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Thesen und Glossare zum Dritten Reich

Von Hans-Dietrich Sander

Die nachfolgenden Thesen wurden erstmals im Jahr 1988 in einem Buch des Verfassers mit dem Titel „Die Auflösung aller Dinge“ veröffentlicht. Glossare – hier in kursiv gesetzt – wurden verfaßt anläßlich eines Seminars der Deutschen Akademie im Dezember 2004. [*Zu den mit Sternchen gekennzeichneten Stellen enthält der im Buch veröffentlichte Originaltext z. T. ausführliche Anmerkungen.]

Karl Löwith hat, ohne es zu wollen, in seinen autobiographischen Skizzen eine fabelhafte Ausgangsposition für eine Betrachtung des Dritten Reiches entworfen, die den hohen Ansprüchen der Historiographie vor ihrem Absturz in die Niederungen des Weltbürgertums genügt hätte. Er schrieb über die deutsche und jüdische Intelligenz im Kreis um Stefan George: „Sie haben dem Nationalsozialismus Wege bereitet, die sie dann selbst nicht gingen. Aber wer von den radikaleren Menschen der im Kriege gereiften Generation hätte ihm nicht den Weg bereitet, nämlich durch die Anerkennung der Auflösung und die Kritik des Bestehenden, mit der auch die von Gundolf und Wolters herausgegebenen ,Jahrbücher für die geistige Bewegung‘ schon vor dem Krieg eingesetzt hatten. In der Einleitung zum dritten Jahrgang (1912) hieß es: ,Kein Mensch glaubt noch ehrlich an die Grundlagen des heutigen Weltzustandes. Diese schwarzseherischen Ahnungen und Witterungen sind noch das echteste Gefühl der Zeit, und diesem gegenüber nehmen sich alle Hoffnungen, die auf dem Nichts ein Etwas bauen wollen, schon verzweifelt aus.“* Das ist in keinem anderen Land so früh, so genau und so zusammenhängend gesehen worden. Daß die Dinge in Deutschland eine radikale Wendung nehmen würden, lag in der Luft. Bei der katastrophalen Auflösung des Bestehenden war das auch natürlich. Der Erwartungshorizont und die Aufbruchstimmung gründeten mehr in dieser allgemeinen Lage als in den besonderen Verhältnissen des nationalsozialistischen Experimentes. Jene Zustände spendeten diesem Versuch einen beträchtlichen Vertrauensvorschuß, der bis zum Kriegsende hielt; daß er nicht verbraucht worden war, verdankt sich indessen weniger einer germanischen Gefolgschaftstreue, von der man nicht sprechen kann, ohne sie auf die komplementäre Verratsbereitschaft zu beziehen, als der profund antideutschen Kriegsführung der Alliierten und ihrer Zielsetzung. Nach ihrem Siege setzten die Sieger ihre Sicht der Dinge durch, von der nichts wirklich erfaßt wird. Eine sachgerechte Einschätzung des Dritten Reiches ist allein auf der Höhe möglich, die von der Kritik der Moderne in Deutschland erreicht worden war. In diesem Sinne soll mit den folgenden Thesen ein realgeschichtlicher Anfang gesetzt werden.
Die Moderne ist, frei nach Romano Guardini, das „Ende der Neuzeit“, die mit der Renaissance begann und vor der Neige des 19. Jahrhunderts einbrach. Alles, was die Neuzeit an weltgeschichtlichen Leistungen hervorbrachte, verfiel in der Moderne, verkehrte sich in sein Gegenteil. Das war der Fall bei der schöpferischen Entfaltung der Individualitäten, dem Staat als politische Einheit, der nach dem Zerfall der Sippen die Daseinsvorsorge zu regeln, mit dem Aufstieg der Technik die Industrialisierung zu bändigen und nach der Auflösung der imperialen Strukturen des Mittelalters die Völker zu emanzipieren hatte, und der Hegung des Krieges. Der Hebel war die Rationalisierung aller Lebensbereiche, unter der die schöpferischen Impulse verdorrten.
Die Folgen waren eine Vermassung, die Individualitäten und Völker auslöschte, das Emporkommen des Geldes zum Maß aller Dinge, das sich über soziale Verpflichtungen und Naturpflege bedenkenlos hinwegsetzte, eine Entpolitisierung, die den Staat als überflüssig, wenn nicht schädlich in die Ecke stellte, eine Nivellierung, die den Bildungsstandard absenkte, Philosophie, Religion und Kunst aushöhlte. Die Mentalität, die sich unter solchen Verhältnissen ausbreitete, bestand aus Gleichgültigkeit, Anpassung, Relativierung, Unaufrichtigkeit und Bagatellisierung. Es boomte das Mittelmaß, unfähig, die aus den Fugen geratenen Dinge wieder zu ordnen. Bannerträger der Moderne war der Liberalismus, der in der Leviathanjagd alle seine antistaatlichen Konkurrenten, den Konservatismus, den Anarchismus, den Sozialismus und die Technokratie zur Strecke brachte. Julien Green bedauerte vor seinem Tode, daß es zu dem triumphierenden Liberalismus nur zwei Gegenbewegungen gegeben hatte: den Bolschewismus und den Faschismus bzw. Nationalsozialismus, die scheiterten, weil sie die Staatlichkeit nicht wiederherstellten.

I. These

Das Dritte Reich war ein Versuch, die Krisen der Moderne mit richtigen und falschen Mitteln aufzuheben.
Es wäre nach 1945 das Gebot der Stunde gewesen, aus den Fehlern des Dritten Reiches und nicht den Fehlern der Weimarer Republik zu lernen. Es war in den ersten Jahren durchaus das Bedürfnis vorhanden, sich zu überlegen, was man denn wohl alles falsch gemacht haben könnte. Es versteinerte jedoch vor dem Anwachsen der Verdammungsliteratur zu einer Trotzhaltung, die nur noch Rechtfertigungsliteratur hervorbrachte. Wir müssen heute die eine wie die andere kritisch lesen. Eine historiographische Aufarbeitung des Dritten Reiches ist heute, nach 60 Jahren, mit wenigen Ausnahmen noch immer nicht geleistet.

II. These

Eine Verwerfung des Ganzen wird weder der Geschichte noch den Nachfolgeproblemen des Dritten Reiches gerecht. Sie wäre stichhaltig, wenn man die Fragen, die es heraufführten, besser gelöst hätte. Das war nicht der Fall.
Die Deutschen bildeten sich das vor den fabelhaften Wiederaufbauleistungen ein, ohne sich den politischen Prämissen der Nachkriegszeit zu stellen. So übersahen sie, daß die BRD nur eine liberale Restauration war, zum Scheitern geboren, wie alle Restaurationen in der Geschichte. Als die Trugschlüsse dämmerten, versanken sie in platten Pessimismus.

III. These

Die Verwerfung ist eine Auflage, mit der die Sieger des Zweiten Weltkrieges ihre politischen und militärischen Positionen legitimieren. Sie wird von Denkverboten geschützt, die das unterworfene deutsche Volk an seiner Wiedererhebung hindern. In den [drei] Nachfolgestaaten des Reiches herrschen kollaborierende Systeme mit der Zuchtrute von Komplexen, deren Klärung moralisch diskreditiert und gesetzlich verboten ist.
Das Siegel unter die politischen Prämissen setzten die Nürnberger Prozesse, deren Revision den Deutschen im Überleitungsvertrag vom Besatzungsstatut zum Grundgesetz untersagt worden ist. Es stellte die Alleinkriegsschuld Hitlers und die unvergleichlichen Verbrechen an den Juden unter striktes Tabu. Die „Zwangsstillegung der deutschen Nationalgesschichte“ durch EU und NATO wurde, so der Zeitgeschichtsprosekutor Martin Broszat, zur „Erlösung“ erhoben. Die Tabuisierung wackelte indessen, als um die Schwelle der 80er Jahre in den Werken von Hellmut Diwald, Hans Joachim Arndt, Heinrich Jordis v. Lohausen, Gottfried Dietze, Hans-Dietrich Sander und Bernard Willms eine Renaissance nationalen Denkens einsetzte. Sie wurde tunlichst ausgegrenzt, wirkte aber so untergründig, daß Martin Broszat 1986 einer „Historisierung des Nationalsozialismus“ das Wort redete. Es begann eine erregte Debatte unter den Historikern, die alsbald 1988 Bundespräsident Richard von Weizsäcker auf dem Bamberger Historikertag mit einem Ukas beendete. Im „Zwei-plus-Vier-Vertrag“, der die Wiedervereinigung im Interesse der Sieger regelte, wurde das Revisionsverbot erneuert.

IV. These

Der Triumph der Sieger war ein Triumph der alten Mächte des Liberalismus und des Sozialismus. Er löste keines der wesentlichen Probleme. Er verschärfte jedes. Vergleiche mit der Heiligen Allianz entzifferten die Weltordnung der Amerikaner und der Russen als eine Ära der Restauration.* Sie hat die Erde in wenigen Jahrzehnten in einen Augiasstall verwandelt.
Ich schrieb das 1987. Das erschien damals manchem Leser überzogen. Dabei skizzierte ich nur den Beginn einer Verwirklichung von Prognosen, die viel älter waren – von Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“, der expressionistischen Anthologie „Menschheitsdämmerung“ oder den „Letzten Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus. Stefan George hatte eine „vollendete Zersetzung“ thematisiert, durch die wir erst hindurchmüssen, bevor wir zu neuen Ufern vorstoßen können.

V. These

Das Dritte Reich ist als Experiment, Grundlagen für einen neuen Weltzustand zu legen, an sich selbst gescheitert. Auch sein Ende versiegelt der Satz Friedrich Ratzels: „Kein Volk ist durch Schläge von außen zertrümmert worden, wenn es nicht schon innen zerrissen und unterwühlt war.“* Es ist nicht an gegnerischer Übermacht gescheitert, wie die Deutschen glauben sollen, um den Mut für neue eigene Unternehmungen zu verlieren. Als Generaloberst Rendulic am 7. Mai 1945 in Steyr seine Heeresgruppe übergab, begrüßte ihn ein amerikanischer General mit dem Satz: „Wie konnten Sie diesen Krieg verlieren?“*
Eine Erörterung dieser These könnte ein ganzes Seminar füllen. Ich beschränke mich daher auf zwei Fehlhandlungen wider besseres Wissen. Zur ersten: 1933, wenige Wochen nach der Machtergreifung, zog sich Hitler mit dem Völkerbundexperten Friedrich Grimm zu einer Wochenendklausur zurück, um zu erfahren, wie man den Versailler Vertrag, den alle Weimarer Parteien abgelehnt hatten, revidieren könne, ohne einen neuen Weltkrieg auszulösen. Grimm erkärte ihm, daß im geeigneten Moment mit entsprechendem Geschick die meisten Punkte revidiert werden könnten, allein im Falle Polens Vorsicht geboten sei. Hitler richtete sich danach, versagte aber gerade in der polnischen Frage. Dabei war er Warschau unter Marschall Pilsudski entgegengekommen. Er war bereit, den Korridor zu akzeptieren, und untersagte deutschen Historikern, ihre Forschungen über die polnischen Greuel nach 1919 fortzusetzen. Als nach Pilsudskis Tod eine deutschfeindliche Regierung die blutigen Provokationen verstärkte, befahl Hitler den Einmarsch. Er handelte, wie es US-Präsident Roosevelt nach seiner Devise gewünscht hatte: „Wir müssen die Polen davon abhalten, den ersten Schuß abzugeben, und die Japaner zwingen, uns anzugreifen.“ Es ist freilich noch ungeklärt, ob Hitler nicht deutsche Generäle anstachelten, die von britischen Einflußagenten ferngesteuert waren. Zur zweiten: Im Januar 1939 erkannte Hitler, ein neuer Weltkrieg sei, wie Hermann Giesler berichtete, unvermeidlich. Wir müßten nur darauf achten, nicht wieder in einen Zwei- oder Mehrfrontenkrieg verwickelt zu werden. Es sei schon vorteilhaft, daß unsere Südflanke von neutralen Verbündeten abgesichert werden könnte. Allein, er handelte auch hier nicht auf der Höhe seiner Erkenntnis. Er tat nichts, um Mussolini herauszuhalten, dessen Kriegseintritt uns bis zum Schluß nur schadete. Er tat auch nichts, um nach dem Sieg über Frankreich den von Marschall Pétain gewünschten Friedensvertrag abzuschließen, der unsere Westflanke abgesichert hätte. Im Krieg gegen die Sowjetunion hätte Hitler auch unsere Ostflanke absichern können, wenn er als Befreier und nicht als Unterdrücker einmarschiert wäre: die UdSSR wäre schon ein halbes Jahrhundert früher auseinandergeflogen. Er hörte weder auf den Schriftsteller Dwinger noch auf den General Köstring, auch Rosenbergs Vorhaltungen schlug er im Kampfesrausch gegen die „slawischen Untermenschen“ in den Wind.

VI. These

Des Scheiterns erster Hauptgrund war: das Dritte Reich fußte auf einem Fundamentalismus als Bürgerkriegspartei. Seine Volksgemeinschaft schloß sozialdarwinistisch zu , Aristokraten, konservative Offiziere, Kirchen, Vertreter der deutsch-jüdischen Symbiose, „entartete“ Künstler, Homosexuelle. Eingliederungsbereitschaft nützte wenig. Sympathisierende Warnungen nützten nichts.* Das Regime setzte sich propagandistisch unter Vollzugszwang: der verlängerte Bürgerkrieg heischte Blut, wenn es ernst genommen werden wollte.
Der schwerste innenpolitische Fehler war, daß nach dem Ende der bürgerkriegsgeschüttelten Weimarer Republik nicht der innere Friede wiederhergestellt wurde. Es wurde weder ein Ausgleich mit den Kommunisten versucht, der uns den Rußlandfeldzug erspart hätte. Noch mit anderen politischen Richtungen. Das NS-Regime sperrte seine prominenten Gegner in Konzentrationslager, die zu diesem Zwecke errichtet wurden. Am 30. Juni 1934 rechnete Hitler in mörderischer Konsequenz mit den Widersachern in den eigenen Reihen ab.

VII. These

Der zweite Hauptgrund war die NSDAP als Träger der politischen Einheit. Sie war und blieb eine unreife Bewegung, wie Carl Schmitt sie 1932 sah.* Im übrigen war sie mit allen Nachteilen der Organisationsform Partei behaftet: für Führungsauslese, Sachverstand, allgemeine Interessen. Edgar Jung forderte die NSDAP nach der Machtergreifung auf, abzutreten und den Weg für den Neubau des Reiches ohne Parteien freizumachen. Er büßte es mit dem Tod; die Partei dachte nicht daran, auf die Früchte des Sieges zu verzichten. Carl Schmitt, der noch nicht sah, was geschieht, wenn ein Teil sich für das Ganze setzt, widersprach und entwarf 1933 seine ohnmächtige Konstruktion „Staat, Volk, Bewegung“.
Spengler hatte schon 1934 in seinen „Jahren der Entscheidung“ erkannt, daß die Partei-Elite den großen Aufgaben, die zu lösen waren, nicht gewachsen sein würde. Das bestätigte post festum in seinen Nürnberger Aufzeichnungen auch der letzte Agrarminister Herbert Backe, der nur Hitler und Goebbels überragende Fähigkeiten zumaß. Das ist ihm so beileibe nicht nur hinterher so erschienen. Die Briefe an seine Frau Ursula fällen während der ganzen zwölf Jahre ähnliche Urteile. Die SS hatte versucht, eine tüchtige Elite aufzuziehen; nicht selten war auf ihren Junkerschulen Hohn und Spott über die NS-Ideologie vernehmbar. Das hätte sich allerdings nur auswirken können, wenn ein richtiger Staat entstanden wäre. Der stand niemals auf der Tagesordnung. Die Partei fand einen Staat zu unbeweglich und ein Reich zu übernational. Es blieb die Weimarer Verfassung, durchlöchert oder überhöht vom Ermächtigungsgesetz, neben dem Führer-Regime bestehen – nach Ernst Fraenkel ein „Doppelstaat“ – Pufendorf hätte ihn ein Monstrum genannt. Die Achillesferse eines Parteiregiments ist und bleibt, daß es nur eine unzureichende Führungsauslese zuläßt und nichts annimmt, was außerhalb ihrer Reihen gedacht wird. Ernst Rudolf Hubers umfangreiches „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches“ (1937/1939) blieb Juristerei.

VIII. These

Der dritte Hauptgrund lag in der Person des Führers. Adolf Hitler verstand die deutsche Geschichte nach dem antäischen Gleichnis. Er war indessen nicht der Übermensch oder das Tier aus der Tiefe – wie Freund und Feind ihn sahen. Er war halbgenial. Er teilte dieses Schicksal mit Cromwell und Napoleon. Er löste viele Aufgaben vorbildlich. Ihrer Fülle war er nicht gewachsen. Er hätte den inneren Frieden herstellen müssen, wie das Cavour nach der Einigung Italiens tat, und im Krieg nicht als Unterdrücker auftreten dürfen, was den Sieg im Osten kostete. Cromwell, Napoleon und Hitler hätten aus der römischen Geschichte lernen können, wie man sich mit Besiegten verbündet. Aber es lag wohl nicht in ihrer Natur.*
Auch die Ergründung dieser These würde ein Seminar füllen. Ich beschränke mich hier auf ein wesentliches Detail. Hitler wurde nach seinen Anfangserfolgen unbelehrbar, weil er in seinem Bildungsgang Autodidakt war. Und Autodidakten sind, wie mir Herbert Taege einmal sagte, immer die Besten ihrer Klasse.

IX. These

Das Scheitern des Dritten Reiches entbindet uns nicht von der Aufgabe, mit Blick auf die Zukunft, von den destruktiven die produktiven Elemente und Faktoren zu scheiden, unter denen zuvörderst die wesentlichen Bestandteile und Wirkkräfte der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Raumordnung, der Naturpflege, der Volksgesundheit, des Jugendschutzes und der Wehrerziehung hervorzuheben wären. Nach dem Ende des Krieges ließen sich die Amerikaner von deutschen Militärs Aufzeichnungen anfertigen, um von der Wehrmacht und von der Waffen-SS zu lernen. Während seiner Präsidentschaft riet Richard Nixon der amerikanischen Wirtschaft, von der Kriegswirtschaft im Dritten Reich Krisenmanagement zu lernen. Für die unterworfenen Deutschen gilt: quod licet Jovi non licet bovi.
Nicht nur Nixon betrachtete die Wirtschaftspolitik im Dritten Reich als vorbildlich. Als sich die Schwierigkeiten nach der Vereinigung der BRD mit der DDR häuften, empfahl der durchaus liberale Nationalökonom Wolfram Engels, Urenkel übrigens von Friedrich Engels, der Regierung, doch einmal darüber nachzudenken, wie man nach 1933 in Deutschland und nach dem Anschluß 1938 in Österreich solche Probleme löste. Der Beitrag erschien in der „Wirtschaftswoche“ und verschlug landesweit den Atem. Es gab kein Echo. Als nach seinem Tode in einem Nachlaßband die letzten Kolumnen wieder herausgegeben wurden, wurde dieser Text unterschlagen. Wie man damals solche Probleme löste, beschrieb Hans Kehrl in seinen Erinnerungen „Krisenmanager im Dritten Reich“.

X. These

Die militärisch-ökonomischen Anleihen halfen den USA nicht. Die Elemente und Faktoren einer bestimmten politischen Einheit sind nicht ohne weiteres übertragbar. Die chaosträchtige Moderne kann nur von deutschem Boden aus aufgehoben werden, über den die Statthalter der Sieger bis zum Schwachsinn murmeln, es dürfe von ihm nie wieder ein Krieg ausgehen. Hier ist der größte Fundus der Kritik am Weltzustand herangewachsen. Hier sind Erfahrungen mit einem Neubau gemacht worden, die besagen: so kann man es machen – so kann man es nicht machen. Hier glimmt auch heute noch das empfindlichste Problembewußtsein. Das Dritte Reich ist als ein Stück deutscher Geschichte anzuerkennen und im Guten und im Bösen als das authentische Kapitel des 20. Jahrhunderts abzuhandeln.*
Sollten wir uns in der Postmoderne, die schon verkündet wurde, aber noch nicht eingetreten ist, eines Tages auf die positiven Seiten des Dritten Reiches zum Zwecke einer Zukunftsgestaltung besinnen, stellt sich natürlich die Frage nach ihrer Handhabung. Eine Wiederholung schließen nicht nur die negativen Seiten aus. Sie ist grundsätzlich weder innen- noch außenpolitisch zu bewerkstelligen. Bei einer abwägenden Sicht auf das Dritte Reich muß zu allererst berücksichtigt werden, in welche Zeitströmungen und Traditionen es eingebettet war. Eine vergleichende Analyse würde nämlich ergeben, daß der Nationalsozialismus nichts anderes war als eine ideologische Verengung eines geistesgeschichtlichen Flusses, der die Weimarer Republik wahrlich ohne Ufer durchströmte. Ich erinnere hier nur an das Schrifttum von Moeller van den Bruck, Edgar Julius Jung, August Winnig, Hans Zehrer oder Wilhelm Stapel. Die NSDAP blieb unfähig, weil sie sich seiner Radikalität und Tiefe als Partei verschloß. Stefan George hatte beim Aufstieg Hitlers geäußert, ihn interessiere nicht die Ideologie, sondern ihn interessierten die Impulse, die von ihm ausgingen. Und die Impulse zündeten im Volk, weil es durch die Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik auf sie vorbereitet war. Das Dritte Reich wäre nicht untergegangen, wenn es in der Lage gewesen wäre, seine ideologische Enge abzustreifen. Hitler ließ zu seinem sicheren Ende Jung erschießen und Zehrer als Herausgeber der „Tat“ absetzen. Das Dritte Reich bestand über zwölf Jahre indessen nicht nur wegen seines Treibens in der Zeitströmung. Es konnte jederzeit Bestände deutscher Traditionen mobilmachen – ohne die auch der Wiederaufbau nicht möglich gewesen wäre. Zu diesen Beständen gehört auch der Begriff der Volksgemeinschaft, den schon Friedrich Schleiermacher zu Beginn des 19. Jahrhunderts gebrauchte. Wir dürfen an neuen Ufern diese elementaren Zusammenhänge nicht außer acht lassen.

Epitaph

Je mehr ich über das Dritte Reich nachdenke, um so klarer erscheint es mir als eine geniale Improvisation, die nach beispiellosen Erfolgen in sich zusammensackte, weil es auf die problematische Figur seines Führers fixiert war. Es fiel nach seinem Tod wie ein Kartenhaus zusammen. Hitler fällte selbst ein abschließen des Urteil über sein Werk, als er zu seinem Nachfolger keinen Parteipolitiker ernannte, sondern einen Soldaten, den Großadmiral Karl Dönitz. Es heißt, Hitler habe auch eine Seite Papier hinterlassen, auf der er die politische Ordnung skizzierte, die ihm nach dem Ende vorschwebte. Sie ist bis heute nicht ans Tageslicht gekommen. So interessant es sein mochte, für das Überleben unseres Volkes war sein Wunsch wichtiger, es möge in einen langen Winterschlaf versinken, denn wenn es sich zu rasch wieder erhöbe, würde es ausradiert werden. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen.

* Hans-Dietrich Sander, Die Auflösung aller Dinge. Zur geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne, 212 S. – Leinen, Preis: € 18,50, Verlag Castel del Monte, o. J. (1988)
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