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Das heutige Deutschtum in Namibia

Von Hartmut Fröschle

Namibia, das frühere Südwestafrika, das ein Gebiet von 824.292 km² umfaßt, ist seit 1990 ein unabhängiger Staat. Als karges, wasser- und nutzpflanzenarmes Land geriet es erst spät in den Blickpunkt der europäischen Kolonialmächte. Es war bevölkert von den San (Buschmännern), wohl seit Ende der Steinzeit; andere Völkerschaften kamen sehr viel später und verdrängten die Buschmänner aus dem Großteil ihres Wohngebietes. Im Norden ließen sich Bantu-sprechende Stämme nieder (man unterscheidet heute zwischen den Ovambo, den Kavango und den Capriviern), in Zentral- und Ostnamibia siedeln die Damara und die Hereros; die Oorlam-Nama (früher auch Hottentotten genannt) kamen Anfang des 19. Jahrhunderts aus der Gegend südlich des Oranje-Flusses, die Basters wanderten Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts aus der nördlichen Kapregion ein. Die Hereros und die Namas (Hottentotten) waren nomadisierende Hirtenvölker, die von Wasserstelle zu Wasserstelle zogen und sich gegenseitig bekriegten.

Heute schätzt man die Bevölkerung auf ca. 1,9 Mio. Menschen, in der Mehrheit Ovambos; die Weißen machen maximal 100.000 Personen aus, davon mindestens 20.000 Deutsche.
Die Zahl der Deutschen ist im Verhältnis zur Gesamtzahl der Bevölkerung sehr gering; trotzdem wurde (und wird) das Land stark von ihnen geprägt. Es mutet wie ein Symbol an, daß unter den ersten Europäern, die den Fuß auf südwestafrikanische Erde setzten, ein Deutscher war. 1486 ging der portugiesische Seefahrer Diego Cao am Kreuzkap der Skelettküste an Land und errichtete ein Steinkreuz; als wissenschaftlicher Berater befand sich in seiner Begleitung der Nürnberger Kosmograph Martin Behaim, der später den berühmten ersten Globus anfertigte.
Im März 1878 annektierten die Engländer die Walfis Bay, die einzige Bucht, in der Überseeschiffe sicher ankern konnten. Ende 1883 kaufte der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz dem Nama-Häuptling Joseph Fredericks die Bucht Angra Pequena ab und errichtete dort einen Handelsposten, das heutige Lüderitz. Später erwarb er den gesamten Küstenstreifen vom Oranje bis zum 26. Grad südlicher Breite und bat die Reichsregierung um Schutz für seine Besitzungen. Im April 1884 erklärte Bismarck den Lüderitzschen Besitz zum Schutzgebiet des Deutschen Reiches. Im Ersten Weltkrieg mußte die kleine deutsche Schutztruppe der burisch-englischen Übermacht, die von Süden her eindrang, weichen und kapitulierte am 9. Juli 1915 in der Nähe von Otavi. Im Dezember 1920 unterstellte der Völkerbund Südwestafrika der Südafrikanischen Union als Mandatsgebiet, 1925 bekam das Land eine Repräsentativ-Verfassung (mit Parteienbildung und gesetzgebender Verfassung). Im Zweiten Weltkrieg wurden die deutschen Männer wieder interniert. Aber 1948, durch den Sieg der burischen Nationalpartei, der auch mit den deutschen Stimmen zustande kam, verbesserte sich das Los der Deutschen, die deutsche Sprache gewann wieder an Bedeutung und wurde 1984 sogar zur dritten Nationalsprache neben Afrikaans und Englisch. 1959 begannen die von außen gesteuerten Unruhen gegen Südafrika wegen der Apartheid, das seinerseits die Einmischung der UNO zurückwies und 1962 ein Homeland-System für die verschiedenen Völkerschaften errichtete; 1966 erklärte die UNO das südafrikanische Mandat für beendet, 1971 bezeichnete der Internationale Gerichtshof die südafrikanische Präsenz in SWA als illegal. Im Dezember 1978 wurden international nicht anerkannte Wahlen abgehalten, weil die hauptsächlich aus Ovambos bestehende, kommunistisch orientierte Befreiungsbewegung SWAPO, die von Angola aus einen Guerillakrieg gegen Südafrika führte, nicht daran teilnahm. 1985 wurde eine Übergangsregierung gebildet, 1988 erfolgte ein trilaterales Abkommen über Truppenabzug zwischen Angola, Kuba und Südafrika, in den Wahlen vom November 1989 gewann die SWAPO mit 56,5%, und am 21. März 1990 wurde die Unabhängigkeit ausgerufen; der SWAPO-Chef Sam Nujoma, ein Ovambo, wurde zum Präsidenten gewählt und hat dieses Amt bis heute inne.

Die Kolonialzeit

Diese Übersicht zeigt, daß die Deutschen nur 31 Jahre in Südwestafrika die Macht hatten, im Gegensatz zu den 87 Jahren, in denen die Engländer, die Buren und die Ovambos herrschten. Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß es die Deutschen waren (und großenteils immer noch sind), die das Land prägten. Dabei ist zu bedenken, daß die Kolonie lange ein Zuschußbetrieb war; erst nachdem 1908 im Süden Diamantenfelder entdeckt und zunehmend ausgebeutet wurden, warf Deutsch-Südwestafrika Gewinn ab. Die Infrastruktur für das heutige Namibia wurde schon in der deutschen Zeit geschaffen: die Städte, Straßen, Eisenbahnen, die Landwirtschaft, der Bergbau, das Handwerk, die Wissenschaft, das Schulwesen. Die Leistungen der deutschen Kolonialverwaltung für die Eingeborenen kann man z.B. daran ersehen, daß es in den vier deutschen Kolonien in Afrika ca. 3.000 Schulen für Eingeborene mit 174.230 afrikanischen und nur 27 Schulen für Europäer mit 922 weißen Schülern gab. Wenn Namibia heute ein beliebtes Touristenziel ist, so liegt dies nicht nur an der eindrucksvollen Landschaft mit ihren Wüsten, zerklüfteten Gebirgen, Savannen, nördlichen Wäldern und Wildreservaten, sondern auch an der historischen Architektur, deren herausragende Gebäude fast alle aus der deutschen Zeit stammen. Nach Windhoek kommen die Touristen nicht wegen der Hochhäuser der letzten Jahrzehnte, die sie in jeder Großstadt der Welt sehen können, sondern wegen der historischen Architektur: dem Tintenpalast (dem Sitz des Gouverneurs, in dem auch der heutige Präsident residiert), der Christuskirche, dem Reiterstandbild, der alten Festung, den repräsentativen Häusern der Independence Avenue (der früheren Kaiser-Wilhelm-Straße) – Erkrath-Gebäude (1913), Gathemann-Haus (1913), Hotel Kronprinz (1902) –, der Kanzlei des Ombudsmanns (1907) und der drei vom Architekten Willi Sander entworfenen „Burgen“, eindrucksvollen Villen: der Schwerinsburg (1914), der Heinitzburg und der Sanderburg. Ähnlich verhält es sich in Swakopmund mit seinem Bahnhof (1901), dem Woermannshaus (1905), dem Hohenzollernhaus (1906), dem früheren Kaiserlichen Bezirksgericht neben dem Leuchtturm (1902), das heute dem Präsidenten als Sommerresidenz dient, der 1913 als Deutsche Schule gegründeten heutigen Namib Highschool, der neobarocken Lutherischen Kirche und einer Reihe anderer Gebäude der kolonialen Zeit. Auch andere Orte haben noch Kolonialarchitektur als Anziehungspunkte, einige tragen deutsche Namen wie Lüderitz und Mariental.
Leider entspricht das Bild, das in den heutigen Medien, etwa Reiseführern, gezeichnet wird, nicht der kolonisatorischen Leistung der Deutschen des Kaiserreichs. In zunehmendem Maße werden die Kolonialkriege, welche die Schutztruppe gegen die aufständischen Hereros und Nama führen mußte, dämonisiert und zu Völkermordaktionen umgedeutet. So heißt es z.B. in dem sehr preiswerten, weit verbreiteten, auf englisch und deutsch erschienenen Reiseführer „Namibia“ von Bill und Andrea Revillo: „Die Namibier wurden systematisch von der deutschen Kolonialregierung enteignet… Am 11. August 1904 wurden die Hereros in der Schlacht am Waterberg besiegt und gezwungen, in das trockenen Ödland im Osten zu fliehen. Andere gingen nach Botswana, damals Betschuanaland, ins Exil. Zehntausende Hereros starben im Krieg, im darauffolgenden Völkermord oder an Hunger und Durst; ca. 9.000 Männer, Frauen und Kinder wurden gefangengenommen.“ In dieser Kurzfassung der Genozid-These stimmt fast nichts: unter Gouverneur Leutwein wurden die Eingeborenen nicht enteignet, sondern Land wurde ihnen abgekauft. Die Hereros wurden am Waterberg nicht entscheidend besiegt, denn ihrem Heer gelang die Flucht durch die deutsche Umzingelung; sie wurden nicht gezwungen, ins trockene Ödland zu fliehen, sondern sie realisierten durch diesen Ausbruch einen strategischen Rückzugsplan in das englische Betschuanaland, der weitgehend fehlschlug, weil die normalerweise vorhandenen Wasserstellen im Sandfeld aufgrund ungewöhnlicher Hitze ausgetrocknet waren und viele der Fliehenden deswegen verdursteten. Viele Überlebende wurden nicht gefangengenommen, sondern meldeten sich in den von der Rheinischen Mission errichteten Auffanglagern, um dem Verdursten und Verhungern zu entgehen. Natürlich wird auch der unsägliche Erschießungsbefehl des Generals Lothar von Trotha nach der Flucht der Hereros zitiert, ohne zu erwähnen, daß er nur zwei Monate in Kraft war, bevor er vom Kaiser widerrufen wurde; über tatsächliche Wirkungen dieses Befehls ist nichts bekannt. Aufgrund des Genozid-Mythos, der auch von den heutigen deutschen Medien kolportiert wird, erhebt die jetzige Herero-Führung Anspruch auf finanzielle Wiedergutmachung. Natürlich ist dieser verzerrten Geschichtsversion durch einzelne Autoren widersprochen worden, etwa durch die Kolonialgeschichte von Gert Sudholt oder kürzlich durch das Buch von Claus Nordbruch, aber diese Stimmen dringen nicht durch.
Erfreulicherweise hat sich kürzlich in Windhoek ein Internationaler Arbeitskreis für Kolonialwissenschaftliche Forschung gebildet, dessen Mitglieder der Schriftleitung in Namibia, Deutschland und Südafrika beheimatet sind und der innerhalb seiner „Befunde und Berichte zur Deutschen Kolonialgeschichte“ als Ausgabe 1/200 eine Schrift mit dem Titel „Zwischen Waterberg und Sandfeld“ herausgegeben hat, deren Autoren in einer Reihe von Artikeln sich um detaillierte Wahrheitsfindung bezüglich der Waterberg-Schlacht und ihrer Folgen bemühen; eine Schrift, die Wahrheitssuchern sehr zu empfehlen ist.

Kulturelle Aktivitäten

Dieser Arbeitskreis bringt einen Aspekt der Präsenz deutscher Menschen in Namibia ins Blickfeld, der in Anbetracht ihrer geringen Zahl kaum zu überschätzen ist: den Beitrag der deutschen Südwester zur Wissenschaft des Landes. Die 1925 gegründete Namibia Wissenschaftliche Gesellschaft (NWG) wurde und wird größtenteils von den Deutschen Namibias getragen. Die NWG setzt sich für den Erhalt und den Ausbau von Wissenschaft und Forschung in Namibia ein und ermutigt heute in erster Linie Laien und Hobby-Wissenschaftler der verschiedensten Fachgebiete, neue Erkenntnisse anzustreben. Gleichzeitig gibt die Gesellschaft Hilfestellung bei der Erstellung und Veröffentlichung von wissenschaftlichen Arbeiten und stellt ihre umfangreiche Arbeitsbibliothek mit über 10.000 Büchern und 5.000 Sonderdrucken zur Verfügung. Die Liste der vorrätigen Publikationen der NWG umfaßt deutsch- und englischsprachige Schriften zur Geschichte, Archäologie, Botanik, Politik, Ornithologie und Ethnologie, Nachschlagewerke sowie Kinder- und Unterhaltungsliteratur. Neben Monographien und Schriftenreihen erscheint auch das jährliche „Journal“ (mit Themen im Bereich von Forschung und Wissenschaft in Namibia). Die Gesellschaft erhält keinerlei Zuschüsse von irgendwelchen öffentlichen Stellen und finanziert sich ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Verkauf von Büchern. Mitglied kann jede Person über 18 Jahren werden, unabhängig von Sprach- und Kulturzugehörigkeit. Die NWG fungiert auch als Schirmherr für die Regionalgruppen Otavi-Bergland (Tsumeb-Museum), Grootfontein und Lüderitz. Diese Gruppen arbeiten selbständig und betreuen und unterhalten jeweils kulturhistorische Museen mit wertvollen Ausstellungsstücken und Sammlungen. Das Tsumeb-Museum ist eine Schöpfung der Südwesterin Ilse Schatz, einer energischen, heute 72 Jahr alten Dame, nach der der aus Schwarzen bestehende Stadtrat eine Straße benannt hat, eine Ehrung, die Lebenden selten zuteil wird. Frau Schatz ist es gelungen, einige der Kanonen, welche die deutsche Schutztruppe vor ihrer Kapitulation 1915 im Otjikoto-See bei Tsumeb versenkt hatten, heben zu lassen; sie gehören zu den Prunkstücken in dem eindrucksvollen Museum. Nicht minder eindrucksvoll erscheint die Leistung von Frau Bauer, einer Anfang der fünfziger Jahre eingewanderten, heute 78 Jahre alten Sächsin, der der Aufbau und Erhalt des Museums im alten Fort von Grootfontein zu verdanken ist. Sind schon diese Leistungen einzelner Namibia-Deutscher bewundernswert, so ist man von dem Museum in Swakopmund, einem Weltklasse-Museum, geradezu überwältigt. Auch dieses große, auf den Mauern des ehemaligen kaiserlichen Zollamtes erbaute landeskundliche (historisch-geographisch-ethnologische) Museum entstand durch deutsche Initiative. 1950 hatte der Stadtrat ein Preisausschreiben veranstaltet für Vorschläge zur Verbesserung und Hebung der Saison, und der Zahnarzt Dr. Alfons Weber reichte einen Projektentwurf für ein Heimatmuseum ein. Ein alter Schuppen mit ca. 200 m² Bodenfläche sollte die Ausstellungsobjekte beherbergen. Er bekam den ersten Preis, 10 Rand in bar, die er mit einer Windhoeker Teilnehmerin zu teilen hatte. Für die verbleibenden 5 Rand schickte Alfons Weber Kaffeepakete an einen in Deutschland lebenden ehemaligen Schutztruppenleutnant. Dafür erhielt er afrikanische Erinnerungsstücke, Fotos und anderes mehr, die ersten Exponate des geplanten Museums. Im März 1951 gründete Dr. Weber die Ortsgruppe Swakopmund der S.W.A. Wissenschaftlichen Gesellschaft, die als Träger des Unternehmens nach einer Vorbereitungszeit von elf Monaten am 17. 12. 1951 das Museum in dem Schuppen eröffnen konnte. Die Bestände wurden laufend erweitert, ab 1958 wurde auf den Fundamenten des alten Kaiserlichen Hauptzollamtes das neue Museum errichtet und am 5. März 1960 eröffnet. Mit Hilfe der Stadtverwaltung gab es einige Erweiterungen, 1968 übernahm die neugegründete Gesellschaft für Wissenschaftliche Entwicklung (GfWE) die Trägerschaft des Museums samt seiner Zweigstellen. 1977 kaufte der Rotary Club Swakopmund die über 2.000 Bände umfassende Afrikana-Sammlung des früheren Swakopmunder Buchhändlers Ferdinand Stich für die Museumsbibliothek; diese bekam ein neues Gebäude, das von dem Windhoeker Geschäftsmann Sam Cohen gestiftet und nach ihm benannt wurde. Der Sohn des Gründers, Michael Weber, rief 1992 die Alfons-Weber-Stiftung ins Leben; die Ausgaben für den Museumsbetrieb werden durch die Mitgliedsbeiträge der GfWE, Eintrittsgelder und Einnahmen aus dem Museumsladen gedeckt; Sonderausgaben müssen mit Spenden aus dem In- und Ausland beglichen werden. Die Namen der Einzelpersonen und der Institutionen, die auf den Ehrentafeln der Weber-Stiftung als „Donor Members“ und „Associate Members“ verewigt sind, sind zu 80–90% deutsch.
Natürlich haben sich auch die Südwester Deutschen zu allerlei Organisationen zusammengeschlossen. Die für den Sprach- und Kulturerhalt wichtigsten sind die Schulvereine; daneben gibt es einen deutschen Schreiberkreis, Pfadfindergruppen in Windhoek, Swakopmund und Grootfontein, den Traditionsverband ehemaliger deutscher Schutz- und Überseetruppen, Chöre und Volkstanzgruppen sowie gesellige Vereinigungen, z.B. Karnevalisten. Der Traditionsverband, der laut des dortigen Sektionsleiters Karl Ferdinand Lossen in Deutschland über 400, in Namibia über 250 Mitglieder und kleine Sektionen in Südafrika und den USA hat, kümmert sich um den Erhalt und die Pflege der alten Schutztruppen-Friedhöfe, die sich in sehr gutem Zustand befinden. Der Schriftstellerkreis veranstaltet Wettbewerbe und hat schon einige Sammelwerke publiziert, z.B. „Reiseberichte aus Namibia“ (Windhoek 1997). Als Dachverband für 34 Vereine mit ca. 5.200 Mitgliedern fungiert der 1988 gegründete Deutsche Kulturrat. Dieser lebt von Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Einnahmen durch besondere Veranstaltungen, beispielsweise ein jährliches Kulturfest. Er bemüht sich auch um den Schüleraustausch mit Deutschland; in dieser Hinsicht gibt es Zusammenarbeit mit dem VDA (Verein für deutsche Kulturbeziehungen im Ausland, früher Verein für das Deutschtum im Ausland). Zu den deutschen Institutionen zählt auch die seit Juli 1916 existierende „Allgemeine Zeitung“, die viermal in der Woche herauskommt, mit einer Auflage von 5.500 verkauften Exemplaren und ca. 1.200 täglichen Lesern im Internet. Neben der AZ gibt es noch die von Hans Feddersen herausgegebene Wochenzeitung „Plus“. In Windhoek existiert auch ein deutscher Hörfunk, und Fernsehen aus Deutschland kann man über die Firma Deukom abonnieren. Die Namibisch-deutsche Entwicklungsgesellschaft, die nicht nur Entwicklungshilfe leistet, sondern auch kulturpolitisch tätig ist, ist eine von der Bundesrepublik Deutschland unterhaltene Mittler-Organisation.

Schulwesen

Deutsche Schulen, d.h. Schulen mit viel muttersprachlichem Unterricht, gibt es noch in Windhoek, Swakopmund, Omaruru, Otavi, Otjiwarongo und Grootfontein. Die älteste und größte von ihnen ist die Deutsche Höhere Privatschule
(DHPS) Windhoek, sie wurde 1909 gegründet. Die DHPS ist eine sog. Begegnungsschule, d.h. sie mußte sich auf massiven Druck aus Bonn ethnisch und sozial öffnen, was natürlich Einwirkungen auf den Deutschunterricht hatte; so wurde 1987 in Ergänzung des muttersprachlichen Unterrichts ein Fremdsprachenzweig eröffnet. 1997 besuchten 1.010 Schüler und Schülerinnen die DHPS in insgesamt 46 Klassen; davon hatten ca. 80% Deutsch als Muttersprache. Die restlichen 20% setzten sich aus Schülern der sog. Neuen Sekundarstufe zusammen und kamen aus 14 namibischen Partnerschulen. Der Unterricht führt bis zur Hochschulreife, entweder zum Abitur oder zum englischsprachigen HIGCSE (Higher International General Certificate of Secundary Education), mit dem man in Südafrika oder England studieren kann. Die Finanzierung wird etwa zur Hälfte von dem 1949 (wieder) gegründeten Deutschen Schulverein aufgebracht, der Rest wird zum großen Teil durch finanzielle und personelle Förderung der Bundesrepublik Deutschland und zum kleineren Teil durch den Staat Namibia beigesteuert. Die Schule beschäftigte 1997 52 Ortslehrkräfte, 24 von Deutschland entsandte Auslandsdienstlehrkräfte, zwei Bibliothekarinnen, einen Schul
psychologen, 16 Erzieher/innen und sieben Betreuerinnen für die neue Sekundarstufe. Im Internat wohnen überwiegend Farmerkinder, deren elterliche Farmen bis zu 500 km entfernt sind.
Im Gegensatz zu dieser staatlich geförderten Hauptstadtschule, die vor allem dazu dienen soll, den Kindern von entsandten bundesdeutschen Diplomaten und Fachleuten aller Art eine ständige deutsche Oberschulausbildung zu gewährleisten, werden alle anderen deutschen Schulen ausschließlich privat getragen. Während der südafrikanischen Herrschaft gab es Staatsschulen mit Deutsch als Muttersprache. Die heutige namibische Verfassung garantiert in Staatsschulen muttersprachlichen Unterricht bis zur dritten Volksschulklasse, falls eine Klassengröße von 35 Schülern erreicht wird. Da in den Provinzorten keine deutschsprachigen Klassen von 35 Schülern zusammenzubringen waren, sahen sich die um den Spracherhalt ihrer Kinder besorgten Eltern seit 1990 gezwungen, wieder – wie nach dem Ersten Weltkrieg – Privatschulen zu gründen. So entstanden die deutschen Privatschulen in Omaruru (Januar 1995), Grootfontein (Januar 1996), Otavi (1996), Swakopmund (Januar 1998) und Otjiwarongo (Januar 2000). 2002 gab es in Omaruru 36 Schüler, davon zwei Drittel Deutsche (bei drei Lehrern), in Otavi 13 Schüler (bei zwei Lehrern), in Grootfontein 35 Schüler (bei drei Lehrern), in Swakopmund 79 Schüler (bei acht Lehrkräften) und in Otjiwarongo 60 Schüler (bei sechs Lehrern). Einen Sonderfall stellt die 1991 in Swakopmund von Frau Dörte Witte gegründete und bis heute geleitete Meersdorfer Musikschule dar, mit etwa 100 Schülern und Schülerinnen, wo Musikunterricht mit Deutschunterricht verbunden ist. Frau Wittes Beitrag zur Musikkultur Namibias geht über diese Gründung hinaus, denn sie dirigierte auch lange einen Chor und ein Orchester. Diesen von privaten Vereinen getragenen Schulen, in denen ausschließlich mit muttersprachlicher Methodik unterrichtet wird, sind Schülerheime angegliedert, wobei man teilweise auf ältere Gebäude zurückgreifen konnte, die von den Schulvereinen in den Zwischenkriegsjahren erworben worden waren. Im Auftrag des Hilfsvereins Südliches Afrika, der diese Neugründungen finanziell unterstützt, konnte ich im März dieses Jahres diese kleinen Schulen besuchen und mich vom Idealismus und dem pädagogischen Eifer seiner Lehrer und Träger überzeugen. Nach den Anfangsschwierigkeiten scheinen alle Schulen stabilisiert zu sein, benötigen aber über die erheblichen finanziellen Opfer der Eltern hinaus auch finanzielle und moralische Unterstützung aus Deutschland. Die Hingabe, mit der hier auf einem Außenposten die deutsche Sprache gepflegt wird, erfüllt den wohlwollenden Besucher aus Deutschland, der über die Verhunzung seiner Sprache im Mutterland entsetzt ist, mit Bewunderung, ja mit Rührung. Die Südwester haben sich die deutsche Muttersprache erhalten, mehr als irgendeine andere auslandsdeutsche Gruppe. Nirgendwo konnte ich bei Auslandsdeutschen die Selbstverständlichkeit bemerken, mit der sich die Südwester – auch in der Öffentlichkeit – deutsch unterhalten. Die Interviews, die ich mit Lehrern und Vereinsvertretern bei meiner Rundreise im März machte, wurden in gestochenem Deutsch gegeben. Dabei wachsen die Namibier mehrsprachig auf; fast jeder Südwester spricht neben Deutsch auch Englisch und Afrikaans, nicht wenige verstehen oder sprechen auch eine Eingeborenensprache. In den Privatschulen ist es möglich, über das dritte Schuljahr hinaus muttersprachlichen Unterricht zu geben, solange der namibische Lehrplan eingehalten wird; so kommen die Kinder mit gefestigter Muttersprache in der siebten Klasse in die englischsprachige Oberschule.

Die Zukunft

Wie sieht die Zukunft dieser heute so lebendigen und kreativen Volksgruppe aus? In meinen Gesprächen mit Südwestern konnte ich vorsichtigen Optimismus, gesunden Realismus und gelegentlich auch Fatalismus feststellen. Falls die politische Lage stabil bleibt – für afrikanische Verhältnisse war sie bisher erstaunlich stabil –, vermögen manche Namibia-Deutsche durchaus Zukunftsperspektiven zu erblicken. Obwohl in namibischen Schulbüchern die deutsche Kolonialzeit schwarz in schwarz dargestellt wird, hat der Staatschef bisher die weißen Namibier nicht angetastet. Die Denkmäler der deutschen Zeit stehen noch, die Inschriften wurden nicht entfernt oder geändert, die deutschen Straßennamen sind großenteils erhalten. Der Umgangston unter den Rassen ist korrekt und gelassen, die Kriminalität hält sich in Grenzen. Trotzdem muß die Zukunft mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Ein Hauptproblem ist die wirtschaftliche Lage, der Mangel an angemessener Arbeit für die junge Generation. Im Falle von Farmerfamilien kann eben nur ein Kind die Farm erben; die anderen studieren oder arbeiten meist im Ausland, lernen dort ihren Lebenspartner kennen und kehren nur sehr selten mit diesem nach Namibia zurück. Verarbeitende Industrie gibt es im Lande fast keine, so daß entsprechend ausgebildete Fachleute in Namibia nicht gebraucht werden. Die deutschen Südwester sind meist Farmer, Handwerker, Geschäftsleute, Angestellte internationaler Firmen oder Rentner. Deutsche Einwanderung gibt es seit der Unabhängigkeit praktisch keine mehr. Deshalb ist selbst bei friedlicher Entwicklung eher ein Schwinden als ein Wachstum der Volksgruppe zu erwarten.
Aber an friedlicher Entwicklung zweifeln viele. Sam Nujoma ist noch zwei Jahre an der Macht; wer oder was danach kommt, weiß niemand. Aber selbst dieser Staatschef, der – vielleicht im Wissen um die wirtschaftliche Bedeutung der Namibia-Deutschen für das Land, das auch von der Bundesrepublik großzügige Entwicklungshilfe bezieht – bisher gegen die Weißen nicht diskriminiert hat, findet in letzter Zeit immer schärfere Töne. Verheerend wirkt sich die indifferente, feige Reaktion der westlichen Demokratien und der internationalen Organisationen auf das antiweiße, rassistische Wüten des Zimbabwe-Diktators Mugabe aus. Seine ungestrafte Enteignung, Einkerkerung und Ermordung weißer Farmer wird ohne massive Gegenmaßnahmen des Westens in Namibia Nachahmer finden.
Seitens der Veteranen des Guerillakrieges und der Hereros, die seit Jahren für eine radikale Landreform die Trommel rühren, wird die geistige Atmosphäre Namibias zunehmend vergiftet. Die bisherigen Schritte der Landreform – allgemeine Besteuerung des Landes und besondere Regelungen für die Gentlemen-Farmer, die nicht auf ihrem Land leben – halten sich noch in vernünftigen Grenzen. Aber mit Vernunft kann man leider in der Politik, vor allem auch der afrikanischen Politik, auf Dauer nicht rechnen. Die Südwester müssen sich also auf den Ernstfall einstellen und tun dies wohl größtenteils auch.
Noch aber erfreut sich die sympathische, gastfreundliche, kreative Volksgruppe der deutschen Südwester bester Gesundheit. Wer es noch nicht kennt, sollte ihr Heimatland Namibia möglichst bald kennenlernen.

 

 
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