Archiv > Jahrgang 2000 > NO IV/2000 > Das Heilige Römische Reich und die Deutschen 

Das Heilige Römische Reich und die Deutschen

Von Thomas Jentzsch

Alle Völker haben in der Heilsgeschichte Gottes eine Sendung, und so auch das deutsche Volk, und zwar keine geringe. Diese Besinnung auf die heilsgeschichtliche Grundlage Deutschlands ist auch der einzig gangbare Weg, endgültig und entschieden davon abzurücken, die deutsche Geschichte auf die zwölf Jahre des „tausendjährigen Reiches“ einzuengen und diese zu verabsolutieren, samt den ständig wachgehaltenen Schuldkomplexen. Es gilt, die Erinnerung an eine große, jahrhundertelange, kontinuierliche deutsche Geschichte wieder aufzunehmen. Wir sollen wieder zu Recht unser von Gott gegebenes Volkstum lieben und den Auftrag wieder annehmen, den Gott dazu mitgegeben hat.

Am 10. Juni dieses Jahres jährte sich zum 810. Mal der Todestag von Kaiser Friedrich I. Barbarossa, einem der mächtigsten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der auf dem dritten Kreuzzug in Kleinasien beim Durchqueren des Bergflusses Saleph, wohl von einem Strudel erfaßt, vom Pferd gerissen wurde und im eisigen, schnellfließenden Bergwasser den Tod fand. Andere Überlieferungen sprechen davon, der Kaiser sei bei einem Bad in dem kalten Wasser vom Herzschlag getroffen worden und untergegangen. Nach längerer Suche konnte nur noch der entseelte Leichnam, am Ufer angeschwemmt, geborgen werden. So fand der erfolgversprechende dritte Kreuzzug, von deutscher Beteiligung her gesehen, vor den Toren des Gelobten Landes ein bitteres Ende. Hatte ja schon Sultan Saladin angesichts des Erscheinens des disziplinierten, heldenhaften kaiserlichen Heeres seinen Rückzug aus Palästina angetreten.
Kaiser Friedrich Barbarossa gilt als das Modell eines Kaisers, was Ansehen, Macht und Sendungsbewußtsein betrifft.
Welches Reich beherrschte der Staufer? Das Heilige Römische Reich erstreckte sich von der Nordsee bis an das Gebiet von Rom, vom Königreich Burgund im Westen bis nach Schlesien und Pommern im Osten. Diese Ausdehnung des Heiligen Römischen Reiches zeigt, daß es sich nicht auf Deutschland beschränkte. Es zeigt uns, daß Deutschland im Reich gelegen, aber nicht das Reich selbst war. Das alte Reich war kein Nationalstaat.
Es war die Klammer, der gemeinsame Lebensraum von verschiedenen Völkern und Staaten, ein Zusammenschluß und Bündnis verschiedener Herrschaften, so der deutschen Herzogtümer der Baiern, Franken, Schwaben, Sachsen, Lothringer, der Königreiche Böhmen, Burgund und der Langobarden, von Grafschaften, Marken und freien Städten. Das Reich war also übernational, ein Verband von relativ selbständigen Herrschaften unter einem gewählten Oberhaupt, das seinerseits auch ein Landesherr war (Barbarossa war zugleich Herzog von Schwaben).
Das Reich war eine völkerverbindende Institution, ein reger Austausch von verschiedenen Völkerschaften im selben „Staatswesen“. Reichspolitik bedeutete, – und damit teilte Friedrich Barbarossa die Auffassung Ottos III. –, deutsche und nichtdeutsche Völkerschaften föderativ zu vereinen, nicht aber eine deutsche Vorherrschaft über die Nachbarn auszuüben. Nach außen wurde keine Eroberungspolitik betrieben, sondern der Versuch unternommen, andere Herrschaftsgebiete, so besonders Polen und Ungarn, wie Bundesgenossen und Freunde an das Römische Reich zu binden, als Mitarbeiter für das Reich.
Dieses christliche Imperium sollte ein Völkerverband sein, dessen Würde und Vorrangstellung vor völkischen Königreichen durch die Person des Kaisers dargestellt und garantiert wurde. Der Kaiser selbst anerkannte in Respekt und Achtung die „nationalen“ Eigenheiten der Völker, ja, er garantierte durch Privilegien selbst den Schutz von Minderheiten, einschließlich der Juden.
In der Geschichte ist das Reich das weltliche Gegenstück zur Kirche gewesen, das Corpus Christianum (politische Körperschaft der Christenheit) in Korrespondenz zum Corpus Christi mysticum (Kirche als mystischer Leib Christi). Das oberste Hirtenamt des Papstes stand in Beziehung zum obersten weltlichen Amt des Kaisers. Das Amt des Kaisers bedeutete Verpflichtung gegen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche und somit verantwortliches Handeln vor Christus, dem Herrn aller Welten, dem Pantokrator.
Durch die Kaiserkrönung Karls des Großen zu Weihnachten des Jahres 800, vollzogen durch den Papst, erhielt Karl Sendung und Weihe und so die Sendung und Weihe seines Reiches zum Römischen Reich und zum Nachbilden des himmlischen Jerusalem als der civitas Dei (Gottesstaat). Der Kaiser stellt sich bewußt in die Nachfolge Christi und will starker Arm der Kirche sein, die Interessen Christi in der Welt zur Geltung zu bringen. Von daher ist die Grundorientierung des Kaisers auf Rom und auf das Papsttum zu sehen: Die Kirche als die Stiftung des Gottessohnes ist die einzige legitime Macht, um ein Staatswesen von innen her aufzubauen und zu festigen. Darin liegt der Grund des universalen Königtums Christi.
Die Idee des Reiches als einer übernatürlichen christlichen Staatenfamilie und dem katholischen Glauben verpflichtet, wurde als ein Gut geschätzt, als eine Friedensordnung in dieser Welt. Darin liegt das Bemühen um eine Nachbildung des Vorbildes, des kommenden Reiches Christi, darin liegt die eschatologische Ausrichtung des Heiligen Reiches, des sacrum imperium.
Der Kaiser verstand sich als Träger einer von Gott verliehenen Macht und wußte sich von daher dem göttlichen Recht unterworfen. Er, der Verwalter des Reiches als des Typus des kommenden Gottesstaates, mußte Gott Rechenschaft ablegen. So sah er sich als Repräsentant des universalen Königtums Christi auf Erden zur Erbauung und Sicherung der friedlichen christlichen Ordnung und als weltlicher Schutzherr der Kirche, die die Garantin des Reichsbestandes war. Das Ziel der Politik war nicht Weltherrschaft, sondern Weltgeltung als Vorbild und Muster.
Das Reich gipfelte in der Würde der Kaiserkrone. Programmatisch ist die christliche Staatsidee auf der Reichskrone bildhaft dargestellt: vier Bildplatten der oktogonalen Krone zeigen Szenen aus dem Alten Testament: König David, König Salomon, König Ezechias und die Vision der Majestät des Herrn bei Isaias.
Die Aufgabe des Kaisers ist demnach: Regieren in Recht und Gerechtigkeit zum Verwirklichen eines Friedensreiches. Abhängig ist der Kaiser von der Gnade Gottes und in Huldigung unterworfen dem Willen Christi: Er soll Christus nachahmen (imitatio Christi), und als Abbild Christi, des Weltherrschers, erscheint im Kaiser selbst das Bild Gottes (imago Dei). Dafür waren David und Salomon der Typus, das auf Christus hinweisende Vorbild. Das irdische Reich war zwar nicht Christi Reich, war nicht die Stadt Gottes, aber dieses Reich sollte von Christi Kraft erfüllt und von Ihm her gestaltet werden, damit die irdischen und überirdischen Kräfte eins würden aus dem Willen Christi. Er muß herrschen (1. Kor. 15, 25)! Das Reich und insbesondere Deutschland als Träger und Kernland sollten ein Musterbeispiel der gottgegebenen biblischen Beziehungen von Kirche und Staat sein, da ja der Kaiser anders als der König, bei dem das völkische Element zum Tragen kommt, gleichsam „amtsmäßig“ auf den Papst orientiert ist.
Nach der Theologie der Reichskrone ist der Kaiser der erste Christ, der kraft seiner Taufe im allgemeinen Priestertum den Staat als oberster Laie, gleichsam mit hohepriesterlichem Grundzug, Gott darbringt als Gabe seines Glaubens und in Huldigung an Christus. Dies drücken besonders die Stirn- und Nackenplatten der Reichskrone aus, die in ihrer Anordnung der zwölf Edelsteine an den Choschen, den Brustschild der alttestamentlichen Hohenpriester, erinnern. Zugleich sind damit die zwölf Grundsteine des himmlischen Jerusalem der Apokalypse ausgedrückt: Der Staat soll sich auf Gott hinbewegen und in ihm sein Ziel finden. Das ist die eschatologische Ausrichtung der Reichsidee. Also steht das deutsche Kaisertum tief im biblischen Denken.
Die kaiserliche Macht ist so geläutert worden zum Aufbau einer öffentlichen Ordnung nach christlichen Maßstäben, als vor Gott verantwortete Macht. Nicht der Wille Kaisers ist Gesetz, sondern die Machtausübung steht in Bezug zur sittlichen Erlaubtheit. Dies ist die Frucht der Hinwendung des Staates zur Kirche seit Konstantin dem Großen, als ein Prozeß über Jahrhunderte: über Theodosius den Großen und Justinian bis zu Karl dem Großen und den nachfolgenden deutschen Kaisern. Der Staat als Universalstaat auf christlicher Basis – das war die tragende Idee des Heiligen Römischen Reiches.

Deutschlands Aufgabe

Reichsaufgabe war es, neue Welt für die christliche Gemeinschaft zu gewinnen. Nach der Aufteilung des Reiches Karls des Großen ging die Kaiserwürde mit Otto dem Großen auf die Deutschen über, und damit die Reichssendung. Reichsaufgabe im besonderen war es, das Glaubensgut in neuberührte Völker zu tragen, ferner die Ostgrenze gegen heidnische Einfälle zu sichern.
Von der geographischen Lage in der Mitte Europas her, als Brücke von West zu Ost, wurde Deutschland die abendländische christliche Mission zur Pflicht auferlegt. Von daher hat Deutschland eine weltgeschichtliche Sendung zu erfüllen: Als Land der Mitte ist es geistig im Westen verankert – im ehemaligen Frankenreich Karls des Großen gelegen – und an Rom gebunden durch die Missions- und Aufbauarbeit des hl. Bonifatius. Aber die Missions- und Kulturarbeit war nach Osten gerichtet.
Durch die offene Ostgrenze bedingt, wurde das deutsche Volk zur Reichsaufgabe berufen; es mußte sich dieser christlichen Aufgabe der Sicherung der bedrohten Ostgrenze, der Mission und Kultivierung unterziehen, bis bei den östlichen Völkern das Christentum Wurzeln gefaßt hatte und bis die Kraft der Türken gebrochen war. Reichsaufgabe bedeutet Aufgabe gegenüber der Außenwelt, Aufgabe für den Glauben.
So haben schon polnische Könige und auch der hl. Stephan von Ungarn deutsche Siedler zur Missionierung und Kultivierung angeworben. Die organische Besiedlung des deutschen Ostens während des ganzen Hochmittelalters. Jahrhunderte später, nach dem Zurückdrängen der Türken aus dem von ihnen besetzten Ungarn, bald nach der Eroberung Belgrads 1717, ließ der kaiserliche Feldherr, Prinz Eugen von Savoyen, Deutsche zur Besiedlung der durch die fremde Besatzung verwüsteten und entvölkerten Landstriche des Donauraumes anfordern. Es sollte keine militärische Sicherung der befreiten Gebiete sein, sondern eine Sicherung durch Ansiedlung. Damit haben die Habsburger deutsche Siedler betraut, vor allem schwäbische, um durch Schutz und Erhaltung des Bodens einen Schutzwall für das christliche Abendland zu bilden. Bei der Urbarmachung des Bodens im Südosten zeigten sich aufs neue deutsche Tugend und Organisationstalent, Mut und Fleiß sowie echte Frömmigkeit, wie schon im Mittelalter bei der Urbarmachung, Kultivierung und Christianisierung des deutschen Ostens in Schlesien und Preußen.
Sehr schön kommt das Deutschtum im Osten zum Ausdruck im Lied der Buchenlanddeutschen (Bukowina):

Traute Welt der goldnen Ähren,
Wälder, Fluren wunderbar,
über Wipfeln schneebedeckt
wacht des Himmels Sternenschar.
Das ist am Karpatenrand
Gottes grünes Buchenland.
In den Bergen, in den Hütten,
bunter Stämme Liebe webt,
und der Deutsche schlicht inmitten
als ein wahrer Bruder lebt.
Deutscher Geist durch deutsches Wort
ist der beste Friedenshort.
Dräuet Sturm und Ungewitter,
wankt der Damm in finstrer Nacht,
hält im grünen Land der Buchen
deutsche Treu die Feuerwacht.
Wo der Pflug die Scholle sucht,
folgen heilig Recht und Zucht.
Traute Welt der goldnen Ähren,
Wälder, Fluren wunderbar,
über Wipfeln schneebedeckt
wacht des Himmels Sternenschar.
Das war am Karpatenrand
Gottes grünes Buchenland.

Deutschland selbst war eingegliedert in das die Nationen überspannende Heilige Römische Reich. Die Deutschen als Reichsvolk und mit Österreich (Habsburg) als Kraftzentrum und Kern des Reiches stellten sich ganz in den Dienst der Reichsaufgabe: Missionierung, Ausbreitung der christlichen Kultur in den heidnischen Osten, später Mitaufbau eines christlich gewordenen Ostens und die Abwehr antichristlicher Angriffe aus dem Osten (Türkei).
So fand das Deutschtum, eingebunden in das Reich und in die Reichsaufgabe, seine Sendung, sein Maß und seine Erfüllung. Die Deutschen führten gleichsam ein zweifaches Leben: als raumgebundenes Siedlungsvolk in den westlichen und mittleren Breiten der Erdteilsmitte und dann als stärkste Träger einer den deutschen Raum weit übergreifenden Idee, nämlich der Reichsidee als des universalen Gottesstaates, des corpus Christianum. Darin fand und verwirklichte sich deutsches Wesen, darin trug Deutschland zu einer europäischen Friedensordnung bei, darin fand Deutschland den internationalen Anschluß und Ausgleich und sein Gleichgewicht. Das Reich war kein national-deutsches Reich, war kein Nationalstaat. Die Grenzen des Deutschtums im Osten nach Polen zu, nach Böhmen, Mähren, Ungarn und in den südslawischen Bereich, waren nicht fest, sondern übergehend, fließend, offen. Ferner gab es deutsche Siedlungsgebiete, ganze Landstriche, inmitten anderer Völker.
Wie das Reich selbst, so hatte auch Deutschland die Struktur eines genossenschaftlichen Wesens, das den einzelnen Völkern und Stämmen in der Zuordnung auf ein christliches Kaisertum gute Freiheiten beließ.

Der Nationalstaat

Die erste große Erschütterung des Reichsgefüges, der Zusammenprall der Kräfte im Reich, wurden ausgelöst durch die Glaubensspaltung Luthers. Doch das Reich fiel nicht auseinander, hatte allerdings seinen ausschließlich katholischen Charakter eingebüßt. Die katholischen Herrschaften und Fürstbistümer erwiesen sich als stark genug.
Mit dem Entstehen des Nationalstaates in Frankreich ging eine Rationalisierung der Staatsregierung nach den „Gesetzen der Vernunft“ Hand in Hand, was schon die absolutistischen französischen Könige begonnen hatten. Alles soll vernünftig, überschaubar, praktisch werden. Das oberste Gebot der Vernunft wäre die Vereinheitlichung der Staatsregierung und Zentralisation, Machtkonzentration in der Regierung. Privilegien, Sonderrechte, alle Traditionen von Volksgruppen und Minderheiten müßten auf einer nationaler Basis vereinheitlicht werden.
Die Allmacht des Staates kündigte sich an, die es im Reich nie gab, weil in ihm als lehensrechtlichem Verband oder, modern umgesetzt, als föderalistischem Staatenbund Mitherrschaft, Mitverantwortung und Mittragen des Reiches durch die Herrschaftseinheiten in der „Verfassung“ traditionell verankert waren. Das Unheil über Deutschland brachte Napoleon, als er durch seine „kaiserlichen“ Eroberungen den letzten römischen Kaiser, Franz II., zwang, die Kaiserkrone niederzulegen (6. 8. 1806).
Aus dem Reich entstanden durch Beraubung des Kircheneigentums (Säkularisation) und Auflösung (Mediatisierung) der kleinen Herrschaften eine Fülle von selbständigen Staaten. Dieser Zustand, Deutschland als Gebiet mit vielen souveränen Staaten ohne gemeinsames Oberhaupt, blieb auch nach dem Wiener Kongreß bestehen. Das war eigentlich die totale Zerschlagung des Reiches und die Zersplitterung Deutschlands in lauter selbständige Staaten.
Dieses unnatürliche, engkarierte und eigensüchtige Gebilde konnte nicht von Dauer sein. Im Zuge der modernen Nationalbewegung war der Ruf nach Einheit der Nation immer lauter geworden. Diese neue Idee des Nationalstaates stammt aus der Französischen Revolution, wonach eine Volks-Nation den Staat ausmachen soll.
Diesen Ruf erfüllte schließlich Preußen auf seine Weise, indem Bismarck einen deutschen Nationalbundesstaat schuf. Die deutschen Fürstentümer kamen unter preußische Vorherrschaft. Die Tragödie war, daß der legitime Einfluß des kaiserlichen, habsburgischen Österreich als Repräsentationsmacht der deutschen Staaten durch Bismarck ausgeschaltet und Deutschland auf sich selbst beschränkt wurde. Das Ende des alten Deutschland war die Schlacht bei Königgrätz 1866, wo Preußen siegte und Österreich aus Deutschland verwies. Dieser Sieg Preußens leitete letztlich den Sieg des Nationalismus im deutschen Raum ein, den Bismarck so nicht gewollt hat. Der Nationalismus bedeutet den Bezug nur auf sich selbst, das Verlieren der universalen, völkerverbindenden Schau des traditionellen Deutschtums und den Verlust des Verantwortungsgefühls für die Nachbarvölker.
Wir erkennen den krassen Bruch mit der Reichsidee: die Reichsidee nämlich als Konföderation im Sinne des Miteinander, Einbindung in ein natürliches Gesamt und Wahrung der Rechte und Freiheiten. Diese reichische Haltung hat einst die Deutschen im Dienst an ihr charakterlich geformt. Dies drückt sich aus durch Respekt vor anderen Völkern und die Bereitschaft, mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie bei ihnen selbst mitarbeiten zu lassen, verbunden jedoch mit einer Treue und Hochschätzung des eigenen Volkstums. Es war eine tausendjährige Indienstnahme des Deutschen für das Reich.
Indem Deutschland sich durch den Nationalstaat auf sich selbst beschränkte, wurde das Gleichgewicht in Mitteleuropa gestört. Der letzte, tragische, nicht mehr geahnte Abgrund des Irrweges, der Verführung und des Abfalls von der deutschen Bestimmung vor Gott war der totale Nationalismus. Das säkularisierte, preußisch-national orientierte „zweite Reich“ entartete völlig im sogenannten „Dritten Reich“. Unter Hitler wurde die Idee des Reiches zum Götzen gemacht, zum schlechthin entchristlichten Staat, der raffiniert mit der Vorstellung des ersten mittelalterlichen Reiches die Massen anlockte und Reichsbegeisterung erregte.

Der Weg in die Zukunft

Der Ausweg kann nur ein neues Deutschland sein, das heißt die Rückkehr zu den alten Quellen deutscher Frömmigkeit und Gottbezogenheit, auf daß Gott Deutschland eine neue Sendung gebe für das Abendland und Europa. Die deutsche Staatskunst liegt nicht im zentralistischen Staat (was zwar auch technisch beherrscht würde), sondern im föderativen Staatswesen, einbezogen in ein übernatürliches Gesamt.
Diese Seelenhaltung des Deutschen, der Sinn für Eigenständigkeit, gepaart mit Freiheitssinn, dazu die Fähigkeit, mit anderen zu kooperieren und sich mit anderen im Verbund zusammenzuschließen (Konföderation), um so Zusammenarbeit entstehen zu lassen, dieser Charakter liegt im germanischen Wesen begründet und hat seine Form und Veredelung im alten Reich erfahren, dessen geistiges Fundament der katholische Glaube war.
Das war deutsche Staatskunst, die bis zuletzt im Vielvölkerstaat der habsburgischen Donaumonarchie als dem Rest des alten Reiches gegenwärtig war. Die letzte Stimme deutscher Staatskunst war gegen Ende des Ersten Weltkrieges das Völkermanifest des letzten Kaisers von Österreich, Karls I.: „Meine Regierung ist beauftragt, zum Neuaufbau Österreichs ohne Verzug alle Arbeiten vorzubereiten. An die Völker, auf deren Selbstbestimmungsrecht sich das neue Reich gründen wird, geht Mein Ruf, an dem großen Werke durch Nationalräte mitzuwirken, die, gebildet aus den Reichsratsabgeordneten jeder Nation, die Interessen der Völker zueinander sowie im Verkehr mit Meiner Regierung zur Geltung bringen. So möge unser Vaterland, gefestigt durch die Eintracht der Nationen, die es umschließt, als Bund freier Völker aus den Stürmen des Krieges hervorgehen.“
Kaiser Karl war das letzte große Angebot Gottes für eine Friedensordnung in der europäischen Mitte im Sinne des Reiches mit dem alten Prinzip der Konföderation gegen den absolutistischen Zentralismus und nationalistisches Eigennutzdenken. Auch auf ihn kann man die Stelle im Johannesprolog beziehen: „Er kam in sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Das Konzept Kaiser Karls gewinnt aber gerade heute Aktualität und weist den Weg in eine neue Zukunft für die Mitte Europas.
Die Christliche Reichsidee bestand im germanisch-fränkischen Bereich von Karl dem Großen über Otto den Großen bis 1806. Weitergeführt wurde sie in der Donaumonarchie bis 1918: über tausend Jahre. Das Bismarckreich bestand siebenundvierzig Jahre, das „Dritte Reich“ zwölf Jahre. Eines ist klar: Warum bestand das tausendjährige Heilige Römische Reich? Weil es auf Christus hin orientiert war. Die letzten Zeiten waren für Deutschland der „Ausnahmefall“.
Die Übernahme des Nationalstaates von Frankreich, die Ausgrenzung anderer einerseits und das Erringen der eigenen nationalen Größe andererseits bedeuteten für Deutschland Konflikte, Kampf und Krieg. Die Kraft des deutschen Volkstums war im alten übernationalen Reich eingegliedert in einen großen Organismus von Völkern.

Deutschland, das Israel des Neuen Bundes

Doch die deutsche Sendung kann man letztlich nur übernatürlich begreifen, von Gott her gesehen als eine Bestimmung. Was ist die Wurzel des Deutschen bezüglich seiner Weltaufgabe im christlichen Sinn, die eben die Reichsaufgabe war?
Die deutsche Sendung weist eindeutig auf Israel hin, auf das Königtum Davids. Wie Israel ein Gottesstaat war, wo die Religion das öffentliche Leben geprägt hat, wo der König berufen war, das Volk im Glauben zu erhalten und zu schützen, so ging diese Sendung und Aufgabe über den Papst an den deutschen König als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches über. Auffallend ist ferner, daß der Patron Israels als des Gottesvolkes im Alten Bund und der Patron Deutschlands der hl. Erzengel Michael ist, der Verteidiger des Volkes Gottes. Im Neuen Bund nimmt Deutschland die Sendung Israels ein für die Kirche.
Das deutsche Volk trug die Reichsaufgabe, und deshalb wurde es der Gegenstand des Ringens. Der dämonische Einfall galt dem Ziel, diese Schau Gottes aus dem Herzen des Volkes zu reißen, um durch eine Schwächung die Macht Christi zu unterhöhlen. Dieser Kampf blieb lange Zeit unerkannt, die Menschen langsam in diese Entwicklung hineinziehend.
„Unwiderruflich sind die Gnadengaben und Berufungen Gottes“ (Röm. 11, 29). Das gilt nicht nur für Israel im Alten Bund, das gilt auch im Neuen Bund für die Berufungen, die von Gott in seinem Heilsgeschehen gesetzt worden sind. Im Urteil der Kirche, in den Augen Gottes hat das Heilige Römische Reich als die Herzmitte und Verkörperung christlicher Zivilisation weiterhin Bestand als ideelle Wirklichkeit und somit auch die Bedeutung Deutschlands im Heilsplan Gottes. So hat Papst Pius VII. die Ablegung der Reichskrone durch den letzten Kaiser Franz II. nicht anerkannt und betont, daß diese Institution weiter besteht als bleibende Aufgabe für uns und für die Zukunft.
Da eben dieser besondere Auftrag Gottes für die Deutschen – die Sendung für die Kirche und Schaffung einer christlichen Völkerkonföderation – in entscheidenden Stunden der deutschen Geschichte verleugnet wurde, belegte Gott unser Land mit dem Zeichen des Kreuzes zu Buße und Umkehr: die durch die Reformation hervorgerufene religiöse Teilung Deutschlands in Nord und Süd und die nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte Teilung in Ost und West.
Deutschland – ein Land unter dem Kreuz. So klagt auch der Prophet Jeremias, angewandt auf das deutsche Volk: Warum wendet dieses Volk sich ab in beständiger Abkehr, klammert sich fest am Trug und verweigert die Umkehr? (8, 5).
Es möge dieses Wort des Propheten Jeremias sich enthüllen: „Kehrt zurück, abtrünnige Söhne“ – Spruch des Herrn, „denn ich bin euer Gebieter! Dann verleihe ich euch Hirten, die nach meinem Herzen sind, diese weiden euch voll Einsicht und Klugheit“ (3, 14. 15).
Und der Prophet Isaias: „Völker werden deine Gerechtigkeit schauen und alle Könige deine Herrlichkeit. Du wirst mit einem neuen Namen genannt, der geprägt wird vom Munde des Herrn. Du wirst eine prächtige Krone sein in des Herrn Hand, ein Königsdiadem in der Hand deines Gottes.“
„Dann nennt man sie ‚heiliges Volk?, ‚Erlöste des Herrn?“ (Is. 62, 2. 3. 12).
„Seine Wege sah ich und will es nun heilen und leiten und Tröstung ihm schenken“ (Is. 57, 18).

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com