Archiv > Jahrgang 2002 > NO IV/2002 > Das Gehirn der Ulrike Meinhof 

Das Gehirn der Ulrike Meinhof

Von Wolfgang Dvorak-Stocker

Eine verschwiegene Sensation aus dem Jahr 1976 könnte zum „Mauerfall der
68er“ werden. Das zumindestens meint die Journalistin Bettina Röhl. Als Tochter von Ulrike Meinhof entstammt Bettina Röhl dem innersten Kreis des neulinken Lagers, das sich in den langen Jahren nach 1968 anschickte, die Institutionen der BRD zu erobern. Ein zentraler Mythos dieses Lagers ist der „RAF-Komplex“ und, mit ihm, vor allem Ulrike Meinhof.
Als diese am 9. Mai 1976 erhängt in ihrer Gefängniszelle aufgefunden wurde, brach, von linken Medien initiiert, umgehend eine Verdächtigungskampagne aus, es habe sich um einen vertuschten Justizmord gehandelt. Die angeordnete Obduktion brachte zwar keinen Hinweis auf Fremdeinwirkung, doch die Gutachter forschten ohne offiziellen Auftrag weiter. Ulrike Meinhof wurde das Gehirn entnommen und vom Neuropathologen Prof. Jürgen Pfeiffer untersucht. Er diagnostizierte eine schwerwiegende Schädigung im emotionalen Zentrum, die schon mit freiem Auge erkennbar war und fotographisch festgehalten wurde. Nach seinem Gutachten hätten die krankhaften Veränderungen des Gehirns von Ulrike Meinhof zu einem Realitätsverlust in einer Art und Weise geführt, daß sie als unzurechnungsfähig eingestuft hätte werden müssen. Ursache dieser Veränderungen war eine Tumoroperation im Jahre 1962, bei der der als gutartig erkannte Tumor abgeklemmt wurde, wobei es zu Folgeschäden kam. Für Prof. Dr. Renate Riemeck, die Ziehmutter Ulrike Meinhofs, erklärte der Autopsiebericht so manches. In den Jahren nach der Operation habe sie bei ihrer Ziehtochter eine Selbstentfremdung wahrgenommen, die den Stoff für einen Roman Dostojewskys hätten liefern können, schrieb sie im selben Jahr an Prof. Pfeiffer. Und Ulrike Meinhofs Ex-Mann Klaus Rainer Röhl (heute übrigens zum nationalkonservativen Publizisten geworden) berichtete schon 1974 in einem Buch von der dramatischen Persönlichkeitsveränderung seiner Frau, die schließlich in heftige Scheidungsauseinandersetzungen geführt hatte.
Der ärztliche Befund wurde aber nie einer breiten Öffentlichkeit bekannt, obwohl weite Teile der linken Medien bis hin zum Spiegel von ihm Kenntnis hatten. Dies muß erstaunen in einer Zeit, in der die Massenmedien in der Regel keine Geschichte auslassen, die öffentliche Aufmerksamkeit verspricht – und eine Sensationsmeldung dieser Art hätte fürwahr großes Echo ausgelöst. Doch Ulrike Meinhof war die Ikone des Widerstandes, die Jeanne d’Arc des 20. Jahrhunderts, nicht nur brillante Journalistin, sondern auch genialische geistige Führerin der 68er. Und sie sollte schlicht eine Wahnsinnige gewesen sein?
Der Grundgedanke der RAF war, daß die Bundesrepublik Deutschland hinter der demokratischen Maske nach wie vor ein im wesentlichen faschistischer Staat wäre. Mittels terroristischer Akte sollte der Staat nun soweit gereizt werden, daß er die demokratische Maske fallenließ und sein wahres, faschistisches Gesicht zeigte. Dann, so lautete die Erwartung, würden die breiten Massen des Volkes die wahre Situation erkennen und die notwendige, noch ausständige Revolution durchführen. Aus konservativer Sicht wurde schon damals gesagt, daß eine solche Idee nur einem „kranken Gehirn“ entspringen konnte: Erstens war das Wesen der Bundesrepublik – die Kanzler hießen immerhin Brand und Schmidt! – gründlich fehleingeschätzt worden, zweitens war es zu Beginn der 70er Jahre geradezu absurd, irgendeine „Revolutionsbereitschaft“ der Arbeiter und des „Volkes“ vorauszusetzen. Wenn heute feststeht, daß jene Frau, die dieses Konzept im wesentlichen mitentwickelt hat, durch eine zerebrale Schädigung so schwerwiegend unter Realitätsverlust und emotionalen Störungen litt, daß sie als geisteskrank bezeichnet werden muß, dann ist dies eine persönliche Tragödie großen Ausmaßes, unter der freilich nicht nur die Betroffene selbst, sondern ebenso die Opfer des von ihr mitinitiierten Terrorismus leiden mußten. Wie aber rechtfertigen sich die 68er, deren stille Heldin Ulrike Meinhof bis heute geblieben ist? Die 68er, die die verfehlte Diagnose der Meinhof offenbar weitgehend teilten, ohne dabei in der Mehrzahl selbst den Mut zu haben, in den Untergrund zu gehen? Jene Journalisten, die nie über den brisanten Befund schrieben, wohl weil damit ihr eigenes Weltbild in Argumentationsnotstand geraten wäre? 1976 verstieg sich Bundespräsident Heinemann zu dem Satz „Was immer sie getan hat …, sie hat es für uns getan.“ In diesem Sinne haben Unzählige daran gearbeitet, das geistige Erbe der Meinhof umzusetzen, Unzählige, von denen heute viele in verantwortlichen Positionen bis hin zu Ministerämtern sitzen. Doch wie, wenn die Jeanne d’Arc des 20. Jahrhunderts, die Ikone des Widerstandes gegen die faschistischen Strukturen der alten BRD ein bedauernswerter, geistig kranker Mensch gewesen ist?
Bettina Röhl, die Tochter der Ulrike Meinhof, spricht jedenfalls vom Mauerfall der 68er (www.bettinaroehl.de). Damit meint sie wohl den Verlust jeglicher Legitimation. Muß nicht gerade sie es wissen?

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com