Archiv > Jahrgang 2004 > NO III/2004 > Die Kaiserlichen Botschafter in Wien und Berlin 

Kaiser Karl

Von Nikolaus von Preradovich

Im Jahr 1866 provozierte Bismarck einen Krieg mit Österreich, das dieses – obwohl fast alle deutschen Staaten an seiner Seite standen – auch verlor. Damit hatte der preußische Kanzler sein Ziel erreicht, Österreich mußte aus dem Deutschen Bund ausscheiden, der Weg für eine deutsche Einigung unter preußischer Führung war frei. Darüber hinaus vermied Bismarck allerdings jede weitere Demütigung Österreichs, da er das Kaiserreich – wie es dann ja auch geschah – als künftigen Bündnispartner sah. Im folgenden sollen die wechselseitigen österreichischen und preußisch-deutschen Botschafter in Wien und Berlin insbesondere auf ihre soziale und regionale Herkunft hin untersucht werden.

Die Vertreter Kaiser Franz Joseph I. in Berlin in der Zeit von 1866–1918 waren:

Felix Graf von Wimpffen, 1866–1871
Alois Graf Karolyi, 1871–1878
Emmerich Graf Széchenyi, 1878–1892
Ladislaus Graf Szögyeny, 1892–1914
Gottfried Prinz zu Hohenlohe-Schillingfürst, 1914–1918

Die Familie Wimpffen nannte sich ursprünglich Hermann. Das Geschlecht stammt aus Nürnberg. Den Adel erlangte es 1658, den Grafenstand 1797. Der Botschafter hatte nicht allein politische, sondern auch persönliche Beziehungen zu Preußen – seine Frau war eine Gräfin zu Lynar gewesen – und auch nach Bayern, denn seine Tochter vermählte sich einem Grafen von Montgelas, Dr. h.c. und Kgl. bayerischer General der Infanterie.
Die Grafen Karolyi gehören zu den bedeutendsten Geschlechtern des König reiches Ungarn. Sie lassen sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Österreichische National-Encyklopädie von 1835 berichtet: „Karolyi, die Grafen sind ein altes Adelsgeschlecht, welches schon zu den Zeiten des Mathias Corvinus berühmt war und bei den Unruhen in Ungarn eine bedeutende Rolle spielte. Das Geschlecht besitzt sehr weitläufige Güter und ist mit den angesehensten Familien des österreichischen Staates verschwägert.“ Alois, der Botschafter, ist ein Nachfahre des theresianischen Staatsmannes Fürst von Kaunitz und der Schwiegervater des späteren Außenministers Leopold Graf Berchtold gewesen.
Die Széchenyi sind weniger durch ihr hohes Alter, als durch die überaus zahlreichen und bedeutenden Männer ihres Geschlechtes bekannt geworden. Im Jahre 1626 erhielt die Familie einen Wappenbrief. Der Sohn des Erwerbers brachte es bereits zum Erzbischof von Gran und als solchen zum Primas von Ungarn. In einem einzigen Artikel des „Gotha“ – Grafen B 1939 – sind acht Mitglieder des Geschlechtes in höchsten diplomatischen Verwaltungsposten aufgeführt. Ein weiterer Széchenyi brachte es zum türkischen Pascha und zum Kommandeur des osmanischen Pionier- Korps. Stephan Széchenyi (1791–1863) gilt als einer der hervorragendsten Ungarn. Er begründete aus seinem eigenen Vermögen die Ungarische Akademie der Wissenschaften, initiierte die Flußregulierungen im Reich der Stephanskrone und ließ – ebenfalls mit eigenem Vermögen – die Budapester Kettenbrücke über die Donau erbauen. Emmerich Graf Széchenyi, der Botschafter wirkte nebstdem noch als Oberst-Truchseß und trug nicht nur den Schwarzen Adlerorden, sondern wurde auch unter die Mitglieder des Goldenen Vlieses aufgenommen.
Ladislaus Graf Szögyeny entstammte einer der zahlreichen Familien des so genannten Komitatsadels. Seine eindrucksvolle Laufbahn: Von 1883–1890 diente er als Erster Sektionschef im Ministerium des Kaiserlichen Hauses und des Äußeren, sodann zwei Jahre als Minister im Allerhöchsten Hoflager, bis er schließlich zweiundzwanzig Jahre lang den Kaiser von Österreich bei Wilhelm II. vertrat. Die Erhebung in den Grafenstand – welche der Redaktion des Adelslexikons entgangen ist – erfolge zwischen 1901 und 1913.
Nach der langen Botschafterzeit des Grafen Szögyeny folgte der kaum 45jährige Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Die Familie ist edelfrei. Sie unterschied sich ihrer sozialen Stellung nach also in nichts von den Habsburgern oder den Hohenzollern – mit Ausnahme der Größe des beherrschten Territoriums. Des Deutschen Kaisers Schwiegermutter war auch eine Hohenlohe und der junge Botschafter selbst war mit einer Erzherzogin verheiratet. Das Geschlecht verfügte noch zu Ende des 19. Jahrhunderts über einen beträchtlichen Einfluß: Drei Brüder waren zu gleicher Zeit Deutscher Reichskanzler, Obersthofmeister des Kaisers von Österreich und Kurienkardinal.

Die deutsche Botschaft in Wien

Die Gesandtschaft des Norddeutschen Bundes ab 1. Jänner 1868, dann ab April 1871 die Kaiserlich Deutsche Gesandtschaft, und ab 16. Dezember 1871 die Kaiserlich Deutsche Botschaft war mit den folgenden Diplomaten besetzt:

Hans Lothar von Schweinitz, 1869–1876
Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode, 1876–1878 (Fürst 1890)
Heinrich VII. Prinz Reuss, 1878–1894
Philipp Graf zu Eulenburg-Hertefeld, 1894–1902 (Fürst 1900)
Karl Graf von Wedel, 1903–1907 (Fürst 1914)
Heinrich von Tschirschky und Bögendorff, 1907–1916
Dr. Botho Graf von Wedel, 1916–1918

Hans Lothar von Schweinitz entstammte dem schlesischen Uradel. Er legte eine bemerkenswerte Laufbahn zurück: Kgl. preußischer General der Infanterie à la suite des 1. Garde-Regiments zu Fuß, Kaiserlich deutscher Botschafter in Wien und St. Petersburg, Ritter des Schwarzen Adlerordens mit Brillanten. Neunundvierzig Jahre alt, vermählte er sich mit der dreiundzwanzigjährigen Anna Jay. Sie war eine Tochter des Gesandten der USA in Wien, deren Vater John Jay (1745–1829) auch als erster Oberster Bundesrichter der USA wirkte. In den Jahren 1873–1886 sind dem Paar sieben Kinder geboren worden.
Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode gehört einem edelfreien Geschlecht des Harzes an, welches um 1200 erstmals erscheint. Er diente u.a. als Oberpräsident von Hannover, Oberstkämmerer des Deutschen Kaisers und König von Preußen. Minister des Kgl. Hauses, General der Kavallerie à la suite der Armee. Botschafter ist er nur zwei Jahre lang gewesen, dies aber in erstaunlich jungen Jahren. Der Standesherr ist mit einer Prinzessin Reuss verheiratet gewesen. Sein Nachfolger als Botschafter in Wien entstammte eben diesem Geschlecht: Heinrich VII. Prinz Reuss. Die Familie Reuss beginnt ihre historische Laufbahn im Jahre 1122. Das Geschlecht hat im eigenen Fürstentum bis 1918 regiert. Durch Kaiser Heinrich VI. erwarben die Reuss die Mehrzahl ihrer Herrschaftsgebiete. Dem Imperator zu Ehren heißen seit der Wende des 13. Jahrhunderts sämtliche männlichen Mitglieder der Familie „Heinrich“. Zur Unterscheidung werden sie mit lateinischen Zahlen gekennzeichnet. In jedem beginnenden Jahrhundert wird wieder mit „I“ angefangen. Der Botschafter, Heinrich VII., war Kgl. preußischer General der Kavallerie und Generaladjutant. Er vertrat seinen Monarchen 16 Jahre lang in Wien.
Philipp Graf zu Eulenburg stand acht Jahre der Deutschen Botschaft in Wien vor. Das Geschlecht läßt sich in Obersachsen bis zum Jahre 1170 zurückverfolgen. Im 14. Jahrhundert wandte sich ein Zweig des Geschlechtes nach Ostpreußen. Von der mütterlichen Seite gelangte Philipp an das Fideikommiß Hertefeld. Die Gemahlin des Diplomaten war eine Schwedin aus dem Hause der Grafen von Sandels. Im Jahre 1900 wurde aller dieser Tatsachen gedacht: Ihm wurde der preußische Fürstentitel verliehen – als Fürst zu Eulenburg und Hertefeld, Graf von Sandels. Ein Nachschlagewerk meldet: „Politisch einflußreich als Vertrauter Wilhelm II. (seit 1886). Nach 1903 Zentralfigur der durch den Polemiker M. Harden (Vorwürfe: Homosexualität und Meineid) ausgelösten Eulenburg-Affaire.“
Fürst Eulenburg war nicht allein dienstlich mit Österreich verflochten – sein Erbe vermählte sich 1904 mit Maria Freiin Mayr von Melnhof aus der steirischen Industriellenfamilie.
Karl Graf von Wedel versah den Posten eines Deutschen Botschafters in Wien von 1903 bis 1907. Seine Familie stammt aus der Grafschaft Stormarn in der südwestlichsten Ecke von Holstein. Bereits seit dem Jahre 1240 sind die Wedel in Pommern ansässig. Sie gehören der oberen Schicht des Niederen Adels an, das heißt, sie waren „Schloßgesessen“! Sechs Geschlechter Pommerns erhielten neben der allgemeinen auch noch eine persönliche Einladung zu den Landtagen: Borcke, Dewitz, Erberstein, Flemming, Osten und Wedel. Der dänische Lehensgrafstand kam 1776 an das Geschlecht, der preußische kurz danach. Im Zuge der „Befreiung“ 1945 verlor die Familie Güter im Umfang von 30.000 Hektar. Karl Wedel brachte es zum General der Kavallerie, Botschafter am Wiener Hof und endlich zum Statthalter von Elsaß-Lothringen. In den Preußischen Fürstenstand ist er 1914 erhoben worden.
Die Tschirschkys gehören dem schlesischen Uradel an. Der Botschafter versah von 1906 auf 1907 das wichtige Amt des Staatssekretärs im Außenamt. Heinrich von Tschirschky war mit einer Österreicherin verheiratet: Marianne Freiin Stummer von Tavarnok. Seine ältere Tochter nahm den Herzog von Trachenberg, Fürst von Hatzfeld zum Mann. Der Diplomat ist Ende des Jahres 1916 an seinem Dienstort verstorben. Herr von Tschirschky hätte an jedem anderen Ort mit seiner Ehefrau glänzenden Dienst getan – nur in Wien nicht! Seine Frau gehörte einer Familie der Großindustrie an und wurde als Fräulein Stummer geboren. An ihrem dritten Geburtstag ist sie Fräulein Stummer von Tavarnok geworden, elf Jahre danach stieg sie zur Freiin auf. In der Wiener Gesellschaft, insbesondere der Hofgesellschaft, fand sie keinen Platz. Zwar hatte sie eines der exklusiven Internate besucht, dort wurde sie von ihren gräflichen, hochadligen Mitschülerinnen jedoch als eine „Geworfene“ und keineswegs als eine „Geborene“ eingestuft. Nun kehrte sie als Deutsche Botschaftergattin zurück. Als solche hatte sie einen höheren Rang als ihre einstigen Schulkameradinnen: Ein Umstand, der sich auf die diplomatische Arbeit des Botschafters mit Sicherheit nicht zum Vorteil auswirkte. In Petersburg, London oder Paris hätte das Ehepaar glänzende Erfolge haben können – nicht aber in Wien!
Botho Graf von Wedel war der letzte Kaiserlich-Deutsche Botschafter in Wien. Sein gleichnamiger Vorgänger ist der jüngere Bruder seines Vaters gewesen. Verheiratet war er ebenfalls mit einer Wedel, allerdings aus der dänischen Linie. Botho Graf von Wedel hat auch noch kurze Zeit in der Republik Deutsch-Österreich – so hieß das Land offiziell bis in den Herbst 1919 hinein – Dienst getan. Im Unterschied zu den meisten Deutschen von Flensburg bis zum Brenner lag ihm am Anschluß Österreichs offenbar nicht sehr viel. Er meldete diese Anschluß-Bestrebungen nach Berlin mit dem Bemerken, was zu tun wäre, falls das Interesse der Wilhelmsstraße in eine solche Richtung gehen sollte.

Die soziale Gliederung der Botschafter

Die beiden Listen der wechselseitigen Botschafter ähneln einander: Österreich hat fünf, Deutschland sieben Diplomaten vorzuweisen. Adlig sind alle gewesen. Aus Wien kamen ein Hochadliger, Hohenlohe, ein Mitglied des Uradels, Karolyi, sowie drei Angehörige des älteren Adels, Wimpffen, Széchenyi, Szögyeny. Die Vertreter des Deutschen Kaisers setzten sich aus zwei Hochadligen, Stolberg sowie Reuss und fünf Mitgliedern des Uradels zusammen. In Wien residierte Prinz Reuss mit 16 Jahren am längsten. In Berlin ist Herr von Szögyeny, nachmals Graf Szögyeny, nicht weniger als 22 Jahre im Amt gewesen. Die Gegensätzlichkeit zeigt sich anderen Ortes: Sämtliche Vertreter Wilhelm II. sind Norddeutsche. Die Botschafter Franz Josephs hingegen waren überwiegend Ungarn. Die ungarischen Magnaten – bzw. ein Mitglied des Komitats adels – vertraten 43 von insgesamt 47 hier betrachteten Jahren den Kaiser von Österreich beim Deutschen Kaiser. Minderbewanderte in der Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie hätten deshalb auf den Gedanken verfallen können, die Österreicher seien eigentlich Ungarn.


Nikolaus von Preradovich

Jahrzehnte war Univ.-Doz. Nikolaus von Preradovich der „Neuen Ordnung“ als Autor verbunden. Noch am Totenbett hat er zwei Beiträge verfaßt. Das Thema ist die soziale Struktur einerseits der Ministerpräsidenten der österreichischen und der ungarischen Reichshälfte nach dem Ausgleich von 1867, andererseits der wechselseitigen Botschafter in Wien und Berlin nach dem Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund im Jahr 1866.

 
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