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Wotan und Christus

Von Hans Blüher

In seiner 1927 erschienenen Schrift „Die Elemente der deutschen Position“ geht Hans Blüher, Leitfigur des Wandervogels und bedeutender konservativ-revolutionärer Denker, auch auf die Bedeutung des Christentums für die deutsche Nation ein. Manches in den Formulierungen und Gedankengängen mag fremd und zeitgebunden erscheinen, dennoch werden wesentliche Punkte angesprochen, die auch für die heutige Situation von Bedeutung sind: Einerseits geht es um die schon damals im Vormarsch befindlichen fernöstlichen Religionen und die Frage, wie ihnen vom christlichen Standpunkt aus zu begegnen wäre – gerade unter Anerkennung der Tatsache, welch Faszination die Philosophie der Vedanta oder des Taoismus auf geistig suchende Menschen haben kann. Zum anderen entwickelt Blüher den Grundgedanken, daß das Christentum jeder heidnischen Kultur wie ein Edelreis dem Wildling aufgepflanzt werden muß, was im Falle der römisch-griechischen Antike zwar gelungen, für den germanisch-deutschen Kulturkreis aber noch ausständig sei. Diesen Gedanken, der gerade unter dem Aspekt der heute starken Zulauf findenden neuheidnischen Gruppierungen aller Art nachdenkenswert erscheint, entwickelt Blüher im fiktiven Gespräch eines norddeutschen, hochgebildeten Protestanten, der die Gedankenwelt von Luther, Kant, Schopenhauer und Angelus Silesius in sich trägt, einerseits und einem aus altadeligem Blute stammenden Benediktiner andererseits, dessen Liebe zum deutschen Volk und seiner Geschichte als Nation – so Blüher – „bis hart an die Grenze des Erlaubten“ geht.

Am Beginn ihres Gespräches bekennen die beiden Protagonisten, daß die Philosophie der fernöstlichen Religionen der christlichen Theologie in mancher Hinsicht überlegen scheint. Doch dies sei nicht entscheidend, denn Theologie bleibe immer eine vom Menschen erdachte Sache, und so stoße man stets nur auf „Weltliteratur ersten Ranges; wir aber bleiben unfrei in unserer Wahl, denn: Es ist ein Ros entsprungen […]
Und dieses Ros ist geboren von der Jungfrau Maria – gekreuzigt – gestorben und wieder auferstanden. Auch hierzu ist gar nichts zu sagen; hier ist nichts anderes zu tun, als das sacrificium intellectus zu bringen. Der Vorgang ist sonst nicht einzuordnen. Für wen die Sprache der Symbole und des Mythos weniger eindeutig ist als die der Begriffe, der hat die Tempelpforten der Mysterien noch nicht berührt. Wer das Gewirkte mit dem Wirklichen verwechselt, der sollte nicht einmal versuchen, Philosophie zu treiben. Was einmal geschehen ist und solches Ausmaß enthält, daran rüttelt kein Menschenhirn. Und geschehen ist jene eigentümliche Taufe, die von der Gestalt Christi ausgegangen ist und der bestimmte Völkerschaften anheimfielen. Die Christianisierung ist ein innerer Vorgang der menschlichen Substanz, der unwiderstehlich ist, welche Schwierigkeiten auch die stets in Irrtum befangene menschliche Geschichte machen möge. Das Zeichen des Kreuzes ist aufgerichtet, und an dieser Stelle kann die Philosophie gerade noch ein Stück deutbaren Mysteriengutes erfassen. Die Philosophie kann sagen (was sie selber schon bei eigenen Bemühungen entdeckt hat): das Kreuz ist das   a d ä q u a t e   Z e i c h e n   für das menschliche Tun. Christus hat durch sein Leben und Leiden das Symbol dafür geschaffen, daß das menschliche Tun zugleich gekreuzigt und erhöht ist. Das ist die Mysterienformel für das menschliche Tun. Um dieses Kreuz haben sich später noch Rosen gewunden, doch sei das nur bemerkt. Das menschliche Tun ist also nicht ‚gerechtfertigt‘ durch Erfüllung des Gesetzes, wie heute alle Welt glaubt; es ist auch nicht nichtig, ein ‚bloßer Ernährungsvorgang‘, wie der Buddhismus meint; sondern es ist gekreuzigt und mit Rosen umwunden. Hierzu gehörig zu sein, von der Substanz aus, durch die Taufe, durch den Glauben – das ist christlich. Wer aber kann heute noch ohne Verwechselung mit einem homonymen Worte glauben?
Es ist daher einfach ein Danebengehen, ein Nichttreffen des metaphysischen Charakters, wenn heutigen Tages von manchen Philosophen aus die Begriffe der Vollendung (in bezug auf das Tun) und der Erleuchtung in bezug auf die Erkenntnis des Menschen geprägt und betont werden. Diese Begriffe passen nicht mehr, sie sind indisch und taoistisch, betreffen die Kultur des menschlichen Tuns und die Kultur der menschlichen Erkenntnis, aber nicht die Tat und die Erkenntnis. Kultiviertheiten sind in ihrer Art nicht zu verachten, aber sie reichen nicht an den Ernst der Sache, denn: anima naturaliter christiana. Und da das so ist, haben wir auch keine Wahl; es ist nicht so, daß man sich, je nach seiner Klugheit und seinem Temperament, eine Religion wählen könnte, wie sie einem paßt (nichts ist weniger Privatsache als die Religion), sondern wir sind gebunden, ehe wir zu wählen beginnen, wenn wir nur einmal das Zeichen des Kreuzes in einer innerlichen Weise gesehen haben. Jesus von Nazareth hat durch die mythische Kraft seiner Sendung das Zeichen für das menschliche Tun gefunden. Und so wenig man sagen kann, daß man in bezug auf die Bewegung der Himmelskörper sowohl das Newtonsche Gravitationsgesetz gelten lassen kann als auch die Cartesianische Wirbeltheorie, so wenig kann man von ‚den Religionen‘ im Plural sprechen, wenn es um die Entscheidung geht. Das Christentum ist die einzige Religion, weil sie und keine andere das Zeichen für das Tun gefunden hat. Wenn heute der Schein entsteht, als ob eine Religionskonkurrenz ernsthaft möglich wäre, so liegt das einfach an der schon erwähnten Unvollkommenheit der christlichen Theologie und an der mangelnden Christlichkeit der Kirchen. Hier stehen wir vor einem schweren Entschluß; bekennen Sie selbst, Hochehrwürden: wir befinden uns einem irdisch siegreichen Ansturm antichristlicher Mächte gegenüber, ich nenne vor anderen das Judentum und die Freimaurerei. Die politische Absicht dieser Mächte ist es, die Herrschaft über die Menschen in die Hand des Menschen zu legen. Vor dieser grauenhaften Barberei, die, soweit wir in der Geschichte sehen, noch keine Vorläufer in solchem Ausmaße hat, hebt das Christentum das Kreuz empor: aber das Kreuz hat keine Kraft mehr; es ist vom Menschen zerdacht worden und seiner mystenhaften Macht beraubt. Theologie ist das vom Menschen zur Religion Hinzugedachte; alle Theologie ist Menschenwerk. Ich sage damit nicht, daß sie verwerflich sei, denn des Menschen Tun und Denken ist zwar nichtig, aber zugleich erhöht. Die Ursache der politischen Schwäche des Christentums liegt in seiner schwachen Theologie und deren unchristlicher Ausnutzung zu politischen Zwecken. Wenn wir aber in Wahrheit Christen sind, so müssen wir den Mut haben, das Gottesurteil über uns ergehen zu lassen.
D e r   P r i o r:  Welches?
D e r   P r o t e s t a n t : Wir müssen alle Theologie, d. h. alle menschliche Rechthaberei in Dingen der Religion, aufgeben und dann sehen, ob wir noch Christen sind. Aber noch einen Schritt weiter: Wie Christus am Kreuze sich von Gott verlassen fühlte, so müssen auch wir Menschen den letzten Halt an der biblischen Überlieferung aufgeben und dann sehen, ob wir noch Christen sind. Das wäre nun in des Wortes tiefster Bedeutung das experimentum Crucis.
D e r   P r i o r : Ich muß gestehen, Bruder in Christo, Sie gehen zu weit.
D e r   P r o t e s t a n t : Ich gehe an den Angelpunkt der christlichen Sache. Sie werden mir zugeben: ich rede als Protestant eine katholische Sprache, und nun kommt es darauf an, daß Sie als Katholik reformatorisch zu sprechen imstande sind. Sie werden mir noch weiter zugeben müssen, daß kein Katholik es heute vermag, der christlichen Sache so auf die Wurzel zu gehen, wie es eben der Protestant kann. Dazu nämlich waren wir da. Um es mit einem kurzen Wort zu sagen, worauf ich hinaus will: wir müssen aufhören, Kirchenpolitik zu treiben, und statt dessen die Politik der christlichen Sache führen.
D e r   P r i o r : Wie weit ist diese christliche Sache nun aber eine deutsche?
D e r   P r o t e s t a n t : Bis an den Main – von Norden her gesehen.
D e r   P r i o r : Sie belieben zu scherzen, so meinte ich es nicht.
D e r   P r o t e s t a n t : Die Beantwortung dieser Frage führt tief in historische Vorgänge der ersten christlichen Jahrhunderte zurück, besonders aber in den Unterschied zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum. Im Altertum verstand man unter judenchristlich denjenigen Standpunkt, der vom Neophyten heidnischer Abkunft verlangte, daß er erst Jude würde, und von da aus, also wie der Herr selber, Christ werde. Der Standpunkt des Apostels Paulus war dem entgegengesetzt, trotzdem war er nach heutiger Sicht judenchristlich. Denn der alte Unterschied ist heute erloschen, der paulinische Standpunkt hat gesiegt. Inhaltlich aber ist etwas von diesem Unterschiede übriggeblieben. Die Frage aufzurollen und an der Frage zu leiden: ‚wie erfülle ich das Gesetz und werde selig?‘ und die Antwort zu hören: „allein durch den Glauben ohne des Gesetzes Werke!“ – das ist schon judenchristlich; wir wollen durchaus nicht vergessen, daß es Christentum ist; es liegt uns zu viel daran. Aber es ist nur ein Flußbett des Christentums, es gibt noch ein anderes, das heidenchristliche. Wenn man nämlich – das ist theologisch gesprochen – die Erscheinung Christi als Erlöser nicht nur auf das Tun des Menschen münzt, sondern auf   alle   drei   platonischen  Güter , dann klingt auf einmal das Christentum harmonisch voller und besetzt wie mit einem Schlage das gesamtmenschliche Wucherpfund. Und hier stehen wir vor der heidenchristlichen Frage, wie sie heute lautet.
D e r   P r i o r : Was verstehen Sie nun unter heidenchristlich?

Christentum und Mysterienkulte

D e r   P r o t e s t a n t : Sie wissen, daß der Sieg des Christentumes in der antiken Welt aus einem andersartigen Konkurrenzkampfe hervorging, als er heute besteht. Das Christentum stand im Kampf gegen und mit den Mysterienkulten. Die antiken Mysterien waren Ansammlungen der priesteradligen Substanz in einem Volke. Sie hatten die religiöse Aufgabe, die Seele des Menschen mit dem Welthintergrunde zu verbinden durch den sakramentalen Akt der Einweihung. Diese Akte waren zugleich kultischer und erkenntnishafter Natur. Unter den Kultvorgängen gab es solche, die ganz erheblich gegen unser heutiges Gefühl verstießen; sie waren wollüstiger und wahrscheinlich sogar kannibalischer Natur, aber man darf nicht vergessen, daß sie dabei durchaus sakral blieben und nichts mit gewöhnlichen Räuschen uneingeweihter Menschen zu tun hatten. Es gab aber auch milde Kulte wie den der Demeter. Eine andere Aufgabe der Mysterien war die politische. Die gesamte Geschichte des Altertumes wurde durch sie geleitet und zwar in Verbindung mit dem Schwertadel oder den Königen. Nach der Abschaffung der Königsherrschaft blieben die Mysterien durchaus als hochpolitische Instanzen bestehen, auch in der athenischen Demokratie. Dies und das Dasein der alten Geschlechter, der Alkmaioniden, Peisistratiden, Eupatriden, unterschied die athenische Demokratie grundlegend von dem, was man heute darunter versteht. Sie werden mir zugeben, Hochehrwürden, daß es eine unabweisbare Notwendigkeit ist, das Volk vor der Barbarei einer ‚Selbstbeherrschung‘ zu bewahren. Wir befinden uns heute kurz vor dem tiefsten Tiefpunkte jenes völligen Zerfalles, der durch den Wahn der Demokratie verschuldet wurde.
D e r   P r i o r : Hierin sind wir völlig einig.
D e r   P r o t e s t a n t : Die priesterliche Macht und der weltliche Arm sind daher die beiden unaufgebbaren Pole der Geschichte.
D e r   P r i o r : Ja.
D e r   P r o t e s t a n t : Wir sind verloren, wenn das Volk herrscht.
D e r   P r i o r : Ja.
D e r   P r o t e s t a n t : Und dieser Satz der reinen Historie ist axiomatisch und keiner Entwicklung unterworfen. Fortschritt des Volkes, so wie man ihn heute versteht, ist Verfall.
D e r   P r i o r : Ich stimme Ihnen zu.
D e r   P r o t e s t a n t : Das Christentum hat sich unter Kämpfen in jene Mysterienkulte hineingesenkt. Das ist der historische Vorgang im zweiten Jahrhundert. Ich bin nicht der Ansicht jener Historiker, welche meinen, das Christentum habe sich durch Kompromisse, so etwa, wie wir sie heute in der Politik kennen, seine Position im Altertum verschafft, sondern ich glaube vielmehr, daß sein eigenes Schwergewicht ihm zum Siege verholfen hat. Das Christentum ist keine variable Größe, es hat von Natur aus das Gewicht der tiefsten aller Mysterienreligionen; durch sein Auftreten mußten die andern verstummen und sich beugen. Das Kreuz ist unwiderstehlich. Wir haben, dies müssen wir festhalten, einen durchaus reinen Vermählungsvorgang zwischen Christentum und heidnischen Mysterien vor uns; dies ist geschehen, und davon leben wir noch heute. Es hat nichts auf sich, daß in den Akten nichts von Reinheit zu spüren ist; die Akten der Geschichte sind nicht die Geschichte selber.
Die katholische Kirche hat übrigens, ohne es zu wollen, zugegeben, daß es so ist, ich meine, daß das Christentum als Reis auf die Wurzel der heidnischen Kulte gehört. Sehen Sie an die geheiligste Stelle der katholischen Christenheit, an die Decke der Sixtinischen Kapelle: dort finden Sie als Weltrichter am Jüngsten Tage, alle überragend, Christus, von Buonarottis Hand gemalt. Und dieser bartlose nackte Christus ist Apollon. Das Auge kann nicht trügen, sehen Sie hin, Hochehrwürden: Christus ist Apollon. Daß er auch Dionysos ist, wissen wir aus anderen Geschehnissen. Die katholische Kirche hat hier ihr geheimes Bekenntnis zum Heidenchristentum abgelegt. Es ist nicht fortzuwischen! Hier spricht ein Geist zum andern Geist.
Eine andere Sache aber ist die Kirchenpolitik. Diese setzte seit dem Konzil von Nicaea ein. Von hier an müssen wir unterscheiden zwischen dem reinen Vermählungsakt – der immer wieder stattfinden muß – und dem amtlichen Christentum. Die Kirchen, auch später die protestantischen, haben stets bestimmte Lehrmeinungen unterdrückt; das ist eine Unvermeidlichkeit. Wir finden die entstehende alte Kirche schon auf diesem Wege. Sie saß an der Quelle, und sie hat diese Quelle eingefaßt und eingedämmt, daß kein Tropfen außerhalb fließen konnte. Die Bibel ist ein heiliges Buch, das soll bestehen bleiben; aber sie ist von Menschen geschrieben. Noch mehr aber ist sie von Menschen redigiert. Sie ist keine unmittelbare Offenbarung Gottes wie die Natur, sondern eine mittelbare. Und die Trübheit dieses Mittels, der Mensch, hat die Quelle getrübt. Das Neue Testament ist nur ein Auszug; und das Leben Jesu enthält mehr. Es ist kein Zufall, daß im 19. Jahrhundert sich die Gräber in Ägypten öffneten und tiefste Worte Christi ans Tageslicht gaben, die nicht kanonisch sind. Der Oxyrynchuspapyros redet hier eine mahnende Sprache. Das amtliche Christentum ist variabel, das Christentum nicht; denn das Christentum ist eine spontane kosmische Geburt. Man soll freilich nicht ohne weiteres auf dem Standpunkte stehen, daß das Unterdrückte immer das Bessere ist, aber manchmal ist es so. Das Christentum hat während der kirchlichen Herrschaft in den Katakomben gelebt. Es hat heute in den amtlichen oberirdischen Teilen nicht mehr die Kraft, sich gegen den Ansturm feindlicher Religionen zu halten. Es hat aber die Kraft, wenn es zu den Ursprüngen zurückkehrt.
D e r   P r i o r : Ich kann das alles wohl verstehen und neige sogar dazu, es zu billigen; aber wollen Sie denn haben, daß zügellose Phantasten ‚Mysterienweisheiten‘ aus aller Herren Länder (und nicht aus den besten) aufgreifen, sie mit den heiligen Zeichen des Christentumes versehen und ihre unlautere Ware auf den Markt tragen, der doch genug mit ‚religiösen Gütern‘ überschwemmt ist? Wer schützt uns davor, welche geistige Substanz haben Sie, die es verhindert, daß Schwärmer und Wirrköpfe (gutgläubiger und industrieller Art) ‚religiöse Erlebnisse‘ haben und sie der Mengemitteilen? Welcher Geist schützt uns vor der Barbarei mystischer Phantastik, die es doch auch gibt? Wer steht vor den Einbruchspforten der Wiedertäuferei?
P r o t e s t a n t : Der Geist Immanuel Kants schützt uns davor.
D e r   P r i o r : Ich verstehe. Aber gut dann: wo sind die Mysterienkulte, in die sich heute etwa das Christentum von neuem hineinsenken kann – wenn ich Sie recht verstehe – wo in aller Welt werden noch Opfertiere geschlachtet, wo stehen die heiligen Wälder noch, das templum der Tanfana, in die sich die Mysten verbargen?
D e r   P r o t e s t a n t : Sie haben sie gefällt. Und eben darauf wollte ich jetzt kommen; ich wollte Ihnen sagen: wir sind Deutsche. Das ist eine unerledigte Sache der Geschichte.
D e r   P r i o r : Was meinen Sie jetzt damit?

Der Kampf gegen das Sakrale

D e r   P r o t e s t a n t : Ist es Ihnen recht, wenn ich, vom Standpunkte der Mysterien aus gesehen, den jetzigen Weltzustand als einen allgemeinen Kampf gegen die Sakralgüter ansehe, der mit der Zerstörung der Zerstörer enden muß, womöglich sogar durch kosmische Katastrophen wie die Sintflut?
D e r   P r i o r : Darf ich bitten, dies zu erläutern?
D e r   P r o t e s t a n t : Ich mache die Runde um den ganzen Erdball und stelle fest, daß die Bigotterie des englisch-amerikanischen Weltplünderungswillens es sich zur besonderen Aufgabe gestellt hat, die heiligen Stätten und die heiligen Gegenstände alter Kulturvölker der Neugierde der christlichen Zeitungsleser zu opfern. Sie finden den Palast des Dalai Lama photographiert. Sie finden seine Heilige Reinkarnation, den heute lebenden Buddha, in Meditationsstellung abgebildet; ich selbst fand in einer vornehmen englischen Zeitschrift vor kurzem eine grauenvolle Fliegeraufnahme: man sah dort von oben in das Innere der ‚Türme des Schweigens‘, wo die Heiligen Geier an den Leichnamen der Verstorbenen fraßen. Das alles geschieht, und, was das Schlimme ist: es wird zugelassen. Die Pharaonengräber sind geplündert; Stück für Stück ist der geweihte Leichnam seiner Hülle entkleidet worden, damit man weiß, womit er zugebunden war. Diese Leichname lassen übrigens weniger zu, wie man gefunden hat. Aber noch mehr. Haben Sie nicht selbst im Bilde gesehen, wie beim letzten eucharistischen Kongreß in Amerika das Heilige Meßopfer im Film vorgeführt wurde? Und haben Sie gesehen, wie Seine Heiligkeit, der Papst, sich beim Beten photographieren ließ? Und das alles wird zugelassen – die Politik erfordert es. Um ein lächerliches Nachspiel zu diesen unerhörten Entweihungen zu geben: in einer reformierten Kirche in der Schweiz wird das Heilige Abendmahl – in Likörgläsern (jeder bekommt sein eigenes) gereicht. Die guten Leute glauben nämlich außer an Gott auch an die Hygiene. Und so weiter. Sie können diese Melodie beliebig fortsetzen. Und nun stelle ich die Frage: Glauben Sie, daß die sakralen Güter der Geschichte durch Aufklärung zerstörbar sind?
D e r   P r i o r : Der Palast des Dalai Lama und die Peterskirche sind zerstörbar wie jedes andere irdische Werk; die Königsmumien können seziert werden wie jeder andere Leichnam auch, und man kann das Heilige Abendmahl zur Farce machen, wie jede menschliche Geselligkeit: Daß aber die Kraft, welche diesen Dingen zu ihrem Dasein verhalf, zerstört werden kann und den Kräften gleichgemacht, welche Hotels, Warenhäuser, Banken, Bahnhöfe bauen und die doppelte Buchführung erfinden: da sei Gott vor.
D e r   P r o t e s t a n t : Dies eben meine ich auch. Die schaffende Kraft, welche den Tempeln und den Türmen des Schweigens zum Grunde liegt, und die schaffende Kraft, durch die Hotels und Bahnhöfe ins Leben treten, diese schaffenden Kräfte sind artverschieden und rangverschieden, und man kann nicht gleichmütig sagen: früher bauten die Menschen Tempel und Dome, jetzt bauen sie Fabriken und Brücken in Eisenbeton, und dies sei nun einmal unser Lebensstil. Ich sage, man darf so etwas nicht gleichmütig dahersagen und die Historie wie eine Blumenwiese betrachten; sondern man muß wissen und mahnen, daß der höchste Wolkenkratzer nach Rang, Würde, Art und Inhalt inferior und nichtig ist gegenüber dem kleinsten Kirchlein, das sich aus frommer Zeit zwischen den Wohnhäusern erhalten hat. Und man muß auch wissen, daß die tempelbauenden Mächte mächtiger sind als die fabrikbauenden. Den Priestern, die bestechlich geworden sind, werden Fratzenwesen an Baulichkeit vor die Nase gesetzt, als Mahnung, damit sie erkennen sollen, was sie alles zulassen. Aber mächtiger ist die sakrale Kraft unter allen Umständen, und sie wird, wenn sie eines Tages genügend geläutert ist, wenn keine Dalai Lamas und keine zelebrierenden Bischöfe sich mehr filmen lassen, zu gewaltigem Schlage ausholen.
D e r   P r i o r : Ja, aber nun die deutsche und christliche Sache!
D e r   P r o t e s t a n t : Hier kommen wir auf die historischen Vorgänge zurück. Genau so wie heute im Großen durch Aufklärung der ganzen Welt die sakralen Güter als geschaffene Güter genommen werden, genau so nahm Ihr Carolus Magnus mit anderen Mitteln unseren Vorfahren ihren Sakralbestand. Er setzte die schon fertigen und schon mißdeuteten christlichen Symbole an die Stelle der germanischen, die noch ungedeutet waren, deren Frische und Kraft in vollem Wachsen war und deren Inhalt verborgene Gleichwesigkeit mit dem Christentum hatte. Die Kirchenpolitik Karls des Großen hat an Stelle eines wahren und gehaltvollen christlich-germanischen Bündnisses ein unvollkommenes gesetzt. Sie haben seinerzeit durch Luther die erste Antwort bekommen, und diese Antwort ist noch nicht erschöpft, auch wenn man die fast vollständige Erschöpfung der protestantischen Kirche zugeben will.
D e r   P r i o r : Das verstehe ich noch nicht ganz. Nach meiner Meinung hat Karl der Große den Germanen das Christentum gebracht.
D e r   P r o t e s t a n t : Aber doch nicht so, wie man den Kindern eine Zuckertüte bringt, die sie vorher nicht hatten. Das ist freilich der katholische Lieblingsgedanke, ich kenne das. Aber wir Deutschen müssen hier etwas anderes für möglich halten.
D e r   P r i o r : Und was?
D e r   P r o t e s t a n t : Daß die germanischen Mysterienkulte den christlichen Mythos in sich ausgebildet hatten und daß die tiefste substanzhafte Wesensgleichheit des germanischen Wotanismus und des Christentums sich ohne die gewaltsame Intervention der karolingisch-leoninischen Kirchenpolitik besser vollzogen hätte.
D e r   P r i o r : Über geschichtliche Dinge darf man nicht im Irrealis sprechen. Die Worte ‚Wenn? und ‚Hätte? sind in jeder Geschichtsbetrachtung verboten. Karl der Große ist mythische Gestalt und darum historisch sakrosankt; es hat seinen Sinn gehabt, daß es so und nicht anders kam.

Wotanisches Christentum?

D e r   P r o t e s t a n t : Ich muß mich hier zurückziehen. Aber es gibt den anderen Standpunkt, den niedersächsich-preußisch-protestantischen, auch er hat seine mythischen Gestalten hervorgebracht, auch er hat deutsche Geschichte geformt, und zwar die entscheidende der letzten Jahrhunderte. Und ich erinnere Sie daran, daß Ihr Leo XIII. das berühmte Wort gesprochen hat: ‚mi manca Bis
marck‘. Diese wotanisch-christliche Gestalt ist auch da. Und wir haben eine gemeinsame christliche Front gegen die Welt der Aufklärung und deren völkerzerstörende Macht. Es gibt eben einen geheimen Standpunkt, der die Sachsenschlacht Karls des Großen und den dadurch entstandenen Friedensschluß – ein Versailles des neunten Jahrhunderts – nicht anerkennt. Es gibt einen Standpunkt, der die christlich-deutsche Sache von Norden her sieht. Lassen wir für einen Augenblick die Hände vom Historischen und bleiben bei den Mysterien. So fordere ich Sie auf: Meditieren Sie die Gestalt Christi am Kreuz ohne jeden dogmatischen Kommentar, ohne alles, was Menschengedanken hier hinzugedacht haben, gehen Sie ganz tief in Ihr Inneres zurück, dorthin, wo Sie nicht mehr beliebiges Ich sind, sondern notwendiges, ohne das die Welt und Gott nicht sind, so öffnet sich mit einem Male die Pforte der germanischen Mysterien, die noch in Ihrem Blute sind, und sprechen Sie den ersten Vers von Wuotans Runenkunde im Abschnitt Havamal der Edda:

Ich weiß wie ich hing im windigen Baum
Neun ewige Nächte
Vom Speere verwundet dem Wuotan geweiht
Ich selber geweiht mir selber.
An jenem Baume der jedem verbirgt
Wo er den Wurzeln entwachsen.

So haben Sie das germanisch-christliche Hochzeitsgeheimnis an sich selber, an seiner eigenen Stelle, ungespiegelt und unbeschattet. Hier liegt der Angelpunkt des sakralen Vorganges; hier wird die Historie sakramental. Christus am Kreuz und Wuotan am windigen Baum. – Wenn es nämlich so ist, wie alle Welt vermutet, daß Deutschland ‚unwiderstehlich aufsteigt‘, so hat das nur Sinn unter dem Primat der sakralen Vorgänge. […] Wenn also in einem sehr langsamen, geschichtlichen Sinn von Aufstieg gesprochen werden kann, so könnte man vermuten, daß die von Karl dem Großen zerstörten Sakralgüter, ich meine also damit die hinter ihnen stehende Gewalt, ‚von Island her‘ wiederkehrt, und nun das notwendige Bündnis mit Christus von sich aus, sua sponte et ex sua natura, von neuem eingeht. Im Altertum hat sich die christliche Substanz in die heidnischen Mysterien eingesenkt und hat gesiegt, weil sie die stärkere war. Vom Konzil zu Nicaea bis heute und noch bis zum sechsten Papste nach diesem gibt es Kirchengeschichte. Nach der Herrschaft des Petrus Sekundus aber ist ein anderer Akt vollzogen, der sich heute von ferne ankündigt, nämlich die Vermählung der christlichen Substanz mit den germanischen Mysterien. Daß diese nicht untergegangen sind, wissen Sie und ich. Germanisch aber heißt allemal Deutschland. Das Land, gegen das alle Welt mit Recht Krieg führt (weltlich gesprochen), weil alle Welt das Zustandekkommen der germanisch-christlichen Sakralunion verhindern will. Alle Welt muß diesen Krieg führen, weil alle Welt der entschiedene Gegner dieses Bündnisses ist. Denn alle Welt muß sich aufgeben, wenn dieses Bündnis, das die Todfeindschaft gegen ‚alle Welt‘ enthält, zustande kommt. Daher steht Deutschland einsam, ständig im Stich gelassen, ständig befeindet da. Und wer ein Deutscher ist und kein Hundsfott, der muß auf diesem Posten stehen in deutscher und christlicher Sache.“



 
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