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Der Staat als Hehler – zwei Millionen Geschädigte

Von Karl Ludwig Bayer

In seinem traditionellen hanseatischen Kaufmanns-Kontor mit dunklen Möbeln und dem Modell eines Segelschiffes – in Sichtweite das Wasser, das Hamburg mit der Welt verbindet – sitzt Heiko Peters am Schreibtisch. Seine Familie hatte keinen Besitz im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands. Heiko Peters macht sich dennoch für jene Menschen stark, die von den Russen zwischen 1945 und 1949 entschädigungslos enteignet wurden. Da seit 1990 mehr als zwei Millionen Anträge auf Rückgabe des kommunistischen Raubgutes (einschließlich DDR-Enteignungen nach 1949) gestellt wurden, beweist allein schon diese hohe Zahl, daß es nicht nur um die „Junker“ geht, sondern um die breite Schicht des früheren Mittelstandes zwischen Thüringer Wald und Ostsee. Daß ausgerechnet der Mittelstand, der den Großteil der Arbeitsplätze schafft, von den Politikern um sein Eigentum gebracht wird, rächt sich bitter: Die wirtschaftlichen Probleme der „neuen Bundesländer“ gehen vielfach darauf zurück.
Selbst Helmut Kohl heulte mit den Wölfen: Er übernahm die sozialistische Sprachregelung und redete gedankenlos von der „Junkerfront“, als es um die Rechte der Alteigentümer ging. Damit wollte er suggerieren, nur ein paar frühere Großgrundbesitzer kämpften um die Vermögenswerte ihrer reichen Vorfahren. Diese Wortwahl ist die Folge der kulturellen Vorherrschaft der Medienlinken in Deutschland. Heiko Peters erhielt hautnahen Anschauungsunterricht an der Quelle der Bewußtseinsmisere, als er eines Tages zur „Spiegel“-Redaktion marschierte – sie liegt in Fußreichweite von seinem Büro – und das Ergebnis seiner Recherchen vorlegte. Ein „Spiegel“-Redakteur sah sich die Unterlagen genau an. Dann erklärte er dem überraschten Besucher, dies sei ihm bereits alles bekannt. Er könne die Informationen sogar noch ergänzen. Der „Spiegel“ werde aber trotzdem nichts darüber berichten, denn er wolle keinesfalls an der Wiederherstellung der früheren Eigentumsverhältnisse mitwirken. Das Beispiel zeigt, wie Zensur und Gedankenkontrolle heute funktionieren.
Vorurteile gegen preußische Alteigentümer, garniert mit süffisanten Seitenhieben auf die im Propaganda-Repertoire nie fehlenden „ostelbischen Junker“, trüben den Blick auf die Fakten. Wenn ein massenmedial gesteuertes linkslastiges Meinungsklima den Neidpolitikern Schubkraft gibt, dann ist der Nährboden für Unrecht und wirtschaftliche Unvernunft bereitet. Es ist notwendig, diesen geistigen Hintergrund auszuleuchten, um den Skandal in seinen ganzen Dimensionen zu erkennen. Er beginnt in einem Lügengestrüpp im Jahr der Wiedervereinigung.

Kohls Lüge und der größte Skandal der Gegenwart

Helmut Kohl behauptete 1990, Moskau habe von ihm verlangt, die von der sowjetischen Militäradministration 1945 bis 1949 vorgenommenen Enteignungen beizubehalten. Man könne daher die geraubten Liegenschaften nicht an ihre früheren Eigentümer zurückgeben, ohne die deutsche Einheit zu gefährden. Für die Sowjets sei dies ein „Junktim“: Man habe die Bedingung der Russen erfüllen müssen, um ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung zu erlangen.
Der damalige amerikanische Präsident George Bush senior antwortete freilich auf die Frage eines Journalisten, ob es eine solche Bedingung gegeben habe: „No“. Sein Außenminister Baker bestätigte dies. Auch der letzte Staats- und Parteichef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, sagte nichts anderes. Es gab nämlich kein Junktim. Es war allein Sache der Deutschen, über die 1945 bis 1949 enteigneten Immobilien zu entscheiden. Viele waren Zeugen (darunter der Autor), als Gorbatschow in Erfurt – im Beisein des britischen Ex-Premierministers Edward Heath und vor den Augen und Ohren des damaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel – lebhaft versicherte, er habe eine solche Bedingung nie gestellt. In Vorträgen, Interviews und Aufsätzen unterstrich Heiko Peters:
„Auch der seinerzeitige Außenminister Schewardnadse berichtet in seinen Memoiren, es habe keine derartige russische Forderung gegeben. Für die russische Deutschland-Politik gab es seinerzeit im Kreml einen ranghohen Koordinator: Daschitschew. Dieser hat glaubhaft versichert, eine derartige Bedingung habe es nicht gegeben. Nachdem all dies bekannt wurde, drehte sich die Verteidigung der Bundesregierung: Die DDR habe eine solche Forderung gestellt, deshalb sei eine Umkehr in dieser Frage nicht möglich. Abgesehen davon, daß auch dies keinen Sinn macht – es soll ja kein Privatvermögen zurückgefordert werden, nur das noch im Staatsbesitz befindliche, und warum sollte denn die DDR sich stark machen für ein zukünftiges Staatsvermögen des früher so befehdeten anderen Deutschlands – abgesehen davon also ist auch diese Behauptung durch Zeugen widerlegt: So hat der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Gerd Gies, am 14. September 1996 vor einigen hundert Zuhörern versichert, erst durch die Forderung aus Bonn sei die Volkskammer zu den entsprechenden Beschlüssen gedrängt worden; die Abgeordneten seien vorher selbstverständlich der Ansicht gewesen, alles im Staatsbesitz verbliebene Volksvermögen werde umfassend und schnell an die rechtmäßigen Eigentümer zurückerstattet. – Finanzminister Waigel hat sich frühzeitig gebrüstet, es sei sichergestellt, daß das Volksvermögen der DDR beim Fiskus verbleibe – damit bezahle er die Kosten der Wiedervereinigung. Hier kommt der Täter ans Licht: der Staat, der an das kommunistische Beutegut herankommen wollte. Es ist dringend an der Zeit, daß dieser Skandal publik gemacht wird und daß Recht und Gerechtigkeit in Deutschland wieder zur Übereinstimmung gebracht werden. Nicht nur moralische und rechtliche Gründe erfordern dies: Im Moment ist die Verwaltung des geraubten Gutes so teuer, daß die Verwaltungskosten den Wert der Beute erheblich übersteigen; es ist eine abenteuerliche Verschwendung von Steuergeldern. Zusätzlich werden große Summen an Investitionen, sowohl an menschlichen Ressourcen als auch an Geld blockiert, die bei Rückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer sofort – ohne Kosten für den Staat – freigesetzt werden. Es würden Steuern erwirtschaftet, wo heute riesige Subventionen gezahlt werden. Ein Verkauf zu Vorzugspreisen ist von Brüssel untersagt worden (verbotene Subventionen!), ein Verkauf zu Marktpreisen ist auf absehbare Zeit nicht möglich (dafür ist die Beute viel zu groß), die Verwaltung viel zu teuer – auch deshalb gibt es nur eine vernünftige Lösung: Das noch im Staatsbesitz befindliche kommunistische Beutegut muß schnell und umfassend zurückgegeben werden, wobei alle zwischenzeitlich geschlossenen Verträge eingehalten und die Rechte redlicher Erwerber geachtet werden müssen.“
Soweit Heiko Peters. Da die Forderungen der Alteigentümer nur jene Grundstücke betreffen, die im (unrechtmäßigen) Staatsbesitz der DDR waren und 1990 in den (ebenso unrechtmäßigen) Staatsbesitz der Bundesrepublik Deutschland übergegangen sind, würde eine Rückgabe keine Schwierigkeiten bereiten und keine Träne kosten. Selbst bei landwirtschaftlich genutzten Flächen ist es für die Pächter unerheblich, ob sie die Pacht an den Staat oder an einen privaten Eigentümer zahlen.
Trotzdem beschloß das deutsche Bundesverfassungsgericht im Dezember 2004 erneut: Die Enteignungen bleiben in Kraft, es gibt keine Restitution. Damit werden die Urteile der selben Instanz aus den Jahren 1991 und 1996 bekräftigt. Doch warten die Betroffenen noch auf zwei Entscheidungen, die bis 2006 zu erwarten sind: Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg und des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg.
Den moralischen und rechtlichen Rahmen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon im Mai 2002 abgesteckt. Grundsätzlich forderte er, daß die von den Kommunisten geraubten Vermögenswerte ihren Eigentümern zurückzugeben sind. Soweit dies nicht möglich ist, muß entschädigt werden. Die Amerikaner sehen dies ähnlich. Die Kongreß-Resolution 562, die freilich niemanden in Europa in die Pflicht nimmt, verlangt die Rückerstattung aller unter kommunistischen Regimen beschlagnahmten Vermögen an die rechtmäßigen Eigentümer.
Daß in Deutschland anders entschieden wurde, nährt den Verdacht, es liege Rechtsbeugung unter Beteiligung führender Politiker vor. Da die Bundesregierung mit dem Ammenmärchen, Moskau habe die Beibehaltung der Enteignungen verlangt, die Urteilsfindung beeinflußt hat, stellt sich für internationale Beobachter die Frage, ob vor dem höchsten deutschen Gericht ein Prozeßbetrug in Szene gesetzt wurde. Einige Geschädigte machen schon seit Jahren die Probe aufs Exempel. Sie bezichtigen namhafte Politiker öffentlich der „Staatshehlerei“ und der Mißachtung des Rechts auf Eigentum. Auch eindeutige Beleidigungen wie „Rechtsbrecher“ oder „Hehler“ haben aber noch in keinem Fall dazu geführt, daß sich die Angegriffenen gerichtlich zur Wehr setzen. Das Risiko erscheint ihnen einfach zu hoch. Wenn sie verlieren – was zu erwarten ist –, stünden im Urteil zu viele unangenehme Wahrheiten. Das wollen sie vermeiden. Der Staat wirkt weiter als Hehler – aber so geräuschlos wie möglich.

Die wirtschaftlichen Folgen

Die zweite Seite der Medaille betrifft die wirtschaftlichen Auswirkungen. Weit mehr als eine Million Menschen haben seit der deutschen Wiedervereinigung die neuen Bundesländer verlassen, weil sie keine Arbeit fanden. Hätten mittelständische Unternehmer ihr von den Kommunisten geraubtes Eigentum zurückerhalten, dann wäre diese Katastrophe vermieden worden. Denn viele der Betroffenen hätten in ihrer angestammten Heimat, mit der sie alte Familientraditionen und Erinnerungen verbinden, neue Arbeitsplätze geschaffen.
Im früheren DDR-Gebiet fehlt ein starker Mittelstand als Rückgrat der Wirtschaft, als Beschäftigungsmotor und als Steuerzahler. Der deutsche Staat hat sich durch die Festschreibung der kommunistischen Enteignungen tiefe Wunden ins eigene Fleisch geschnitten. Durch eine neidgetriebene, von Massenmedien mit Beifall begleitete Politik wurden die neuen Bundesländer in ihrer Entwicklung gehemmt. Die hierdurch verursachten Soziallasten – plus fehlende Steuereinnahmen – liegen im dreistelligen Milliardenbereich. Hinzu kommt, daß Arbeitslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven in den östlichen Bundesländern die leistungsfähige und leistungswillige Jugend auf breiter Front zum Abwandern nach West- und Süddeutschland treiben.
Dem Mittelstand in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen wurde der Weg zur Rückkehr mit Nägeln statt mit Rosen garniert. Die politischen Weichenstellungen, die auf Unwahrheiten basierten, haben nur Nachteile mit sich gebracht. Außer Neidbefriedigung ist kein Nutzen erkennbar. Und der Staat handelt weiter wie ein Hehler, wenn er fortgesetzt Grundstücke verkauft, die ihm nicht gehören. Da einige der größten Verlagshäuser von solchen Transaktionen profitiert haben, mag dies zur Erklärung beitragen, warum in den etablierten deutschen Massenmedien Zensur geübt und Wahrheiten totgeschwiegen werden.
Wenn kleine Investoren in den neuen Bundesländern Genehmigungsanträge stellen, werden sie nicht von den Ministerpräsidenten empfangen. Häufig sitzen sie in unansehnlichen Büros Beamten gegenüber, die schon in DDR-Zeiten Partei- und Staatsdiener waren. Die roten Seilschaften funktionieren immer noch. Dies ist ein zusätzlicher Faktor, der die Schwäche des Mittelstandes zwischen Rügen und Erzgebirge erklärt. Um die Wirtschaft zu beleben, müßten mehr Anreize geschaffen und Hürden entfernt werden. Die Bevorzugung von Staatsbesitz gegenüber Privateigentum und das Weiterwirken der früheren kommunistischen Funktionäre sind zwei Hauptursachen für die trübe Lage. Nach dem Umbruch von 1989/1990 ist heute eine zweite Wende notwendig: Sie muß eine personelle Erneuerung der Verwaltung mit sich bringen, das Privateigentum achten und einen breiten Mittelstand wachsen lassen. Dann erst wird Wirklichkeit, wovon seit eineinhalb Jahrzehnten viele bloß reden: die innere deutsche Einheit.

 
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