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Musikmetropole Wien?

Von Mag. Heidemarie Unterreiner

(Die Autorin ist Wiener Landtagsabgeordnete der FPÖ)

Der gute Ruf Wiens als Weltmusikmetropole beruht hauptsächlich auf seinen traditionsreichen Institutionen. Was die Musikerziehung angeht, ist
Wien nicht nur im internationalen, sondern auch im Vergleich zu anderen Bundesländern schon seit vielen Jahren ins Hintertreffen geraten. Der Vorstand des Instituts für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Univ.-Prof. Mag. Dr. Franz Hofecker, konnte in seinem Statistischen Jahrbuch der Musikschulen in Österreich die Defizite klar aufzeigen. Wien ist im Vergleich mit anderen Bundesländern in allen Analysen und Dokumentationen Schlußlicht. Als Beispiel seien nur einige Vergleichszahlen angeführt: Während in Oberösterreich mit seinen 1,4 Millionen Einwohnern in 67 Musikschulen 55.000 Kinder ausgebildet werden, hat Wien mit 1,6 Millionen Einwohnern nur 17 Musikschulen, in denen 5.300 (!) Mädchen und Buben unterrichtet werden. Während in Oberösterreich 55,5 Millionen Euro ausgegeben werden, hat die Stadt Wien für die Ausbildung ihrer Jugend nur 14,3 Millionen Euro übrig. Aber auch in allen anderen Bundesländern sind die Zahlen im Vergleich zu Wien – ganz egal, ob man die Anzahl der Musikschüler oder Anstalten oder aufgewendeten Budgetmittel nimmt – immer das Sechs- bis Zehnfache. Dazu kommt noch, daß jährlich in Wien, der „Weltstadt der Musik“, um die 800 Kinder, obwohl sie eine Aufnahmeprüfung bestanden haben, aus Platzmangel von den Musikschulen abgewiesen werden. So bleibt tausenden Kindern etwas vorenthalten, was im übrigen Österreich und in großen Teilen Europas zur selbstverständlichen Grundausbildung gehört: nämlich die Möglichkeit, das Spielen eines Musikinstrumentes zu erlernen.
Zwei Bezirke in Wien, nämlich der 13. und 14. (Hietzing und Penzing), sind völlig „musikschulfrei“. Zwei Stadtteile mit gemeinsam an die 150.000 Einwohner wären also ohne jede musikalische Ausbildung geblieben, hätte nicht die Direktorin der Ersten Privaten Musikschule Hietzing, Daniela Wolfsberg, eine „Oase in der Wüste“ aufgebaut. Trotz ihres großen persönlichen Einsatzes muß sie jährlich bangen, ob ihr die Stadt Wien wiederum eine finanzielle Unterstützung gewährt. Offenbar ist sich die Wiener Sozialdemokratie mit ihrer absoluten Mehrheit nicht bewußt, daß ohne das Einspringen dieser Privatinstitution ein Gebiet, das größer als die meisten Landeshauptstädte ist, ohne jede Musikerziehung bliebe.
Univ.-Prof. Dr. Michael Frischenschlager, Rektor emeritus der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, hob bei einer von mir durchgeführten Enquete die Bedeutung der klassischen Musik hervor, jener Musik also, die weltweit in der gesamten Kulturgeschichte der Menschheit einen einzigartigen Stellenwert besitzt. Die sogenannte klassische Musik – jene der letzten 500 Jahre – heute internationalisiert, sei aus Europa gekommen. Es gäbe in keiner Hochkultur der gesamten Kulturgeschichte der letzten 8000 Jahre eine Kultur, die etwas Gleichartiges hervorgebracht hat. Diese Musik, mit ihrem Reichtum an Ausdruck, an geistiger Qualität, an Harmonie und Schönheit, stelle ein einzigartiges kulturelles Erbe dar und damit die beste Botschaft an die ganze Welt. Es sei dies die einzige Art von Globalisierung, die keinen Widerspruch hervorrufe. Wir sollten dankbar sein, daß wir dieses Erbe angetreten haben, aber wir trügen damit auch eine große Verantwortung, dieses Gut an die Jugend weiterzugeben. Prof. Frischenschlager betonte mit besonderem Nachdruck die Notwendigkeit, für diese Aufgabe genügend Geldmittel zur Verfügung zu stellen, denn es sei eine Tragödie für unsere Kinder, ihnen die Beschäftigung mit der Musik vorzuenthalten. Denn die Gehirnforschung habe erbracht, daß die Beschäftigung mit der klassischen Musik nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten schärfe, die Feinmotorik fördere und die sozialen Fähigkeiten erhöhe, sondern daß sich Musik vor allem positiv auf die Emotionalität auswirke und damit zur umfassenden Bildung einer Persönlichkeit gehöre.
Wenn Kinder ohne Kunst und Kultur aufwachsen müßten, dann sei das, wie Nikolaus Harnoncourt festgestellt hat, „ein unverzeihlicher Fehler, denn man hindert Kinder, rechtzeitig ihr volles Menschsein zu entfalten“.
Warum behandelt die Wiener SPÖ die Musikerziehung so stiefmütterlich? Musikalische Ausbildung gibt der Jugend Nahrung für eine lebenslange Gestaltungskraft. Das demokratische Recht auf Bildung muß das Recht auf Kunsterfahrung einschließen. Kulturelle Bildung kann emotionale Beziehungen aufbauen und verfestigen und damit Vertrauen und Hoffnung in die Zukunft entwickeln helfen. Die Kunst ist in ihrer Ausrichtung immateriell, sie ist „Bedürfnis der Seele“.
In Zeiten der Orientierungslosigkeit, in der Kinder mit vollen Geldbörsen und leeren Seelen Halt brauchen, ist die Musik und damit die Musikerziehung wichtiger denn je. Sie kann soziale Geborgenheit bieten, sie kann Identität stiften und zu einem reichen, emotional erfüllten Leben beiträgen. Schon Robert Schumann stellte fest: „Musik ist die Sprache der Seele.“

 
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