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Die Globalisierung stoppen

Von Manfred Ritter

Das Modell einer großräumigen Regionalisierung bietet eine echte Alternative

Der Autor nachstehenden Artikels, Manfred Ritter, ist Regierungsdirektor in der bayerischen Staatsverwaltung. Zusammen mit dem langjährigen sozialdemokratischen Oberbürgermeister von Würzburg, Dr. Klaus Zeitler, hat er im März d. J. das Buch Armut durch Globalisierung – Wohlstand durch Regionalisierung veröffentlicht. In diesem Buch führen die Autoren aus, daß die Globalisierung alle sozialen und ökologischen Standards zu zerstören droht, und sie entwickeln das Modell einer großräumigen Regionalisierung als wirtschaftspolitisch gangbare Alternative zur Bewahrung der in Generationen geschaffenen Lebensqualität. Deutlich wird, daß eine solche Regionalisierung nicht nur im Interesse der europäischen Völker ist, sondern auch im Sinne einer gesunden und stabilen Aufwärtsentwicklung in den Ländern der sogenannten Dritten Welt. Der entscheidende politische Anstoß, den das soeben erschienene Buch geben möchte, wird hier nun nochmals deutlich formuliert.

Die Zeiten, in denen das Großkapital zusammen mit willfährigen Politikern ungestört eine neue Weltordnung mit der absoluten Vorherrschaft des Kapitals aufbauen konnte, dürften zumindest seit den großen Protestdemonstrationen gegen die WTO (Welthandelsorganisation) als Machtinstrument der „global-players“in Seattle (Ende 1999) und in Genf (Anfang dieses Jahres) vorbei sein.
Die Opfer dieser neuen Weltherrschaft der Hochfinanz (Arbeitnehmer und Mittelstand) erkennen offenbar immer mehr, daß man ihnen „das Fell über die Ohren ziehen“ und zugunsten einer schamlosen Gewinnmaximierungspolitik die Idee eines „Wohlstandes für alle“ über Bord werfen will.
Viele prominente Autoren haben bereits festgestellt, daß die Globalisierung der Wirtschaft das Ende unserer auf Massenwohlstand aufgebauten Gesellschaftsordnung bedeutet und zu einer Verarmung breiter Bevölkerungskreise in den bisherigen Hochlohnländern führen wird. Auch der Mittelstand, der seine Blüte einer vielseitig strukturierten Industriegesellschaft verdankt, wird dadurch weitgehend ruiniert. Dies geschieht spätestens dann, wenn die finanziell notleidenden Staaten ihn als letzte „greifbare“ Geldquelle ausbeuten, weil sich die großen Konzerne einer Steuerzahlung weitgehend entziehen.
Inzwischen ist nicht mehr zu übersehen, daß immer mehr Produktionsbetriebe (denen wir unseren Wohlstand verdanken) aus Europa in die Niedriglohnländer abwandern. Die Arbeitslosigkeit steigt, und die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer und Rentner sinken. Bei weltweitem Wegfall aller Handelsschranken (Zölle usw.) bleibt nach den Gesetzen der Logik  den Arbeitnehmern in den bisherigen Hochlohnländern nichts anderes übrig, als sich dem asiatischen Niedriglohnniveau anzupassen, wenn sie ihre Arbeitsplätze nicht verlieren wollen. Diese Anpassung kann durch unmittelbare Lohnkürzungen oder durch Inflation (der Euro ist offenbar das ideale Inflationsinstrument) erfolgen.
Gegen diese vom Großkapital und den von ihm abhängigen Medien und Politikern gesteuerte Entwicklung können wir uns nur dann erfolgreich zur Wehr setzen, wenn es zur Globalisierung eine Alternative gibt. Diese Alternative existiert!
Sie wird im Buch „Armut durch Globalisierung – Wohlstand durch Regionalisierung“ eingehend erläutert. Das dort vorgestellte „Regionalisierungsmodell“ empfiehlt einen Zusammenschluß geeigneter Staaten zu einer Wirtschaftsgemeinschaft, die sich bei Zollfreiheit im Inneren durch Schutzzölle an den gemeinsamen Außengrenzen gegen eine ruinöse Billigkonkurrenz abschirmen. Wir hatten so etwas schon einmal in Gestalt der alten EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als Vorläuferin der EU), und es hat sich seinerzeit hervorragend bewährt.
Warum haben sich dann besonders die europäischen Politiker so massiv für einen weltweiten Zollabbau eingesetzt? Weil sie es sich zunächst ohne Arbeitsmarktprobleme leisten konnten. Zumindest so lange, wie die Gefahr einer kommunistischen Machtergreifung in den Niedriglohnländern das Großkapital davon abhielt, dort zu investieren.
Mit dem Wegfall dieser Bedrohung änderte sich das dramatisch. Die „global-players“ investieren nun dort, wo die Produktion am billigsten ist (Löhne, Sozialabgaben und Umweltschutz) und verkaufen ihre Waren, wo sie die höchsten Gewinne erzielen (in den Hochlohnländern). Die im Rahmen des GATT und der WTO inzwischen weitgehend eingeführte Zollfreiheit ermöglicht es ihnen, die Produzenten in den Hochlohnländern in den Konkurs zu treiben, soweit es diese nicht vorziehen, ihre Produktion ebenfalls in die Niedriglohnländer zu verlagern. Die Hochlohnländer haben sich das Globalisierungsproblem somit durch den Zollabbau selbst geschaffen!
Natürlich ist es zunächst verlockend, andere für Hungerlöhne (in Asien für weniger als 10 Schilling pro Stunde) für sich arbeiten zu lassen. Die Rechnung wird uns allerdings später in Form von Massenarbeitslosigkeit und am Ende mit dem Zusammenbruch der Gesellschaftsordnung präsentiert. Der Schweizer Professor Kirchgässner empfiehlt deshalb allen Politikern, den betroffenen Arbeitnehmern schon heute klar zu machen, daß sie sich mit ihrem Schicksal als Verlierer abzufinden hätten und nicht mehr darauf hoffen dürfen, daß es ihnen später einmal besser gehen werde.
Alle, die diese „Verarmungspolitik“ ablehnen , sollten sich jetzt entschieden zur Wehr setzen und das „Regionalisierungsmodell“ mit seiner maßvollen Schutzzollpolitik in die öffentliche Diskussion einführen.
Natürlich werden die Gegner sofort mit dem Argument kommen, die Zollpolitik wäre ein Rückfall ins 19. Jahrhundert oder gar in die Kleinstaaterei des Mittelalters. Sie werden in ihrer dogmatischen Verbohrtheit auch nicht begreifen wollen, daß es zwischen einer globalisierten „one world“ und Kleinstaaterei einen vernünftigen Mittelweg gibt. Die großräumige Regionalisierung vereinigt den Schutzgedanken (Zölle) mit einem ausreichend großen Wirtschaftsraum (z.B. das gesamte Europa bis zur russischen Grenze – oder vielleicht sogar darüber hinaus) und verhindert so die mit einer Globalisierung unvermeidbar verbundenen Katastrophen. Eine „Europäische Schutzzollregion“ könnte zum Vorbild für andere Regionen der Erde werden!
Hierbei darf aber auch nicht ins andere Extrem einer weitgehenden Abschottungspolitik verfallen werden. Die Zölle sollen nur dem Schutz des europäischen Arbeitsmarktes dienen und hierzu die Chancengleichheit der europäischen Produzenten in wichtigen Produktionsbereichen wiederherstellen. Darüber hinaus sollte man sich weiterhin den harten Konkurrenzkämpfen des Weltmarktes stellen und öffnen.
Wenn die „global-players“ sich ebenso maßvoll verhalten hätten, wären die Probleme mit der Massenarbeitslosigkeit in Europa nicht entstanden! Längerfristig ist es allerdings auch ein Gebot wirtschaftlicher und ökologischer Vernunft, Wirtschaftsgüter möglichst dort herzustellen, wo sie verbraucht werden. Nur so kann das ins Gigantische aufgeblähte Transportvolumen wieder angemessen reduziert werden.
Der Kampf für eine vernünftige Regionalisierung der Wirtschaft wird natürlich auf massivsten Widerstand des Großkapitals und seiner Helfer in Politik und Medien stoßen. Um hier ein geeignetes Gegengewicht zu schaffen, müssen sich die Gegner der Globalisierung über alle politischen, gesellschaftlichen und nationalen Grenzen hinweg zu einer gemeinsamen „Bewegung“ vereinen. Nur so wird es ihnen möglich sein, den Einfluß zu gewinnen, der die Politiker zum Umdenken zwingt. Dabei können die traditionellen „Lagergrenzen“ durchaus überwunden und gesprengt werden:
Besonders die Linken, die sonst bei wesentlich unwichtigeren Anlässen große Aktivitäten entfalten, sollten hier ihre (möglicherweise letzte) Chance erkennen, etwas für den „kleinen Mann“ zu tun, bevor das Großkapital seine Weltherrschaft zementiert. Die Umweltschützer müssen erkennen, daß ihre nationalen „Öko-Spielereien“ im Weltmaßstab gar nichts bedeuten und daß die „global-players“ unendlich viel mehr ökologischen Schaden weltweit anrichten, als die „Grünen“ mit ihrer bisherigen Arbeitsweise verhindern konnten. Der bürgerliche Mittelstand sollte einsehen, daß die Globalisierung auch seinen Wohlstand zerstört und daß seine wichtigste „Investition“ für die Zukunft der entschiedene Kampf gegen die Globalisierung ist. Diejenigen letztlich, denen das Wohl der Dritten Welt am Herzen liegt, sollten zur Kenntnis nehmen, daß die Globalisierung nicht nur die Umwelt in den armen Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens massiv schädigt und deren Bewohner ausbeutet, sondern daß sie auch die Entwicklung einer eigenständigen, vielseitig strukturierten Wirtschaft in diesen Gebieten verhindert. Denn mittelständische Betriebe, die die Grundlage für eine gesunde Wirtschaftsstruktur wären, können sich selbst bei Niedriglöhnen nicht gegen konkurrierende globale Produktionsgiganten halten, wie an der katastrophalen Entwicklung in Mexiko überdeutlich wurde. Deshalb sind auch für die dritte Welt Regionalisierungsmodelle mit vernünftiger Schutzzollpolitik im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung sinnvoll.
Alle diese Interessensgruppen und die hinter ihnen stehenden Organisationen könnten und müßten beim Widerstand gegen die Globalisierung eng zusammenarbeiten. Eine überparteiliche Bewegung sollte diese Zusammenarbeit koordinieren, nur so haben sie noch eine Chance, ihre Anliegen gegen die Übermacht des Großkapitals durchzusetzen!

 
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