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Kein Platz für Christen

Von Stephan Baier

In der Auseinandersetzung um den ursprünglich von Italien benannten EU-Kommissar Rocco Buttiglione offenbart sich ein weltanschaulicher Richtungsstreit. Deshalb lohnt es sich, diese Auseinandersetzung nochmals unter die Lupe zu nehmen: An Buttligione demonstrierte Europas ideologische Linke, was dem droht, der ihren Tabus widerspricht und ihren gesellschaftspolitischen Zielen geistigen Widerstand entgegenzusetzen wagt.

Im Zerrbild der Darstellung hieß es, es gehe um einen Machtkampf zwischen dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission. Tatsächlich hatte sich Buttiglione, weil er für das Amt des EU-Innen- und Justizkommissars vorgesehen war, den Anhörungen in zwei Ausschüssen des Europäischen Parlaments zu stellen: Der Rechtsausschuß erklärte ihn – der nicht nur Philosoph, sondern auch Jurist ist – einstimmig für qualifiziert. Der Innenausschuß war gespalten: 27 Mitglieder stimmten gegen, 26 für den nominierten Kommissar. Aus diesem äußerst knappen Ergebnis wurde eine Ablehnung Buttigliones durch das Europaparlament konstruiert.
Liest man die Wortprotokolle der Anhörungen, wird klar, daß es keineswegs um die fachliche Eignung Buttigliones ging. Eine Frage an ihn lautete: „Wie wirken sich Ihre engen Beziehungen zu den USA und zum Vatikan auf Ihre Entscheidungen aus?“; eine andere: „Haben Sie für die kommenden fünf Jahre genaue Pläne, um die Rolle der Frau zu stärken und den Schutz der Homosexuellen voranzutreiben?“ Es ging in der Befragung weder um sein Fachwissen noch um seine objektive Qualifikation für das Amt, noch um sein Bekenntnis zum vereinten Europa. All dies war und ist bei Buttiglione unbestritten. Es ging um einen Gesinnungstest.
Die in der „Europäischen Volkspartei“ (EVP) vereinten Christdemokraten und Konservativen gaben sich staatstragend, indem sie eine Kommission, der neben dem ehemaligen Kommunisten Kovac auffällig viele Liberale angehören, unterstützen wollten. Die Linke dagegen beharrte nun auf einer ideologischen Sicht, indem sie bereit war, wegen abweichender gesellschaftspolitischer Ansichten eines einzelnen Kommissars die gesamte Kommission abzulehnen.
Was konnte man Buttiglione vorwerfen? – In mancher medialen Verkürzung hieß es, er habe sich „diskriminierend“ über Homosexuelle und über Frauen geäußert, vertrete ein „ultrakonservatives“ oder „extrem-katholisches“ Frauen- und Familienverständnis. Die Mühe, Buttigliones Äußerungen im Wortlaut nachzulesen, machte sich kaum jemand. Er sagte: „Ich bin gegen Diskriminierung. Ich denke, daß alle Menschen dieselben Rechte genießen sollen, egal ob sie homosexuell oder heterosexuell oder sonst etwas sind… Und ich setze mich für die Verteidigung der Rechte aller europäischen Bürger ein, einschließlich des Rechts auf Nicht-Diskriminierung… Ich denke, daß die Rechte der Homosexuellen auf derselben Basis verteidigt werden sollten wie die Rechte aller anderen Europäer. Wenn es bezüglich der Homosexuellen spezifische Probleme gibt, bin ich bereit, diese spezifischen Probleme in Betracht zu nehmen… Aber ich würde die Idee nicht akzeptieren, daß Homosexuelle eine eigene Kategorie darstellen und daß die Verteidigung ihrer Rechte auf einer anderen Basis stattfinden sollte als für alle europäischen Bürger…“
Buttiglione habe Homosexualität als „Sünde“ bezeichnet, ereiferte sich die Linke. Und auch wackere Christdemokraten meinten, Worte wie „Sünde“ hätten in einer politischen Anhörung nichts zu suchen. Tatsächlich jedoch wurde Buttiglione zuerst nach seiner Beziehung zum Vatikan befragt, worauf er antwortete: „Es ist kein Geheimnis, daß ich Katholik bin, aber das hat nicht viel mit dem Vatikan zu tun, sondern mit meinem eigenen Glauben, mit meinen persönlichen Überzeugungen. Ich denke, man kann ein guter Katholik und zugleich ein guter Europäer sein.“ Bereits die nächste Frage war eine Attacke auf die persönlichen Überzeugungen Buttigliones. Der gelernte Philosoph reagierte, indem er sich auf Kant berief, der eine „klare Unterscheidung zwischen Moral und Gesetz“ gemacht habe. Wörtlich: „Viele Dinge, die als unmoralisch betrachtet werden können, sollen nicht verboten werden… Ich könnte denken, daß Homosexualität eine Sünde ist, aber das hat keine Auswirkungen auf die Politik, sofern ich nicht sage, daß Homosexualität ein Verbrechen ist. Ebenso sind Sie frei zu denken, daß ich ein Sünder in bezug auf die meisten Dinge des Lebens bin, ohne daß dies eine Auswirkung auf unsere Beziehungen als Bürger hat.“
Ist die Auffassung, praktizierte Homosexualität sei sündig, „ultrakonservativ“ und „extrem-katholisch“ oder einfach nur katholisch? Im „Katechismus der Katholischen Kirche“ lesen wir: „Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet, hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, ‚daß die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind‘. Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz… Sie sind in keinem Fall zu billigen.“ Buttiglione kann sich in seiner persönlichen Auffassung also auf die Lehre der Weltkirche berufen.
Ist es dann aber glaubwürdig, wenn er beteuert, als praktizierender Katholik diese Sünde nicht politisch ahnden zu wollen? Im Katechismus findet sich kein Wort, daß Katholiken dafür zu sorgen hätten, daß dieses Verhalten, das moralisch „in keinem Fall zu billigen“ ist, auch zivilrechtlich verboten und strafrechtlich verfolgt werde. Katholiken dürfen der Meinung sein, daß es den Staat nichts angeht, was Erwachsene im privaten Raum freiwilligerweise sexuell miteinander treiben, denn aus katholischer Sicht ist nicht alles, was für den Beichtstuhl relevant ist, auch für den Staatsanwalt von Belang. Im Gegensatz zu totalitären Ideologien verschiedenster Spielart hat die Kirche immer zwischen göttlichem Gebot und irdischem Gesetz unterschieden. Deshalb durfte man dem praktizierenden Katholiken Buttiglione zutrauen, sich in der Ausübung des Amtes als EU-Innen- und Justizkommissar an das geltende Recht zu halten. Dieses europäische Recht und die Grundrechtecharta garantieren ihm – wie jedem Unionsbürger – zugleich auch die Freiheit des Gewissens und der Religionsausübung.
Buttigliones Gegnern ging es um anderes: In dem weltanschaulich hochsensiblen Amt des Innen- und Justizkommissars wollen sie jemanden haben, der ihre Dogmatik glaubt, ihre Tabus verteidigt, statt sie in Frage zu stellen; sprich: sie wollten jemanden, der ihre Ziele vertritt. Kommunisten, Sozialisten, Grüne und Liberale betreiben seit Jahren erfolgreich die Ziele der Homo-Lobby, stellen mehr und mehr die „traditionell“ genannte Familie in Frage, plädieren für einen Pluralismus der Familienformen und bekämpfen eine Sicht der Frau, die vorrangig oder zumindest gleichermaßen auf Kinder statt auf die außerhäusliche Erwerbsarbeit bezogen ist. Indem Buttiglione sich zu einer christlich inspirierten Sicht von Kindern, Familie und Homosexualität bekannte, verletzte er die Tabus der linksliberalen, laizistischen Vision Europas.

 
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