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Antizionistisches Judentum

Von Wolfgang Dvorak-Stocker

Wenig bekannt ist, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil des orthodoxen, also thoratreuen Judentums aus religiösen Gründen in striktem Gegensatz zum Zionismus und damit auch zum Staate Israel steht. Etliche tiefreligiöse Rabbiner aus aller Welt waren daher auch nach Wien gekommen, um am 3. Juli 2004 anläßlich der Theodor Herzl-Feierlichkeiten gegen den Zionismus zu demonstrieren.
Schon am Tag davor hatten die glaubenstreue Rabbiner zu einer Pressekonferenz geladen. Für sie ist die Annahme des den Juden von Gott auferlegten Schicksals der Diaspora ein wesentliches Element ihres Glaubens: Im Unterschied zu allen anderen Völkern dieser Erde sei das Judentum zuallererst durch den gemeinsamen Glauben definiert. Der Zionismus aber gehe vom völkischen Gedanken aus und hätte mit den Mitteln der Machtpolitik den Staat Israel erkämpft. Für das thoratreue Judentum ist dies Verrat am Glauben, für sie sind Zionisten keine echten Juden mehr.
Rabbiner wie Dovid Weiss aus New York, Ahron Leib Cohen aus Manchester und Moishe Ber Beck aus New York beten daher dreimal täglich für die friedliche und unblutige Auflösung des Staates Israel. Die Juden müßten sich als Gäste jedes Volkes, unter dem sie siedeln, betrachten und als solche benehmen. Nur die Palästinenser hätten ein Recht, in Palästina einen Staat zu errichten, ihre Entscheidung wäre es, ob und wieviele der dort siedelnden Juden bleiben dürfen.
Von einem realpolitischen Standpunkt aus muß man solche Ideen freilich für vollkommen unrealistisch halten. Mehr noch: Als national denkender Mensch begreift man auch, daß Theodor Herzl den Juden einen Staat schaffen wollte, damit sie als ganz normales Volk unter ganz normalen Völkern leben können. Schon ein Blick in die Geschichte lehrt den Willen der Juden zum eigenen Staat zu verstehen. Letztlich ist nicht einmal abzustreiten, worauf Ivan Denes in der August-Nummer der „Aula“ hingewiesen hat: daß die europäische Kritik an Israel nämlich sehr wohl Züge von Antisemitismus aufweist. Ohne die Methoden Sharons rechtfertigen zu wollen, wirkt es doch seltsam, daß die ungleich brutalere Besatzungspolitik Rußlands in Tschetschenien, Chinas in Tibet oder des islamischen Sudan im christlichen und animistischen Süden UNO wie EU verhältnismäßig kalt lassen. Und während es offenbar mit dem europäischen Rechtsempfinden vereinbar ist, daß Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur ein Viertel seines Territoriums entrissen, sondern auch die dortige Bevölkerung grausamst vertrieben und ausgemordet wurde, gibt die Tatsache, daß Israel seinen Schutzzaun den einen oder anderen Kilometer jenseits seiner völkerrechtlichen Grenzen baut, Anlaß für unendliche Polemik.
Dies alles zählt freilich für die orthodoxen Rabbiner nicht, die ihr Leben ganz und gar der Erfüllung des Willen Gottes geweiht haben: Nicht nur als Strafe Gottes sei die Diaspora zu verstehen, die orthodoxen Juden sehen sich selbst auch als ein Volk von Priestern, das sich in der Befolgung der zahlreichen Gebote seiner strengen Religion ganz und gar Gott hingibt und darin den Völkern dieser Welt Beispiel sein will. Aus diesem Grund verbieten die glaubenstreuen Rabbiner ihren Anhängern auch, Entschädigungszahlungen vonseiten der Bundesrepublik Deutschland oder Österreichs entgegenzunehmen, da diese aufgrund von politischer Erpressung zustandegekommen sind, was den Geboten der Thora widerspricht. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht mehr, von den frommen Männern Sätze in der Art zu hören, daß Deutschland und Österreich nach wie vor als (zumindest geistig) besetzte Länder zu betrachten seien und das Ende dieser Besetzung ebenso wie das Ende der Besetzung des Iraks oder Palästinas auf der Tagesordnung zu stehen habe.
Wieviele Juden diese religiöse Sicht der Dinge teilen mögen, ist umstritten. Die panikartige Reaktion der Israelitischen Kultusgemeinde läßt allerdings vermuten, daß es nicht ganz wenige sein dürften. So wurde das Hotel Imperial, in dem ursprünglich die Konferenz stattfinden sollte, so unter Druck gesetzt, daß dieses sich weigerte, den bereits reservierten Saal zur Verfügung zu stellen – ein anderes Wiener Hotel mußte per gerichtlicher Drohung letztlich dazu gezwungen werden. Auch hielt sich das Interesse der österreichischen Medien – immerhin waren mehr als ein Dutzend Rabbiner aus aller Welt angereist – wohl aufgrund des Drucks der Kultusgemeinde in äußerst engen Grenzen, vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder Hörfunk war niemand, von den Tageszeitungen fast kein Journalist erschienen. In einer Presseaussendung beklagte die IKG dennoch, daß „solche Meinungen“ heute überhaupt noch geäußerst werden dürften. Die glaubenstreuen Juden berichteten dagegen von teils brutaler Verfolgung bis hin zu Mordanschlägen. Auch der Wiener Oberrabbiner der thora-treuen Gemeinde Moishe Arye Friedman wurde schon auf offener Straße krankenhausreif geschlagen – da man in diesem Fall beim besten Willen keinen „antisemitischen“ Hintergrund konstruieren konnte, war er den Medien auch keine Meldung wert. Bis heute wird ihm die offizielle Anerkennung seiner Gemeinde entgegen einer Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes seitens der österreichischen Behörden verweigert. Auch dafür scheinen politische Rücksichtnahmen ausschlaggebend.

 
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