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Eine unerträgliche Heuchelei

Von Mag. Wolfang Dvorak-Stocker

Nicht zur Zustimmung, auch viel Widerspruch haben die Beiträge in der letzten „Neuen Ordnung“ hervorgerufen. Aber wie könnte es anders sein, bei einer Zeitschrift, die versucht, verschiedenen geistigen Strömungen und Denkrichtungen eine Plattform zu bieten.
Besonders der Artikel unseres Schriftleiters Achim Lang über die Zwangsarbeiter-Frage hat zu manch harscher Kritik geführt; insbesondere der Ton war einigen zu scharf. Dabei muß freilich bedacht werden, daß dieser Artikel hauptsächlich auf jene Fakten hinweisen wollte, die in der heutigen Diskussion kaum zu hören sind. Vor allem zwei Punkte verdienen meiner Auffassung nach, hervorgehoben zu werden:
Ich selbst war im Rahmen einer längeren Studienreise der Universität Wien im Jahre 1990 in der Ukraine. Ziel dieser, also noch zur Zeit der Sowjetunion unternommenen Reise war es, die alten Frontlinien des Ersten Weltkrieges zu besichtigen, mit den noch vorhandenen Forts, Befestigungsanlagen, Friedhöfen etc., und darüberhinaus Kontakte zu den historischen Instituten an den Universitäten Lemberg und Tschernowitz herzustellen. Während dieser Reise wurde unsere Gruppe mehrfach von älteren Ukrainern auf offener Straße angesprochen, die sich als ehemalige Fremdarbeiter im Deutschen Reich zu erkennen gaben und einfach die Gelegenheit nutzen wollten, die Reste ihrer Deutschkenntnisse hervorzuholen. Dabei erzählten sie nur Positives von ihrem seinerzeitigen Aufenthalt und vermerkten bloß, das schlimmste daran sei die spätere Repatriierung in die Sowjetunion gewesen. Besonders erstaunlich war für uns, daß wir nicht ein einziges Mal in negativer oder feindseliger Weise angesprochen wurden.
Ein Jahr später kam ich mit zwei betagten Polinnen in Kontakt, die ebenfalls als junge Mädchen zum Arbeitseinsatz nach Deutschland gekommen und nach dem Krieg in Österreich verblieben waren. Sie erzählten, wie schwierig es für sie überhaupt gewesen war, eine Stelle als Fremdarbeiterin zu bekommen.
Solche Beispiele ließen sich noch in beliebiger Zahl wiedergeben. In der öffentlichen Diskussion hört man erstaunlich wenig davon. Auch sind mir keine seriösen Untersuchungen darüber bekannt geworden, wie hoch die Anzahl der Freiwilligen im Verhältnis zu den mehr oder minder Gezwungenen je nach Land war. Und natürlich haben alle Repatriierten sich danach als Zwangsarbeiter ausgegeben, schon allein zum Selbstschutz, und wer will ihnen dies verdenken?
Der zweite Punkt, den man bei dieser Frage nicht außer Acht lassen darf, ist, daß z. B. die Tschechoslowakei die Austreibung und entschädigungslose Enteignung von 2,7 Millionen Sudetendeutschen expressis verbis damit begründet hat, mit den solcherart eingezogenen Vermögensgütern die eigenen Opfer des Nationalsozialismus entschädigen zu wollen. Weder dieses Land, noch Polen hat also das geringste moralische Recht, für die eigene Bevölkerung eine Entschädigung zu fordern. Die von diesen Staaten eingezogenen Vermögensgüter hätten im Gegenteil eine fürstliche und sofortige Entschädigung für alle Zwangsarbeiter und sonstigen Opfer leicht möglich gemacht. Und auch Rußland, das nicht nur Millionen Kriegsgefangene noch Jahre über das Kriegsende hinaus als unbezahlte Zwangsarbeiter zu „Reparationszwecken“ behielt, sondern auch noch hunderttausende Volksdeutsche aus Ostmitteleuropa mit eben derselben Begründung in die eigenen Zwangsarbeiterlager zwischen Workuta und Novosibirsk verschleppte, hat kein solches Recht.
Wenn man also nicht eine angemessene Entschädigung für alle Zwangsarbeiter und alle sonstigen Opfer aller menschen- und völkerrechtswidriger Handlungen während des Zweiten Weltkrieges, vor allem also die für Vertriebenen anstrebt, hätte man schon längst auf einem klaren Schlußstrich bestehen müssen. So aber ist die ganze Diskussion, wie sie sich heute abspielt, nichts als eine unerträgliche Heuchelei, weil durch sie wieder Menschen in zwei Kategorien eingeteilt werden: Solche, die man ohne weitere Folgen schinden und töten darf, und solche, bei denen das nicht der Fall ist.

 
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