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Kirchenverfolgung in der Tschechoslowakei vor 50 Jahren

Von Dr. Alfred Schickel

„Vergessene Kirchengeschichte“

Wie die Deutschen ihre Geschichte fast chronisch nur auf die zwölf „Hitler-Jahre“ verkürzt vor Augen geführt bekommen, reduzieren die passionierten „Vergangenheitsbewältiger“ das kirchengeschichtliche Wirken Papst Pius' XII. in ihrer Kritik fast nur auf die sechs Jahre vor 1939 bis 1945, in welchen er es als Pontifex mit dem NS-Regime zu tun hatte. Daß er doppelt so lange in Auseinandersetzung mit dem nicht minder atheistischen Sowjetkommunismus stand, scheint weitgehend vergessen. Die Erinnerung an die Vorgänge vor 50 Jahren in der damaligen Tschechoslowakei macht dies beispielhaft deutlich und erscheint im Sinne einer umfassenden Rückbesinnung geboten. Drängen sich doch manche Vorkommnisse wie Parallelen zu Vorfällen im „Dritten Reich“ auf.

Da inszenierten die Prager Kommunisten im Frühjahr 1950 einen breit angelegten Prozeß vor dem Staatsgerichtshof und beschuldigten hohe katholische Ordenspriester des „Hochverrats, der Spionage und der Verschwörung gegen den Staat“ – wie fünfzehn Jahre zuvor die braunen Machthaber hohen katholischen Geistlichen „Devisenschieberei“ nachsagten und Ordensleute wegen angeblicher Sittlichkeitsdelikte vor Gericht brachten. Einziger Unterschied zwischen roter und brauner Verfolgungsjustiz: das unterschiedlich hohe Strafmaß. Die am 5. April 1950 verurteilten „Hauptangeklagten“, Institutsrektor P. Mastilak, Prämonstratenserabt Machalka und Jesuitenprovinzial Silhan erhielten lebenslänglich bzw. 25 Jahre „schweren Kerker“ sowie Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Offen bekannte das Prager „Gericht“ in der „Urteilsbegründung", daß es in dem Prozeß nicht so sehr um die einzelnen Personen gegangen sei als vielmehr „um die Verurteilung der staatsfeindlichen Tätigkeit ganzer Kongregationen und Orden, die gegen die Republik und ihr Volk" arbeiteten. Als sich der Vatikan gegen die ergangenen Urteile verwahrte und die angeführten Gründe als unberechtigt zurückwies, antwortete das Prager Regime mit der Anordnung, den Großteil der katholischen Klöster zu schließen. Die betroffenen Mönche und Nonnen wurden in die noch verbliebenen Ordenshäuser verbracht und verpflichtet, „sich ausschließlich religiösen Tätigkeiten zu widmen“. Die Zwangsmaßnahme wurde mit der Behauptung begründet, „daß viele Klöster dazu mißbraucht“ würden, „um feindliche Agenten, Spione und sogar Mörder zu verbergen“. In einigen Klöstern seien auch Waffen und Geheimsender entdeckt worden. Vorwände, wie sie zehn Jahre zuvor die Mitbrüder Pater Maximilian Kolbes im Franziskanerkloster Niepokalanow von den deutschen Besatzern gehört hatten. Und weil sich das kommunistische Regime an der Moldau auch in dem Versuch der ideologischen Abwerbung an den braunen „Vorgängern“ ein Beispiel nahm, suchte es durch die Einforderung eines „Eides der Loyalität für die Regierung“ Geistliche auf ihre Seite zu ziehen und damit die Stellung der Kirche zu schwächen. Eine rote Variante der „Los-von-Rom-Bewegung“ der Nationalsozialisten. Mit dem Ergebnis, daß sich doch einige Prälaten auf diesen „Treueeid“ einließen. Etwa der Dekan Johann Dechet, der sich von der staatlichen Kirchenbehörde zum Administrator des vakanten Bischofstuhls von Neusohl ernennen ließ. Der Vatikan reagierte auf diese Kollaboration mit der Exkommunikation Dechets und statuierte gleichsam ein Exempel seiner Entschlosssenheit – wie sie „Vergangenheitsbewältiger“ posthum gern von Pius XII. für die Zeit des „Dritten Reiches“ fordern.
Mit welcher möglichen Folge, verdeutlichte eine Konferenz katholischer Priester am 6. Juli 1950 im mährischen Velehrad. Die Teilnehmer sprachen sich dort gegen die Haltung des Vatikans aus und versicherten „das tschechoslowakische Volk und die volksdemokratische Regierung“ ihrer „Treue“. Die Kritik des Heiligen Stuhls an den kirchenfeindlichen Aktionen der Prager Regierung nannten sie „verleumderische Ausfälle gegen unser Heimatland“, mit denen sie „nichts zu tun haben“ wollten.

Das fehlende Konkordat

Antirömische Lossagungen, welche die kommunistischen Machthaber im gan
zen Land verbreiteten. Da die diplomatischen Beziehungen zwischen Prag und dem Heiligen Stuhl mittlerweile auch abgebrochen waren, hatte Rom keine Möglichkeit, unmittelbar auf eine Richtigstellung der von den Kommunisten verbreiteten Unwahrheiten hinzuwirken. Das Fehlen eines förmlichen Konkordates machte sich in dieser Situation für die Kirche und die Vertretung ihrer Interessen besonders nachteilig bemerkbar. Auch die Stellung der Bischöfe und ihrer jeweiligen Nachfolge wäre dann nicht so stark politischen Beliebigkeiten ausgesetzt gewesen wie in der kommunistisch regierten Nachkriegs-Tschechoslowakei. Alles Gründe und nachträgliche Erfahrungen, die den seinerzeitigen Abschluß des Reichskonkordates in einem wirklichkeitsnäheren Licht erscheinen lassen und die immer wieder vorgebrachte Kritik an diesem Vertrag als Ausdruck bloßer Besserwisserei offenbaren. Für Pius XII. Bestätigung der Richtigkeit seiner Verhandlungen als Kardinalstaatssekretär mit dem Deutschen Reich. Immerhin trug das von ihm wesentlich mitgestaltete Vertragswerk entscheidend dazu bei, daß die Seelsorgearbeit im persönlichen und öffentlichen Bereich weitgehend möglich blieb und die Bischöfe im Großen und Ganzen ihren oberhirtlichen Dienst wahrnehmen konnten. Die Ausweisung Bischof Sprolls aus seiner Diözese machte nicht Schule. In der moskauhörigen Tschechoslowakei der Nachkriegszeit waren dagegen bereits drei Jahre nach der kommunistischen Machtübernahme in Prag vier Bischöfe verhaftet bzw. unter Hausarrest gestellt, darunter auch der Erzbischof von Prag, Joseph Beran. Bei der Neubesetzung vakanter Bischofssitze suchten die Kommunisten bekanntlich regimetreue Geistliche wie den Dekan Dechet in Neusohl zum Zuge zu bringen, um auf diesem Wege die Kirche immer mehr unter ihre Kontrolle zu bringen. Ideologiefreie Einrichtungen wie die katholischen Organisationen und Schulen waren allesamt aufgelöst bzw. geschlossen und bis zum Sommer 1950 über dreihundert Priester ins Gefängnis verbracht worden. Religionsunterricht wurde im Stundenplan der staatlichen Schulen gestrichen und jeglicher Einfluß der Kirche auf das Erziehungswesen unterbunden. Auch karitative Tätigkeiten von Ordensangehörigen waren unerwünscht.
Die vom Vatikan angedrohte Exkommunikation kommunistischer Aktivisten und Kirchenfeinde quittierten die roten Machthaber in Prag nur mit polemischen Ausfällen gegen den Papst und nannten eine solche Kirchenstrafe höhnisch „Ausdruck der Machtlosigkeit und blinden Wut des Vatikans“, die „die Bande mit der großen Sowjetunion nur noch enger“ knüpfte. In der Tat ließ man sich an der Moldau von der angedrohten Kirchenstrafe keineswegs von weiteren Glaubenskämpfen abhalten, vielmehr verstärkte das kommunistische Regime seine Kampagne in den nächsten Wochen und Monaten noch spürbar.

Der zweite Prozeß

So beschuldigten seine Propagandisten den Prager Erzbischof der Kollaboration mit der Gestapo und brachten im Herbst 1950 erneut hohe Geistliche vor Gericht. Unter ihnen den Weihbischof und Generalvikar von Olmütz, Stanislav Zela, den Prämonstratenserabt und Kanonikus des St. Veitsdoms, Otakar Svec, sowie den Abt des Benediktinerklosters Prag-Brevnov, Anastas (Jan) Opasek. Sie und ihre Mitangeklagten sollen Spionage getrieben und Hochverrat begangen haben. Darüber hinaus seien sie durch Dokumenten-Schmuggel, sogar durch landläufige Gewaltdelikte wie Raub kriminell geworden.
Wie schon im ersten Schauprozeß waren angeblich alle „Angeklagten“ geständig und gaben die ihnen vorgeworfenen „Staatsverbrechen“ zu. Und wie im vorangegangenen „Prozeß“ fielen auch die „Urteile" aus: 1 x lebenslänglicher Kerker, 2 x 25 Jahre, 2 x 20 Jahre Gefängnis usw. Die Drohung mit der Exkommunikation hatte die Kirchenverfolger offenbar noch aggressiver gemacht. Für Pius XII. wieder eine gleichermaßen bittere wie bestätigende Erfahrung, solche „letzte Mittel“ im Kampf mit Diktaturen möglichst selten einzusetzen, da sich totalitäre Regime in der Repression für gewöhnlich überlegen fühlen und vor brutalen Weiterungen nicht zurückschrecken.
Eine Erkenntnis, der sich die spätgeborenen Kritiker des Pacelli-Papstes offenkundig verschließen. Wohl nicht zuletzt auch aus Vernachlässigung der opferreichen Kirchenverfolgungen der dreizehn Nachkriegsjahre von 1945 bis zum Tode Pius XII.:
Folge der bislang weitgehend „vergessenen“ Bewältigung der kommunistischen Vergangenheit Osteuropas – oder Konsequenz der gelungenen Vortäuschung des Kommunismus als heutzutage wohlgelittenen Antifaschismus? In jedem Fall Ausweis der vorherrschenden Vergangenheitsschau; zugleich aber auch Mahnung, es bei der bemerkten Einäugigkeit nicht zu belassen, sondern die klaffenden Wissenslücken alsbald zu schließen.
Die Erinnerung an die Kirchenverfolgung in der Tschechoslowakei vor 50 Jahren mag dabei einen kleinen Hilfsdienst leisten.

 
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