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Die Volksdeutschen in Österreich

Von Wolfgang Oberleitner

Eingliederung der vertriebenen Altösterreicher


Die nach Österreich vertriebenen Volksdeutschen waren zur Gänze Altösterreicher. Keine 30 Jahre zuvor waren sie oder ihre Väter für Kaiser Franz Joseph im Felde gestanden, nun verweigerte ihnen die Republik jede Anerkennung und Hilfe. Allein aus der Stadt Brünn mußten Tausende hilflose Menschen an der österreichischen Grenze verhungern, weil diese auf Anordnung des Südmährers Renner gesperrt worden war. Der Autor, selbst ein Brünner Deutscher und als Kriegsgefangener im Herbst 1945 nach Österreich gekommen, setzte sich als Journalist der Wiener Katholischen Pressezentrale und der „Österreichischen Monatshefte“ der Volkspartei als einer der ersten für die Eingliederung der Volksdeutschen in Österreich ein.

Österreich war damals überfüllt von Vertriebenen und Flüchtlingen – allein in Wien waren es weit über 100.000. Im November 1947, also zu einer Zeit, da schon ein großer Teil von ihnen abgeschoben war, weist die Statistik über 321.000 Volksdeutsche aus, von denen 111.000 aus den Sudetengebieten kamen. Ein Jahr später wurden 545.000 Ausländer gezählt, von denen 367.000 in die Kategorie Volksdeutsche fielen, 120.000 aber Fremdsprachige, 40.000 Reichsdeutsche und 17.000 Juden waren. Die meisten von ihnen lebten in Lagern und hatten kaum die Möglichkeit eines Verdienstes. Niemand nahm sich ihrer an, denn selbst jene Österreicher, die dazu bereit gewesen wären, lebten in Armut, da nicht wenige von ihnen zumindest sogenannte „minderbelastete Nazis“ waren und daher um ihre eigene Existenz zu kämpfen hatten.
Die einzige Anlaufstelle für die Heimatlosen war das schon 1945 geschaffene „Referat für Volksdeutsche“ in der Bundesleitung der Volkspartei. Es wurde vom früheren Abgeordneten des Prager Parlaments, Hans Wagner, einem Südmährer, geleitet, doch nur die wenigsten Vertriebenen wußten von der Existenz dieses Büros, das mehr oder weniger im Untergrund arbeitete. Den Kommunisten freilich blieb seine Tätigkeit nicht verborgen, so daß eines Tages die „Österreichische Zeitung“, das Sprachrohr der Roten Armee, in Balkenlettern von einer „antitschechoslowakischen Verschwörerzentrale in der Kärntnerstraße“ berichten konnte. Ich vermochte mich mit Wagner, der durchaus die Chance gehabt hätte, bei den zweiten Parlamentswahlen in den Nationalrat einzuziehen, nie richtig anzufreunden, da mir seine Redensart („Den nächsten Kirtag feiern wir wieder daheim“) als völlig irreal und als Täuschung seiner Zuhörer erschien.
Es gab damals natürlich auch „alte“ Sudetendeutsche in Wien, die aber manchmal für ihre vertriebenen Landsleute nichts übrig hatten. Einer von ihnen war Ernst Fischer, als Sohn eines kaiserlichen Offiziers in Komotau geboren, als Kommunist während des Krieges in Moskau und nun Unterrichtsminister und Chefredakteur des „Neuen Österreich“. Schon im Sommer 1945 reiste er nach Prag und berichtete danach über seine Eindrücke: „Das Volk verjagt die Deutschen, und niemand ist imstande, diese spontanen Aktionen aufzuhalten. Es kommt dabei zu grausamen Übergriffen, zu chauvinistischen Exzessen, die man auf das Tiefste bedauern muß... Man kann diese Formen zu einem großen Teil nicht billigen – aber man darf die Augen vor den Ursachen nicht verschließen.“
Fischer, der ein blendender Redner war, billigte natürlich grundsätzlich die Vertreibung seiner Landsleute, auch wenn ihm die dabei angewandten Methoden nicht gefielen. Doch er hielt sich an die Doktrin seiner Partei, der zufolge alle Volksdeutschen eben „Faschisten und Verbrecher“ waren. Schon 1946, nach der Niederlage der Kommunisten bei den ersten Wahlen, mußte er seinen Ministersessel räumen.

Stimmen des Hasses

Auch der damalige Außenminister Karl Gruber, ein Mitglied der Volkspartei, machte schon im Dezember 1945 seine Aufwartung in Prag und berichtete im Anschluß im „Neuen Österreich“: „Es wird manchem bedauerlich erscheinen, daß der Gedanke der kollektiven Verantwortung noch immer weiter um sich greift – aber es ist nicht unsere Sache, uns in Angelegenheiten einzumischen, zu deren Ordnung wir nicht berufen sind“. Und Hofrat Raimund Poukar, der Adlatus des Generalsekretärs der Volkspartei, lud gar seinen ganzen Haß gegen die Ausgewiesenen ab, indem er geiferte: „Seit Jahrzehnten waren die Sudetendeutschen ein Unruheelement, sie haben das Verhältnis zwischen der Tschechoslowakei und Österreich vergiftet, und ihre Art ist im Grunde jedem Österreicher zuwider. Daher verstehen wir, daß das tschechische Volk endlich Ruhe haben will.“ – Dabei war Poukar in der Zwischenkriegszeit Mitarbeiter sudetendeutscher Blätter gewesen!
In dieser Atmosphäre hatten es natürlich die Befürworter einer humanen Regelung des Flüchtlingsproblems schwer, ihre Ansichten auch nur zu äußern, geschweige denn durchzusetzen. Über allen Vertriebenen hing das Damoklesschwert einer zweiten Abschiebung, welche die Russen ja in ihrer Zone bereits im Januar 1946 vollzogen hatten. In dem Ukas hieß es, daß alle Sudetendeutschen aus Österreich ausgewiesen werden. Mit einigen Differenzierungen, denn man benötigte ja 95.000 landwirtschaftliche Arbeiter. Anders war es in der amerikanischen Zone, wo vom Transfer nur die Reichsdeutschen betroffen waren, die Volksdeutschen aber „vorerst“ noch bleiben durften.
Die erste Stimme, welche sich damals für die Entrechteten erhob, erschien im Regierungsblatt „Wiener Zeitung“ unter dem Titel „Flüchtling!“.
Heinz Matzek, ein Nordmährer, formulierte: „Es kam die fremde Nation und sprach uns das Recht auf Heimat ab – wir wurden Sklaven, gehetzt, verfolgt, nur noch Arbeitstiere. Das alles, weil wir Deutsche waren. Humanität? Welch lächerliches Wort in unserem Jahrhundert der Zivilisation.“ Doch es war wie der Ruf aus einer Wüste, der angesichts der vielen Schwierigkeiten, mit denen das besetzte Österreich zu kämpfen hatte, kein Echo und schon gar keine Umkehr auslöste.
Der Verantwortliche für Flüchtlingsfragen war Innenminister Oskar Helmer, ein Sozialist. Weder seine Bewegung, noch die Volkspartei wagten damals aus Angst, mit den Okkupanten in Konflikt zu kommen, eine klare Stellungnahme abzugeben, was mit dem Heer der Habenichtse nun geschehen solle. Zudem hatten sich die Militärregierungen ja die Verfügung über alle Nichtösterreicher vorbehalten. Helmer jedoch war mutig und legte gegen die Abschiebung der deutschsprachigen Flüchtlinge aus dem Norden, Osten und Südosten Protest ein. Doch er hatte damit keinen Erfolg.
In seinen 1957 erschienenen Erinnerungen schreibt er über seine Absichten: „Mein Hauptziel war, die volksdeutschen Flüchtlinge, die Österreich durch die gemeinsame Kultur und Sprache verbunden waren, in unseren Lebensraum einzugliedern. Sie waren ja fleißig, genügsam und vielseitig verwendbar, lehnten keine Arbeit ab und verstanden es, sich überall Freunde zu erwerben.“ Zehn Jahre zuvor freilich hätte er das noch nicht so offen gesagt, wie übrigens auch seine Parteifreunde nicht, von denen viele eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt fürchteten. Besonders enttäuschend für die Sudetendeutschen war das Schweigen von Bundespräsident Karl Renner, der selbst aus Südmähren stammte.

Volksösterreicher?

Um die Sache ins Rollen zu bringen und die Behörden wenigstens zu einem ersten Schritt zu ermutigen, kam ich auf die Idee, einen neuen Begriff zu prägen und damit eine breite Debatte auszulösen. In der Mai-Nummer der „Österreichischen Monatshefte“ erschien 1946 mein unter einem Pseudonym laufender Beitrag „Ein Wort über die Volksösterreicher“, in dem die deutschsprachigen Heimatlosen differenziert wurden – etwa nach ihrer Sprache, die für die meisten Sudetendeutschen eben der mitteldeutsche Dialekt war. Mit dem Aussterben der alten Generation ging in den dreißiger Jahren ihre alte Verbindung nach
Wien verloren. Die Deutschen aber, welche unmittelbar an den Grenzen der Alpenrepublik wohnten, orientierten sich nie nach Berlin, sondern nach Wien. Zu ihnen zählte man nicht nur die Südtiroler und Kanaltaler, sondern eben auch die Böhmerwäldler, Südmährer und Untersteirer. „Diese Tatsache verpflichtet uns moralisch, uns ihrer anzunehmen und jener Verdienste eingedenk zu sein, die sie sich um unser Vaterland erworben haben.“ Und daher sollte man diesen „Volksösterreichern“ ein Tor in unsere Staatlichkeit öffnen.
Die Aufregung bei den „Antifaschisten“ war natürlich groß, denn das Blatt der Roten Armee titelte: „Volksösterreicher – ein chauvinistischer Homunkulus“. Und im kommunistischen „Weg und Ziel“ schrieb Otto Langbein: „Volksösterreicher gibt es nicht und kann es nicht geben. Die Displaced persons – ob sie nun deutschsprachig sind oder nicht – sind und bleiben Fremde und müssen raschestens und zur Gänze aus Österreich verschwinden“ Doch immerhin mußte er zugeben, daß dieses „deutschnational-imperialistische“ Wort schon in den offiziösen Gebrauch aufgenommen worden war. Womit er nicht unrecht hatte, denn nun wurde auch in den außerhalb Wiens erscheinenden Zeitungen eine Lanze für diese Volksgruppe gebrochen. Natürlich wurde auch Prag auf die ausgebrochene Diskussion aufmerksam, wo das Blatt „Svobodne Noviny“ eine Agenturmeldung aus Wien brachte, der zufolge Staatssekretär Graf mitgeteilt habe, daß die Regierung Grundsätze ausarbeiten werde, nach denen die Flüchtlinge dann in Volksdeutsche und Volksösterreicher geteilt werden sollten.
Im Herbst 1946 kam eine britische Parlamentsdelegation nach Österreich, die sich auch mit dem Schicksal der hier gestrandeten Vertriebenen befaßte. Ihre Empfehlung in dieser Frage lautete: generelle Einbürgerung der Volksdeutschen. Doch so weit wollte die Wiener Regierung nicht gehen, weshalb Helmer sich gegen eine en bloc-Aufnahme aussprach, immerhin aber individuelle Einbürgerungen konzedierte. Und Bundeskanzler Leopold Figl sekundierte ihm mit seiner Feststellung, eine Ansiedlung der volksdeutschen DP komme nur in beschränktem Ausmaß in Frage, „Wir werden uns selbst diejenigen aussuchen, die wir für ständig in unserem Land aufnehmen.“
Mittlerweile hatte die Diskussion auch in den Wiener Medien zu einer Konfrontation geführt. Paul Deutsch etwa fand im „Neuen Österreich“ den Begriff „Volksösterreicher“ als „keine glückliche Idee“, denn er habe ja einen „imperialistischen und expansionistischen Beigeschmack“ – doch am selben Tag stellte die amtliche „Wiener Zeitung“ fest, die Volksösterreicher seien keine Last, sondern ein wertvoller Arbeitsnachschub. Österreich stehe es nicht zu, gegen diese Unglücklichen hartherzig vorzugehen. Und noch deutlicher die unabhängige „Presse“, in der ich dann später 26 Jahre tätig war. Dort hieß es: „Es entspricht nicht österreichischer Art, wie man diesen Ärmsten der Armen anfangs entgegentrat. Bis noch vor wenigen Monaten gehörte Mut dazu, den Behörden zu widersprechen und darauf aufmerksam zu machen, daß es sich hier in der Mehrzahl um Altösterreicher handelt. Die Flüchtlinge sollen nicht als Lohnsklaven, sondern als Verwandte und Freunde bei uns bleiben.“
Nur die russische „Österreichische Zeitung“ blieb bei ihrer Haltung, die generelle Einbürgerung der deutschsprachigen DP sei politisch untragbar.
Helmers Antwort an die Sowjets war, daß man die Deutschen aus dem Böhmerwald, Südmähren und der Untersteiermark mit vollem Recht als Volksösterreicher bezeichnen könne. Die volle Wende setzte dann die Volkspartei, die auf Initiative des Parlaments-Vizepräsidenten Alfons Gorbach, eines Steirers, im Dezember 1946 einen Initiativantrag im Parlament einbrachte, der eine bevorzugte und beschleunigte Einbürgerung deutschsprachiger Personen aus den Gebieten der alten Monarchie forderte.

Österreichische Vorbehalte

Leider gab es nicht nur im linken Lager Vorbehalte, ja Ablehnung jedwelcher Einbürgerungen. Ein signifikantes Beispiel für die so kurzsichtige Barriere gegen die Aufnahme der „Fremden“ ist ein Artikel des Volkspartei-Abgeordneten Molling in der Innsbrucker Tageszeitung „Tiroler Nachrichten“. Er verwahrte sich gegen die Ansiedlung einer (sudetendeutschen) Glasindustrie in Stams, denn „die böhmischen Glasarbeiter nehmen ja den Tirolern das Brot weg. Zuerst möge man doch die  ausgebombten Häuser wieder aufbauen, bevor man neue Fabriken und Luxusvillen für die böhmischen Emigranten errichtet. Mit aller Kraft werden wir uns gegen die behördlich privilegierte Einwanderung stellen.“
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich, als ich mich wenig später – auf Empfehlung aus Wien – für eine Redakteursstelle bei dieser Zeitung umsah. Die erste Frage, die der zuständige Landesparteisekretär an mich richtete, war die nach einer Verwandtschaft in Tirol. Vielleicht hätte der Hinweis auf meine aus Welschtirol stammende Großmutter genügt – aber die Lust zur Annahme dieses Postens war mir vergangen. Die kurzsichtige Einstellung so mancher regionaler Potentaten hat Österreich nur Schaden zugefügt, denn ein Unternehmer wie etwa Porsche sah sich gezwungen, nicht in Kärnten ein neues Autowerk aufzubauen, sondern nach Stuttgart zu gehen.
Die Volksdeutschen in der Alpenrepublik, von denen die meisten in Oberösterreich lebten, hatten natürlich keine Möglichkeit, eine eigene Zeitung herauszubringen, was nur den Staatsbürgern vorbehalten war. Als dann 1946 die „Rundschau“ erschien, gab es bald Probleme, denn schon kurze Zeit später mußte sie mitteilen, daß sie „nach Rücksprache mit der amerikanischen Militärregierung vorübergehend nicht erscheinen“ werde. Erst ein Jahr später wagte man auch in Wien den Versuch der Herausgabe einer volksdeutschen Wochenzeitung, der „Wegwarte“.
Ihr Initiator war der schon erwähnte Hans Wagner, der neben seiner Tätigkeit als volksdeutscher Referent in der Volkspartei auch einen „antifaschistischen“ Verein gegründet hatte, um zu zeigen, daß es bei den Sudetendeutschen auch Hitler-Gegner gegeben hat. Dieser Verein hieß „Willfried für Österreich“ und soll auch schon insgeheim während des Krieges in Mähren existiert haben. Meine leisen Zweifel hinderten mich aber nicht, ihm beizutreten, aber ich habe seither nie mehr etwas von ihm gehört.
Die „Wegwarte“ war ein Blatt, das nur sehr vorsichtig agieren konnte, um nicht mit den Behörden, vor allem aber den Besatzungsmächten, in Konflikt zu kommen. Ihre Aufgabe war es, auf die Alltagssorgen der Vertriebenen aufmerksam zu machen – mit der Vergangenheit konnte oder wollte man sich nicht beschäftigen. Das war auch der Anlaß, nach Möglichkeiten zu suchen, um diese Lücke auszufüllen. So faßte der Generaldirektor des Herold-Verlages, Richard Schmitz, den Entschluß, es mit einer kulturpolitischen Monatsschrift für die Volksdeutschen zu versuchen. Schmitz, der in der Ersten Republik Minister und auch Bürgermeister von Wien war, beauftragte seine Kontaktpersonen, den aus Prag stammenden Willy Lorenz und den sudetendeutschen Geistlichen Lieball, nach einem geeigneten Redakteur Ausschau zu halten. Sie verfielen auf mich, der ich damals schon als Korrespondent ausländischer Zeitungen tätig war, ohne freilich über ein Salär zu verfügen. Mich interessierte die mir gestellte Aufgabe, und ich übernahm im März 1948 die Redaktion des Blättchens, das den Namen „Heimat“ erhielt.
Bald jedoch ergaben sich Differenzen mit Lieball, der die „Heimat“ zu einem volksdeutschen Kirchenblatt machen wollte und sich zurückzog. Mit Hilfe meiner Freunde entstand nun eine politische Zeitschrift, welche auch Auszüge aus den Blättern Osteuropas abdruckte, die sich mit Flüchtlingsfragen beschäftigten. Das Interesse der Volksdeutschen war groß, doch es konnten Differenzen mit der „Wegwarte“ nicht ausbleiben, die ihr Monopol bedroht sah. Auch die Besatzungsmächte verfolgten mit Argusaugen die Linie des Blattes, und eines Tages wurde ich auf die französische Kommandantur vorgeladen, weil ich die Banater Schwaben vor der Übersiedlung nach Frankreich gewarnt hatte, da dies ja die Aufgabe ihres Volkstums bedeuten würde. In Tirol wurde die „Heimat“ schon im August 1948 von Gouverneur Voizard verboten, da sie – wie schon ihr Titel zeige – eine versteckte großdeutsche Propaganda betreibe.

Eingliederung der Vertriebenen

Im März 1949 begann sich diesmal nicht bei der Frage der Einbürgerung, sondern bei jener der Arbeitsplätze eine neue Konfrontation abzuzeichnen Der sozialistische Sozialminister Karl Maisel kam auf die Idee, ein eigenes Inlandsarbeiter-Schutzgesetz vorzulegen, das sein Parteifreund Pittermann auf einer Betriebsrätekonferenz mit der Angst vor der Konkurrenz durch die Ausländer begründete. Da es schon 220.000 fremde Beschäftigte gebe, müßten die Arbeitsplätze für Inländer unbedingt gesichert werden. Wenig später präsentierte dann Maisel seine Vorlage, in der die Arbeit für Nichtösterreicher von einer Genehmigung abhängig gemacht wurde. Bei notwendigen Kündigungen seien zuerst die Ausländer zu entlassen.
Diesmal gab es einen Sturm der Empörung, den der spätere erste sudetendeutsche Abgeordnete Erwin Machunze (aus Zwittau) vor der Wiener Leitung der Volkspartei mit seiner Erklärung auslöste, den Vertriebenen würde so jede Lebensmöglichkeit genommen. Die vorgesehenen Befreiungsscheine würden nur jene erhalten, die bei den Arbeitsämtern eine Befürwortung der SPÖ vorlegen könnten. Und deshalb müsse endlich die Gleichstellung zwischen In- und Ausländern erfolgen. In Zusammenarbeit mit Machunze, in dessen Wochenblatt „Freiheit“ ich immer wieder Beiträge veröffentlicht hatte, entschloß ich mich zu einer ungewöhnlichen Aktion, die tatsächlich alle Pläne einer Benachteiligung der Heimatlosen begraben sollte.
In der Juni-Nummer der „Heimat“ erschien 1949 ein Appell an die Bundesregierung, von diesen Plänen Abstand zu nehmen. „Wir sind der Ansicht, daß diese Menschen, die am Wiederaufbau Österreichs maßgeblichen Anteil hatten, ein besseres Schicksal verdienen als jenes, das ihnen nunmehr zugedacht ist… Deshalb richten wir an die Bundesregierung den eindringlichen Appell, durch eine großzügige Einbürgerungspraxis endlich allen Volksdeutschen, die sich mit Österreich verbunden fühlen, festen Boden unter den Füßen zu geben.“
Der offene Brief trug die Unterschriften von 31 bekannten Persönlichkeiten, so des Schauspielers Fred Liewehr, des Malers Alfred Kubin, der Schöpferin der Bundeshymne, Paula von Preradovich, des Schriftstellers Karl H. Waggerl, von zehn Universitätsprofessoren, mehreren Journalisten und Geistlichen. Am 15. Juni teilte mir Bundeskanzler Figl mit, daß er den Appell dem Ministerrat zur Kenntnis gebracht habe und daß überhaupt das Problem der Heimatlosen „Gegenstand intensivster Sorge der Bundesregierung“ sei.
Nun meldeten sich auch andere Stimmen zu Wort – etwa die Liga für Menschenrechte, die Maisels Gesetzesentwurf eindeutig verurteilte. Wichtiger war freilich die Intervention der Katholischen Bischofskonferenz. Den Todesstoß versetzte dem Inlandsarbeitergesetz die Bundeswirtschaftskammer, ohne deren Zustimmung Gesetzesvorlagen im Kabinett keine Chance auf Annahme hatten. Sie lehnte den Entwurf eindeutig ab, denn die Nichtösterreicher hätten sich als tüchtig erwiesen –, ohne sie würde der Wirtschaft ein schwerer Schaden zugefügt werden. Auffällig in diesen Tagen war das Verhalten der immer noch mächtigen Kommunisten. Sie, die ja immer vorgaben, die Interessen der Arbeiterschaft zu vertreten, schwiegen, denn sie machten sich wohl ernstlich Hoffnungen, von der Verbitterung der Volksdeutschen profitieren zu können. Deshalb initiierten sie auch ein „Komitee antifaschistischer und fortschrittlicher Volksdeutscher“, das unter der Leitung von Ivor Nagy stand. Den Sowjets spielte es keine Rolle, daß Nagy, der aus der Karpathukraine stammte, im Krieg ein enger Mitarbeiter von Franz Basch, dem Führer des Volksbundes in Ungarn, war. Doch noch bevor das Komitee an die Arbeit gehen konnte, griffen die österreichischen Behörden ein, verhafteten Nagy und veranlaßten ihn zur Ausreise in die DDR.
Nach und nach formierte sich in Österreich auch wieder das nationalliberale Lager, dessen erstes Sprachrohr „Alpenländischer Heimatruf“ (Graz) bald Massenauflagen erreichte. Dort fragte Franz Klautzer, der später in den Nationalrat einziehen sollte: „Ist ein Mord nur dann ein Mord, wenn er von einem Deutschen begangen wurde, aber ein kleiner, vielleicht sogar entschuldbarer Mißgriff, wenn ein Tscheche, Pole oder Jugoslawe der Täter ist?“ Solche, bisher ganz ungewohnte Äußerungen brachten natürlich die Regierung in Verlegenheit, und sie verbot das Blatt. Doch es erschienen andere Zeitungen, die sich des Volksdeutschen Problems annahmen, bis dann durch die Gründung des „Verbandes der Unabhängigen“ überhaupt eine neue Lage geschaffen war, die durch seinen imposanten Wahlerfolg 1949 irreversibel gemacht wurde. Der VdU hatte ja die Eingliederung der Volksdeutschen in sein Programm aufgenommen und nahm sich ihrer nun auch im Parlament an. So zwang er die anderen Parteien, nach und nach auf diese Linie einzuschwenken.
Dies um so mehr, als die Abschiebung der Vertriebenen ad acta gelegt worden war und immer mehr Einbürgerungen erfolgten, die ein neues Wählerreservoir schufen, an dem alle Parteien Interesse zeigten. 1948 verzeichnete die Statistik schon 107.310 neue Staatsbürger, 1955 aber bereits 270.000, von denen 183.395 Deutschsprachige (davon 105.120 Sudetendeutsche) waren. Und 1959 war dann sogar eine Zahl von 282.898 Neuösterreichern zu verzeichnen. Diese Bilanz wäre nicht vollständig, betrachtete man nicht auch die andere Seite der Medaille: Bis Ende 1954 wurden 863.279 Personen repatriiert bzw. abgeschoben. Die meisten waren Fremdsprachige, doch auch 264.155 Reichsdeutsche und 159.576 Volksdeutsche mußten Österreich verlassen.

 
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