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Keine Wertegemeinschaft

Von Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker

Das politische Projekt Europa kann nur auf der Grundlage eines gemeinsamen Wertekanons funktionieren. Doch wie sieht dieser aus? Daß das Recht auf freien Warenverkehr bedingungslos der Gesundheit und Lebensqualität der Menschen in den transitgeplagten Alpentälern übergeordnet ist? In Österreich haben wir schon mehrfach Gelegenheit gehabt, darüber nachzudenken, welche „Werte“ in der EU denn eigentlich zählen.

Das Zugeständnis für Tschechien, eine Ausnahmeklausel für die Grundrechtscharta des Lissaboner Vertrags zu erhalten, bot erneut Anlaß dazu. Das Ausbleiben jeglicher Kritik daran seitens der grünen „Menschenrechts“-Aktivisten zeigt die verachtenswerte Doppelmoral dieser Gesellen mit ekelerregender Deutlichkeit. Daß die Eurokraten dieser Lösung hingegen rasch zustimmten, verwundert indes nicht: Sie ist ja ein Scheinzugeständnis, weil sie die Benesch-Dekrete genausowenig zusätzlich absichert wie die vorbehaltlose Ratifizierung der Grundrechtscharta diese in Frage gestellt hätte: Die Charta schützt den Bürger nämlich lediglich gegen Übergriffe seitens der EU und nicht gegen solche seitens der Einzelstaaten. Dennoch hat Brüssel damit ein fatales Signal ausgesandt: Daß ethnische Diskriminierung schon irgendwie möglich ist. Nämlich dann, wenn Täter, Opfer und Gründe politisch korrekt argumentierbar sind. Das sollte man sich für die Zukunft merken.

Noch brisanter ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach ein Kruzifix im Klassenzimmer gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. In Österreich gilt nach wie vor das Konkordat, wonach in Schulen ein Kreuz aufzuhängen ist, wenn die Mehrheit der Schüler Christen sind. Unabhängig von der Frage, wie lange dies noch der Fall ist (in den Großstädten werden Atheisten und Muslime gemeinsam bald eine deutliche Mehrheit stellen), haben dank dieser Entscheidung schon jetzt alle geschworenen Feinde des Christentums den entscheidenden Trumpf in Händen. Bezeichnend, daß sogar die ÖVP einem Antrag der FPÖ zum Schutze des Kreuzes in öffentlichen Gebäuden, auf Wappen, Ehrenzeichen usw. nicht mehr zustimmen wollte. Doch die Abnahme der Kreuze an Schulen und Gerichten wird nur der erste Schritt sein. Wer kein Christ ist, wird im täglichen Glockengeläut – zumal sonntags Morgen, wenn „mensch“ doch ausschlafen will, nur Ruhestörung sehen. Und in der Tat: Keine Disko und kein Klub dürfte in Wohngebieten solchen Lärm schlagen, wie die Kirchen es tagtäglich tun. Sind die Katholiken nur mehr ein Verein wie jeder andere auch, wird es mit diesem Privileg vorbei sein. Es hat bereits Prozesse notorischer Querulanten gegen das Glockengeläut gegeben – bisher erfolglos. Das mag sich aber rasch ändern. Und dann die Berge! Auch die Tradition der Gipfelkreuze ist bereits in Frage gestellt worden. Hier mag vielleicht helfen, daß nicht die nicht von Brüssel verordnete staatliche „Neutralitätspflicht“ gegenüber den Religionsgemeinschaften berührt ist, sondern diese Kreuze oft auf Privatgrund mit den Mitteln alpiner Vereine errichtet wurden. Daher könnte sein, daß zumindest die Berge noch eine Zeitlang christlich bleiben, wenn im Tale längst die Glocken schweigen.

Schon jetzt aber wäre der Zeitpunkt für alle christlichen Organisationen und die Amtskirchen gekommen, deutlich klarzumachen, daß diese EU keine Wertegemeinschaft mehr bildet, die von gläubigen Christen geteilt werden kann. Dazu hätte es auch schon früher mehrfach Anlaß gegeben, doch mittlerweile ist der Punkt erreicht, an dem sich die Kirchen selbst aufgeben, wenn sie nicht aktiv werden. Vielleicht sollte Österreich doch statt der EU der Schweiz beitreten, bzw. mit ihr ein neues „Kerneuropa“ bilden: Dort war immerhin ein Minarettverbot möglich. NO-Autor Dominik Schwarzenberger stellt dessen Sinnhaftigkeit zwar mit nachvollziehbaren Argumenten in Frage, andererseits müssen sich alle muslimischen Kritiker auch die freundliche Frage gefallen lassen, in wie vielen islamischen Ländern denn der Kirchenbau uneingeschränkt und unproblematisch möglich ist (ganz zu schweigen davon, daß die Schweizer ja weder die Errichtung von Moscheen, noch die Ausübung des muslimischen Kultes in irgendeiner Weise beschränkt haben). Doch um die Frage Minarettverbot ja oder nein (für beides gibt es gute Argumente) ging es mir bei diesem „Vorschlag“ gar nicht. Sondern darum, daß in der Schweiz wenigstens noch das Volk über die entscheidenden Fragen selbst entscheiden kann. Man mag prinzipielle Zweifel am Funktionieren einer Demokratie (vergleiche Schiller) hegen – das Schweizer Modell der direkten Volksentscheide ist jedenfalls um Einiges sympathischer, als unsere als Demokratie getarnte oligarchische Parteienherrschaft. Und, ach ja, es funktioniert auch gar nicht so schlecht, wie der Blick auf die letzten 800 Jahre Geschichte lehrt.

 
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