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Fragen an Milos Zeman

Von Wolfgang Dvorak-Stocker

„Milde Strafe“

Nach tschechischem Recht hätten viele Sudetendeutsche „Landesverrat“ begangen, ein Verbrechen, das nach dem damaligen Recht „durch die Todesstrafe geahndet wurde… Wenn sie also vertrieben oder transferiert worden sind, war das milder als die Todesstrafe“, so der tschechische Premier Milos Zeman im „Profil“-Interview (4/02). Diese Aussage hat viel Staub aufgewirbelt, und sie läßt tatsächlich auch aufhorchen: Darf legitimerweise jede nach dem Selbstbestimmungsrecht strebende Volksgruppe liquidiert werden, auch die Slowaken, Kroaten, Nordiren oder Tschetschenen, die, teils erfolgreich, ihren eigenen Staat anstrebten bzw. anstreben? Dürfen sie auch ausgerottet werden, wenn sie zur Erreichung dieses Zieles ausschließlich friedliche Mittel einsetzen wie die Sudetendeutschen 1919–1938? Waren die Sudetendeutschen wirklich, wie Zeman behauptet, zum Zeitpunkt des „Überfalls Hitlers tschechoslowakische Staatsbürger“? Sind die sudetendeutschen Gebiete nicht nach dem Münchner Abkommen (September 1938) nach einem gültigen völkerrechtlichen Vertrag unter Einbindung Englands und Frankreichs an Deutschland abgetreten worden, also rund ein halbes Jahr vor Hitlers ungerechtfertigtem Einmarsch in Böhmen und Mähren? Wie hätten sie dann also „Landesverräter“ sein können? Damals, im März 1939, waren höchstens die Slowaken Landesverräter, da sie sich mit Hilfe Hitlers von Prag lossagten. Warum sind sie dafür von den Tschechen nicht hingerichtet oder zur Vertreibung begnadigt worden?
Aber Zeman hat noch ein anderes As im Ärmel: Viele Sudetendeutsche hätten „den Genozid am tschechischen Volk befürwortet“. Dies ist nun eine durchaus neue Erkenntnis.
Gewiß wird Zeman bald unwiderlegbare Quellen für den der Wissenschaft bisher unbekannten Genozid am tschechischen Volk vorlegen können und auch Daten, die dessen Befürwortung durch die Sudetendeutschen belegen. Haben alle 3,5 Millionen Vertriebenen ihn befürwortet oder nur die 272.000 Ermordeten – pardon, Hingerichteten?
Nach so viel hanebüchernem Unsinn wird der tschechische Premier aber ehrlich: Die Sudetendeutschen hätten nur eine Restitution von Eigentum im Sinn, und das könne sehr gefährlich sein: „Ich betone, die Vergangenheit ist abgeschlossen, es gab Gewinner, Verlierer und auch Opfer.“ Man stelle sich vor, ein österreichischer Politiker trete mit einer solchen Aussage den Forderungen von Zwangsarbeitern oder jüdischen Überlebenden entgegen!
Recht hat Zeman aber: Die Sudetendeutschen wollen tatsächlich eine Entschädigung. Vermögen im Wert von insgesamt 260 Milliarden Euro sei damals enteignet worden, freilich strebe man auch nicht nur annähernd diesen Wert an, so der Bundesobmann der Landsmannschaft in Österreich, Gert Zeihsel („Die Presse“, 2. Februar 2002). Von einer angemessenen und für Tschechien verkraftbaren Entschädigung wolle man aber dennoch nicht lassen. – Zu unrecht?

 
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