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Rudolf Hess

„… daß dieses Schwein  nicht mehr auf einem Friedhof liegt.“

 

Gossenjournalist F. J. Wagner nimmt im Millionenblatt „Bild“ kein Blatt vor den schäumenden Mund: „ Rudolf Hess, eigentlich gehören Sie für mich auf den Müllplatz der Geschichte und in kein Grab auf einem Friedhof. … Daß seine Knochen nun ausgegraben, seine Gebeine verbrannt wurden und die Asche ins Meer geworfen wird, ist großartig. Ich bin glücklich, daß dieses Schwein nicht mehr auf einem Friedhof liegt.“
De mortuis nihil nisi bene gilt sicher nicht für Politiker und Staatsmänner, deren Handel in das Leben vieler Menschen eingreift, und doch war es eine der großen Errungenschaften der europäischen Geschichte, dem verblichenen Gegner die Totenruhe zu lassen und seine Gebeine nicht aus der Erde zu reißen, um posthum Rache zu nehmen. Wo dies geschehen ist – man erinnere sich der nekrophilen Spektakel, die spanische Anarchisten im Bürgerkrieg mit den Leichen von Nonnen und Mönchen veranstalteten –, hat dies quer über die weltanschaulichen Grenzen hinweg für Entsetzen und Abscheu gesorgt. Nun sind wir offenbar auf einer Kulturstufe angelangt, in der auch dieses Tabu fällt.
Rudolf Heß hat mehr als die Hälfte seines Lebens in Gefängnishaft verbracht, er ist nach England geflogen, um Frieden zu machen, und zwar vor dem deutschen Angriff auf Rußland, und damit auch vor der genozidalen Phase der NS-Judenverfolgung. Für all dies ist Heß jedenfalls nicht verantwortlich zu machen, trotzdem wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, die in seinem Falle 46 Jahre gedauert hat.
Daß die evangelische Kirche heute nicht mehr die Reste des christlichen Respekts vor dem Toten, der nun ohnedies vor dem Richterstuhl Gottes steht, zu verteidigen bereit ist, wenn an dessen Grab die „Falschen“ Gedenken halten wollen, verwundert nicht. Auch daß die Hess-Nachkommen früher oder später dem Druck weichen würden, muß nicht staunen machen. Die nächtlich-geheime Art der Exhumierung und Zerstörung des Grabes ist allerdings bezeichnend und läßt tatsächlich die Vokabel „Schändung“ zu.
Die Totenruhe ist dem jüdischen Glauben heilig – kein jüdisches Grab darf zerstört werden, auch nach Jahrtausenden nicht. Ganz anders gehen die USA mit ihren Feinden um. So wurde auch die Asche der 1946 in Nürnberg hingerichteten „Hauptkriegsverbrecher“ an unbekanntem Ort verstreut, und in ähnlicher Weise entsorgte man erst kürzlich die Leiche Osama Bin Ladens.
Auch die längst bestatteten Toten dürfen nun keine Ruhe mehr haben. Die Hess-Exhumierung wird nicht die letzte gewesen sein. Das Verdienst, dabei nicht schamhaft höhere politische Gründe – das Verhindern von unliebsamen Gedenkveranstaltungen – vorzuschieben, sondern den Zivilisationsbruch als solchen hervorzuheben und geifernd zu feiern, gebührt der Bildzeitung. Es markiert einen weiteren Schritt auf dem Weg der Primitivisierung unserer Gesellschaft.

 
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