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Osterweiterung

Von Wolfgang Dvorak Stocker

Vor einem Jahrzehnt brach mit dem gescheiterten August-Putsch in Moskau der Bolschewismus auch in seinem Mutterland zusammen. Die ehemaligen Vasallenstaaten des Warschauer Pakts hatten sich schon in den beiden Jahren davor ihrer kommunistischen Fesseln entledigt. Viel hat sich seither getan in den meisten Ländern Osteuropas, wenig leider in Rußland, das noch keinen neuen Weg gefunden hat.
Wenig aber hat sich auch in Österreich getan. Lassen wir die letzten zehn Jahre in Gedanken Revue passieren. Hat sich geistig für uns etwas verändert? Sind uns die Länder Ostmitteleuropas nähergerückt? Jene Länder, die einst zur Donaumonarchie gehörten und mit uns einen Gesamtstaat bildeten, jene Ländereien, in denen viele unserer Vorfahren lebten, arbeiteten und aus denen sie oft auch stammten? Ich fürchte, man muß diese Frage mit „Nein“ beantworten. In den Anfangsjahren, als Busladungen staunender tschechischer Tagesbesucher durch Wien wanderten und sich später rund um den Mexiko-Platz und an vielen anderen Stellen Österreichs halblegale Märkte und Diskontläden bildeten, die den ersten Kaufrausch der Ungarn und vieler anderer befriedigten, da war das noch anders. Doch heute? Gibt es Projekte politischer bzw. wirtschaftlicher Zusammenarbeit, einen regen Kulturaustausch oder ähnliches, was unseren Blick auf die historisch vertrauten Regionen des europäischen Ostens leitet? Ein typisches Beispiel für die Situation dürfte das Konzept sein, nach dem sich Graz im Jahre 2003 als europäische Kulturhautpstadt präsentiert: Ambitioniert, doch austauschbar. Daß die Steiermark die südöstlichste Ecke des geschlossenen deutschen Kulturbodens bildet und zugleich jahrhundertelang der südosteuropäische "Balkon" des Reiches war, daß Graz eine deutsche Stadt mit schon mediterranem Flair ist, all dies wird selbstverständlich nicht berücksichtigt.Doch man hätte in Graz auch den Ländern des südöstlichen Mitteleuropas, mitdenen es so viele Berührungspunkte gibt, die Gelegenheit zur kulturellenSelbstdarstellung geben können und damit der EU die Möglichkeit, auf aktuelleund künftige Erweiterungskandidaten einen tiefgehenden kulturellen Blickzu werfen. Doch auch davon künden die Programmvorschauen nichts.Freunde hätten wir dagegen in Osteuropa genug: Weniger in Tschechien freilich,aber Kroatien, Ungarn, die Slowakei und die muselmanischen Bosnier, dieBulgaren und zumindest die in den westlichen Landesteilen siedelnden Ukrainer.Die Letten und Esten sind nach wie vor stark nach Deutschland orientiert,und der estnische Staatspräsident Meri hat Deutschland schon mehrfach aufgefordert, politisch endlich wieder zur alten Führungsrolle zurückzufinden.Signifikant ist auch der Unterschied zwischen Slowaken und Tschechen:Während diese die Vertreibung der Deutschen als solche nach wie vor gutheißen,konnte der slowakische Präsident Schuster die Vertreibung offiziell bedauern,ohne daß sich dagegen nennenswerter Widerspruch erhoben hätte.Und in Ungarn führte die zynische Äußerung einer Abgeordneten über dieVertreibung der Deutschen sogar zu einem Proteststurm quer durch die politischenLager. In all diesen Ländern wird man als Deutscher und ganz besondersals Österreicher herzlich empfangen, und zwar ohne auf jene süffisanten bisabschätzigen Randbemerkungen zu stoßen, denen man sich in manchen StaatenNord- und Westeuropas immer wieder ausgesetzt sieht. Sogar in Rußlandist die Bereitschaft der jüngeren Generation zu Austausch und Kontakt sowiezur vorurteilsfreien Bewertung der Vergangenheit größer, als dies in den meistenwesteuropäischen Ländern trotz jahrzehntelanger Versöhnungspolitik derFall ist.Leider hat die neue österreichische Bundesregierung auf diesem Feld nochkeine zukunftsweisenden Aktivitäten gesetzt, von der gegenwärtigen deutschenist ohnedies nichts in dieser Richtung zu erwarten. Aber auch aus dempatriotischen Lager sind die Initiativen bisher vereinzelt geblieben. Dies sollteanders werden, die Osterweiterung ist für das deutsche Volk wie für Österreicheine Möglichkeit, zur eigenen Geschichte und ihren historischen Imperativenzurückzufinden. Die Neue Ordnung zumindest wird Ostmitteleuropa in Zukunfteinen breiteren Stellenwert einräumen.

 
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