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Der anglo-irische ,,way of fascism"

Von Benedikt Kaiser

Zwischen Kopie und Originalität

Den Engländern wurde 1998 ins Bewußtsein gerufen, daß auch sie den Faschismus zur Landesgeschichte zählen müssen, als die vier Episoden umfassende TV-Mini-Serie „Mosley“ ausgestrahlt wurde. Sir Oswald Mosley (1896–1980), nach dem Ersten Weltkrieg ambitionierter Hoffnungsträger der Tories wie Labour gleichermaßen, wurde in den 1930er Jahren mit seinen Blackshirts der British Union of Fascists (BUF) zur Chiffre für den englischen Faschismus. Ob und warum Mosley scheitern mußte, wurde und wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Verschwiegen wird hingegen die Historie eines möglicherweise existierenden irischen Faschismus. Vertreter eigener Faschismustheorien wie Ernst Nolte und Wolfgang Wippermann erwähnen in ihren Klassikern über europäische faschistische Bewegungen sektenähnliche Zusammenschlüsse in Polen oder Finnland, Kleinstgruppen in Portugal oder der Schweiz, während die als Blueshirts und, wie wir sehen werden, später als Greenshirts bezeichneten Getreuen des Generals Eoin O’Duffy (1892–1944) keine Erwähnung finden, obwohl sie, gleichwohl tragisch, im Spanischen Bürgerkrieg auftraten, sich gewalttätige (Saal-)Schlachten mit der Irish Republican Army (IRA) lieferten und bei der Gründung der bis heute aktiven, mittlerweile harmlos christdemokratischen Partei Fine Gael (FG, dt. Familie der Iren), die 2011 die Parlamentswahl in Irland gewann, eine immense Rolle spielten.
Die vorliegende Untersuchung wagt einen Streifzug durch die bunte Welt des Inselfaschismus, in der es neben den namengebenden Blau- und Schwarz- auch Grünhemden und bizarre Fundamentalisten gegeben hat.

Wird über den Faschismus geschrieben, ist das erste Problem die Frage des Kerngehalts dieses Begriffs; eine endgültige und allseits akzeptierte Definition gibt es bis heute nicht. Im Folgenden wird – dies sei angemerkt, um Mißverständnisse zu vermeiden – auf Zeev Sternhell rekurriert, der von einem Faschismus ni droite ni gauche („weder rechts noch links“) ausgeht und ihn als ideengeschichtliche Synthese nationalistischer und sozialistischer Ideen im fin de siècle in Frankreich begreift, die durch die Dreyfus-Affäre, den Ersten Weltkrieg und ekstatische Episoden (wie etwa D’Annunzios Fiume-Regentschaft) an Dynamik gewonnen hat. Dabei grenzt Sternhell den Nationalsozialismus aufgrund des biologistischen Rassendeterminismus vom Faschismus ab und widerspricht Noltes zweifelhafter These vom NS als „Radikalfaschismus“.1 So umstritten die Essenz des Faschismus sein mag, so umstritten ist auch die Einordnung der irischen Blueshirts. Im englischsprachigen Raum gibt es eine überschaubare Menge an Forschungsliteratur, im deutschen Bereich ist bis dato keine Monographie zu diesem Thema erschienen2.

Die Blueshirts

Die Geschichte Irlands im 20. Jahrhundert ist eine blutige. Sie ist komplex, konfliktbeladen und weist wechselnde Frontverläufe auf, deren präzise Darstellung an dieser Stelle nicht möglich ist und stattdessen in ihren wichtigsten Eckdaten skizziert wird, die für die Blueshirts von Bedeutung sind.
Ausgangspunkt ist der „Mythos Osteraufstand“ des Jahres 1916, als Nationalisten um Sinn Féin (SF, dt. Wir selbst) erfolglos die Republik Irland proklamierten. 1919 wurde die IRA gegründet, deren Aktivitäten von der britischen Regierung durch die „Black and Tans“ beantwortet wurde. Ein brutaler Guerilla-Krieg entflammte, kulminierend im Sommer 1921. Im Dezember unterzeichneten Iren und Briten den Anglo-Irischen Vertrag, der im irischen Parlament mit knapper Mehrheit angenommen wurde und die Sinn Féin Arthur Griffins in Vertragsgegner und -befürworter spaltete, bis es 1922/23 zum Bürgerkrieg kam, den die Vertragsbefürworter für sich entschieden. Der vertragsbefürwortende Flügel konstituierte sich im April 1923 als Cumann na nGaedheal (dt. Bündnis der Gälen) neu. Eamon de Valera (1882–1975) gründete drei Jahre später eine neue, entgegengesetzte Partei, Fianna Fáil (FF, dt. Soldaten des Schicksals), die 1932, nach neun Jahren Cumann na nGaedheal Regentschaft, die Regierungsgeschäfte in die Hand nahm. Der einsetzende laissez-faire-Kurs de Valeras gegenüber der IRA ließ Stimmen laut werden, die vor einem marxistischen Umsturz warnten. Kommunismus, wenngleich nationalistisch aufgeladen, und die IRA erschienen den Vertragsbefürwortern kongruent. Dadurch begünstigt konnte die im Februar 1932 gegründete Army Comrades Association (ACA) auf Zulauf bauen. Verstärkt in die Öffentlichkeit geriet die Veteranenorganisation im August, als ACA-Chef T. F. O’Higgins ankündigte, sie in eine antikommunistische Schutztruppe zu transformieren. Die IRA-Presse um die Zeitung An Phoblacht (dt. Die Republik) führte nun den pejorativ verwendeten Begriff „Faschismus“ in die politische Debatte ein, und der Wahlkampf im Jänner 1933 eskalierte kurz nach Beginn. Cumann na nGaedheal und die agrargeprägte National Centre Party (NCP) baten die ACA um Saalschutz, denn die IRA schlug mit aller Härte zu, was dazu führte, daß sich auch die ACA radikalisierte. Zur Förderung des Gemeinschaftsgefühls wurde im März 1933 die Einführung von blauen Hemden, schwarzen Knöpfen und einem schwarzen Barett beschlossen. Die hierarchische Struktur und das militärische Auftreten der ACA komplettierten den „faschistischen Stil“ in nuce. Ernest Blythe (1889–1975) beanspruchte zudem den römischen Salut als Begrüßungsform für die ACA und gab antiparlamentarische Parolen aus. Die tatsächliche Geburt der als faschistisch apostrophierten Blueshirts vollzog sich, als der bisherige Chef der Polizei, der von de Valera mangels Vertrauen unmittelbar nach dem Wahlsieg FFs entlassen wurde, in den Ring stieg: Eoin O’Duffy. Die ACA-Führung lud ihn zu einer Versammlung der ACA ein, da kolportiert wurde, daß er aufgrund seiner Vergangenheit3 zum Führer eines gälisch-patriotisch-antikommunistischen Verbands prädestiniert sei. Die Veranstaltung am 20. Juli 1933 gipfelte in der Wahl O’Duffys zum Vorsitzenden der ACA, die er in National Guard (NG) umbenennen ließ. Zentrale Topoi des NG-Grundsatzpapiers waren die Wiedervereinigung Irlands, der Kampf gegen Atheismus und Kommunismus, die Bejahung der Staats- und Gesellschaftsordnung, die sittliche Erziehung der Jugend sowie die Herausbildung eines volksgemeinschaftlichen Geistes.4
Am 5. August 1933 erschien die erste Nummer des NG-Organs The Blueshirt. Blythe verkündete darin, daß die NG ein „rein irisches Produkt“ mit christlichem Charakter sei; dementsprechend konnten alle christlichen Iren beitreten. Der Vermerk der christlichen Konfession war, wie Rolf Leppert treffend zusammenfasst, weniger antisemitisch konnotiert – antijudaistische Aussagen sind von keinem Blueshirt überliefert – als vielmehr eine Absage an sozialistische wie atheistische Ideen.5
Regierungschef de Valera war von Beginn an Gegner der NG und verbot sie mittels des reaktivierten Public Safety Acts. Um der folgenden Unübersichtlichkeit der Organisationshüllen direkt Abhilfe zu schaffen: Die Blueshirts, die sich 1932 als ACA gründeten und 1933 in die NG übergingen, wurden also im selben Jahr zur Young Ireland Association (YIA), und schließlich, im Dezember 1933, zur League of Youth (LOY). Bereits als ACA beteiligten sich die Blueshirts an einem Parteibündnis mit der NCP und Cumann na nGaedheal und verblieben als eigenständige Abteilung der so gebildeten Fine Gael; O’Duffy wurde sogar Vorsitzender der Gesamtpartei.6
In der Vorbürgerkriegsatmosphäre (349 Blueshirts und 102 IRA-Aktivisten wurden in jenen Tagen vom Militärtribunal verurteilt7) kursierten zudem Gerüchte, O’Duffy schmiede eine Nord-Achse mit ausländischen Faschisten.8 Nach daran anknüpfenden Konflikten in der Führungsetage FGs interpretierte O’Duffy gewisse Machteinschränkungen als Affront, trat im September 1934 als Parteiführer zurück und schied selbst als einfaches Mitglied aus. Dieser Amtsverzicht löste Satzungs-Debatten über den Status der League of Youth und ihres Vorsitzes aus. O’Duffy gab bekannt, daß er von der Spitze FGs zurückgetreten sei, um die Unabhängigkeit der LOY wiederherzustellen. Unterdessen wählte aber der Mehrheitsflügel, die Gegenspieler O’Duffys, Edmund „Ned“ Cronin zum neuen Vorsitzenden der Jugendliga. Es entbrannte ein Richtungskampf, den Cronin aufgrund verschiedener Faktoren, etwa der ihm geltenden Loyalität der Zeitschrift Blueshirt, für sich entschied.

Die Grünhemden

O’Duffy nutzte seine neugewonnene Autonomie und besuchte im Dezember 1934 eine Versammlung faschistischer Parteiführer in Zürich.9 In Montreux nahm er im selben Monat am ersten Kongress des Comitati d’azione per l’universalità di Roma (CAUR) teil, an dem sich Vertreter (pro-)faschistischer Organisationen und Parteien aus insgesamt 14 Ländern10 beteiligten, wurde in das internationale Sekretariat gewählt und als Externer in das „Internationale Zentrum für korporative Studien“ (Rom) berufen.
Die O’Duffy-Blueshirts wurden zur isolierten Splittergruppe. Der Bruch des Staates mit dem IRA-Milieu und die Gewaltwelle zwischen Polizei und berfreiungsnationalistischen Sozialisten machte die antikommunistische Gegenbewegung des „Blueshirtism“ erst recht überflüssig. Die Cronin-Blueshirts vereinbarten derweil die restriktive Orientierung am Quadragesimo anno11, während sich O’Duffys Anstrengungen im Jahr 1935 dreigliedern lassen: die Arbeit im CAUR, die Herausgeberschaft der Wochenzeitung Blueshirt (nicht identisch mit dem Cronin-nahen Blueshirt!) sowie die Planung einer neuen Partei. Daneben versuchte O’Duffy im Norden Irlands Verbündete zu finden. Zu diesem Zweck sprach O’Duffy in einem Aufsatz vom Ziel einer gesamt-„irischen Monarchie“, durch dynastische Verbindungen zum britischen Königshaus gekoppelt. Die Ulster Fascists, die durch derartige Avancen angesprochen werden sollten, beendeten Verhandlungen mit den Blueshirts in Belfast jedoch ergebnislos. Ebenso fruchtlos blieb eine publizistische Debatte zwischen dem BUF-Führungsaktivisten Alexander Raven Thomson und dem Blueshirt Liam Walsh bezüglich der Frage nach einem vereinigten Irland und der Stellung zu Großbritannien. Eine Lösung, so Thomson dabei abschließend, sei vielleicht in einer faschistischen Weltordnung möglich –, bis dahin sehe er keinen Sinn in einer weiteren Diskussion. Eine Annäherung wurde undenkbar.
Vor 500 Delegierten und Gästen – und ohne relevante Medienresonanz – gab O’Duffy dann am 8. Juni 1935 den Namen seiner neuen Kreation in Dublin bekannt: National Corporate Party (NCP)12. Es gab allerdings keine landesweiten Versammlungen, keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen und nur 3.000 Interessenten für die neue Partei.13 O’Duffy schien sich auf die Weltpolitik zu konzentrieren und versäumte es im Herbst 1935 nicht, Mussolini in seinem afrikanischen Unterfangen zu bestärken. Ein weiteres erwähnenswertes Lebenszeichen war der Beschluß O’Duffys im März 1936, seine Parteimitglieder anzuweisen, nun die Nationalfarbe Grün zu tragen, um sich deutlich von den „alten“ Blueshirts zu emanzipieren. Aus dem kleineren, „offen faschistischen“ (Mike Cronin), O’Duffy-loyalen Flügel der Blueshirts wurden die Greenshirts.

Im Spanischen Bürgerkrieg

Die Lethargie, die O’Duffy und die verbliebenen Anhänger befiel, wurde im Juli 1936 unterbrochen, als sich ein neues Betätigungsfeld für den verkappten Weltpolitiker erschloss. Die Iren waren in den 1930er Jahren ein betont katholisches Volk, das durch die Greueltaten der Rotspanier im eskalierenden Spanischen Bürgerkrieg in Aufruhr gesetzt wurde. Über einen spanischen Grafen und einen irischen Kardinal wurde der Kontakt zwischen Nationalspaniern und Greenshirts hergestellt. Der angehende Caudillo Franco lud O’Duffy nach Spanien zu Sondierungsgesprächen ein, wo er feierlich in Empfang genommen und von Carlisten14 zu General Mola nach Valladolid gebracht wurde. In deren Gespräch hinein stürzte, der Legende nach, ein Soldat, der die soeben erfolgreich abgeschlossene Verteidigung des Alcázars von Toledo15 verkündete. Die euphorische Stimmung ergriff wohl O’Duffy und General Mola, der verkünden konnte, daß Franco der Aufstellung einer irischen Freiwilligeneinheit freudig entgegensehe.16 In Irland beschloss der alte Gegenspieler O’Duffys, de Valera, für den irischen Freistaat die Neutralität und erließ den „Non-Intervention-Act“, der die Teilnahme am Krieg in Spanien untersagte und ein Zuwiderhandeln mit der Strafe von zwei Jahren Haft oder 200 irischen Pfund ahnden wollte. O’Duffy begriff die Rekrutierung und Ausbildung seiner Einheit nicht zuletzt deshalb als schwierigste Aufgabe, wie er in seinem kaum mehr auffindbaren Manuskript Crusade in Spain wiedergibt.17 Vor allem die fehlende militärische Erfahrung siebte das Gros der Freiwilligen aus. Neben dieser Problematik gab es noch die staatliche Repression, ganz abgesehen von den finanziellen und logistischen Unmöglichkeiten, vor die sich O’Duffy gegenübergestellt sah. Im November und Dezember reisten mehrere hundert Iren auf die Iberische Halbinsel; ihre Fahne war ein smaragdgrünes Tuch mit einem roten Kreuz und der Aufschrift „In Hoc Signo Vinces“ (dt. In diesem Zeichen wirst Du siegen).18 Die Regierung schritt (wie auch bei der Verschiffung der IRA-Kämpfer der Internationalen Brigaden unter Frank Ryan) nicht ein, obwohl – oder weil – jubelnde Menschen die Freiwilligen verabschiedeten.19
Einzige militärische Prüfung während des Spanienaufenthalts war das Vertreiben eines englischen Panzerzugs der Internationalen Brigaden am 2. März 1937. Ansonsten wurde exerziert, mit der Sprache20 und mit dem Klima gehadert. Der Kampf für Gott und Kirche hatte in den romantischen Vorstellungen der Iren anders ausgesehen, nun war er in den jahreszeitbedingten Regenfällen Zentralspaniens ertrunken. Ein kleiner Lichtblick war für die Iren, daß sie zwei Wochen den Frontabschnitt mit Elite-Einheiten der carlistischen Requetés teilen durften, die ihnen als ideales Abbild eines katholischen Soldatentypus erschienen. Dies hätte das Verschwinden der irischen Begeisterung verhindert oder immerhin deutlich verzögert, falls die Zusammenlegung früher erfolgt wäre, so zerfiel die irische Brigade aber an Frust und Krankheit. Es gab faktisch keine offene Auseinandersetzung mit dem Feind und dennoch – aufgrund von Krankheit und „friendly fire“ – 14 Tote von Dezember 1936 bis Mai 1937.21 O’Duffy betrachtete die freudlose Intervention in Spanien als symbolischen Akt des irisch-katholischen Widerstands gegen den „Weltkommunismus“22, als etwas, das – unabhängig von Erfolg oder Misserfolg – getan werden mußte: „We have been criticised, sneered at, slandered, but truth, charity and justice shall prevail, and time will justify our motives. We seek no praise. We did our duty. We went to Spain.“23

Die letzten Getreuen

Indessen scharte O’Duffy zwischen 1937 und 1939 die letzten Getreuen in Zirkeln um sich. Wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs kontaktierte ihn Oskar Pfaus, ein deutscher Agent, mit der zynisch anmutenden Bitte, Kontakt zur IRA herzustellen, da O’Duffy immerhin prodeutsch orientiert war und zugleich IRA-Mitglied gewesen ist. Das deutsche Interesse für die anglophobe IRA lag in deren anlaufenden Attentatsserien auf britischem Boden begründet. O’Duffy traf sich tatsächlich mit IRA-Führungsaktivisten; die Gespräche verliefen erwartungsgemäß schlecht.24
O’Duffy konnte es jedoch nicht aufgeben, den gewichtigen politischen Führer zu mimen, und besuchte regelmäßig die diplomatischen Vertretungen der Achsenmächte, bewunderte „Lord Haw-Haw“ und konsumierte Alkohol in rauen Mengen. Am 30. November 1944 verstarb Eoin O’Duffy mit 52 Jahren. Sein Gegenspieler Eamon de Valera veranlaßte ein Staatsbegräbnis; das faschistisch-irische Experiment wurde mit ihm zu Grabe getragen.25
Eine ausgeprägte „Säuberungswelle“ (vgl. etwa die französische épuration) blieb den verhinderten Kollaborateuren der britischen Inseln aber schon dadurch erspart, daß die Aussicht auf eine Zusammenarbeit mit Deutschland bereits durch den Kriegsverlauf unmöglich wurde. Dennoch gab es Repressionen gegen die britischen (Mosley und viele hundert Blackshirts wurden interniert) und irischen Faschisten und Versuche Deutschlands, die von ihren Heimatländern verdächtigten Brüder im Geiste für Aktionen in ihrem Vaterland zu instruieren. Diese Instrumentalisierung und Mobilisierung schlug fehl; das klassisch nationale Moment des alten Europas überwog den revolutionären ideologischen Aspekt, auch bei der BUF. Die englische Legion of St. George ging in die Geschichte als tragikomische Freiwilligeneinheit ein, aus Irland gab es keinerlei tatkräftige Avancen an die Achsenmächte, wenn von O’Duffys substanzlosem Angebot abgesehen wird, eine antibolschewistische Einheit an die Ostfront zu senden. Nur Einzelpersonen der Inselfaschisten, so die Iren Thomas Gunning und William Joyce, beteiligten sich propagandistisch. Bei den Iren ist anzunehmen, daß die demotivierenden Erfahrungen des Spanienabenteuers eine erhebliche Rolle spielten. Daß es dort nicht zur mystisch verklärten gran contienda gegen bolschewistische Gottesfeinde kam, lag an mehreren Faktoren. O’Duffy mußte grundsätzlich einsehen, daß sein spanisches Experiment gescheitert war, ja daß sogar seine Bemühungen in toto verfehlt waren, eine schlagkräftige Bewegung in Irland zu formieren. Nach der Rückkehr gab es kein Aufleben der National Corporate Party, und die 1942 gegründete faschistische Sekte „Ailtirí na hAiséirghe“ hatte wenig bis nichts mit den Blau- und Grünhemden O’Duffys gemein.
Die eingangs gestellte Frage nach den Ursachen für die Nichtnennung der Blueshirts in wissenschaftlichen Werken über den europäischen Faschismus ist mehrteilig zu beantworten. Einerseits waren die Blueshirts keine genuin faschistische Erscheinung. Anders als die BUF in England entwickelten (oder kopierten) sie keine stringente Ideologie, sondern waren von 1932 bis 1934 ein antikommunistischer Stoßtrupp gegen die IRA und für die Sicherung der Meinungsfreiheit (!). Die Stützpfeiler des Blueshirt-Gedankengutes waren Ordnung, Religion und Sicherheit im Irish Free State, keine faschistischen Umsturzideologeme. Andererseits blieben die Blueshirts ohne nennenswerten politischen Einfluß, weil ein Alleinstellungsmerkmal, wie der Nationalismus eines sein könnte, nicht vorhanden war, da dieser in Irlands politischer Szenerie zum guten Ton gehörte – begonnen bei der „radikalen Rechten“ über Fianna Fáil bis hin zu weiten Teilen der linkssozialistischen IRA.
Bis 1934 waren die Blueshirts eine konservative Bewegung, garniert mit gälisch-kulturnationalistischem Ethos, rudimentärer Ständestaatstheorie und Anleihen beim faschistischen Stil. Während sich der Mehrheitsflügel unter Cronin im Nachgang des großen Bruchs Ende 1934 „parlamentarisierte“, stand O’Duffy für den Faschismus ein. Das Scheitern der NCP, die wenig später von blauen Hemden auf grüne umstieg, lag in einer Mischung aus O’Duffys problematischem culte du moi (Maurice Barrès), fehlenden Führungspersonen, der Abwesenheit einer kommunistischen Bedrohung und auch in dem Umstand begründet, daß die Greenshirts weder den Alleinanspruch auf den irisch-gälischen Nationalismus noch auf einen theokratischen Katholizismus für sich geltend machen konnten. Darüber hinaus fehlten Mitte der 1930er Jahre eindeutige sozioökonomische Krisensituationen, und die Tendenz war erkennbar, daß die (aktivistische) Jugend in Massen zur ungleich attraktiveren und dynamischen IRA
strömte.

Mosleys British Union of Fascists

Anders verhielt sich die Lage in England. Mosleys BUF war eine originär faschistische Bewegung, und ihre durch Italien (und später durch den Nationalsozialismus) beeinflußte Ideologie war vielschichtig. Mit Oswald Mosley besaßen die Blackshirts eine charismatische Führungsperson, die bereits in den „Birmingham Proposals“ (1924) wirtschaftspolitische Kompetenz erkennen ließ, eine eindrucksvolle politische Karriere vor der Gründung der BUF aufwies und über literarisches Talent verfügte. Das Scheitern der BUF, die in der stets diskutierten Irlandfrage bedeutend gemäßigter als alle andere Gruppen der Rechten in Großbritannien war26, lag auch am „unenglischen“ Stil, der an eine bloße Kopie der italienischen camicie nere erinnerte (wie Mosley nach 1945 auch einräumte), sowie an der pro-deutsch-pazifistischen Haltung der britischen Faschisten, die daher – für radikale Nationalisten kurios – von der englischen Gesellschaft als „unpatriotisch“ befunden wurde. Mosley begriff den mörderischen „Bruderkrieg“ als Mahnung, endlich zusammenzuwachsen und entwickelte die streitbare Theorie des „Europe a Nation“27, in der ein zentraler europäischer Bundesstaat, bei fortwährender Dezentralisierung der Regionen, die Länder Europas vor der Dekadenz und dem Niedergang bewahrt, und resümierte, auch angesichts der vakanten Nordirlandfrage, daß die Völkerstreitigkeiten erst überwunden werden können, wenn die Grenzen innerhalb Europas abgeschafft worden sind – zugunsten der „Nation Europa“.
Dieser apodiktisch auf Konfliktlösung bedachte Regionalismus-Großraum-Ansatz des Ex-Schwarzhemds Mosley birgt auch heute noch eine gewisse Aktualität, während der Begriff „Blueshirt“ in Irland beinahe vergessen und nur noch diffamierender Natur ist: als bei Bedarf reaktivierbare Schmähung der Parteimitglieder der heute gemäßigt liberal-christdemokratischen Partei Fine Gael, deren erster Parteivorsitzender trotz allem General Eoin O’Duffy gewesen ist.

Anmerkungen

1 Der Autor bezieht sich im wesentlichen auf die folgenden Werke: Sternhell, Zeev (Hrsg.): Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini, Hamburg 1999; ders.: Faschistische Ideologie. Eine Einführung, Berlin 2002; ders.: Ni droite ni gauche. L’idéologie fasciste en France, 3. Aufl., Brüssel 2000. Eine deutschsprachige Analyse des letztgenannten Werkes leistet Armin Mohler in einem Zusatzkapitel seines Standardwerkes über das Phänomen der Konservativen Revolution: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch, Ergänzungsband, 4. Aufl., Darmstadt 1994, S. 103–119.
2 Einzige deutschsprachige Texte bisher: Leppert Jr., Rolf (Hrsg.): The Blueshirts. Irlands Blauhemden, in: Junges Forum, Nr. 1–2 (1996); Beismann, Volker: „We did our duty – We went to Spain“. Irische Freiwillige für Franco, in: Paulwitz, Michael (et al.): Der andere Mohler, Limburg 1995, S. 165–187.
3 Als junger Mann in gälischen Organisationen; 1917 Irish Volunteers; 1918 Irish Republican Brotherhood und SF. Ab 1920 Führungsaktivist der IRA, sechs Monate sogar Stabschef. 1921 Befürworter des Anglo-Irischen Vertrags; zog den Haß der Anti-Treaty-IRA, der sog. Irregulars, auf sich. O’Duffy befehligte im Bürgerkrieg vertragstreue Truppen und war ab September 1922 treibende Kraft in der Aufstellung der Garda Síochána (dt. Garde/Hüter des Friedens); als Leiter der obersten Polizeibehörde Repräsentant des Irischen Freistaates. In dieser Funktion bereiste der Bewunderer preußischen Ordnungsdenkens Europa. 1928 organisierte O’Duffy eine Wallfahrt in den Vatikan; in Rom Begegnung mit Benito Mussolini.
4 Vgl. Manning, Maurice: The Blueshirts, Dublin 1987, S. 74.
5 Vgl. Leppert, S. 16; auch: Cronin, Mike: The Blueshirts and Irish Politics, Dublin 1997, S. 35.
6 Zu den Mitgliederzahlen: Cronin besaß erstmals Zugang zu verschiedenen Archiven in Dublin und beziffert die Blueshirts auf rund 8.000 im Okt. 1932, 38.000 im März 1934, 48.000 im Aug. 1934; im Sept. 1935: 4.000 Blueshirts. Frauenanteil: 21 bis 26 %. Vgl. Cronin, S. 115.
7 Vgl. Manning, S. 136 f.
8 Vgl. Cronin, S. 51. Die Propagandathese aus An Phoblacht, O’Duffy besäße Kontakt zu Mosley und Terje Ballstrud, dem Führer einiger weniger Dutzend norwegischer „Grauhemden“, wird von Manning, Cronin und McGarry übernommen, aber nicht verifiziert.
9 Vgl. Cronin, S. 51.
10 Neben den Iren Gruppen aus CH, F, E, P, Ro, LT, B, NL, Ö, DK, N, GR und I. Keine Vertreter aus D und GB.
11 Lateinisch für „im vierzigsten Jahr“. Enzyklika des Papstes Pius XI. Radikale Rezipienten waren die Rexisten, die Blueshirts, die polnische Falanga und die „Austrofaschisten“ um Dollfuß. Die Grundlage der katholischen Soziallehre Pius XI. ist die sittliche Erneuerung aus katholischem Geiste und eine sozial gerechte Ständeordnung durch den Ausgleich von Kapital und Arbeit.
12 Nicht mit der agrarpolitischen National Centre Party zu verwechseln.
13 Vgl. McGarry, Fearghal: Eoin O’Duffy. A Self-Made Hero, New York 2005, S. 281.
14 Monarchistisch-katholische Aktivisten der Comunión Tradicionalista; ideologisch näher an der Action Française Charles Maurras’ als an sozialpolitisch versierten Faschismen. 1937 wurden die Carlisten mit der linksfaschistischen Falange zur Falange Española Tradicionalista y de las JONS zwangsvereinigt. Im Franco-Regime Staatspartei.
15 Armin Mohler erkennt in dem Mythos das intensivste symbolische Ereignis des gesamten Faschismus, nachgeordnet nur dem Marsch auf Rom. Vgl. Mohler, Armin: Der faschistische Stil, in: ders.: Das Gespräch. Über Linke, Rechte und Langweiler, Dresden 2001, S. 121–178, hier: S. 149, S. 154–156. Robert Brasillach und Henri Massis haben den Kadetten von Alcázar eine schmeichelhafte Novelle vermacht, die antiquarisch für vernünftige Preise zu beschaffen ist: Les Cadets de l‘Alcazar, Paris 1936. 1939 überarbeitete Auflage; manche Übertreibung getilgt.
16 Vgl. Beismann, S. 170.
17 O’Duffy, Eoin: Crusade in Spain, London 1938. Und Manning, S. 202.
18 Insgesamt befanden sich auf nationalspanischer Seite fast 700 Iren. Nicht alle waren Blue- bzw. Greenshirts, aber fast alle kamen aus deren ländlichen Hochburgen im Südwesten und aus den Midlands. Eine Handvoll kam aus dem linksnationalistischen IRA-Lager. Vgl. McGarry, S. 289.
19 Vgl. Beismann, S. 174.
20 Nur ein einziger irischer Freiwilliger sprach Spanisch, O’Duffys ehemaliger Sekretär Thomas Gunning, der Fine Gael sofort verlassen hatte, als O’Duffy den Parteivorsitz niederlegte, und bis zum Ende des Bürgerkrieges in Spanien blieb.
21 Vgl. Beismann, S. 184. McGarry geht von 15 Toten aus. Vgl. McGarry, S. 315.
22 O’Duffy, S. 248.
23 Ebd., S. 249.
24 Vgl. Manning, S. 207 f. und S. 268, Fußnote 38.
25 Zwei Jahre zuvor wurde eine irische Kleinstpartei namens Ailtirí na hAiséirghe (dt. Architekten der Auferstehung) gegründet; sie erreichte nie mehr als 2.000 Mitglieder (11.000 Wähler); trat für das Verbot der englischen Sprache ein, forderte den Ein-Parteien-Staat sowie die Rückgewinnung Nordirlands („six counties – six divisions – six minutes!“), postulierte die Verbreitung eines archaischen Christentums und die Errichtung eines korporativen Wirtschaftsystems. Ihre Parteifarbe war dunkelgrün; als Symbol wählten sie ein abgewandeltes Olafkreuz. Die Blue-/Greenshirts lehnten sie als ihre eventuellen Vorgänger u. a. deswegen ab, weil diese – horribile dictu – Englisch als lingua franca verwendeten. 1945 auf einige Dutzend Mitglieder geschrumpft; 1958 offiziell aufgelöst.
Vgl. Douglas, Ray M.: Architects of the Resurrection. Ailtirí na hAiséirghe and the Fascist ‚New Order‘ in Ireland, Manchester 2009.
26 Jahre nach dem Untergang der BUF und ihrer Fortsetzung im Union Movement publizierte ein Mosley-Vertrauter, Patrick McGrath, die programmatische Broschüre Ireland’s Right To Unite (1954). Sie wird im Anhang der Monographie Phänomen Inselfaschismus (Regin-Verlag: Kiel 2012) erstmals in deutscher Sprache abgedruckt.
27 Vgl. insbesondere: Mosley, Oswald: Ich glaube an Europa. Ein Weg aus der Krise, Eine Einführung in das europäische Denken, Lippoldsberg 1962.

 

 

 
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