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„Unser Heer“ – und seine Zukunft?

Von Mag. Alexander Höferl

Wir brauchen die Grundwehrdiener für die Aufgaben im Inland, wie Katastrophenschutz und Assistenzeinsatz.“ – „Ein Berufsheer ist nicht billiger, sondern teurer.“ Außerdem sei die Wehrpflicht für Österreich „demokratiepolitisch wichtig“. „Für mich ist die Wehrpflicht in Stein gemeißelt“ – Diese Sätze hat nicht etwa der abgesetzte Generalstabschef Edmund Entacher gesagt, sondern Verteidigungsminister Norbert Darabos am 1. Juli 2010, also vor etwas mehr als einem Jahr. Das Nachrichtenmagazin „profil“ hat diese und ähnliche Zitate zusammengetragen und den 180-Grad-Schwenk einer Partei penibel dokumentiert. Nach vorübergehendem Entschlummern lebt die Wehrpflicht-Debatte nun in voller Härte wieder auf und birgt Sprengkraft für die rot-schwarze Regierungskoalition.
Zwei maßgebliche politische Akteure haben den Richtungswechsel hervorgerufen: die „Kronen Zeitung“ und Wiens Bürgermeister Häupl. Motivation dafür war bei beiden wohl nicht die ernsthafte Beschäftigung mit Sicherheit, sondern reine Taktik. Die Krone habe in kurz zuvor veröffentlichten Leseranalysen stark bei den 14- bis 18jährigen verloren und versuche nun, sich bei dieser Zielgruppe beliebt zu machen, vermutet „profil“. Ähnliches erhoffte sich wohl Häupl, als er nur sechs Tage vor der Landtagswahl im Oktober 2010 die Wehrpflicht per Volksabstimmung zum Abschuß freigab: „Bei einem so wichtigen Thema muß man die Stimme des Volkes hören.“ Darabos pflichtet ihm am nächsten Tag gleich artig bei und spricht sich „für eine offene Diskussion zur Wehrpflicht in Österreich aus.“
Die Diskussion verläuft allerdings nur kurz offen und ehrlich, denn von jenen, die sich in Fragen der Sicherheit am besten auskennen, sind Diskussionsbeiträge unerwünscht. Generalstabschef Entacher äußert am 20. Jänner 2011 gegenüber „profil“ seine Bedenken gegen das nun von Darabos präferierte Modell. Ein Berufsheer sei nämlich zu teuer, und er habe Zweifel, die nötige Anzahl an Freiwilligen rekrutieren zu können. Die Konsequenzen sind einer entwickelten Demokratie, in der die Meinungsfreiheit zu den höchsten Werten zählt, unwürdig. Darabos beruft Entacher ab, findet allerdings nicht einmal dem Mut, dem obersten Soldaten des Landes dabei in die Augen zu schauen. Durch einen zivilen Sektionschef läßt er die Nachricht überbringen.
Die Art und Weise der Abberufung paßt zur Entstehungsgeschichte des vom Minister über den grünen Klee gelobten Modells eines Freiwilligenheeres. Wie „Der Standard“ am 27. Jänner enthüllt, hat Darabos die ursprünglich vom Generalstab präsentierten Modelle „nachrechnen“ lassen – mit dem Ziel, das Freiwilligenheer kostengünstiger darzustellen, als es ursprünglich gewesen wäre. Auch der Vergleich mit dem aktuellen Modell hinkt, weil hierzu die Kosten für die Sportförderung gerechnet wurden, die aber im Modell Freiwilligenheer nicht enthalten sind. Und schließlich wird noch publik, daß nicht nur zahlreiche Kasernen geschlossen und Liegenschaften des Bundesheeres verkauft werden sollen, sondern dafür auch völlig utopische Preise kalkuliert wurden, die etwa das Zehnfache des bisher durchschnittlich erzielten Verkaufserlöses für Bundesheergebäude betragen.
Doch nicht nur der Verteidigungsminister hat sich im Laufe der Anti-Wehrpflicht-Kampagne völlig ins Out befördert, auch die „Kronen Zeitung“ schießt weit über das Ziel hinaus. Ihr Redakteur Peter Gnam formuliert in der Ausgabe vom 14. Februar 2011 einen ziemlich eindeutigen Aufruf an die jungen Männer, dem Einberufungsbefehl nicht Folge zu leisten: „Man erhält den Einberufungsbefehl und ignoriert ihn, das ist natürlich strafbar, doch wenn das Tausende junge Männer tun, was dann? Sperrt die Justiz dann alle Wehrdienstverweigerer ins Gefängnis? Gehen die Gefängnisse dann endgültig über?“ Die Offiziersgesellschaft und die Bundesvereinigung der Milizverbände erstatten Anzeige wegen Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen und deren Gutheißung.
Krone-Journalist Gnam legt sich mit dieser Aussage ins Bett mit beseelten Bundesheer-Gegnern wie dem Grünen-Abgeordneten Peter Pilz, der sogleich eine „Wehrdienstvermeidungsberatung“ für junge Männer ankündigt. Auf völlig unseriöse Weise wird hier suggeriert, daß niemand mehr zum Bundesheer einrücken müsse. Dabei ist selbst im Falle einer Umstellung auf ein Berufsheer mit einer jahrelangen Übergangsphase zu rechnen.
Die Wehrdienst-Gegner haben sich also vergaloppiert und dabei auch noch ihre Maske fallen lassen. Auch jene, die bei einer Umstellung auf ein Berufsheer auf eine professionellere und besser ausgerüstete Armee hoffen, müssen erkennen, daß das nicht Zweck der Übung ist. Schon die Behauptung, ein Freiwilligenheer zu den gleichen Kosten wie die aktuelle Wehrpflichtigen-Armee erhalten zu wollen, zeigt deutlich, daß das Aushungern des Österreichischen Bundesheeres seine Fortsetzung finden würde.
Die ÖVP hat dem Regierungspartner lange das Feld alleine überlassen und zunächst keinen Widerstand geleistet, als die Allianz zwischen SPÖ und Medien im Eilzugstempo durch die Diskussion brausen und schon für Beginn des Jahres 2012 vollendete Tatsachen schaffen wollte. Erst als die Kampagne ins Stolpern geriet, fand die Österreichische Volkspartei langsam zu einer eigenen Position und rang sich dazu durch, die vorliegenden Modelle als völlig unzureichend und keine Basis für die weiteren Verhandlungen zu bezeichnen.
Der neue Obmann Spindelegger ist es, der als Erster auch einigermaßen konkrete Pläne seiner Partei formuliert. Er wünscht sich eine dritte Alternative zu Wehr- und Zivildienst: eine Ausbildung zum Katastrophenschützer. Ein nicht weniger populistischer Vorschlag als der der SPÖ, ist doch die Unterstützung durch Soldaten bei der Bekämpfung von Naturgewalten bzw. der Beseitigung ihrer verheerenden Folgen im Volk gefragt und anerkannt – weit mehr als die Kernaufgabe Landesverteidigung. Offen bleibt, wer dann noch zum Soldaten ausgebildet werden soll. Immerhin kämpft das Heer mit dem Problem der hohen Systemerhalterquote. Es steht zu befürchten, daß im klassischen Militärdienst nur noch die Fahrer, Köche und Schreiber bleiben.
Entschärft wurde die rot-schwarze Debatte durch die Beschäftigung mit einer neuen Sicherheitsdoktrin, die sich jedoch als wenig hilfreich für eine Entscheidung in der Frage Wehrpflicht oder Berufsheer erweisen sollte. Denn die Strategie ist nicht mehr als die längst fällige Dokumentation von Gefahren, die so neu nicht sind. Internationaler Terrorismus, Cyber-Krieg, Handel mit Massenvernichtungswaffen – das alles ist längst Realität, und man darf zumindest hoffen, daß im Betrieb des Bundesheeres auch schon bisher darauf Rücksicht genommen wurde, auch ohne daß sich die Politiker medienöffentlich damit beschäftigten.
Im sich rapide verschlechternden Koalitionsklima während der politischen Sommerpause 2011 faßte nun auch der zwischenzeitlich ruhig gestellte Verteidigungsminister Darabos neuen Mut. Er kündigte an, sein System ohne Grundwehrdiener in einzelnen Kasernen testen zu wollen – ein Affront gegenüber dem Regierungspartner, zumal offensichtlich in keiner Weise abgesprochen. Auch von einem Besuch bei seinem deutschen Ressortkollegen Thomas De Maiziere ließ sich Darabos nicht beirren. Der kämpft mit dem Guttenberg-Erbe der ausgesetzten Wehrpflicht. Der Bundeswehr gelingt es trotz sündteurer Werbekampagnen nicht, die nötige Zahl an Berufssoldaten zu rekrutieren. Mehr als der gequälte Hinweis, daß es ihm als Christdemokraten nicht zustehe, dem sozialdemokratischen Norbert einen Ratschlag zu geben, war De Maiziere bei einer gemeinsamen Pressekonferenz nicht zu entlocken. Darabos hatte sich wohl mehr Rückenwind erwartet vom Chef einer jungen Berufsarmee.
Die nun von der SPÖ erneut angekündigte Volksbefragung – neben der Wehrpflicht könnte auch die von ihr propagierte „Reichensteuer“ ein Thema dafür werden – kann nur als Vorbereitung für Neuwahlen gewertet werden. Dieses Szenario mag für die Sozialdemokraten verlockend sein, liegt die ÖVP doch derzeit am Boden. Weniger verlockend empfinden es die roten Strategen wohl in der Erwartung, anstatt eines Duells gegen die ÖVP dann eines gegen die Freiheitlichen um die Spitzenposition austragen zu müssen.
Egal ob sich die innenpolitische Lage über die Wehrpflicht-Debatte weiter zuspitzt oder auch wieder entschärft: Der wahre Verlierer abseits politischer Eitelkeiten steht längst fest. Es ist das Bundesheer, das in der sich nun bereits über mehr als ein Jahr hinziehenden Debatte in erster Linie als Kostenverursacher wahrgenommen wird und darüber hinaus als Einrichtung, in der junge Menschen wertvolle Lebenszeit verplempern. Längst vergessen scheinen die Zeiten, als es im kollektiven Bewußtsein der Österreicher noch „Unser Heer“ war.

 
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