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Folgt Namibia dem Weg Zimbabwes?

Von Hans Feddersen

Wie war sie doch damals gefeiert worden, die Unabhängigkeit Namibias! Nach dem Fall der Mauer in Berlin und dem Ende des real „existierenden Sozialismus”,  der Annahme der liberalen und für Afrika so vorbildlichen Verfassung, der Wahl Sam Nujomas zum Staatspräsidenten und Hage Geingobs zu einem pragmatischen, vielleicht sogar „westlich orientierten (im Gegensatz zu „typisch afrikanischen”) Ministerpräsidenten und der Proklamierung von “nationaler Versöhnung” war der Weg geebnet: Namibia, der größte Erfolg der Vereinten Nationen, wurde als Vorreiter eines aufblühenden Kontinents gehandelt. Was eine Befreiungsbewegung ausrichten würde, wenn sie erst an der Macht ist, das interessierte nicht nur die unmittelbare Umgebung.

In Namibia selbst keimten verschiedene Hoffnungen und wahre Aufbruchstimmung auf. Das Nationalgefühl wurde angesprochen, als Namibia Mitglied der UNO und des Olympischen Komitees wurde, sich endlich an internationalen Sportveranstaltungen messen durfte und tatsächlich Erfolge feierte. Der Tourismus entwickelte sich (neben dem Bergbau, der Landwirtschaft und der Fischerei) zu einer der vier Säulen, die Namibias Wirtschaft tragen. Daß einige hungernde Bürger die neue Freiheit mißverstanden und die Kriminalität drastisch zunahm, tat dieser optimistischen Stimmung zunächst keinen Abbruch, denn im Vergleich zu anderen „Großstädten der Welt“ hielt sich das Verbrechen in Grenzen. Die Unfähigkeit der Polizei („Kein Geld, keine Dienstwagen“) wurde erst später als stillschweigendes Dulden interpretiert, denn die Opfer der Raubmorde waren in erster Linie weiße Landesbürger und Farmer; Opfer von Vergewaltigungen waren vornehmlich schwarze Frauen.
Immer wieder berief man sich in Diskussionen, Seminaren und in Konfliktsituationen auf die Verfassung und beschwor den „Weg einer afrikanischen Lösung“, der da beinhaltete: durch friedliche Verhandlungen ein gemeinsames Ziel zu verwirklichen. Die Rückkehr von 42.000 Namibiern aus dem Exil zog größere Arbeitslosigkeit nach sich. Demonstrationszüge bis zur Residenz des Präsidenten führten schließlich zur Gründung der „Entwicklungsbrigaden“  – deren 9.000 Mitglieder in der Folge weiterhin über mangelhafte Bezahlung und Arbeit klagten.
Während der südafrikanischen Kolonialverwaltung mit dem politischen Konzept der „getrennten Entwicklung/ Apartheid“ hatten sich Ressentiments vor allem im Bereich des Bodenbesitzes breit gemacht, so daß der politische Widerstand der „unterdrückten, besitzlosen und benachteiligten Schwarzen“ in erster Linie um eine Neuverteilung von Grund- und Bodenbesitz ging. Besonders kritisch sahen sich Farmeigentümer deshalb die Verfassung an, in der Privatbesitz garantiert ist. Ganz bedeutend ist darin auch das Konzept „williger Käufer, williger Verkäufer‘, wobei die Regierung immer das Erstkaufrecht haben soll, falls eine Farm „auf dem Markt angeboten wird“.  Über Jahre hinweg beruhigte dieses Konzept alle Betroffenen. Erst die Farmbesetzungen in Zimbabwe ließen einige weiße Farmer auch in Namibia aufschrecken. Hinzu kamen in jüngster Zeit pan-afrikanische Äußerungen Nujomas in Durban, wonach „wir die Unterstützung aus Europa nicht brauchen. Wir verzichten auf Entwicklungshilfe von dort“. Wohlgemerkt: Zimbabwes Präsident Mugabe darf Nujoma als seinen engsten Verbündeten bezeichnen. Eine der ersten Straßen, die in Namibias Hauptstadt Windhoek umbenannt wurde ist gleichzeitig  eine der längsten: Robert Mugabe Avenue. An ihr liegt das Staatshaus (Büros und Residenz des Präsidenten).  Als die Farmbesetzungen in Zimbabwe ihren negativen Höhepunkt erreichten, verbrachte Mugabe einen Kurzurlaub in Namibia und eröffnete hier ein Luxushotel, an dem er persönlich Anteilhaber ist. Tatsächlich war Mugabe als Sprecher zum Afrika-Tag in den Norden Namibias eingeladen worden. Im Beisein des Premierministers Geingob und zur Begeisterung der versammelten Menge schlug Zimbabwes Präsident vor, daß sich Namibia am Beispiel Zimbabwes orientieren sollte. Und als Mugabe internationale Beobachter brauchte, die ihm „freie und faire Wahlen“ bescheinigten, stand Namibia freiwillig ganz vorn in der Reihe der Anwärter. Mehrfach hat Nujoma seitdem seine vorbehaltlose Unterstützung Mugabes dokumentiert. Nicht nur, wenn er die Solidarität Afrikas beschwor, Agenten des Imperialismus im südlichen Afrika ausmerzen und neokoloniale Elemente bekämpfen wollte. (Die Formulierung lautete dann im Original-Ton etwa so: „Imperialistische und neokoloniale Elemente benutzen bei ihrer schmutzigen Arbeit die reaktionären Elemente in den Ländern, um Frieden und gesellschaftliche Ordnung zum Zwecke des Sturzes der legitimen Regierung zu destabilisieren“.) Wen wundert es noch, daß Namibia 1990 bis zum „letzten Atemzug“ Rumäniens Ceausescu und DDR-Chef Erich Honecker als große Freunde pries und auch 1999 gemeinsam mit Rußland und der VR China die Bombenangriffe der NATO auf Jugoslawien verurteilte und sich mehrfach zugunsten der Regierung Milosevic ins Zeug legte?

Straßen mit neuen Namen

Es geschah übrigens im Anschluß an jene Hotel-Einweihung durch Mugabe, daß Premierminister Hage Geingob, von dem noch die Rede sein wird, nach Österreich und Deutschland reiste, um direkte Unterstützung seitens der Regierungen für eine Landreform einzuholen. Er erntete zwar wohlwollende Erklärungen aber keine verbindlichen Ergebnisse. Nach seiner Rückkehr führte Geingob im November 2000 aus, Namibia benötige für die kommenden fünf Jahre einen Betrag von N$ 900 Millionen (90 Mio. Euro) zur Verwirklichung der Umverteilungsmaßnahmen. Anstatt bilateraler Zusagen erhielt er aber nur Verweise an die EU.
Apropros Straßen: Zahlreiche Straßen sind seit der Unabhängigkeit in regelmäßigen Zeitabständen umbenannt worden, etwa die Kaiser-Wilhelm-Straße in Swakopmund. Dieser Ort am Atlantik gilt als touristisches Schmuckkästchen und nicht nur architektonisch als letztes Exponat der ehemaligen deutschen Kolonialzeit. Auffällig ist an den neuen Straßennamen, daß sie Präsidenten wie Fidel Castro und Kabila verewigen.
Kabila? Das war der Präsident der „Demokratischen Republik Kongo“ – und mit ihm, der inzwischen ermordet wurde, verband Sam Nujoma eine besondere Freundschaft. Als Rebellen ihn stürzen wollten, schickte Namibia (in trauter Absprache mit Angola und Zimbabwe) kurzerhand Soldaten zu seiner Hilfe. Der Beschluß hätte im Rahmen der Verfassung nicht ohne Absegnung des Parlaments gefaßt werden dürfen, aber Nujoma handelte und beschloß den Einsatz in diesem Falle eigenmächtig als Oberster Befehlshaber der Streitkräfte „im nationalen Interesse“ – und die finanziellen Folgen spiegelten sich noch jahrelang in jedem Zusatzhaushalt. Das Militärabenteuer war nicht nur teuer, es machte auch klar, wie sich das Staatsoberhaupt in ähnlichen Fällen verhalten würde - und im Rahmen der Verfassung auch darf. Denn die „demokratische Verfassung“ verliert ihren Wert in dem Maße, wie die schwache Opposition sich gefallen lassen muß, daß sie gegen eine 70prozentige Mehrheit nicht ankommen kann. Oft genug muß sie hilflos erleben, wie stark ein Präsident ist, der in zahlreichen Fällen allein entscheiden darf. Er stellt Minister und deren Stellvertreter an; er ernennt sechs Parlamentarier; legt die Hierarchie auf der Wählerliste seiner Partei fest, bestimmt Richter, Staatsanwalt und Rechnungshof – und hat auch sonst unwahrscheinlich große Macht, denn in Afrika steckt das demokratische Konzept einer „Kritik von unten“ noch in Kinderschuhen. Grundsätzlich bestimmt die Hierarchie einer patriarchalischen Pyramide die Mentalität afrikanischer Menschen. Politisch ist es daher selbstverständlich, daß der „Landesvater“ lebenslänglich im Amt sein soll, nicht etwa als Integrationsfigur, sondern weil man mit der „europäischen“ Kultur der Demokratie nicht viel anfangen kann. Das geht so weit, daß sich ein Großteil der Wähler fragt, was der Sinn pluralistischer Wahlen sein soll, die sich auf mehreren Ebenen (Kommunal, regional und national) alle fünf Jahre wiederholen. Besonders bedenklich wird diese Einstellung, wenn es um die Person des Präsidenten geht - und sich immer wieder Gremien der regierenden Partei finden, die – entgegen der Verfassungsbestimmungen – einen weiteren Amtstermin der „Integrationsfigur“ fordern.   Eine Untersuchung des Wortschatzes einheimischer Gruppen wird ergiebig nachweisen können, daß es Begriffe wie Kritik oder Opposition, Meiningsfreiheit oder -vielfalt gar nicht gibt.

Der Heldenacker

Gab es im Falle des militärischen Abenteuers im Kongo bereits einen Verstoß gegen die Verfassung (den man aus Gründen fortgesetzter friedlicher Versöhnung geflissentlich bald wieder vergaß), so fiel die Argumentation für eine dritte Amtsperiode des Präsidenten etwas komplizierter aus. Auch dies war vom „ältestenrat“so verlangt worden – und wie konnte sich Sam Nujoma gegen diesen „Volksentscheid“ wehren, der die Partei seit nunmehr über 40 Jahren leitete und selbst mit 73 Jahren noch körperlich und gesundheitlich in der Lage ist, länger im Rampenlicht zu stehen.
Noch sagt  Sam Nujoma zwar selbst, er werde als Präsident zurücktreten und einem Nachfolger das Heft überlassen. Mit wenig Überzeugung streitet er „vehement“ jegliche Ambitionen auf die Macht ab. Aber sein Lebenswerk ist noch nicht vollendet. Zwar kann er neuerdings seinen Besuchern aus Nordkorea und Vietnam oder China voller Stolz den neuen „Heldenacker“ präsentieren:  Überdimensionaler Pomp aus Marmor und Nostalgie; hier wurde Windhoeks eigener Nationalstolz geschaffen, durchaus dem „Treptower Park“ im östlichen Teil Berlins zu DDR-Zeiten nachempfunden.
Dieser „Heldenacker, von Nordkoreanern gebaut, verschlang bis zu seiner Eröffnung bereits  N$ 60 Millionen (rund 6 Millionen Euro).
Und so regt sich auch kaum Kritik am nächsten Projekt, das sogar über N$ 200 Millionen (rund 20 Millionen Euro) kosten wird: Für das neue Staatshaus mit Konferenzräumen und 46 Gästezimmern wird im wahrsten Sinne ein ganzer Berg abgetragen; von dieser Stelle aus hat man den freien Blick auf das pompöse Standbild des „Heldenackers“, einen Kämpfer mit AK-47 und Handgranate, der schon wegen seines Bartes stark an Sam Nujoma erinnert.
Nur die größten Kritiker stellten die Frage, was man mit solchen Beträgen an Schulen, Gesundheitswesen, Infrastruktur oder Sozialprojekten hätte finanzieren können. Die große Masse namibischer Bürger ist apathisch und lethargisch geworden. Enthusiasmus und Engagement sind abgestumpft. Die zahlenmäßige Übermacht der Partei und ihres Chefs ist einfach überwältigend.

Ministerpräsident Geingob muß gehen

Ein Beispiel aus jüngster Zeit mag dies belegen: Just in den letzten Tagen vor der Einweihung des Heldenackers am 26. August 2002  fand ein Parteitag der Nujoma-Anhänger statt. Hinter der Kulisse gab es Fragen, warum sich die Partei nicht konsequent an ihre eigene Satzung gehalten habe, als vier Schlüsselpositionen neu besetzt wurden. Trotz der parteiinternen Frauenquote war  nicht einer dieser Posten mit einer Frau besetzt worden. Als die Einweihung des Heldenackers vorbei war, dauerte es keine 24 Stunden: Ministerpräsident Hage Geingob, der sich in der Hierarchie des ZK um 14 Plätze auf den 9. Rang verbessert hatte, war teilweise bereits als Vizepräsident der Partei und Nachfolger Nujomas gehandelt worden. Nun wurde er wie ein Blitz aus heiterem Himmel plötzlich im Verlauf einer überraschenden Kabinettsumbildung degradiert - und verzichtete fortan auf ein Regierungsamt. Kein Minister muckte auf; allzu sehr waren sie sich des eigenen Schicksals bewußt, das in so großem Maße von den Launen des Parteichefs abhängt.
Geingobs Verdienste waren seit dem UN-Institut in Lusaka bekannt, das Namibiern im Exil als Ausbildungsstätte diente und dessen Leiter er damals sein durfte. Er war (erfolgreicher) Wahlleiter der Partei 1989 und sorgte staatsmännisch für Namibias Ansehen. Er soll jedoch einen Sonderkongreß zum Thema „3. Amtstermin‘ und die Aufnahme von 21 Frauen im Zentralkomitee befürwortet haben. Auch kritisierte Geingob angeblich 1997 die Erweiterung des Kabinetts um drei Minister ohne Portefeuille, was als ein weiteres Indiz für den wachsenden Zugriff der Regierung auf Ressourcen des Staatsapparates gewertet wurde, um damit eigene parteipolitische Aktivitäten aus zweckentfremdeten Steuergeldern subventionieren zu können. Geingob wagte es damals, die beträchtliche Ausweitung von Privilegien und Vergünstigungen für Inhaber hochrangiger politischer Ämter im Staatsdienst zu kritisieren. Diese Selbstbedienungsmentalität hat ihm nicht gefallen. Man darf vermuten, daß er auch Wert auf Leistung seiner Beamten legte und die Tendenz verurteilte, wonach hohe Posten nur noch „verdienten“ Parteimitgliedern zugänglich sein sollen.

Information ist Chefsache

Bei dieser vorerst letzten Kabinettsumbildung (der bisherige Außenminister Theo-Ben Gurirab wurde Ministerpräsident; Handelsminister Hamutenya wurde zum neuen Außenminister bestellt) übernahm Präsident Nujoma persönlich das Informationsministerium (darunter die Regierungszeitung und die nationale Rundfunk- und Fernsehanstalt). Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser Schritt auf die Meinungs- und Medienfreiheit in Namibia auswirkt. Schon bevor Nujoma Informationsminister wurde, hatte er Anzeigen in einer regierungskritischen Tageszeitung amtlich verboten. Ein Vorbild gibt es natürlich: In Zimbabwe – man ahnt es schon – hat Präsident Mugabe ebenfalls das Ressort des Informationsministers übernommen.
Diese Entwicklung verursachte kurze Schockwellen der Empörung. Eine Persönlichkeit, die pragmatische Vernunft, Versöhnung und Zuversicht verkörpert hatte, mußte gehen. Wie würde man in Zukunft Investoren und Touristen ins Land locken? Touristen? Das ist die einfachere Aufgabe, denn das Land bietet Natur pur. Ihre berühmtesten Touristenattraktionen sind Tierwelt und die Einsamkeit der Wüsten und herrliche landschaftliche Weiten. Investoren? Investoren aber setzen eher eine  vernünftige Politik voraus, die sich eben nicht darin erschöpft, verschwenderische, pompöse Denkmäler für den Befreiungskampf zu setzen – und dann auf Spender und Entwicklungshilfen zu warten.
Es fehlen manchmal klare, eindeutige Aussagen. Störend wirkt es, wenn der Präsident auf einer internationalen Konferenz Europa und sein Wertesystem anprangert - und dann mehrere Vizeminister und Botschafter eben jene internationalen Partner und Medien beruhigen sollen, – nach dem Motto; „Es war doch wieder einmal alles nicht so gemeint“.
Besondere Aufmerksamkeit richtet sich – natürlich auch im Sog der Ereignisse in Zimbabwe – auf die Bodenreform. Was ist die Verfassung wert, wenn Farmen plötzlich besetzt werden sollten? Inwiefern  bieten weiße Farmer ihren Angestellten und den landhungrigen Angehörigen der ehemals benachteiligten Bevölkerungsmehrheit Signale der Versöhnung? Signale wie in den vergangenen Wochen, als kommerzielle Farmer Millionen Dollar für den Kampf gegen Dürre und Hunger spendeten. Und wie werden solche Signale von den Landhungrigen und ihren extrem anti-kolonialistischen Gewerkschaften gedeutet? Zu welchem Zeitpunkt ist das Prinzip „Williger Käufer, williger Verkäufer“ noch oder nicht mehr tragbar?

Selbstbedienung für verdiente Parteimitglieder

Man wundert sich nicht, daß Präsident Nujoma jahrelang klare Worte gegen Weiße, Europäer und Kolonialisten fand, die seine Partei zusammenschweißen konnten. Das ist ein legitimes politisches Mittel nach dem Motto, einen „gemeinsamen Feind zu besiegen“. Parolen aus dem Befreiungskampf sind längst noch nicht passé. Man wundert sich jedoch, daß die Bodenreform, die seinerzeit einer der wichtigsten Gründe für den Freiheitskampf gegen Kolonialherren war,  in den ersten zwölf Jahren des unabhängigen Namibia kaum auf der Tagesordnung stand. Ein Grund dafür liegt darin, daß die Regierung zwar Geld für den  Ankauf von Farmen und die Umsiedlung zukünftiger neuer Landwirte bereitstellte, aber längst nicht genug. Seit der Unabhängigkeit kaufte sie 567.000 Hektar für N$ 70 Millionen (etwa 7 Millionen Euro); laut Regierungsstatistik besitzen weiße Landwirte aber 30,5 Millionen Hektar. Die öffentlichkeit reagierte auch nicht, als sich dieser Tage herausstellte, daß der verstorbene General Hamaambo, der Staatsminister im Erziehungsministerium, ein weiterer Minister  namens Vitalis Ankama und eine Regional-Gouverneurin zu den ersten „ehemals Benachteiligten“ gehörten, die von der Regierung auf Farmen umgesiedelt wurden. Wer etwas dagegen hatte, wies darauf hin, daß Ankama monatlich N$ 18.545 verdiente, dazu eine Autozulage von N$ 6.600 erhält, N$ 1.500 als Zulage für den Unterhalt des Dienstwagens und N$ 7.000 als monatliche Hauszulage einstreicht. „Er hätte sich bald selbst eine Farm kaufen können,“ hieß es, aber dann verstummte die Kritik, denn: Wer jahrelang im Exil gelitten hat, ist berechtigt, eine Farm zu bekommen – „das hat mit seinem heutigen Rang und Gehalt nichts zu tun“. Ein anderer Grund mag darin liegen, daß dieses hochbrisante Thema im „Notfalle“ eines Referendums oder einer Wahl aufpoliert werden kann. In den vergangenen zwölf Jahren war dies nicht nötig.
Unterschiede zu Zimbabwe gibt es durchaus: Während sich dort der Zorn der besitzlosen Massen gegen den britischen Kolonialherrn richtete, gehen Beobachter mit großer Berechtigung davon aus, daß Namibia eben doch „besondere Beziehungen mit Deutschland pflegt“. Außerdem setzte Mugabe die Farmbesetzer ein (und duldete ihre Plünderungen), weil er angesichts einer starken, im Wahlkampf sogar aussichtsreichen Opposition durchaus „mit allen Mitteln“ um seine Macht kämpfen mußte. Nujoma steht innerhalb seiner Partei und der Regierung, aber auch in der gesamten namibischen Gesellschaft „so stark wie nie“ da. So wurde er mit 76 Prozent aller Wählerstimmen zum Präsidenten gewählt – und für den Fall eines Referendums (etwa zur Frage: Soll die Verfassung geändert werden, damit Nujoma weiterhin im Amt bleibt?) – für diesen Fall hat er Kritiker innerhalb der Partei längst „beseitigt“, siehe Hage Geingobs Abgang.
Nach 12 Jahren Demokratie kann man Namibia bescheinigen, daß es sich im Großen und Ganzen an seine demokratische Verfassung hielt – und dennoch immer mehr zu einer politischen Diktatur wurde. Am Beispiel Namibia, dem einstigen Musterland für demokratische Politik in Afrika, läßt sich ganz eindeutig beweisen, daß es lange dauert, bis ein ethnischer Vielvölkerstaat, der jahrzehntelang von einer Rassen-Politik der „getrennten Entwicklung“ geprägt wurde, zum „einig Volk von Brüdern“ wird (falls dies je gelingt). Noch heute, zwölf Jahre nach der feierlichen Zeremonie zur Unabhängigkeit, wird die Hautfarbe herangezerrt, wo es eigentlich um sozio-ökonomische Argumente gehen sollte. Eine Bodenreform, die nur als „Umverteilung“ dient, ist auf Sand gebaut, solange die politische Formel nur lautet: „Wir und die anderen; hier europäische (oder noch schlimmer: koloniale), dort nicht-europäische Werte und Mentalität“. Leistung und Können scheinen bei dieser radikalen Bewältigung der Geschichte keine Rolle zu spielen. Auch das dürfte ein Grund dafür sein, daß der zahlenmäßig verschwindend geringe Anteil der weißen Bevölkerung nicht an nationalen Feiern teilnimmt, die jedes Mal zu reinen parteipolitischen Veranstaltungen umfunktioniert werden.
 In diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt, ob die neuen Landwirte, die in den Genuß solcher korrektiven Maßnahmen kommen, erfolgreich wirtschaften werden.

Alles nicht so einfach

Das Land braucht noch viel Zeit, Toleranz und gegenseitigen Respekt. Es hilft nicht weiter, daß der Spieß der Vergangenheit undifferenziert umgedreht und nun eine „Apartheid oder Rassenpolitik mit umgekehrtem Vorzeichen“ verfolgt wird. Es wird nicht nur eine oder zwei Generationen dauern, bis sich das Verhalten der namibischen Bevölkerung ändert.
Auf eine Formel gebracht: Wie verhalten sich Kapitalisten, wenn es um Geld geht? Wie verhalten sich Afrikaner, die feststellen, daß einige Menschen (zumindest nach ihrer subjektiven Auffassung) viel Geld (etwa eine Farm) haben? Sie erwarten eine Verteilung dieses Geldes. Erst recht in einem Land, wo die gesellschaftliche Kluft riesengroß ist (zwischen Slums, Hunger und Arbeitslosigkeit einerseits und relativem Luxus andererseits). Dies sind Gegebenheiten, die zunehmend vom Verbrechermilieu genutzt (oder auch geschürt) werden. Bedenklich ist, daß solche „falsche Wertmaßstäbe“ manchmal von offizieller Stelle und sogar vom Präsidenten Namibias nicht nur nicht gebremst, sondern (ganz bewußt eher als unbewußt) gefördert werden. Aussagen, wie sie manchmal von Nujoma zu hören sind (gegen Europäer, die EU, Weiße oder Kolonialisten) widersprechen dem Versöhnungsgedanken. Sie fördern teilweise wohl auch Angriffe auf Touristen und Verbrechen gegen Weiße. Da ein neues Wertesystem und damit ein neues Verhalten nicht innerhalb einer Generation aus dem Zylinder gezaubert werden kann, besteht sogar die Gefahr, daß die derzeitige Strategie „gegen den kolonialen Feind“ noch lange der politische Nenner bleiben wird: Vermiest den Weißen den Aufenthalt in Namibia so, daß sie das Land freiwillig verlassen.
Ein Teil der Weißen, der die Fronten nicht verhärten möchte, engagiert sich unterdessen entlang der Schiene „politischer Korrektheit“. Man sucht eine Annäherung statt der Konfrontation, obwohl ein selbstbewußter Hinweis auf die eigenen Interessen und die wirtschaftliche Bedeutung der Weißen für das Land wahrscheinlich zielführender wäre. Auch diesem Engagement, das sich als Thema über viele Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen ausbreitet, stehen viele Weiße apathisch gegenüber. Sie konzentrieren sich auf die Wirtschaft und müssen dabei hoffen, daß die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht zu stürmisch werden. Da spricht man z.B. in Regierungskreisen von einer Verschiebung des symbolischen Kolonialdenkmals des Schutztruppen-Reiters. An die Stelle der Konturen, die durch die berühmte deutsche Christuskirche, das Regierungsgebäude aus kolonialer Zeit („den Tintenpalast“) und Reiterstandbild bestimmt werden, soll ein riesengroßes Museum der Landesgeschichte rücken. Es müßte sieben Stockwerke hoch werden, damit die Christuskirche klein wirkt, und soll drei Stockwerke tiefe Fundamente haben. Aber vorerst fehlt das Geld für dieses Gebäude, dessen Pläne (wieder einmal) von Nordkoreanern entworfen wurden. Denn noch sollen Gelder zuerst einmal in das neue Staatshaus fließen…

Entscheidung 2004?

Die neuen nationalen Symbole (Straßennamen, Heldenacker, neues Staatshaus, Landesmuseum) können durchaus auch als  Vorboten einer konfrontationsträchtigen Politik betrachtet werden. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, mit der sich abzeichnenden Tendenz zu autokratischen und autoritären Formen einer faktischen Ein-Partei-Herrschaft fertig zu werden.
Vielleicht gelingt es, wenn alle Namibier einsehen, daß die Bevölkerung aus verschiedenen Gruppen mit verschiedenen Mentalitäten und Ansichten besteht, die man respektieren muß.Hierin könnte ein Ansatz zur positiven Ausrichtung der so häufig beschworenen Versöhnung liegen. Leider versuchen jedoch viele weiße Namibier, sich eine gesicherte Zukunft durch Heuchelei (etwa politisch-korrekte Liebdienerei) zu erfeilschen. Aufrichtigkeit und ehrliche Überzeugungen haben noch nie geschadet, aber Angst war schon oft ein falscher Ratgeber.
Ein entscheidendes Jahr für Namibia wird das Jahr 2004 werden. Schon bereiten Herero das „100jährige Jubiläum des ersten Kolonialkrieges gegen die deutsche Schutztruppe“ vor. Gleichzeitig fordert diese Volksgruppe in New York Wiedergutmachung von der deutschen Regierung, die ganz richtig erklärt, daß sie solche Reparationen nicht an eine einzelne Gruppe zahlen könne, sondern sich nur an ein bilaterales Abkommen mit einer Regierung halten würde. Je näher das Jahr 2004 rückt, desto hektischer werden die politischen Diskussionen in Namibia werden. Man munkelt bereits, daß bis 2004 auch das „Problem der Bodenreform“ gelöst sein soll. Warten wir‘s ab. Nicht einmal die Preußen haben so schnell geschossen…

Hans Feddersen, Jahrgang 1949, lebt seit 50 Jahren in Namibia. 1980 bis 1995 Chefredakteur der deutschsprachigen Tageszeitung Allgemeine Zeitung. Seit 1995 Herausgeber und Chefredakteur des Wochenblattes PLUS.

 
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