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Antiamerikanismus

Von Wolfgang Dvorak-Stocker

Während George Bush den Antiamerikanismus in der Welt nicht verstehen kann, weil er „weiß, wie gut die Amerikaner sind“, begreift der US-Schriftsteller Norman Mailer die Ursachen sehr wohl: Große Teile der Welt würden in Amerika mit seiner McDonald’s- und Wolkenkratzer-Kultur ihren kulturellen und ästhetischen Unterdrücker sehen. Gerade in den ärmeren Teilen der Welt hätten die meisten Menschen in materieller Hinsicht nichts von dem, was die Amerikaner besitzen, „aber was sie haben, sind Wurzeln. Das ist alles, was sie haben, und … Amerika nimmt sie ihnen weg“ („Welt am Sonntag“, 16. September 2001). Und er schließt: „Wir werden die meist gehaßte Nation auf der Erde sein.“
Einer, der sich hierzulande ermannt hat, diese Wahrheit auszusprechen, ist der Modeschöpfer Wolfgang Joop: „Die Proteste gegen die Globalisierung waren ja eigentlich Proteste gegen eine weltweite Amerikanisierung. Ich bedauere nicht, daß das Symbol der Twin-Towers nicht mehr steht, weil sie kapitalistische Arroganz symbolisierten.“ („Profil“, Nr. 42/01)
Viele kritische amerikanische Intellektuelle sehen in der Politik der USA die Ursache für die Anschläge vom 11. September. So u. a. Susan Sonntag (siehe „Zitiert“ Seite 4) und der Bestseller-Autor Gore Vidal: „Wir stiften nichts als Unruhe … Wenn jemand nicht in der Lage ist, die Weltpolitik zu lenken, dann die US-Regierung. Allein die international orien       Unternehmen haben ein Interesse an internationaler Intervention, weil sie auf den globalen Märkten ihre Profite machen.“ („Kultur-Spiegel“, 24. September 2001) Der eigentliche Auslöser des Widerstandes ist freilich religiöser Natur: Ein gläubiger Moslem, der der Überzeugung ist, daß das Leben auf dieser Erde über ewige Glückseligkeit oder ewige Verdammnis entscheidet und der Himmel nur durch strikte Befolgung der Gebote des Koran erreicht werden kann – muß er nicht in der individualistischen, materialistischen und ganz und gar aufs Diesseits ausgerichteten „westlichen“ Zivilisation einen Feind sehen, da es in ihr für jeden einzelnen unendlich schwieriger ist, diese Gebote zu erfüllen, als in einer traditionellen islamischen Gesellschaft? Aber wie sieht es mit dem gläubigen Christen aus, dem es letztlich doch auch vor allem um die ewige und nicht die irdische Glückseligkeit gehen muß, kann er diese „westliche“ Zivilisation so ganz anders beurteilen? Kulturell wie religiös wird man also Verständnis für die fundamental-islamische Aggression haben. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß der Islam nicht nur in der amerikanisch-westlichen „Zivilisation“, sondern auch der christlich-abendländischen Kultur seinen Feind sieht. So haben gerade die mohammedanischen Jugendlichen Frankreichs ganz deutlich gezeigt, wo ihre Sympathien liegen: Vielleicht hat dies wenigstens zur Folge, daß manche Multi-Kulti-Träumer langsam aufwachen. Aus konservativ-europäischer Sicht läßt sich der Konflikt also kaum nach einem Freund-Feind-Schema aufteilen, sondern eher mit Skylla und Charybdis vergleichen, zwischen denen durchzusteuern ist. Oder wie es die bedeutende indische Schriftstellerin Suzanna Roy in der „Jungen Freiheit“ formulierte: „Millionen von Menschen in aller Welt wollen weder etwas mit George Bush, noch mit den Taliban zu tun haben, denn beide sind auf ihre Art monströs.“ Es wird Zeit, daß die europäischen Völker wieder mit ihrer eigenen Stimme zu sprechen beginnen.

 
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