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Damit wir uns nicht missverstehen

Von Wolfgang Dvorak-Stocker

Meine zynische Schlußbemerkung im letzten Editorial hat bei etlichen Lesern zu Verwirrung geführt: Wie ich denn dazu käme, einem Angriff der USA auf den Iran das Wort zu reden? Nur zur Klarstellung: Ich befürworte ganz sicher nicht die Außenpolitik der Regierung Bush, doch habe ich bezweifelt, ob die Politik unter John Kerry substantiell anders gewesen wäre. Und ich habe Argumente vorgetragen, warum eine aggressive Außenpolitik der USA das Ende ihrer alleinigen Weltmachtstellung eher beschleunigen als verzögern wird. In diesem Sinn war nun auch der Satz zu verstehen, ich „hoffte“ auf weitere außenpolitische Abenteuer.
Aber es gibt noch eine zweite Ebene, auf der das aggressive Engagement der USA im Nahen Osten für Europa nützlich ist – wenngleich auf einem Umweg.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten nahezu alle Staaten des islamischen Kulturkreises auf Modernisierung durch „Europäisierung“ – so unterschiedlich die Modelle dafür auch sein mochten: Ganz westlich orientiert, wie das Regime des Schahs in Persien, vom Nationalsozialismus inspiriert wie die im Irak und in Syrien an die Macht gekommene Baath-Partei, oder auch unter sowjetischen Einfluß wie, zumindest anfangs, Oberst Nasser in Ägypten. Diese Versuche sind weitgehend gescheitert, in erster Linie, weil sich die damit verbundenen wirtschaftlichen Hoffnungen nicht erfüllten. Die Ursache dafür heißt Bevölkerungsexplosion, die Folge Re-Islamisierung.
Die Einwohnerzahl des nordafrikanisch-vorderasiatischen Raumes hat sich in den letzten fünfzig Jahren von 112 Mio. auf 407 Mio. fast vervierfacht. Die Reislamisierung resultiert daher auch aus der gewaltigen Bevölkerungsexplosion. Und der islamische Großraum weist immer noch das größte Bevölkerungswachstum weltweit auf, was die wirtschaftlich und sozial problematische Situation in vielen Ländern weiter verschärfen wird.
Demgegenüber liegt die Kinderzahl in allen europäischen Staaten teilweise schon seit mehr als drei Jahrzehnten unter dem Reproduktionsniveau, eine Entwicklung, die nun zu einem sich beschleunigenden Bevölkerungsrückgang führt, der schon bald dramatisch wird, weil die in Zukunft ins gebärfähige Alter eintretenden Generationen immer kleiner werden. Im ost- und südeuropäische Raum, aus dem in den letzten Jahrzehnten die Hauptzuwanderung nach Mitteleuropa erfolgte, sieht die Situation im übrigen nicht anders aus.
Eine solch gegenläufige demographische Entwicklung in zwei benachbarten Großräumen führt unvermeidlich zu einem Anstieg des Migrationsdrucks.
Europa wirkt heute für die islamische Welt anziehend und abstoßend zugleich. Anziehend aufgrund des Wohlstandes, abstoßend in moralisch-sittlicher Hinsicht. Denn nicht nur demographisch, auch kulturell war die Entwicklung in Europa und im islamischen Raum in den letzten Jahrzehnten gegenläufig. Sind dort die religiösen und kulturellen Bindekräfte wieder stärker geworden, haben sie hier massiv an Bedeutung eingebüßt. Die islamische Welt sieht sich keinem von einem lebendigen christlichen Glauben geprägten Europa mehr gegenüber, sondern einer hedonistischen „anything goes“-Gesellschaft, die nurmehr als Objekt islamischer Missionierung begriffen werden kann – und auch als existentieller Feind, dessen Luxuswelt den Gläubigen verführt, vom rechten Pfad abzuweichen, und dem die Schuld an der eigenen wirtschaftlichen Misere gegeben wird.
Gleichzeitig sind in Europa durch die Zuwanderung aus dem islamischen Raum Parallelgesellschaften entstanden, die sich ganz explizit als Vorposten einer Islamisierung verstehen. Die verbreitete Reethnisierung der Einwanderer in der zweiten und dritten Generation zeigt, daß diese Parallelgesellschaften auch nicht mehr aufzulösen sind. Sie werden entweder durch weiter gehende Zuwanderung (Familiennachzug, Eheschließungen) weiterwachsen, oder durch Rückwanderung abnehmen. Das ist – noch – durch die europäischen Staaten steuerbar.
Aus einer derart gegensätzlichen demographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung zweier benachbarter Räume ergibt sich zwangsläufig ein riesiges Konfliktpotential, das durch die islamische Zuwanderung nach Europa erst richtig scharfgemacht wurde. Der Politik der USA und der darauffolgenden Reaktion islamischer Kräfte (Haßpredigten in europäischen Moscheen, Terroranschläge) verdanken wir, daß dieser Europa existentiell betreffende Konflikt bereits jetzt sehr deutlich sichtbar geworden ist. Darin liegt die Chance. Denn will Europa seine ethnische und kulturelle Identität bewahren, muß es sich diesem Konflikt schon heute stellen.

 
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