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Selbstverschuldete Arbeitslosigkeit

Von Georg J. E. Mautner Markhof

Ursachen, über die nicht gesprochen wird

Es fehlt – so scheint es – an Arbeitskräften. Tellerwäscher werden händeringend gesucht. Handwerksbetriebe sterben aus, weil sie keinen Nachwuchs finden. Taxifahrer aus Österreich sind Mangelware geworden. Persönliches Dienstpersonal steht kaum mehr zur Verfügung. Ganze Spitalsabteilungen müssen geschlossen werden, da der Bedarf an Pflegepersonal nicht gedeckt werden kann. Die Wartezimmer der Ärzte sind überfüllt. Gerichte beklagen sich über fehlende Schreibkräfte. Und das alles in einer Zeit, die von Arbeitslosigkeit geprägt wird!

Was bewirkt diesen rätselhaften Widerspruch? Nur eine unvoreingenommene Analyse – fernab jeder Parteipolitik und Ideologie – hilft uns eines der schwerwiegendsten Probleme unserer Gesellschaft zu lösen.

Wieviele Bewohner verträgt eine Region?

Arbeitslosigkeit ist ein regionales Problem. Folglich kann es primär auch nur regional gelöst werden. Die Frage, welche Einwohnerzahl für ein bestimmtes Gebiets optimal wäre – wirtschaftspolitisch, sozialpolitisch und den Schutz der Umwelt berücksichtigend – wird verblüffender Weise nicht gestellt, obwohl eine derartige Untersuchung absoluten Vorrang besäße.
Von 1971 bis 2001 hat sich die seit Kriegsende ohnehin bereits rapide gewachsene österreichische Bevölkerung um weitere 541.000 Personen vermehrt, obwohl die Zahl der Geburten abnahm. Zuwanderung und Einbürgerungen bewirkten eine gigantische Überkompensation. Gegenwärtig befinden sich rund 700.000 Ausländer in Österreich (die auf nahezu 100.000 geschätzten illegalen Einwanderer nicht mitgerechnet). 300.000 Zuwanderer wurden alleine in den letzten zehn Jahren eingebürgert. Mit diesen Zahlen vor Augen ist es schlicht verantwortungslos, Österreich als „Einwanderungsland“ zu bezeichnen. Das Wachstum der Bevölkerung – das überdies viel zu schnell erfolgte – hat längst jedes vernünftige Ausmaß überschritten. Die in Österreich beschäftigten Ausländer stellen fast deckungsgleich das gleiche Kontingent wie die arbeitslosen Inländer. Der Hinweis, für einige Arbeiten fänden sich nicht genügend Österreicher, trifft teilweise zu, rechtfertigt aber keineswegs die gigantische Einwanderungswelle. Auch die Behauptung, die Immigranten müßten unsere Pensionen verdienen, ist grotesk. Der übergroße Zustrom ausländischer Arbeitskräfte verschärft ganz im Gegenteil unser ohnehin schon überlastetes Sozialsystem.
In den letzten fünfzig Jahren – das entspricht einem Zeitraum von weniger als zwei Generationen – wuchs die Bevölkerung Österreichs um 17 %. Daß heute trotz eines Höchststandes an Beschäftigten die Arbeitslosenrate immer noch bedenklich ist, ergibt die eindeutige Schlußfolgerung: Unser Land ist – wie zahlreiche Regionen der Europäischen Union auch – übervölkert.

Kündigungsschutz dämpft die Bereitschaft, neue Mitarbeiter einzustellen

Kündigungsschutz, Abfertigungsregelung und ähnliche wirtschaftsfremde Maßnahmen sind eine weitere Ursache für die Misere. Je rigoroser sie eingesetzt werden, desto verheerender die Wirkung. Niemand wird tüchtige Arbeiter aus Jux entlassen. Zahlreiche beabsichtigte Einstellungen – insbesondere bei den Lehrlingen, Invaliden oder älteren Menschen – unterbleiben nur deshalb, weil das Risiko für den Unternehmer, die aufgenommenen Mitarbeiter auch dann behalten zu müssen, wenn sie sich als ungeeignet erweisen oder nicht mehr gebraucht werden, einfach zu hoch erscheint. Immer wieder kommt es vor, daß Betriebe, die längst nicht mehr lebensfähig sind, nur deshalb nicht zusperren und in den Ruin getrieben werden, weil die Mittel für die Abfertigungen fehlen.
Vernünftige Sozialgesetze – etwa faire Kündigungsfristen – sind unverzichtbar. Regelungen jedoch, die nur zu einer Erstarrung des Arbeitsmarktes führen, sind aufzuheben. Gäbe es eine Bestimmung, die Linkshänder unter Kündigungsschutz zu stellen, wir könnten sicher sein, daß diese große Mühe hätten, einen Arbeitsplatz zu finden.

Bürokratismus wird von den Bürgern mitverschuldet

In der öffentlichen Meinung gilt der überbordende Bürokratismus mit Recht als ein Hindernis bei der Bewältigung wirtschaftlicher Entwicklungen. Dieses Thema ist allgemein bekannt und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung. Lediglich ein Umstand wird meistens übersehen. Die Sucht, alles regeln zu wollen und durch Kontrollen und Überkontrollen die Bevölkerung vor weiß Gott was alles zu schützen, entspringt nicht nur dem Hirn arbeitswütiger Beamten. Ein verhängnisvoller Mangel an Selbstverantwortung und die Tendenz, alles auf die öffentliche Hand abschieben zu wollen, macht die Gesellschaft in hohem Maße mitschuldig.

Gigantische Schattenwirtschaft durch ein falsches Steuersystem

Der Widerspruch, daß tausende offene Arbeitsplätze nicht mehr besetzt werden können, während gleichzeitig hunderttausende Menschen Arbeit suchen, läßt sich nur durch zwei Faktoren erklären: Entweder die Arbeitslosen können oder wollen nicht in bestimmte Berufe einsteigen oder es fehlt an Geld, sie zu bezahlen.
Letzteres ist die Folge eines Steuersystems, das wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Erfordernisse ignoriert. So verdrängen bereits in den untersten Einkommensrängen konfiskatorische Belastungen einen Teil des Wirtschaftsablaufes in die Schattenwirtschaft. Allem voran ist nicht einzusehen, weshalb private Arbeitgeber steuerlich anders behandelt werden als Unternehmen. Die Kosten für private Dienstleistungen – Chauffeur, Gärtner, Köchin, Hauswirtschafterin oder Kindermädchen – müßten für den Arbeitgeber steuerlich abzugsfähig sein. Die Zumutung, aus bereits versteuertem Einkommen Arbeitskräfte zu bezahlen, die dieses Einkommen dann neuerlich versteuern müssen, ist grotesk und verschärft die Arbeitslosigkeit. Konsequent zu Ende gedacht, müßten auch der private Hausbau, Wohnungskauf und sämtliche Reparaturen „abzugsfähig“ sein beziehungsweise – wie in Unternehmen auch – bilanzmäßiger Aktivierung und Abschreiberegelungen unterliegen.
Gegen diesen Vorschlag werden zwei Einwände vorgebracht. Erstens: Er bevorzuge lediglich die Wohlhabenden, da nur sie in der Lage wären, persönliches Personal abzuschreiben und die Kosten für Hausbau und Renovierungen steuerlich zu lukrieren. Offensichtlich sind wir in unserer Neidgenossenschaft bereits so tief gesunken, daß vernünftige Maßnahmen nur deshalb abgelehnt werden, weil sie linken Ideologien emotionell zuwiderlaufen. Der zweite Einwand bleibt sachlich: Das vorgeschlagene System bewirke eine drastische Steuersenkung, die nicht finanziert werden könne; ein Einspruch, der allerdings mit ziemlicher Sicherheit nicht zutrifft.

900.000 Österreicher sind fiktive Vollzeit-Schwarzarbeiter

Alle offiziellen Steuerstatistiken sind irreführend, weil sie die Schattenwirtschaft nicht berücksichtigen. Dr. Friedrich Schneider, Professor an der Johannes Kepler-Universität in Linz, einer der renommiertesten Kenner der Marktsituation, kommt zu dem Ergebnis, daß nahezu 900.000 Menschen in Österreich als Vollzeit-Schwarzarbeiter tätig sind. Natürlich handelt es sich um eine fiktive Größe, die sich aus den Stunden, die in der Schattenwirtschaft gearbeitet werden, berechnen läßt. Professor Schneider nennt 769.000 Inländer und 112.000 illegal in Österreich arbeitende Ausländer, die fiktiv Vollzeit-Schwarzarbeit verrichten, während weniger als die Hälfte offiziell als Arbeitslose registriert sind. Noch krasser ist die Situation in Deutschland mitmehr als zehn Millionen angenommenen Vollzeit-Schwarzarbeitern. In den südeuropäischen Ländern wird die Schattenwirtschaft sogar auf 25 % – 30 % des offiziellen Bruttosozialprodukts geschätzt.
Sollten – wie vorgeschlagen – Hausbau, Renovierung und persönliche Dienstleistungen steuerabzugsfähig werden, so entfiele selbstverständlich der Anreiz, in die Schattenwirtschaft auszuweichen, wodurch diese drastisch zurückginge. Die weitere Folge wäre daher eine zusätzliche Steuereinnahme, der allerdings die Steuerabzugsfähigkeit entgegenstünde. Die gesamte Schattenwirtschaft in Österreich wird auf mindestens € 22 Milliarden geschätzt, eine wahrlich gigantische Summe, die Österreichs Lohnsteuer-Einnahmen (2003: 17.891 Milliarden Euro) bei weitem übertrifft. Die Chance, den Steuerausfall mit zusätzlichen Einnahmen auf der anderen Seite zu kompensieren, ist somit beträchtlich. Ob dem wirklich so ist, läßt sich nur mit recht komplizierten Detailuntersuchungen feststellen. Daß sich bisher niemand der Mühe unterzogen hat, derartige Studien vorzunehmen, ist einzig auf die ideologische Neidschranke zurückzuführen. Eines ließe sich jedenfalls erreichen: Die Absenkung der Arbeitslosenrate auf ein erträgliches Maß.
Ältere Arbeitskräfte zählen zu den ärmsten Opfern unserer völlig falschen Sozialpolitik. Sie sind die stabilsten Säulen in den Unternehmen. Ihre Erfahrung, Einsatzbereitschaft und Verläßlichkeit wiegen in der Regel mangelnde Kenntnis in der sich rapid entwickelnden technischen Welt auf. Logisch betrachtet, müßten Unternehmer ältere Arbeitskräfte bevorzugen. Weshalb also finden Fünfzigjährige so schwer einen Arbeitsplatz? Sie sind zu teuer, und Kündigungen werden schwierig. Beide Hindernisse ließen sich beseitigen. Die Steuer- und Abgabenquote müßte für ältere Arbeitskräfte drastisch reduziert werden (wobei gleichzeitig auch die meisten Zuschüsse der öffentlichen Hand entfallen könnten). Der Kündigungsschutz wäre – darauf wurde bereits hingewiesen – aufzuheben.

Fetisch Wachstum

Auch ein übergeordnetes Problem vernichtet Arbeitsplätze: Der weltweite Zwang zum Wachstum. Alles muß größer werden. Umsatz, Gewinne, Löhne, Bruttoinlandsprodukt und was es dergleichen noch mehr an Kennziffern gibt. Stabilität gilt als Rückschritt. Ein Unternehmen, das den ordentlichen Gewinn des Vorjahres nur einstellt und nicht steigert, erweckt bereits Mißtrauen. Um den Fetisch Wachstum zu erreichen, wird die Wirtschaft in einen gnadenlosen Wettbewerb gezwungen, den man durch Globalisierung, radikale Privatisierungen und globale Märkte noch zusätzlich anheizt. Kleine, gut funktionierende Einheiten werden zerstört. Traditionsreiche mittelständische Familienbetriebe vermögen dem Druck des internationalen Wettbewerbes nicht standzuhalten. Die menschliche Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geht verloren. Nicht die Manager sind schuld. Sie selbst wurden längst zu Getriebenen. Wachsende Betriebe benötigen Kapital. Kapital erhält, wer hohe Gewinne ausschüttet. Da der Markt weitgehend gesättigt ist, lassen sich Umsatzsteigerungen meist nur durch Fusionen erreichen. Die so entstandenen Synergieeffekte führen zu Massenentlassungen von Mitarbeitern. Das Ende dieser verhängnisvollen Spirale ist nicht abzusehen. Ein Blick in die Geschäftsberichte genügt: Die Dividende wird erhöht und die Anzahl der Mitarbeiter verringert. Wann werden wir endlich erkennen, daß Globalisierung und der schon fast krankhafte Wunsch der Europäischen Union nach schrankenlosem Wettbewerb unserer Gesellschaft manches Gute, aber noch viel mehr Schlechtes gebracht hat?

Zusammenhänge erkennen!

Die falsche Einstellung der Gesellschaft zu sich selbst, Tabus und egoistische Forderungen, Rechte ohne Pflichten und andere Entgleisungen verhindern ein gesundes wirtschaftliches Zusammenleben. Der allgemeine Versorgungsgedanke ist an die Stelle der Selbstverantwortung getreten. Wer allen Unzulänglichkeiten per Gesetz begegnen möchte, schafft jenen Bürokratismus, den wir heute beklagen. Die Einstellung zur Arbeit ist gestört, meist wird sie lediglich als notwendiges Übel angesehen. Als ich vor einigen Jahren in einem Vortrag bemerkte, arbeitslosen Junglehrern sei es durchaus zuzumuten, die Wartezeit als Tellerwäscher zu überbrücken, statt sich auf Kosten der Allgemeinheit Arbeitslosengeld auszahlen zu lassen, erhob sich in einigen Zeitungen der Linkspresse ein Sturm der Entrüstung. Die Bereitschaft, zu dienen, hat abgenommen. Neidkomplexe machen sachliche Überlegungen unmöglich. Werden in einer solchen Atmosphäre überzogene Einwanderung zugelassen und kontraproduktive Sozial- und Steuergesetze der Wirtschaft aufgebürdet, dann entsteht genau dieses Chaos, mit dem wir uns heute herumschlagen müssen.
Was wir benötigen, um den Arbeitsmarkt wieder in Ordnung zu bringen, sind keine Reformen. Die Krankheit – und nicht die Symptome – muß bekämpft werden. Bruno Kreiskys Zurechtweisung eines Journalisten mit den Worten „Lernen Sie Geschichte“ ist berühmt geworden. Heute möchte man den Bürgern zurufen: „Lernen Sie Zusammenhänge zu erkennen.“

 

 
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