Archiv > Jahrgang 2002 > NO I/2002 > Das Kaisertum 

Das Kaisertum

Von Heinrich Dassel

Was die Kaiserkrönung des fränkischen Herrschers Karl am Weihnachtstag des Jahres 800 in Rom tatsächlich bedeutete, darüber waren sich die Zeitgenossen einmütig im klaren. Kein Usurpator griff nach den Sternen, um sein Reich mit antiker Würde zu erhöhen, ebensowenig hatte der Papst aus kirchenpolitischen Erwägungen eine translatio imperii vollzogen oder gar einen neuen Rechtszustand geschaffen. Nein, Gott selbst hatte es getan. Das Zeitbewußtsein ruhte ganz im Glauben an die Allmacht Gottes, in den Augen der Zeit hatte Christus selbst den Frankenkönig zum Erben des christlich gewordenen weströmischen Reiches bestimmt, indem er ihm Sieg auf Sieg schenkte.

Und tatsächlich hat Karls Reich damals im wesentlichen das Gebiet der römischen Christenheit umspannt. Wie sein Großvater Karl Martell das Vordringen des Islam über Spanien hinaus verhindert hatte, blieb Karl Sieger über die neue Gefahr aus dem Osten, das räuberische Reitervolk der Awaren. Karl herrschte über Franken, Burgunder, Thüringer, Bayern und die galloromanische Bevölkerung Frankreichs. 774 erwarb er das langobardische Königreich in Norditalien, das nicht dem fränkischen Reich eingegliedert wurde, sondern als solches bestehenblieb. In der ersten Personalunion der europäischen Geschichte nannte sich Karl nun „Rex Francorum et Langobardorum“ und, schon jetzt, „Patricius Romanorum“. Karl unterwarf die heidnischen Sachsen und Friesen und dehnte sein Reich mit einer spanischen Mark über die Pyrenäen und mit den pannonischen Marken weit in die ungarische Tiefebene aus. Sogar der noch heidnische Slawenstamm der Abodriten unterstellte sich seinem Schutz. Außerhalb seines Herrschaftskreises blieben nur die damals schwachen christlichen Königreiche England, Asturien und Kastilien.
Mit der Kaiserkrönung vollzog der Papst also nur den jedem Zeitgenossen deutlich sichtbaren Willen Gottes. Schon zwölf Jahre später hat auch der oströmische Basileus Karl als Imperator des „Imperium occidentale“ anerkannt.
Nach dem Tode Karls des Großen verlor das Kaisertum rasch an Bedeutung. Erneuert wurde es erst mehr als hundert Jahre später von den ostfränkischen Ottonen. Kein anderer als der deutsche König hat von da an die römische Kaiserkrone getragen.

Die Ausdehnung des Reiches

In direkter lehensrechtlicher Abhängigkeit vom Reich befanden sich Burgund, Dänemark und Polen. Burgund wurde allerdings schon 1033 als drittes Königreich (neben dem deutschen und langobardischen) ein Teil des Reiches. Auch Ungarn und England haben dem Kaiser immer wieder als Lehensherren gehuldigt, wenngleich hier nicht eigentlich von einer politischen Abhängigkeit gesprochen werden kann. Allerdings spielte noch beim Ausbruch des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England (1338–1453) die alte lehensrechtliche Bindung eine Rolle. Der englische König Eduard legitimierte seinen Kampf damit, daß er sich von Kaiser Ludwig IV. zum Generalvikar des Reiches und Stellvertreter des Kaisers bestellen ließ und begann so seinen Angriff auf Frankreich, der ihm die französische Krone einbringen sollte, als Reichskrieg!
Auch Polen blieb in einer Abhängigkeit vom Reich. Immer wieder greifen die Kaiser bei innenpolitischen Händeln ein, meist gerufen von der einen oder anderen Seite.
Das lange Zeit von den böhmischen Przemysliden beherrschte Schlesien wird in der Mitte des 11. Jh.s auf Intervention des Reiches an Polen zurückgegeben und später aufgrund des Eingreifens von Friedrich Barbarossa ein selbständiges Herzogtum unter den Söhnen eines vertriebenen polnischen Thronanwärters. In der Folge schließt sich das Land immer enger an Deutschland an und wird von seinen Herrschern der Einwanderung aus dem Reich geöffnet.
Böhmen selbst wird schon unter Otto dem Großen 950 in lockerer Form dem Reich eingegliedert, und zwar bis zur Zeit der Habsburger unter der Dynastie der Przemysliden.
Überhaupt muß an dieser Stelle hervorgehoben werden, daß die so dynamische deutsche Ostkolonisation ohne die Impulse, die von der Reichsidee ausgingen, kaum denkbar gewesen wäre. Heidenmission zählte zu den wichtigsten Aufgaben des Kaisers – ein Gedanke, der sich nicht nur in den Kreuzzügen zeigte, sondern eben auch im beständigen Ausgreifen des Reiches nach Osten. Schon unter Karl dem Großen gab es eine sorbische Mark. Im 10. Jh. bilden die Ottonen mehrere Marken im Osten, doch erst im 12. Jh. unter Lothar III. und Friedrich Barbarossa werden die weiträumigen Gebiete östlich der Elbe dauerhaft dem Reich eingegliedert und erneut deutsch besiedelt, ein im wesentlichen friedlicher Vorgang der Durchdringung und Vermischung mit der slawischen Bevölkerung, die im Zuge der Völkerwanderung nach dem Abzug der Germanen dort eingewandert war.
Aufgrund der Aufgabe zur Heidenmission griffen deutsche Bistümer auch weit über die Grenzen des Reiches hinaus, zum Erzbistum Hamburg-Bremen gehörte ursprünglich der gesamte skandinavische Raum bis Grönland. Erst Ende des 11. Jh.s erhielt etwa Dänemark seine eigene Kirchenorganisation. Die polnische Kirche unterstand ursprünglich dem Magdeburger Erzbischof, bis Otto III. im Jahre 1000 mit der Schaffung des Erzbistums Gnesen nicht zuletzt auch die Grundlagen für die Herausbildung des polnischen Nationalstaates legte.
Kriegerisch wurde das spätere Ostpreußen erworben und zwar vom Deutschen Ritterorden, der, gerufen von Herzog Konrad von Masowien, beauftragt und gesandt aber vom römischen Kaiser Friedrich II. und vom Papst, die heidnischen Pruzzen unterwarf. Ostpreußen unterstand aufgrund der von Friedrich 1226 ausgestellten Goldenen Bulle von Rimini damit auch dem Reich!
Derselbe Friedrich II. brachte als Erbe seiner Mutter auch das normannische Königreich in Süditalien mit, das römisch-deutsche Imperium erreicht damit seine größte Ausdehnung. Nach seiner Verehelichung mit der Tochter des Johannes von Brienne kann Friedrich sich sogar „König von Jerusalem“ nennen. Ein klangvoller Titel, mit dem sich noch ein Kaiser Franz Joseph schmücken konnte, der aber schon damals keine machtpolitische Bedeutung mehr besaß.
Während das Reich Karls des Großen und eigentlich auch das ostfränkische Reich der Ottonen eine hegemoniale Stellung in Europa besaßen, kann jetzt davon keine Rede mehr sein. Erstarkt ist das Selbstbewußtsein der Nationalstaaten, allen voran Frankreichs, und allzusehr haben die Kaiser mit den aufständischen lombardischen Städten und ihrem wichtigsten Gegner, dem Papst, zu kämpfen. Am Widerstand der Kirche ist die Macht des Kaisertums dann auch zerbrochen.
Papst Leo III. hatte einst Karl den Großen zwar deshalb nach Rom gerufen, weil Kirche und Papsttum einen starken Schutzherrn nötig hatten. Mit der Ausdehnung der kaiserlichen Macht drohte die Kirche aber dann in allzugroße Abhängigkeit zu geraten, der Konflikt war vorprogrammiert, schon wegen der spezifisch christlichen Idee des Kaisertums.

Zweigewaltenlehre

Papst Gelasius I. (492–496) formuliert in einem Schreiben an Kaiser Anastasius die Zwei-Gewalten- oder auch Zwei-Schwerter-Lehre, wonach „die geheiligte Autorität der Bischöfe und die königliche Gewalt“ gemäß dem Willen Christi die Welt regieren. Dem Priesteramt wird dabei der Vorrang eingeräumt, weil die Träger der geistlichen Gewalt „auch für die Könige der Menschen im göttlichen Gericht werden Rechenschaft ablegen müssen“. Gelasius grenzt dann die Rechte und Pflichten der beiden von Gott gesetzten Gewalten deutlich voneinander ab und weist insbesondere jeden Eingriff der weltlichen Macht auf kirchliches bzw. geistliches Gebiet zurück, wie dies im oströmischen Reich schon damals die Praxis war. Christus selbst ist wahrer Priesterkönig, auf Erden hat er aber, um der Schwäche der menschlichen Natur willen und um jeder Gefahr einer hochmütigen Überheblichkeit vorzubeugen, die beiden Ämter geschieden und doch zugleich aufeinander bezogen: Die christlichen Kaiser sind für das ewige Leben auf die Päpste und die Päpste für die zeitlichen Dinge auf den Gebrauch der kaiserlichen Anordnungen verwiesen. Damit wird deutlich, daß sich die christlichen Könige und insbesondere der Kaiser als Stellvertreter Christi sehen können und sollen: In unserer Zeit, die mit dem Begriff des Gottesgnadentums nichts mehr anzufangen weiß, ist es vielleicht nötig, darauf hinzuweisen, daß damit zuallererst eine schwere Verpflichtung gemeint war.
Im Zuge der Krönung eines christlichen Königs wurde dieser auch gesalbt, womit dem Herrscher eine geistliche Gewalt verliehen wurde. Die Salbung war ein Sakrament in vollem Sinne, in bewußter Analogie zur Bischofssalbung und zugleich unterschieden dadurch, daß mit ihr keine priesterliche Gewalt verliehen wurde. Der König war „Quasi-Episcopus“, Träger eines speziellen Amtes der Christenheit, eines Sondercharismas innerhalb des corpus mysticum. Und wie nun der Papst zwar auch nur geweihter Bischof von Rom, aber dennoch Lenker der Kirche und Stellvertreter Christi auf Erden war, ist analog das Amt des Kaisers zu verstehen, das nach Otto dem Großen an die deutsche Königswürde gebunden war.

Selbstkrönung

Dem Frankenkönig Karl war das Kaisertum aufgrund seiner Machtfülle logischerweise zugefallen, letztlich dadurch, daß er die Herrschaft über Rom gewann und wie ein Eroberer in die gegen den Papst aufständisch gewordene Stadt einziehen konnte. Dennoch zeigte er sich von der Aktion Papst Leos III. am Christtag des Jahres 800 in St. Peter überrascht. Leo setzte ihm plötzlich eine goldene Krone aufs Haupt, begleitet von der (offenbar vorher eingeübten) Akklamation der Römer, die Karl zum Kaiser ausriefen. Darauf warf sich der Papst dem neuen Kaiser nach byzantinischer Sitte huldigend zu Füßen. Karls Biograph Einhard berichtet aber, dieser „würde die Kirche selbst an jenem hohen Feiertage nicht betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes geahnt hätte“. Wie das zu verstehen war, wird 13 Jahre später deutlich, als Karl seinen Sohn Ludwig zum Mitkaiser erhebt – und dieser sich selbst die Krone aufs Haupt setzen muß. Auch in Konstantinopel wurde der Basileus, der oströmische Kaiser, vom Patriarchen nur gesalbt und nicht inthronisiert. Durch eine Krönung aber wurde der Eindruck erweckt, daß diese Handlung des Papstes erst den Kaiser macht, mit der Folgerung, daß die Hand, die die Krone gab, diese auch wieder nehmen konnte. Doch Karls Voraussicht blieb erfolglos. Schon sein Sohn Ludwig ließ sich 816 nochmals vom Papst salben und krönen, ebenso wie dessen Sohn, Karl der Kahle. Damit war die Krönung durch den Papst konstitutiv für die Kaiserwürde geworden, erst Maximilian I. sollte mit dieser Praxis brechen.
Nach Rom gerufen hatte den Frankenkönig der Papst selbst. Leo III. hatte nach einem Volksaufstand aus der Stadt fliehen müssen. Gegen ihn wurden schwerste Vorwürfe hinsichtlich eines unsittlichen Lebenswandels erhoben. In dieser Situation begab er sich unter den Schutz Karls, den er damit als Herrn anerkannte. Karl bestätigte dem Papst zwar den Kirchenstaat und erweiterte ihn sogar durch Schenkung einiger Städte, machte jedoch auch deutlich, daß er das Patrimonium Petri als unter der Oberhoheit des Reiches stehend ansah. Ziel seines Romzuges war es auch, zu einem Urteil über die Vorwürfe gegen den Papst zu kommen. Doch die von ihm eingesetzte Kommission kam zur Erkenntnis, daß ein Papst nicht justitiabel sei. Allein Gott könne über einen Papst urteilen.
In diesem Punkt also verhält sich Karl klar entsprechend der Zwei-Gewalten-Lehre des Gelasius. Gleichzeitig aber schien er es als sein natürliches Recht zu betrachten, in geistlichen Dingen ein erhebliches Wort mitzureden, und zwar schon als gesalbter König. So berief er mehrere Synoden ein, die unter seinem Vorsitz in Glaubensdingen urteilten. Auf der Synode von Regensburg 792 (also Jahre vor der Kaiserkrönung!) wurde z. B. die Lehre des Adoptionismus verurteilt (nach der Christus nur eine Art Adoptivsohn Gottes gewesen sei).

Herr über den Papst

Das Kaisertum wurde erneuert durch den aus dem sächsischen Herzogshaus stammenden Otto I. (936–973). Es ist bemerkenswert, daß es ausgerechnet ein Sproß dieses, gerade 120 Jahre davor gewaltsam und blutig christianisierten Stammes war, der das Bild des priesterlichen Kaisers als Stellvertreter Christi für die kommenden Jahrhunderte prägte und die Kirche zur Hauptstütze seiner Herrschaft in Deutschland machte. Unter ihm erlangte das Reich erneut eine Hegemonialstellung in Europa, wie sie nicht einmal unter den Staufern mehr erreicht werden sollte. Möglich gemacht hat dies die überragende Persönlichkeit des Herrschers, dem nicht nur ein endgültiger Sieg über die Ungarn gelang, sondern der auch das nördliche Italien wieder zum Reich bringen konnte. In dieser Zeit war das Papsttum zum Spielball lokalrömischer Adelsgeschlechter geworden, die römische Kirche befand sich in einem Niedergang ohnegleichen, der u. a. im Absterben der Liturgie und dem Verschwinden von Schreibstuben für liturgische Bücher deutlich wurde. Gerettet wurde die liturgische Tradition nur durch die fränkisch-deutsche Kirche, seit dem Ende des 10. Jh.s hatte sich in Rom eine römisch-fränkische Mischliturgie durchgesetzt.
In dieser Situation wiederholt sich der Vorgang des Jahres 800: Der bereits gekrönte Kaiser Otto wird mit schwersten Vorwürfen moralischer Art gegen den mit gerade 17 Jahren zum Papst gewählten Johannes XII. konfrontiert. Im Unterschied zu Karl ist Otto aber bereit, über den Papst zu richten. Auf einer Synode in der Peterskirche im Jahr 963 setzt Otto den Papst ab und läßt gleich einen Kandidaten eigener Wahl zu seinem Nachfolger wählen – einen Laien, der zuerst noch rasch zum Priester geweiht werden muß. Und Otto tut ein weiteres: Er läßt die Römer beschwören, nie einen Papst ohne Zustimmung des Kaisers zu wählen.
Zu einem besseren Verständnis des Vorganges ist festzuhalten, daß es in dieser Zeit noch keine Papstwahlordnung gegeben hat, sondern die Päpste durch den Klerus und das Volk von Rom gewählt wurden. Allerdings hatten die byzantinischen Kaiser ein Bestätigungsrecht in Anspruch genommen, und tatsächlich sandten die Päpste bis ins 8. Jh. ihre Wahlanzeigen nach Konstantinopel.
Die ganze Machtfülle des Kaisers zeigt sich dann kurze Zeit später, als Johannes XII. nach dessen Abzug die Stadt Rom wiedergewinnt und Rache an den Verbündeten Ottos nimmt, es aber nicht wagt, den Kaiser aufgrund seines Eingriffes zu bannen. Wenngleich Otto nach dem gewaltsamen Tod Johannes XII. seinen Anspruch auf Bestätigung des Papstes endgültig durchsetzt, ist doch festzuhalten, daß er im Unterschied zu Karl in theologische Streitigkeiten nicht mehr eingegriffen hat.

Die deutschen Päpste

Immer wieder haben die Ottonen Päpste designiert und immer war deutlich, daß es ihnen nicht darum ging, willfährige Kreaturen auf den Stuhl Petri zu setzen, sondern möglichst fähige und würdige Männer zum Bischof von Rom zu machen. Obgleich sich darunter so überragende Gestalten wie Sylvester II. befanden, war ihnen hinsichtlich einer Reinigung der  Verhältnisse in Rom doch kein
dauerhafter Erfolg beschieden.
Dies sollte sich erst unter dem Salier Kaiser Heinrich III. ändern. Auf der berühmten Synode von Sutri (1046) setzte er gleich drei streitende und gleichzeitig amtierende Päpste ab und in der Folge eine Reihe deutscher Päpste ein. Deren Amtszeit war zwar jeweils nur kurz (Gift mag, wie auch neuere Untersuchungen nahelegen, im Spiel gewesen sein), dennoch vermochten sie das Gedankengut der cluniazensischen Reform in Rom durchzusetzen.
Eine Reinigung an Haupt und Gliedern der Kirche erstrebend, ist für unser Thema vor allem interessant, daß sich die Reformer gegen Simonie, Priesterehe und Laieninvestitur wandten.
Unter Simonie verstand man die damals verbreitete Praxis, daß Kandidaten kirchliche Ämter durch Geldzuwendungen erwarben. Auch die Priesterehe hatte zu einer Verschleuderung von Kirchengut geführt, in den reicheren städtischen Gemeinden führten viele Priester ein Lotterleben mit wechselnden Geliebten, statt sich um ihre Amtspflichten zu kümmern. Kein Wunder, daß gerade dagegen besonders in den italienischen Kommunen eine regelrechte Volksbewegung bestand.

Der Investiturstreit

Investitur bedeutete die jahrhundertelang geübte Praxis, daß der König einen Bischof mit Ring und Stab in seine weltlichen Rechte, die Regalien, zugleich aber auch in die geistlichen Amtsrechte, die Spiritualien, einsetzte. Dagegen wandten sich nun die Reformer. Wie damals auch eine Papstwahlordnung geschaffen wurde, nach der nur mehr die Kardinalbischöfe das Wahlrecht hatten, sollten jetzt auch die einzelnen Ortsbischöfe kanonisch gewählt und nicht mehr von den Herrschern eingesetzt werden.
Als nach dem Tode Heinrichs III. dessen minderjähriger Sohn auf den Thron kam, setzten die Reformer die neue Papstwahlordnung durch und begnügten sich damit, dem deutschen Hof nur mehr das Ergebnis der Wahl anzuzeigen. Die für ihren Sohn regierende Kaiserin Agnes war zu schwach, dagegen anzugehen. Zugleich erwuchsen dem Papst in den Normannen mächtige Verbündete, die die bereits gewonnenen langobardischen und byzantinischen Ländereien Süditaliens aber auch das erst noch zu erobernde Sizilien aus dessen Hand zum Lehen erhielten. Dies war der zweite Eingriff in Reichsrechte, denn auf Süditalien hatte das Reich seit den Tagen Karls des Großen Anspruch erhoben. Aufgrund dieser beiden Vorfälle traten die deutschen Bischöfe als Wahrer der Reichsrechte auf, verdammten den neugewählten Papst Nikolaus II. und verkündeten seine Absetzung. Damit wird deutlich, daß es sich bei dem Kampf, der sich nun entspannen sollte, nicht um einen von „Kirche“ gegen „Staat“ ging, sondern die Fronten anders verliefen.
Die verkündete Absetzung blieb folgenlos, da Nikolaus bald darauf starb. Als sein Nachfolger wieder nach den neuen Regeln gewählt wurde, versuchte die Kaiserin,einen Gegenpapst einzusetzen. Zum wirklichen Kampf kam es aber erst mit dem nächsten Papst: Hildebrand, der sich den Namen Gregor VII. wählte, von seinen Gegnern aber „Höllenbrand“ genannt wurde.
Im Jahre 1075 verkündete er mit dem „Dictatus papae“ seinen Weltherrschaftsanspruch. Darin hieß es u. a. „daß alle Fürsten des Papstes Füße küssen“, „daß es ihm erlaubt ist, Kaiser abzusetzen“ und „daß er Untergebene von dem Treueid gegenüber Sündern lösen kann“. Damit griff er weit über den von Gelasius gesteckten Rahmen in die Rechte der weltlichen Fürsten ein, ja mit dem Anspruch, Treueide auflösen zu können, sprengte er das Grundprinzip des mittelalterlichen Lehensstaates. Auch die Bischöfe werden nach diesem Diktat in einer bis zu diesem Zeitpunkt ungekannten Weise dem Papst unterstellt. Mit diesen revolutionären Neuerungen konnte sich Gregor auf keine Tradition berufen.
Der Hauptstreitpunkt blieb aber die Frage der Investitur, die aufgrund des sog. Reichskirchensystems von großer Bedeutung war. Kaiser Otto der Große hatte mit den Fürsten seines Reiches mehrfach schlechte Erfahrungen gemacht. Immer wieder hatten sich diese ihm gegengestellt, selbst nahe Verwandte waren zu Aufständischen geworden. Und auch der Grundgedanke des Lehenssystems, daß ein Lehen nach dem Tod des jeweiligen Amtsinhabers stets neu vergeben werden konnte, ließ sich in der Praxis gegen die Eigeninteressen des Adels nicht durchsetzen, die Lehen wurden in der Regel erblich vom Vater auf den Sohn weitergegeben. In dieser Situation übertrug Otto dem Reichsepiskopat zahlreiche Lehen, und zwar aus folgenden Gründen: Hier konnte er nach dem Tod des Amtsinhabers tatsächlich den Nachfolger bestimmen oder auf dessen Wahl doch zumindest Einfluß nehmen. Dynastische Eigeninteressen spielten unter den Bischöfen mangels leiblicher Nachfolge eine viel geringere Rolle, und zudem zeigte sich, daß die geistlichen Herren weit bessere Verwalter der ihnen übertragenen Güter waren als ihre weltlichen Kollegen. Und dies war wiederum für den Kaiser von Bedeutung, da jedes Lehensgebiet gemäß seiner Leistungsfähigkeit eine bestimmte Anzahl von Panzerreitern im Kriegsfalle aufzubringen hatte etc. Die reichliche Ausstattung der Bischöfe mit Lehen und Hoheitsrechten war also mit den vielfältigen Aufgaben begründet, die sie für das Reich zu übernehmen hatten. Jetzt aber sollten die Bischöfe dem Einfluß des Kaisers völlig entzogen und gleichsam zu Vasallen des Papstes werden. Gleichzeitig formulierte Kardinal Humbert, daß nicht nur die Kirche, sondern auch ihr Eigentum heilig sei, daß die Kirchengüter Gott übergeben und damit geheiligt wären. Die Bischöfe als Stützen des Reiches sollten also ausfallen, die Lehensgüter der Kirche aber gleichzeitig unantastbar bleiben! Wie ungeheuerlich diese Vorstellung in den Ohren des deutschen, aber auch der anderen Könige geklungen haben muß, können wir daraus ermessen, daß die Frage staatlicher Mitsprache bei Bischofsernennungen bis in die Gegenwart ein bedeutsames Thema geblieben ist. Als Maria Theresia von den Ansprüchen Gregor VII. hörte, wollte sie ihn nachträglich aus den Papstlisten streichen lassen! Und selbst heutige, säkulare Staaten haben mehr Rechte als Gregor den gesalbten Königen des Mittelalters zugestehen wollte: So kann auch die österreichische Bundesregierung nach dem gültigen Konkordat gegen die Ernennung eines Bischofs im Falle schwerwiegender Gründe Einspruch erheben.
Freilich wurde der Machtanspruch des Papstes auch aus Kreisen der Kirche zurückgewiesen. So machte Bischof Walram von Naumburg in einer Streitschrift deutlich, daß der Treueid als Staatsfundament gerade auch auf Basis des Neuen Testaments unauflöslich wäre, da nach Petrus selbst einem Nero Gehorsam geschuldet würde. Auch der Papst kann also die Untertanen von dieser Verpflichtung nicht lösen. Ein anonymer Verfasser weist in einem 1109 erschienenen Traktat darauf hin, daß Papst Hadrian Karl und seinen Nachfolgern das Bestätigungsrecht der Papstwahl sowie die Bischofsinvestitur übertragen hat, ein Recht, das von Papst Leo gegenüber Otto I. bestätigt wurde. Die Investitur beziehe sich ja nur auf die Besitztümer der Kirche, und für diese, dem Lehensrecht unterstehenden Regalien, müsse auch ein Treueid erbracht werden, der mit der geistlichen Weihe nichts zu tun habe, was auch Gregor von Catina ausführt.

Heinrichs Sieg bei Canossa

Auch der deutsche König Heinrich IV. nahm den Kampf auf und ließ nicht von der Einsetzung neuer Reichsbischöfe ab. Schließlich sagte sich Heinrich gemeinsam mit dem deutschen Episkopat von Gregor los und forderte ihn zum Rücktritt auf. Dieser antwortete mit der Bannung und Absetzung Heinrichs. Ein ungeheurer Vorgang! Schon oft waren Päpste von Kaisern abgesetzt worden, noch nie aber ein Kaiser vom Papst! Und doch war die Exkommunikation in dieser tiefgläubigen Zeit eine so scharfe Waffe, daß etliche Bischöfe die Seiten wechselten. Besonders schwerwiegend war jedoch, daß sich etliche sächsische und süddeutsche Fürsten aus Eigennutz und aufgrund alter Konflikte mit dem König auf die Seite des Papstes stellten. Ein Gegenkönig wurde gewählt. Wenn es Heinrich nicht rasch gelingen würde, sich aus dem Bann zu lösen, dann war es um sein Königtum geschehen. Die deutschen Fürsten sperrten jedoch die Wege nach Italien. In dieser Situation gelang es Heinrich, gemeinsam mit Frau und Kind, auf einem heroischen Marsch mitten im Winter die Alpen über abgelegene Pässe zu überqueren. Zur Überraschung aller stand er im Februar 1077 vor der oberitalienischen Burg Canossa, in die sich der Papst zurückgezogen hatte. Doch nicht als König war er gekommen, sondern als sündiger Mensch: im härenen Büßergewand lag er drei Tage im Schnee vor den Toren der Burg, bis ihn der Papst aufnahm.
Dieser Vorgang wird oft als Schmach des deutschen Königtums gedeutet, in Wirklichkeit war er aber ein ungeheurer Sieg Heinrichs: Durch seine Reue zwang er den Papst, sich auf sein Priesteramt zu besinnen, und er vereitelte, daß die geistliche Waffe der Bannung in einer politischen Auseinandersetzung eingesetzt werden konnte: Der Papst mußte dem reuigen Sünder vergeben und ihn aus dem Bann lösen. Auch Prestigeverlust war damit für Heinrich nicht verbunden, hatten doch schon etliche Kaiser vor ihm das Büßergewand getragen.
Der Kampf um Königrecht und Investitur war damit noch lange nicht beendet. Heinrich wollte gewiß nicht von seinen als gottgegeben betrachteten Rechten lassen. Gregor würde ihn schon bald wieder bannen, doch da hatte diese Waffe bereits ihre Schärfe verloren. Zu oft hatte der unbeugsame Papst sie eingesetzt, nicht nur gegen den deutschen, auch gegen den französischen König, gegen zahlreiche Bischöfe usw. Schließlich verspielte Hildebrand mit seiner Härte alles. Auch in Rom kam es zum Aufstand, die Mehrzahl der Kardinäle sagte sich von ihm los. Die Römer riefen Heinrich in ihre Stadt, wo dieser von einem von ihm eingesetzten Gegenpapst zum Kaiser gekrönt wurde.
Als die treuesten Verbündeten des Papstes, die Normannen, heranrückten, mußte der Kaiser wieder abziehen. Robert Guiscard, der normannische Herzog, befreite den Papst und plünderte mit seinen Truppen tagelang die brennende Stadt. Gregor stellte sich dem nicht entgegen, bat nicht um Schonung der Bevölkerung. Erst damals, im Normannensturm, ist das antike Rom, von dem noch viele bauliche Zeugnisse erhalten waren, wirklich untergegangen. Mit den abziehenden Normannen mußte auch der Papst die Stadt verlassen, einsam und verbittert starb er in Salerno.
Der Investiturstreit wurde schließlich von der kommenden Generation gelöst. 1122 beendete ein Konkordat die Auseinandersetzung. Dem Kaiser verblieb die Verleihung der Regalien, für die die Bischöfe den Lehenseid leisten mußten, zudem konnte er bei den Bischofswahlen anwesend sein und damit Einfluß nehmen, bzw. im Falle einer Doppelwahl die Entscheidung treffen. Letztlich blieb ihm das Spolien- und das Regalienrecht, d. h. er konnte den beweglichen Besitz eines Bischofs nach dessen Tod einziehen und bis zur Neubesetzung das Bistum die Einkünfte einbehalten – eine nicht unbedeutende Aufbesserung der kaiserlichen Kasse.
Es ist behauptet worden, daß dieses Auseinandertreten der geistlichen und der weltlichen Macht konstitutiv für den Aufgang der Moderne im westlichen Europa war. Dies ist mit einem Fragezeichen zu versehen. Zwar war die sakrale Stellung des Herrschers ohne Frage ein Merkmal östlicher Reiche wie des chinesischen und des japanischen, doch handelte es sich dort um echte Priesterkönige. Und nach der Reformation wurden die evangelischen Fürsten erst wieder das Haupt ihrer jeweiligen Landeskirche. Im Spiegel der vom Kaisertum betriebenen Reform des völlig verlotterten Papsttums zu Ende des 9. und zu Beginn des 10. Jh.s muß man sich vielmehr fragen, ob die gar nicht so unähnliche Situation der Renaissancekirche zwingend zu einer Kirchenspaltung geführt hätte, wenn der Kaiser als gesalbter Stellvertreter Christi seine Einflußmöglichkeiten in der geistlichen Sphäre behalten hätte.

Der Friedenskaiser

Als unter Friedrich I. (1152–1190) das Kaisertum zu neuer Macht und Geltung aufstieg, begann die Auseinandersetzung mit dem Papsttum von neuem, jetzt aber auf einer anderen, noch mehr politischen Ebene. Die römischen Bischöfe fürchteten, in allzustarke Abhängigkeit vom Reich zu geraten und förderten daher immer wieder die reichsfeindlichen Kräfte, insbesondere die erstarkten städtischen Kommunen Oberitaliens. Jahrzehnte dauerte es, bis Friedrich da die Reichsrechte wiederherstellen kann, wenngleich den lombardischen Städten nun eine größere Selbständigkeit eingeräumt werden muß.
Der Konflikt mit dem Papst brach am Reichstag von Besançon 1157 aus, als dessen Legaten ein Schreiben überbrachten, in dem das Kaisertum als „Benefizium“ des Papstes bezeichnet wird, was ebenso mit „Wohltat“ wie „Lehen“ übersetzt werden kann. Das wird als solche Beleidigung des Kaisers gesehen, daß ein Tumult losbricht und Otto von Wittelsbach sich mit gezücktem Schwert auf die Legaten stürzt.
Zwei Jahre später führt eine Doppelwahl in Rom aber zum Schisma, der von einer Minderheit gewählte, reichsfreundliche Papst kann sich freilich nicht durchsetzen. Nach dessen Tod läßt der Reichskanzler Rainald von Dassel einen Nachfolger von einem völlig unzureichenden Wahlgremium küren, der 1165 Karl den Großen heilig spricht – damit wohl Friedrichs eigenen Anspruch eines universalen Kaisertums untermauernd. Interessant ist, daß diese von einem schismatischen Papst vorgenommene Heiligsprechung von der Kurie nie bestritten oder aufgehoben wurde.
Es ist oft behauptet worden, daß das Engagement der Kaiser in Italien zur Schwächung des Königtums in Deutschland geführt habe und daher nur schädlich war, ebenso, daß der Konflikt Papst – Kaiser zwingend mit der völligen Niederlage einer der beiden Seiten enden mußte. Friedrich I. ist der Beweis, daß beide Behauptungen so nicht stimmen.
Mit Papst Alexander III., den er 18 Jahre lang bekämpft und gegen den er vier Gegenpäpste hatte aufstellen lassen, kann Barbarossa schließlich einen dauerhaften Frieden schließen. Dabei küßt er ihm die Füße und leistet den Stratordienst, daß heißt, er führt das Pferd des Papstes ein Stück am Zügel, und Alexander selbst sagt, als er die Bannung widerruft, „der Vater“ habe „seinen jüngeren Sohn“ zurückerhalten, doch von der Durchsetzung der kaiserlichen Rechte läßt Friedrich nicht und wahrt auch die Oberhoheit über den Kirchenstaat. Mit den Nachfolgern Alexanders gab es daher wieder genügend Konflikte, von denen keiner jedoch zum Bruch führte oder das Machtgefüge in Italien verschob, das sich deutlich zugunsten Friedrichs geneigt hatte.
Und in Deutschland ist der Rotbart überhaupt als Friedenskaiser in die Geschichte eingegangen, die Entmachtung seines mächtigsten Vasallen, Heinrich des Löwen, hat gezeigt, daß er die Königsrechte durchaus zu wahren wußte.
Friedrichs Sohn Heinrich VI. kann dann sogar mit guten Erfolgsaussichten einen Erbreichsplan in Angriff nehmen, doch verhindert sein früher Tod die Durchsetzung. Das Wahlkönigtum war ja die Crux des Deutschen Reiches geworden: Während der Reichsfürstenstand seine Lehen faktisch erblich in Familienbesitz hielt, mußte jeder neue König für seine Krönung den Fürsten mehr oder minder große Zugeständnisse machen. Das führte automatisch zur Erosion der königlichen Macht in Deutschland. Hier hätte die Umwandlung in ein erbliches Königtum Abhilfe geschaffen.

Weltherrschaft

Letztlich hatte nur die Macht über Italien und Rom die deutschen Könige über die anderen Herrscher Europas hinausgehoben, ihnen den Glanz und die Vormachtstellung des Kaisertums verliehen. Und dieses Engagement in Italien mußte nicht die Stellung des Königs in Deutschlands schwächen oder auf Biegen und Brechen zu einem Konflikt mit dem Papste führen, wie die Herrschaft Friedrichs I. deutlich belegt. Sein Enkelsohn allerdings scheint der lebendige Beweis für das Gegenteil zu sein.
Friedrich II. verzichtete auf sämtliche noch verbliebenen Königsrechte gegenüber der Kirche in Deutschland, um am Beginn seiner Herrschaft die Unterstützung des Papstes zu erlangen. Später trat er, um sich den Rücken in Deutschland freizuhalten, auch an die weltlichen Herren in großem Umfang Rechte ab. Seinen eigenen Sohn Heinrich, den bereits gekrönten deutschen König, ließ er bis zu dessen Tod ins Gefängnis werfen, als dieser versuchte, die Königsrechte gegen die Fürsten zu wahren. Das alles hat dem Papst jedoch erst die Möglichkeit gegeben, die Staufer zu vernichten, hätte Friedrich die Macht seines Geschlechts in Deutschland entsprechend konsolidiert, wäre dies nie möglich gewesen.
Auf den Stuhl Petri war damals Innozenz III. gelangt, ein Mann, der die Weltherrschaft des Papstes im wörtlichen Sinn anstrebte. Das Kaisertum betrachtete er endgültig als Lehen der Kirche, an die Wahl der deutschen Fürsten glaubte er sich nicht mehr gebunden. „Mir ist es gesagt vom Propheten: Ich will dich über Völker und Königreiche setzen“, so sprach Innozenz von sich selbst anläßlich seiner Weihe. Und Zeit seines Lebens kannte er keine Scheu, geistliche Mittel (wie die Exkommunikation) zur Durchsetzung seiner politischer Ziele einzusetzen. Mit diesem Papst konnte freilich kein deutscher König in Frieden leben, nicht einmal ein Otto IV., den Innozenz selbst gegen die Ansprüche des damals noch minderjährigen Staufers auf den Thron gebracht hatte. Mit den späteren Päpsten wäre aber vielleicht ein Ausgleich möglich gewesen, die Politik Friedrichs ließ ihnen jedoch keine Wahl. Als mit Innozenz IV. ein durch und durch reichsfreundlicher Kardinal auf den Stuhl Petri kommt, bleibt auch ihm nur eine anti-staufische Politik übrig, und er wird zum Überwinder Friedrichs.
Friedrichs II. Kaiserbild war das des antiken Weltherrschers, für Religion und Glauben hatte er nur Spott und Hohn über, dafür überhöhte er sich selbst in blasphemischer Weise: Seine Geburtsstadt Jesi beszeichnete er als „Unser Bethlehem“, „wo Unsere göttliche Mutter Uns zum Licht gebracht hat“ und fährt fort, die Geschichte seiner Sendung mit den Worten des Matthäus-Evangeliums zu erzählen. Das ihm als Erbe zugefallene Königreich Sizilien vereinigt er – entgegen mehrfachen anderslautenden Schwüren – mit dem Reich. Was ihm in Sizilien gelang, nämlich mit einem brutalen Schlag das Lehensystem zu beseitigen und einen Zwangsstaat moderner Prägung zu schaffen, will er auf ganz Italien anwenden. Rom soll die neue Hauptstadt Friedrichs werden, der nicht mehr als Kaiser von Gottes Gnaden, sondern als Semper Augustus der Römer urkundet. Vom Papst ist überhaupt keine Rede mehr, Friedrich versucht ernstzumachen mit der Wiederherstellung der antikischen, aber nicht mehr mittelalterlichen Reichsrechte.
Kein Wunder, daß er vom Papst gebannt und als abgesetzt erklärt, ja zum Anti-Christ gestempelt wird. Und Friedrich kontert, indem er den Papst den großen Drachen nennt, das apokalyptische Ungeheuer, den Anti-Christ, das rote Pferd aus dem Meer, dessen Reiter den Frieden von der Erde nimmt. Einmal, 1240, scheinen die Feinde tatsächlich niedergerungen. Friedrich zieht nach Rom, der Papst flieht mit wenigen Getreuen in die Engelsburg. Die Stadt schmückt sich mit Lorbeer zum Empfang ihres Cäsaren, der sie in Sendschreiben an ihre antike Größe erinnert. Das Volk auf der Straße jubelt. Doch da, Friedrich steht schon vor der Stadt, fliegen die Tore der Engelsburg auf und der Papst erscheint, gefolgt von wenigen Standhaften. Fast hundertjährig ist Gregor IX., jetzt zieht er, verspottet vom Pöbel, in einer Prozession hinter den Häuptern der Apostelfürsten Petrus und Paulus her, krönt die Reliquien mit seiner Tiara und ruft: „Das, Römer, sind eure Altertümer!“ Das wendet das Blatt, die Schimäre antikischer Reichsherrlichkeit verschwindet. Die Römer fallen ihrem Papst zu Füßen und verschließen dem Kaiser die Stadt. Friedrich hatte den Anspruch der römisch-deutschen Kaiser, als Stellvertreter Christi auf Erden zu herrschen, aufgegeben. An ihm, dem ersten modernen Herrscher, der den Machtanspruch eines säkularen Absolutismus verkündete, zerbrach die Herrlichkeit des mitteralterlichen Kaisertums in Deutschland. Nach seinem Tod folgte „die schreckliche, die kaiserlose Zeit“, das Interregnum.

Gefangenschaft

Die Päpste konnten sich nun tatsächlich als Herren der Welt fühlen und Bonifaz VIII. sprach diesen Standpunkt, veranlaßt durch einen Streit mit dem französischen König, in der Bulle „Unam sanctam“ im Jahre 1302 auch deutlich aus: Wieder wird die Zwei-Schwerter-Lehre aufgegriffen, doch jetzt ist es die Kirche, die beide Schwerter führt und das weltliche nach ihrem Gutdünken weitergibt. Heilsnotwendig sei es, so der Papst, für jeden Menschen, dem römischen Bischof untertan zu sein. Ein Satz, der damals durchaus nicht nur geistlich, sondern auch im politischen, lehensrechtlichen Sinn verstanden werden mußte. Damit war der Höhe- und zugleich Schlußpunkt des päpstlichen Weltmachtstrebens gesetzt.Der französische König, Philipp der Schöne, reagierte umgehend. Keine zehn Monate nach Verkündigung der Bulle wird der Papst in seinem Auftrag von einem Trupp gedungener Söldner unter Anführung Sciarra Colonnas gefangengenommen. Dabei schlägt der aus einem altrömischen Geschlecht stammende Colonna dem Papst seinen eisernen Handschuh ins Gesicht. Zwar wird Bonifaz drei Tage später befreit, doch haben ihn der Schock der Gefangennahme und der brutalen Behandlung gebrochen, einen Monat später ist er tot. Und was die Päpste mit ihrem Kampf gegen die Staufer verhindern wollten, die totale Unterordnung unter eine weltliche Macht, wird in ungeahntem Maße Wirklichkeit: Die Päpste müssen ihren Sitz nach Frankreich verlegen, eine Zeit politischer Ohnmacht und moralischer Verkommenheit beginnt. Das Papsttum hatte die Unabhängigkeit vom Reich und den Staufern errungen, dafür aber die avignonesische Gefangenschaft der Kirche eingetauscht.Der Traum eines Dante von der Wiederherstellung der mittelalterlichen Reichsherrlichkeit und der Einheit von Papst und Kaiser hat in dieser Zeit keine Aussicht auf Verwirklichung mehr.Dem gegenüber schien die Schrift „Defensor pacis“ von Marsilius von Padua schon in die Zukunft vorauszuweisen. Gewidmet ist sie dem gebannten und gegen den Willen des Papstes in Rom gekrönten Kaiser Ludwig IV., den Bayern. Die Bannflüche des Papstes störten schon damals freilich niemanden mehr. Die Kurie hatte nicht nur politisch, sondern auch moralisch Macht verloren, langsam dämmerte die Reformation am Horizont herauf.In dieser Schrift wird der Kaiser als alleiniger Friedenswahrer gesehen und alle, auch der Papst, haben sich ganz der Rechts- und Friedensordnung dieser weltlichen Sphäre ein- und unterzuordnen. Doch auch das Kaisertum war aus dem Kampf beschädigt hervorgegangen. Die alte Weltgeltung sollte es nie wiedererlangen, ja nicht einmal in Deutschland die gewonnene Machtstellung der Fürsten zurückdrängen können. Letztlich auch damit war der Boden für einen Erfolg der Reformation bereitet.

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com