpflichtungen in strafrechtlich relevanter Form überschritten wurden – eine Frage, deren Klärung sich Juristen annehmen sollten. Wie ist etwa das Abstimmungsverhalten der österreichischen Grünen – gegen eine europäische Schuldenbremse, aber für österreichische Megahaftungen zugunsten der Schuldnerländer - erklärbar, wenn nicht damit (siehe Zitate auf S. 9), daß hier der alte linksradikale Affekt wirksam ist, nach dem man alles tut, was dieses Land ruiniert und alles zu verhindern sucht, was dieses stabilisieren könnte!

 
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